Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 nach Lohnsteuer-Außenprüfung
Leitsatz (amtlich)
Wird im Anschluß an eine Lohnsteuer-Außenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung der den Prüfungszeitraum betreffenden Lohnsteuer-Anmeldungen aufgehoben, so steht dem späteren Erlaß eines Pauschalierungsbescheides für einen den Prüfungszeitraum betreffenden Sachverhalt die Änderungssperre des § 173 Abs.2 Satz 1 AO 1977 entgegen.
Orientierungssatz
1. Abweichung von BFH-Urteilen vom 30.8.1988 VI R 21/85 und vom 21.6.1989 VI R 31/86.
2. Ist im Anschluß an eine Lohnsteuer-Außenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung für die den Prüfungszeitraum betreffenden Lohnsteuer-Anmeldungen aufgehoben worden, darf wegen der dadurch herbeigeführten Änderungssperre des § 173 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 dem Arbeitgeber gegenüber kein den Prüfungszeitraum betreffender Haftungsbescheid mehr ergehen, es sei denn, es liegt eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vor (vgl. BFH-Urteil vom 15.5.1992 IV R 106/88).
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 2 S. 1, § 179 Abs. 3; EStG § 38 Abs. 3 S. 1, § 40 Abs. 3, § 40a Abs. 4, § 40b Abs. 3, § 41a Abs. 2, 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erließ im Anschluß an eine im Jahre 1984 bei der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) durchgeführte Außenprüfung durch das FA für Großbetriebsprüfung X am 7.August 1984 gegenüber der Klägerin einen als Nachforderungsbescheid bezeichneten Pauschalierungsbescheid über Lohnsteuer in Höhe von 2 778,02 DM wegen Aufwendungen für eine Betriebsveranstaltung im Jahre 1980, die die Klägerin nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen hatte. Die Klägerin machte geltend, der Nachforderung stehe die Änderungssperre des § 173 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) entgegen, weil bei ihr Ende 1982 eine Lohnsteuer-Außenprüfung stattgefunden habe, die sich auf die Zeit vom 1.Januar 1978 bis 30.August 1982 erstreckt habe. Im Anschluß an diese Außenprüfung war am 2.Februar 1983 ein auf einem Vordruck zusammengefaßter Haftungs- und Pauschalierungsbescheid ergangen, in dem außerdem wegen der Lohnsteuer-Anmeldungen bzw. Steuerfestsetzungen, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen, für die Zeit vom 1.Januar 1977 bis 30.August 1982 der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben worden war.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung des Pauschalierungsbescheides begehrte, statt. Es führte aus: Der angefochtene Lohnsteuer-Pauschalierungsbescheid vom 7.August 1984 stelle im Ergebnis eine Änderung des aufgrund einer Lohnsteuer-Außenprüfung ergangenen Haftungs- und Pauschalierungsbescheids vom 2.Februar 1983 dar und sei deshalb wegen § 173 Abs.2 AO 1977 rechtswidrig. Die Änderungssperre des § 173 Abs.2 AO 1977 müsse entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung (Abschn.110 Abs.9 der Lohnsteuer-Richtlinien --LStR--) auch bei Lohnsteuer-Außenprüfungen wirken. Entscheidend für die Herbeiführung der Änderungssperre sei nicht allein der Erlaß des Haftungs- und Pauschalierungsbescheids vom 2.Februar 1983, sondern der Umstand, daß der Bericht über die Lohnsteuer-Außenprüfung vom 29.Dezember 1982 eine Erläuterung aller der Nachversteuerung unterworfenen Sachverhalte und damit konkludent die Mitteilung enthalten habe, daß sich in bezug auf die Lohnsteuer vom 1.Januar 1979 bis 30.August 1982 kein weiterer Sachverhalt ergeben habe, der der Lohnsteuer unterworfen werden müsse. Dies entspreche einer Mitteilung nach § 202 Abs.1 Satz 3 AO 1977 (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 9.Aufl., § 173 AO 1977 Tz.36).
Das FA rügt mit seiner vom FG zugelassenen Revision die Verletzung der §§ 88, 173 Abs.2, 193 AO 1977 und der §§ 40 Abs.3, 42d Abs.2, 42f des Einkommensteuergesetzes (EStG) und trägt vor: Entgegen der Auffassung des FG sei die Lohnsteuer-Außenprüfung sachverhaltsbezogen. Bei der Lohnsteuer-Außenprüfung würden vornehmlich die Lohnkonten geprüft. Insofern habe die Lohnsteuer-Außenprüfung eine von der allgemeinen Außenprüfung abweichende Zielsetzung. Es würde dem Sinn und Zweck der Lohnsteuer-Außenprüfung widersprechen, wenn auch eine Änderungssperre hinsichtlich solcher Sachverhalte einträte, die sich --wie im Streitfall-- nicht aus der Lohnbuchhaltung, sondern aus anderen allgemeinen Aufwandskonten ergäben. Entgegen der Ansicht des FG handele es sich bei dem angefochtenen Bescheid auch nicht um einen Änderungsbescheid, sondern um einen Erstbescheid. Läge --wie das FG zunächst ausgeführt habe-- eine Änderung des Bescheides vom 2.Februar 1983 vor, so hätte der angefochtene Bescheid den erstgenannten Bescheid umfaßt und zu einer Minderung der Lohnsteuer geführt, so daß die Klage abzuweisen gewesen wäre.
Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Rechtsstreit beigetreten. Er verweist auf die Rechtsprechung des Senats und ist der Meinung, es wäre dogmatisch inkonsequent, in einem Lohnsteuer-Haftungsbescheid oder einem Lohnsteuer-Pauschalierungsbescheid eine Änderung der Lohnsteuer-Anmeldung zu sehen. Ein Haftungsbescheid habe einen anderen Regelungsinhalt als eine Lohnsteuer-Anmeldung. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß die Finanzbehörde statt einen Lohnsteuer-Haftungsbescheid zu erlassen, aufgrund der neuen Tatsachen auch die Lohnsteuer-Anmeldung ändern könne. Dies vermöge die grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden Arten von Bescheiden nicht aufzuheben. Der ebenfalls sachverhaltsbezogene Pauschalierungsbescheid entspreche dem Haftungsbescheid insofern, als er die Lohnsteuer-Anmeldung nicht abändere, sondern ergänze.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß dem Erlaß des angefochtenen Pauschalierungsbescheids die Änderungssperre des § 173 Abs.2 AO 1977 entgegensteht.
Der Senat hat zu der Rechtsfrage, ob nach einer Lohnsteuer- Außenprüfung (§ 42f EStG), die zu Haftungs- und/oder Pauschalierungsbescheiden geführt hat, weitere den Prüfungszeitraum betreffende Bescheide über Lohnsteuer gegenüber dem Arbeitgeber erlassen werden dürfen, bisher im Ergebnis in den Urteilen vom 30.August 1988 VI R 21/85 (BFHE 155, 68, BStBl II 1989, 193) und vom 21.Juni 1989 VI R 31/86 (BFHE 157, 377, BStBl II 1989, 909) eine andere Rechtsauffassung als die Vorinstanz vertreten. An der in diesen Urteilen vertretenen Rechtsauffassung hält der Senat insoweit nicht mehr fest, als nicht dem Umstand Rechnung getragen worden ist, daß Gegenstand der Lohnsteuer-Außenprüfung die für den Prüfungszeitraum abgegebenen Lohnsteuer-Anmeldungen waren.
Der Senat hat mit Urteil vom 15.Mai 1992 VI R 106/88 (BFHE 168, 532) entschieden, daß dann, wenn im Anschluß an eine Lohnsteuer-Außenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung für die den Prüfungszeitraum betreffenden Lohnsteuer-Anmeldungen aufgehoben worden ist, wegen der dadurch herbeigeführten Änderungssperre des § 173 Abs.2 Satz 1 AO 1977 dem Arbeitgeber gegenüber kein den Prüfungszeitraum betreffender Haftungsbescheid mehr ergehen darf, es sei denn, es liegt eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vor. Wegen der Einzelheiten der Begründung dieser Rechtsauffassung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Urteil in BFHE 168, 532 Bezug genommen.
Greift die Änderungssperre des § 173 Abs.2 Satz 1 AO 1977 gegenüber dem Erlaß eines Haftungsbescheids ein, so kann für den Pauschalierungsbescheid, der ein Steuerbescheid i.S. des § 155 Abs.1 AO 1977 ist, nichts anderes gelten.
Die Anwendung des § 173 Abs.2 Satz 1 AO 1977 auf eine Änderung durch einen Pauschalierungsbescheid wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Pauschalierungsbescheid lediglich eine punktuelle Korrektur des Steuerbescheids in Form der Lohnsteuer- Anmeldung bewirkt und nicht den gesamten Inhalt der Lohnsteuer- Anmeldung in sich aufnimmt. Entscheidend ist vielmehr, daß durch den Pauschalierungsbescheid der Regelungsbereich des zeitraumbezogenen Steuerbescheids in Form der Lohnsteuer-Anmeldung betroffen ist. Denn Regelungsbereich der Lohnsteuer-Anmeldung ist diejenige Steuer des Anmeldungszeitraums (§ 41a Abs.2 EStG), die der Arbeitgeber nach dem Gesetz einzubehalten und zu übernehmen hat (§ 41a Abs.1 Nr.1 i.V.m. § 38 Abs.3 Satz 1, § 40 Abs.3, § 40a Abs.4, § 40b Abs.3 EStG). Nur dann, wenn die Anmeldung des Arbeitgebers fehlerhaft ist, kann ein Haftungs- und/oder Pauschalierungsbescheid der Behörde ergehen. Ein solcher Bescheid führt zwangsläufig zu einer Korrektur innerhalb des Regelungsbereichs der Lohnsteuer-Anmeldung des betroffenen Anmeldungszeitraums, weil die bisherige Festsetzung in Höhe der nach § 41a Abs.1 EStG angemeldeten Steuer dadurch geändert wird. Es handelt sich wegen der Korrektur innerhalb des Regelungsbereichs der Lohnsteuer-Anmeldung bei einem Pauschalierungsbescheid auch nicht etwa um einen Ergänzungsbescheid i.S. des § 179 Abs.3 AO 1977. Denn es wird nicht eine bislang unterbliebene Feststellung nachgeholt, sondern eine vorhandene Festsetzung in ihrer Höhe geändert. Deshalb kann die Anwendbarkeit des § 173 Abs.2 Satz 1 AO 1977 auch nicht mit dem Hinweis ausgeschlossen werden, der Pauschalierungsbescheid sei nur ein Ergänzungsbescheid.
Anhaltspunkte dafür, daß nach dem Zweck des § 173 Abs.2 Satz 1 AO 1977 von dieser Vorschrift nur solche Änderungen erfaßt werden sollen, bei denen die gesamte Steuer des jeweiligen Veranlagungszeitraums wiedergegeben wird, und nicht auch solche, die die Korrektur punktuell vornehmen, sind nicht ersichtlich. Vielmehr spricht der durch § 173 Abs.2 AO 1977 bezweckte erhöhte Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen im Anschluß an eine Außenprüfung dafür, die Änderungssperre bei jeder Form der Korrektur eines Steuerbescheids eingreifen zu lassen, der aufgrund einer Außenprüfung ergangen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 64311 |
BFH/NV 1992, 74 |
BStBl II 1993, 829 |
BFHE 168, 505 |
BFHE 1993, 505 |
BB 1992, 1984 |
DB 1993, 2468 (L) |
DStR 1992, 1475 (KT) |
HFR 1992, 676 (LT) |
StE 1992, 563 (K) |