Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Beurteilung, ob Kraftomnibusse "überwiegend im Linienverkehr verwendet werden" (§ 2 Nr. 5 a KraftStG 1972), ist jeweils auf den einzelnen Kraftomnibus, nicht auf die Gesamtheit der gehaltenen Kraftomnibusse abzustellen.
2. Ob ein Kraftomnibus "überwiegend im Linienverkehr verwendet" worden ist, beurteilt sich nach § 13 Abs. 4 Satz 2 KraftStDV 1961.
Normenkette
KraftStG 1972 § 2 Nr. 5a; KraftStG 1961 § 11 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a; KraftStDV § 13 Abs. 4 S. 2; GG Art. 80 Abs. 1 S. 2; PBefG §§ 42-43
Tatbestand
Die Klägerin, eine Kommanditgesellschaft, betreibt ein Verkehrsunternehmen. Im Jahre 1970 hielt sie 67, im Jahre 1971 84 Kraftomnibusse und verwendete sie im Linien- sowie im Gelegenheitsverkehr. Der Beklagte (FA) hatte zunächst das Halten der Fahrzeuge, soweit dies beantragt worden war, gemäß § 2 Nr. 5 a KraftStG von der Steuer freigestellt, da die Klägerin geltend gemacht hatte, sie verwende die Kraftomnibusse überwiegend im Linienverkehr. Später legte die Klägerin einen "Nachweis über den Anteil des Gelegenheitsverkehrs ... an der Gesamtkilometerleistung pro Fahrzeug" für die Kalendermonate der Jahre 1970 und 1971 vor. Aufgrund dieses Nachweises gewann das FA die Erkenntnis, daß die Klägerin 38 ihrer Kraftomnibusse nicht überwiegend im Linienverkehr verwendet habe und forderte durch Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 31. August 1972 die Kraftfahrzeugsteuer insoweit nach, als die jeweiligen Kraftomnibusse in einzelnen Kalendermonaten weniger als 50 v. H. der insgesamt gefahrenen Strecke im Linienverkehr zurückgelegt hatten; die Einsprüche wies es zurück.
Mit der Klage wurde beantragt, die Steuerbescheide und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Diese Verwaltungsakte seien rechtswidrig, vor allem deshalb, weil das FA jeweils von dem einzelnen Kraftomnibus ausgegangen sei. Man dürfe aber bei der Beurteilung, ob mehr als 50 v. H. der insgesamt gefahrenen Strecke im Linienverkehr zurückgelegt worden seien, nicht auf das einzelne Fahrzeug, sondern müsse auf den gesamten Fahrzeugpark abstellen. Bei dieser Betrachtungsweise ergebe sich, daß bei ihr im Jahre 1970 78,8 v. H., im Jahre 1971 66,6 v. H. des Gesamtverkehrs auf den Linienverkehr entfielen, die Voraussetzungen der Steuerbefreiungsvorschrift also gegeben seien.
Das FG wies die Klage ab. Es ging unter Hinweis auf die Vorschrift des § 13 Abs. 4 Satz 2 der Kraftfahrzeugsteuer-Durchführungsverordnung vom 14. Juni 1961 (BGBl I, 764, BStBl I, 404) - KraftStDV 1961 - und auf das Urteil des BFH vom 19. Januar 1966 II 58/63 (BFHE 85, 42, BStBl III 1966, 227) davon aus, daß ein Kraftomnibus dann "überwiegend im Linienverkehr verwendet" werde, wenn er in dem Zeitraum, für den die Steuer jeweils entrichtet ist, mehr als 50 v. H. der insgesamt gefahrenen Strecke im Linienverkehr zurückgelegt hat. Dabei sei auf das einzelne gehaltene Fahrzeug und nicht auf die Summe aller von einem Steuerschuldner gehaltenen Fahrzeuge abzustellen.
Mit der Revision rügt die Klägerin die unrichtige Anwendung des § 2 Nr. 5 a KraftStG. Zur Auslegung des in dieser Vorschrift enthaltenen Merkmals "überwiegend im Linienverkehr verwendet" dürfe die Vorschrift des § 13 Abs. 4 KraftStDV nicht herangezogen werden, weil sie nicht zu einer Befreiungs-, sondern zu einer Tarifvorschrift, nämlich zu § 11 Abs. 2 Nr. 2 KraftStG 1961 ergangen sei. Auch sei bei der Auslegung der Befreiungsvorschrift nicht darauf abzustellen, ob das einzelne Fahrzeug, sondern ob der gesamte Fuhrpark (die Gesamtheit der von ihr gehaltenen Omnibusse) überwiegend im Linienverkehr verwendet werde, denn § 2 Nr. 5 a KraftStG spreche von "Kraftomnibussen" (Mehrzahl).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat ohne Rechtsirrtum die Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift nicht für gegeben erachtet. Nach dieser Vorschrift ist von der Steuer befreit: das Halten von "Kraftomnibussen, die überwiegend im Linienverkehr verwendet werden". Obwohl die Befreiungsvorschrift - worauf die Klägerin hinweist - von "Kraftomnibussen". also der Mehrzahl einer Fahrzeugart spricht, ist bei der Prüfung, ob die Befreiungsvorschrift anwendbar ist, auf das einzelne Fahrzeug abzustellen. Das folgt nicht nur aus dem Wortsinn des § 1 Abs. 1 KraftStG (wonach der Steuer das Halten "eines Kraftfahrzeugs" unterliegt), sondern auch aus dem Zusammenhang dieser Vorschrift mit anderen Vorschriften, die z. B. die Steueranmeldung (§ 7 Abs. 1 bis 4 KraftStDV), den Steuerschuldner (§ 4 KraftStG), die Dauer und das Ende der Steuerpflicht (§§ 5, 7 KraftStG, § 17 KraftStDV) betreffen und in denen ebenfalls jeweils auf das einzelne Fahrzeug abgestellt ist. In ähnlichem Sinne hat der erkennende Senat entschieden, da die subjektive (für Körperbehinderte vorgesehene) Steuervergünstigung nach § 3 Abs. 1 KraftStG nicht gleichzeitig für mehrere Personenkraftwagen desselben Halters gewährt werden kann (BFH-Urteil vom 15. Januar 1975 II R 97/69, BFHE 114, 511, BStBl II 1975, 368). Bei den objektiven (für Fahrzeuge bestimmter Art vorgesehenen Steuerbefreiungen, wie sie in den einzelnen Tatbeständen des § 2 KraftStG normiert sind, werden die einzelnen Fahrzeugarten in der Mehrzahl aufgeführt, um zu verdeutlichen, daß die Befreiung sich nicht auf das Halten nur (zahlenmäßig) "eines" Kraftfahrzeugs der dort beschriebenen Art beschränkt, sondern das Halten mehrerer Fahrzeuge umfassen kann, wenn bei jedem einzelnen von ihnen die Merkmale der Befreiungsvorschrift erfüllt sind.
Für die Auslegung des Begriffs "überwiegend im Linienverkehr verwendet" hat das FG mit Recht die Vorschrift des § 13 Abs. 4 Satz 2 KraftStDV 1961 herangezogen. Danach gilt ein Kraftomnibus als "überwiegend im Linienverkehr verwendet, wenn er in dem Zeitraum, für den die Steuer jeweils entrichtet ist ..., mehr als 50 vom Hundert der insgesamt gefahrenen Strecke im Linienverkehr zurückgelegt hat". Diese Vorschrift ist geltendes Recht. Sie beruht auf der in § 17 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG enthaltenen Ermächtigung, die 1960 in das Kraftfahrzeugsteuergesetz eingefügt worden und seit dem 1. Januar 1961 in Kraft ist (vgl. Art. 1 Nr. 16 und Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 19. Dezember 1960, BGBl I, 1005, BStBl I, 992). Die Ermächtigungsgrundlage genügt den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden müssen: Durch sie wird die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die im Kraftfahrzeugsteuergesetz verwendeten Begriffe (Inhalt) näher (Ausmaß) zu bestimmen (Zweck). Die Vorschrift des § 13 Abs. 4 Satz 2 KraftStDV hält sich im Rahmen der Ermächtigung, denn sie dient der Durchführung (nicht der Ergänzung oder Änderung) des Kraftfahrzeugsteuergesetzes und beschränkt sich darauf, das vom Gesetz Gewollte zu entfalten. Ohne Einfluß auf ihre Gültigkeit ist, daß der durch sie näher bestimmte Begriff "überwiegend im Linienverkehr verwendet" ursprünglich in der Steuerermäßigungsvorschrift des § 11 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a KraftStG enthalten war, seit 1. Januar 1969 aber - nachdem die Steuerermäßigung zu einer Steuerbefreiung erweitert worden ist (vgl. Art. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 20. Dezember 1968, BGBl I, 1393, BStBl I 1969, 3) - in der Steuerbefreiungsvorschrift des § 2 Nr. 5 a KraftStG enthalten ist. Schließlich ist auch ohne Einfluß auf ihre Gültigkeit, daß der vorangehende Satz 1 (wonach "in den Fällen des § 11 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a des Gesetzes" der Steuerschuldner verpflichtet ist, die Verwendung des Kraftomnibusses buchmäßig nachzuweisen) noch nicht an die neue Gesetzeslage angepaßt worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 71948 |
BStBl II 1976, 653 |
BFHE 1977, 297 |