Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 100 Abs.3 FGO im zweiten Rechtsgang unanwendbar, verfahrensrechtliche Situation nach einer Zurückverweisung der Sache durch den BFH
Leitsatz (amtlich)
§ 100 Abs.3 FGO i.d.F. des FGOÄndG vom 21. Dezember 1992 ist im zweiten Rechtsgang nicht anwendbar.
Orientierungssatz
Mit der Zurückverweisung einer Sache durch den BFH gemäß § 126 Abs.3 Nr.2 FGO wird das Verfahren erneut beim FG anhängig. Allerdings wird dort kein neues Verfahren eröffnet, sondern das ursprüngliche Verfahren, das für diese Instanz noch nicht abgeschlossen war, fortgesetzt. Mit dem Eingang der vom BFH zurückgesandten Akten beginnt keine zweite 6-Monats-Frist i.S. von § 100 Abs.3 Satz 5 FGO zu laufen (Ausführungen zu Zweck und zeitlicher Anwendung des § 100 Abs.3 FGO).
Normenkette
FGO § 100 Abs. 3 S. 1 Fassung 1992-12-21, S. 5 Fassung 1992-12-21, § 126 Abs. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 22.08.1994; Aktenzeichen 5 K 2216/94) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in dem Verfahren, das sich im zweiten Rechtsgang befindet, um die Höhe der bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigenden Werbungskosten.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eigentümer eines Einfamilienhauses. Einzelne Räume im ersten Stock des Hauses vermieten sie zeitweise als Ferienwohnung. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1987 teilten die Kläger die Grundstücksaufwendungen --wie in den Vorjahren-- im Verhältnis der Wohnfläche der eigengenutzten Räume zum Verhältnis der Wohnfläche der Ferienwohnung auf und zogen dementsprechend 33 v.H. der Gesamtaufwendungen als Werbungskosten von den Mieteinnahmen für die Ferienwohnung ab. Außerdem machten sie Aufwendungen, die ausschließlich und unmittelbar mit der Ferienwohnung zusammenhingen, als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) teilte dagegen die Gesamtaufwendungen für das Grundstück, soweit sie nicht unmittelbar mit der Ferienwohnung zusammenhängen, im Verhältnis der Wohnfläche für die an Feriengäste vermieteten Räume zur Gesamtnutzfläche auf und zog dementsprechend nur 21,69 v.H. der Gesamtaufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ab. Dadurch verringerte sich der Werbungskostenüberschuß für die Ferienwohnung entsprechend.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage im ersten Rechtsgang statt (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1990, 518). Auf die Revision des FA hat der Senat die Vorentscheidung mit Urteil vom 3. Mai 1994 IX R 73/90 (BFH/NV 1995, 194) aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen: Das FG habe es rechtsfehlerhaft unterlassen, zu prüfen, ob die Ferienwohnung ausschließlich der Vermietung an Feriengäste diene oder ob sie außerhalb der Vermietungszeiten den Klägern und ihrer Familie zur Nutzung zur Verfügung stehe. Sollte die weitere Sachaufklärung ergeben, daß die Ferienwohnung ausschließlich der Vermietung an Feriengäste diene, müßten die Gesamtaufwendungen nach Maßgabe des Senatsurteils vom 22. Februar 1994 IX R 53/90 (BFH/NV 1994, 709) nach dem Verhältnis der Nutzflächen aufgeteilt werden. Sollte das FG zu dem Ergebnis kommen, daß die Kläger im Streitjahr --wie schon in den Vorjahren-- einen Werbungskostenüberschuß erzielt haben und auch in Zukunft erzielen werden, sei auch zu prüfen, ob die Grundsätze der "Liebhaberei" anzuwenden seien.
Im zweiten Rechtsgang hat das FG sodann den angefochtenen Steuerbescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung gemäß § 100 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgehoben und das FA verpflichtet, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Zur Begründung seiner in den EFG 1995, 37 veröffentlichten Entscheidung hat es ausgeführt: Die Anwendung des § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO sei im Streitfall nicht durch die Regelung in Satz 5 der Vorschrift ausgeschlossen; denn nach der Aufhebung eines finanzgerichtlichen Urteils durch den Bundesfinanzhof (BFH) und Zurückverweisung der Sache zur weiteren Sachaufklärung durch das FG laufe ab dem Eingang der Steuerakten gemäß § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO eine weitere Sechsmonatsfrist, innerhalb derer das FG den angefochtenen Verwaltungsakt und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung wegen erforderlicher weiterer Sachaufklärung durch das FA aufheben könne. Im übrigen gelte die Neuregelung des § 100 Abs. 3 FGO nicht für solche (Alt-)Fälle, die bereits vor dem Inkrafttreten der Regelung am 1. Januar 1993 anhängig gewesen seien. Im Streitfall seien nach Art und Umfang erhebliche Ermittlungen erforderlich; unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sei es sachdienlich, diese durch Ermittlungsbeamte des FA vornehmen zu lassen.
Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung der §§ 76 Abs. 1, 100 Abs. 3 Satz 1 und 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO. Das FG habe zu Unrecht den angefochtenen Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Die nach der Rechtsprechung des BFH für alle am 1. Januar 1993 anhängigen Verfahren geltende Regelung des § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO sei nur im ersten, nicht aber im zweiten Rechtsgang anwendbar. Nach einer Zurückverweisung gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO sei das FG verpflichtet, in der Sache selbst zu entscheiden. Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen des § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO im Streitfall auch nicht vor. Die erforderlichen Ermittlungen könne das FG ohne erheblichen Aufwand selbst vornehmen. Mithin habe das FG auch seine Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 76 Abs. 1 FGO), verletzt.
Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Das FG hat zu Unrecht die Regelung des § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO im zweiten Rechtsgang angewendet.
1. Nach § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO in der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung des FGO-Änderungsgesetzes (FGOÄndG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) kann das Gericht, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art und Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Nach Satz 5 der Vorschrift kann eine solche Entscheidung jedoch nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen. Diese zeitliche Beschränkung der Möglichkeit einer Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes ohne Sachentscheidung des Gerichts dient den berechtigten Interessen der Beteiligten und soll die für diese unbefriedigende Situation verhindern, daß das FG trotz längerer Prozeßdauer von einer den Rechtsfrieden wieder herstellenden Sachentscheidung absieht und die Beteiligten in das Verwaltungsverfahren zurückversetzt (BFH-Urteil vom 19. März 1996 II R 59/95, BFHE 179, 571, BStBl II 1996, 321). Nach Ablauf der Frist hat das Gericht mithin im Interesse einer Beschleunigung des Verfahrens die notwendigen Ermittlungen selbst durchzuführen (vgl. auch die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum FGOÄndG, BTDrucks 12/1061 S. 19).
2. Die Regelung des § 100 Abs. 3 FGO gilt ab 1. Januar 1993 uneingeschränkt für alle Verfahren, gleich ob sie am 1. Januar 1993 bereits anhängig waren oder nicht (BFH-Urteil in BFHE 179, 571, BStBl II 1996, 321). Sie ist entgegen der Ansicht des FG jedoch nicht im zweiten Rechtsgang anwendbar.
Mit der Zurückverweisung einer Sache durch den BFH gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO wird das Verfahren erneut beim FG anhängig. Allerdings wird dort kein neues Verfahren eröffnet, sondern das ursprüngliche Verfahren, das für diese Instanz noch nicht abgeschlossen war, fortgesetzt (BFH-Urteil vom 14. August 1980 V R 142/75, BFHE 131, 440, BStBl II 1981, 71, m.w.N.). Von daher kommt eine Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte ohne Sachentscheidung nach § 100 Abs. 3 FGO im zweiten Rechtsgang nicht mehr in Betracht; denn die eine Kassation ohne Sachentscheidung ausschließende 6-Monats-Frist beginnt nach Satz 5 der Vorschrift mit dem Eingang der von der Finanzbehörde gemäß § 71 Abs. 2 FGO vorzulegenden Akten bei dem Gericht und ist im Zeitpunkt einer Zurückverweisung durch den BFH regelmäßig abgelaufen.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß nach der Zurückverweisung mit dem Eingang der vom BFH zurückgesandten Akten eine zweite 6-Monats-Frist i.S. von § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO zu laufen beginnt. Zum einen wäre eine solche Auffassung nicht mit dem Wortlaut der insoweit eindeutigen Regelung über die zeitliche Befristung einer ausnahmsweise zulässigen Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte ohne Sachentscheidung durch das Gericht vereinbar. Zum anderen widerspräche sie auch dem Beschleunigungseffekt, den der Gesetzgeber mit der in § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO vorgesehenen zeitlichen Befristung beabsichtigt hat (Lange in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 100 FGO Rz. 74). Dementsprechend ist der Senat im Urteil vom 20. Dezember 1994 IX R 124/92 (BFHE 176, 409, BStBl II 1995, 628) auch --ohne weitere Erörterung-- davon ausgegangen, daß das FG nach einer Zurückverweisung die notwendigen Ermittlungen selbst vorzunehmen habe, da eine Kassation ohne Sachentscheidung nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht zulässig sei.
3. Die Vorentscheidung beruht somit auf einem Verfahrensfehler, der zu ihrer Aufhebung und (erneuten) Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zwingt.
Fundstellen
Haufe-Index 66254 |
BFH/NV 1997, 319 |
BStBl II 1997, 409 |
BFHE 182, 287 |
BFHE 1997, 287 |
BB 1997, 1088 |
DB 1997, 1116 |
DStR 1997, 1082 |
DStRE 1997, 621 (L) |
DStZ 1997, 499 |
HFR 1997, 490 |
StE 1997, 305 |