Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtbeachtung der Frist des § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO
Leitsatz (NV)
Die Nichtbeachtung der Frist des § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO stellt einen Verfahrensfehler dar, der ohne weiteres zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung führt.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 3 S. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, sind Eigentümer einer im Jahre 1990 erworbenen und seither vermieteten Eigentumswohnung. Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) bei der Ermittlung der Einkünfte aus der Vermietung dieser Wohnung für das Jahr 1991 (Streitjahr) einen nach ihrer Auffassung zu hohen Bodenwertanteil berücksichtigt und dementsprechend die geltend gemachten Absetzungen für Abnutzung (AfA) um 409 DM gekürzt hatte, haben die Kläger Klage erhoben.
Das Finanzgericht (FG) hat mit dem angefochtenen Urteil den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung aufgehoben. Nach seiner Auffassung ist die Ermittlung des Bodenwertanteils durch das FA nicht nachvollziehbar. Das FA habe die Verkehrswertermittlung auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung und unter Berücksichtigung der Einwendungen der Kläger erneut vorzunehmen.
Mit der Revision rügt das FA zunächst einen Verstoß gegen § 100 Abs. 3 Satz 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe verkannt, daß gemäß § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO eine Entscheidung nach Satz 1 nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei dem Gericht ergehen könne. Nachdem die Steuerakten bereits am 4. Mai 1994 an das FG übersandt worden seien, hätten sie dort zum Zeitpunkt der am 16. März 1995 getroffenen Entscheidung bereits über zehn Monate vorgelegen. Das angefochtene Urteil beruhe auch auf diesem Verfahrensfehler. Darüber hinaus beanstandet das FA eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO). Das FG sei bei seiner Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Wertermittlung des FA auf der nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) unzulässigen Restwertmethode beruhe, ohne dem FA Gelegenheit zu geben, hierzu Stellung zu nehmen. Wäre ihm rechtliches Gehör gewährt worden, hätte das FA dargelegt, daß der strittige Bodenwertanteil zutreffend und unter Durchführung aller notwendigen Feststellungen ermittelt worden sei.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Das FG hat den Steuerbescheid 1991 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung unter Verstoß gegen § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO gemäß Satz 1 der Vorschrift aufgehoben.
a) Nach § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO in der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung des FGO-Änderungsgesetzes (FGOÄndG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) kann das Gericht, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art und Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Nach Satz 5 der Vorschrift kann eine solche Entscheidung jedoch nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen. Diese zeitliche Beschränkung der Möglichkeit einer Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes ohne Sachentscheidung des Gerichts dient den berechtigten Interessen der Beteiligten und soll die für diese unbefriedigende Situation verhindern, daß das FG trotz längerer Prozeßdauer von einer den Rechtsfrieden wieder herstellenden Sachentscheidung absieht und die Beteiligten in das Verwaltungsverfahren zurückversetzt (BFH-Urteil vom 19. März 1996 II R 59/95, BFHE 179, 571, BStBl II 1996, 321). Nach Ablauf der Frist hat das Gericht mithin im Interesse einer Beschleunigung des Verfahrens die notwendigen Ermittlungen selbst durchzu führen (vgl. auch die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum FGOÄndG, BTDrucks. 12/1061 S. 19).
b) Im Streitfall hatte die 6-Monats-Frist des § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO mit dem Eingang der vollständigen (vgl. dazu Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 100 FGO Tz. 17; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 100 FGO Rz. 72), die Kläger betreffenden Einkommensteuerakte bei dem FG am 10. Mai 1994 begonnen und war somit bereits im Zeitpunkt des vom FG am 16. März 1995 gefällten Urteils abgelaufen. Mithin bedarf es im vorliegenden Fall keiner Entscheidung dazu, ob das finanzgerichtliche Urteil innerhalb der Frist des § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO lediglich i. S. des § 103 FGO gefällt oder auch i. S. von § 104 FGO erlassen, d. h. verkündet (§ 104 Abs. 1 FGO) oder zugestellt (§ 104 Abs. 2 und 3 FGO) sein muß.
2. Die Nichtbeachtung der Frist des § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO stellt einen Verfahrensfehler dar, der ohne weiteres zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung führt. Es bedarf daher keiner Erörterung, ob darüber hinaus auch der Anspruch des FA auf rechtliches Gehör i. S. des § 96 Abs. 2 FGO verletzt worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 422055 |
BFH/NV 1997, 509 |