Leitsatz (amtlich)
Zinsen, die das FA gemäß § 111 FGO für zu erstattende Einkommensteuern zahlt, sind gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG zur Einkommensteuer heranzuziehen.
Normenkette
EStG § 12 Nr. 3, § 20 Abs. 1 Nr. 4; FGO §§ 111-112; StSäumG § 6 Abs. 2
Tatbestand
Umstritten ist die Heranziehung der auf zuviel gezahlte Einkommensteuern gemäß § 111 der FGO entfallenden Zinsen zur Einkommensteuer.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erhielt im Jahre 1966 14 190 DM Erstattungszinsen auf überzahlte Einkommensteuern gemäß § 111 FGO. Im Einspruch gegen den für 1966 ergangenen Einkommensteuerbescheid machte sie geltend, daß diese Zinsen nicht zur Einkommensteuer herangezogen werden könnten. Ihre Klage gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung hatte Erfolg. Das FG hat seine Entscheidung wie folgt begründet (veröffentlicht in EFG 1970 S. 336): Da § 12 Nr. 3 EStG bestimme, daß die Leistungen auf die Einkommensteuer außerhalb der Besteuerungssphäre liegen, könne die erstattete Einkommensteuer nicht anders behandelt werden. Dies gelte für die Zinsen nicht anders als für das Kapital, weil Zinsen Nebenforderungen und damit akzessorisch seien. Weil die Einkommensteuer gemäß § 12 Nr. 3 EStG nicht abgezogen werden kann, sei die Erstattungsforderung keine Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Die hierfür gezahlten Erstattungszinsen könnten daher nicht zur Einkommensteuer herangezogen werden. Dem entspreche die Regelung in § 6 Abs. 2 des StSäumG, wonach Zinsen Nebenleistungen der Steuer sind, zu der sie erhoben werden. Dies stehe im Einklang mit der allgemeinen Rechtsauffassung über die Rechtsnatur der Zinsen.
Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten und Revisionsklägers (FA) mit folgender Begründung: Es gebe keine Ausnahmevorschrift, die die Zinsen für Steuererstattungsansprüche von der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG ausschließe. Die Zinsen auf geschuldete Einkommensteuern könnten trotz der Bestimmung des § 6 Abs. 2 StSäumG als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG abgesetzt werden. Dementsprechend müßten die Zinsen auf erstattete Steuern gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG zur Einkommensteuer herangezogen werden. Die Rechtsnatur der Erstattungs- und Aussetzungszinsen sei die gleiche. Für die Schuldzinsen müsse gelten, was umgekehrt für die Erstattungszinsen gelte.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision des FA werden die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Zu den nach § 2 Abs. 3 Nr. 5 EStG zur Einkommensteuer heranuziehenden Einkünften aus Kapitalvermögen gehören gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG Zinsen aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art (z. B. aus Darlehen, Anleihen, Einlagen und Guthaben bei Sparkassen, Banken und anderen Kreditanstalten). Die gemäß § 111 FGO vom FA zu leistenden Erstattungszinsen gehören zu diesen Zinsen.
Die Ansicht der Klägerin, daß die steuerliche Erfassung der Zinsen mangels einer Kapitalforderung nicht möglich sei, weil das Erstattungsrecht und damit eine Kapitalforderung erst mit der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren entstehe, trifft schon deshalb nicht zu, weil die richterliche Entscheidung in einem Streitverfahren grundsätzlich nur deklaratorische (rechtserklärende) und keine konstitutive (rechtsschaffende) Funktion hat. Der Senat teilt auch nicht die Auffassung der Klägerin, daß die Verzinsung der Steuererstattung ein dem Steuerpflichtigen durch die Finanzverwaltung zugefügtes Unrecht ausgleichen soll. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Finanzverwaltung die zuviel erhobenen Steuern so verzinsen soll, als habe sie in dieser Höhe ein Darlehen erhalten, während der Steuerpflichtige so gestellt wird, als habe er ein Darlehen gewährt. Hiernach kommt es nicht darauf an, ob das FA rechtswidrig oder rechtmäßig gehandelt hat. Materiell-rechtlich entsteht der Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen im Augenblick der Überzahlung. Entgegen der Auffassung des FG hat auch die Regelung in § 12 Nr. 3 EStG keinerlei Einfluß auf die Rechtsnatur der Steuererstattungsforderung als Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG.
Die Auffassung des FG, daß die Heranziehung der vom FA zu zahlenden Erstattungszinsen zur Einkommensteuer gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG nach allgemeinen Regeln davon abhängig sei, ob die den Erstattungszinsen ihrem Wesen nach entsprechenden, vom Steuerpflichtigen zu zahlenden Verzugszinsen zum Abzug als Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben zugelassen sind, teilt der Senat nicht. Denn einen derartigen allgemeinen Rechtssatz gibt es nicht. Er läßt sich auch nicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben herleiten und nicht aus der Überlegung, daß die Gleichbehandlung "konsequent" sei (vgl. hierzu Winter, Neue Juristische Wochenschrift 1965 S. 737). Auch die Ansicht des FG, wegen der Akzessorietät der Zinsen führe die Einkommensteuerfreiheit der erstatteten Steuerbeträge zur Steuerfreiheit der Erstattungszinsen, hält der Senat nicht für zutreffend. Käme es nämlich auf die Akzessorietät der Zinsen an, so wäre ihre Heranziehung zur Einkommensteuer ganz allgemein ausgeschlossen, weil die Rückzahlung des ihnen zugrunde liegenden Kapitals - die der Erstattung der überzahlten Steuern entspricht - in aller Regel einkommensteuerlich neutral bleibt. Gerade die Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG zeigt, daß die Akzessorietät der Zinsen bei ihrer Heranziehung zur Einkommensteuer ohne Bedeutung ist.
Auch der Hinweis auf § 6 Abs. 2 StSäumG führt zu keinem anderen Ergebnis. Da § 111 Abs. 1 FGO wohl zur Erläuterung der Höhe und Berechnung der Zinsen auf § 5 StSäumG Bezug nimmt, nicht jedoch darüber hinaus auf § 6 Abs. 2 StSäumG, kann diese Bestimmung zur Auslegung des § 111 FGO direkt nicht herangezogen werden. Allenfalls kommt eine analoge Anwendung in Betracht. Sie würde voraussetzen, daß § 6 Abs. 2 StSäumG einen allgemeinen Rechtsgrundsatz enthält, der auch bei Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG auf die nach § 111 FGO zufließenden Erstattungszinsen berücksichtigt werden müßte. Aus einer Vorschrift, die sich auf Leistungen des Steuerpflichtigen bezieht, können aber nicht ohne weiteres Rückschlüsse für die Leistungen der Finanzverwaltung gezogen werden. Schon aus diesem Grunde versteht sich die Gleichsetzung der Säumniszinsen mit den Erstattungszinsen in ihrem Verhältnis zum zu verzinsenden Betrag nicht von selbst. Es verstieße zudem gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen, wenn Erstattungszinsen steuerfrei blieben, während Darlehnszinsen versteuert werden müssen.
Fundstellen
BStBl II 1975, 568 |
BFHE 1975, 216 |