Leitsatz (amtlich)
1. Zahlt der Vorerbe dem Nacherben eine Abfindung für den Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs, so gehört die Abfindung zu den Verbindlichkeiten, die bei der Ermittlung des Vermögensanfalles aufgrund des Eintritts der Vorerbfolge abzuziehen sind.
2. Zur Auslegung eines Vertrages zwischen dem Vorerben und dem Nacherben, der die Übertragung von Vermögensgegenständen zum Gegenstand hat, die teils zum Nachlaß, teils zum eigenen Vermögen des Vorerben gehören.
Normenkette
ErbStG 1959 § 2 Abs. 2 Nr. 4, § 24 Abs. 6; BGB §§ 2306, 2317
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Vater des Klägers und Revisionsklägers (Erblasser) und sein Bruder hatten sich durch Erbvertrag vom 8. Dezember 1960 gegenseitig zu befreiten Vorerben eingesetzt Zum Nacherben des Vorversterbenden auf den Überrest und zum Alleinerben des Längstlebenden hatten sie den Kläger bestimmt. Für den Fall, daß der Kläger nach einem Vorversterben seines Vaters den Pflichtteil fordern sollte, ordneten sie an, daß der Kläger in diesem Falle auch nach dem Tode seines Onkels auf den Pflichtteil gesetzt werden sollte. Für diesen Fall sollten die Abkömmlinge des Klägers Erben sein, wobei für den Fall ihrer Minderjährigkeit Testamentsvollstreckung angeordnet wurde.
Der Erblasser starb am 10. Januar 1964. Über den Erbanfall an seinen Bruder erging zunächst ein vorläufiger Steuerbescheid vom 17. November 1964. Den endgültigen Steuerbescheid erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) am 31. Januar 1966, den der Kläger als Erbe seines Onkels anfocht. Er machte geltend, daß der Wert von Vermögensgegenständen, die sein Onkel durch einen notariellen Vertrag vom 22. Juli 1964 auf ihn übertragen habe, von dem Erwerb seines Onkels abzuziehen sei. Es habe sich um eine Abfindung für den Verzicht auf seinen Pflichtteilsanspruch gehandelt, die ebenso abgezogen werden müsse wie eine geltend gemachte Pflichtteilsforderung.
Durch den Vertrag vom 22. Juli 1964 wurden Verhandlungen zwischen dem Kläger und seinem Onkel abgeschlossen, die der Kläger unter Einschaltung von Rechtsanwälten mit dem Ziel aufgenommen hatte, alsbald nach dem Tode des Erblassers in den Genuß von Vermögenswerten aus dem Nachlaß zu gelangen, ohne unter Ausschlagung der Nacherbschaft den Pflichtteilsanspruch geltend machen zu müssen.
Der Onkel übertrug aufgrund dieses Vertrages unter anderem drei je zur ideelen Hälfte zum Nachlaß des Erblassers gehörende Grundstücke, sowie Bargeld und Wertpapiere aus einem Depot des Erblassers. Außerdem trat der Kläger in eine Personengesellschaft ein, an der der Erblasser als Gesellschafter beteiligt gewesen war. Der Kläger erteilte in seiner Eigenschaft als Nacherbe des Erblassers im übrigen seine Zustimmung dahin gehend, daß sein Onkel über ein anderes in A gelegenes Grundstück, das ebenfalls zur ideellen Hälfte zum Nachlaß gehörte, unentgeltlich nach seinem freien Ermessen unter Lebenden und von Todes wegen verfügen dürfe, und zwar einschließlich des Hausrates mit Ausnahme einiger Bilder Einleitend hieß es in dem Vertrag vom 22. Juli 1964, daß die Vertragspartner dahin übereingekommen seien, die Nacherbfolge z. T. vorwegzunehmen. Im übrigen erklärten die Vertragspartner, daß der Kläger keine Pflichtteilsansprüche geltend gemacht habe, sondern die vorstehenden Zuwendungen auf dem freien Willen des Onkels des Klägers beruhten.
Das FA war der Auffassung, daß eine Abfindung für einen Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nicht vorliege und wies den Einspruch deshalb zurück.
Mit seiner Klage hat der Kläger beantragt, die Steuer niedriger festzusetzen. Während des Klageverfahrens hat das FA aus formellen Gründen den angefochtenen Steuerbescheid durch einen neuen Steuerbescheid ersetzt, den der Kläger zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, daß die durch Vertrag vom 22. Juli 1964 auf ihn übertragen Vermögenswerte im endgültigen Erbschaftssteuerbescheid abzuziehen sind.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
Die aufgrund des Vertrages vom 22. Juli 1964 auf den Kläger übertragenen Vermögenswerte sind entsprechend § 24 Abs. 6 des Erbschaftssteuergesetzes
(ErbStG 1959) bei der Ermittlung des Wertes des Erbanfalles an den Onkel insoweit zu berücksichtigen, als sie eine Abfindung für einen Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch des Klägers beinhalten (vgl. Troll, Kommentar zum Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, 3. Aufl., § 10 Tz 31). Soweit die Vermögensübertragung jedoch aus anderen Gründen erfolgt ist, insbesondere deshalb, weil der Kläger seinem Onkel das Grundstück in A freigegeben hat, kann der Wert der Vermögensübertragung bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer nicht abgezogen werden.
Die abweichende Auffassung des FG, wonach eine Abfindung für den Verzicht auf den Pflichtteilanspruch nicht vorliege, beruht auf einer nicht zutreffenden Auslegung des Vertrages vom 22. Juli 1964. Das FG hat den Wortlaut der einleitenden Bemerkungen über die Vorwegnahme der Nacherbfolge zu sehr in den Vordergrund gerückt, die Interessenlage der Vertragspartner z. T. unzutreffend gewichtet und ist so zu einer Auslegung des Vertrages gekommen, die nicht im Einklang mit den Auslegungsgrundsätzen der §§ 133, 157 BGB steht.
Der Vertrag vom 22. Juli 1964 bildet den Abschluß der von dem Kläger mit einem Hinweis auf sein Pflichtteilsrecht eingeleiteten Verhandlungen. Deshalb müssen bei seiner Auslegung die Rechtsposition der Vertragspartner vor dem Abschluß des Vertrages in besonderer Weise berücksichtigt werden. Dabei ergibt sich, daß dem Kläger als alleinigem gesetzlichen Erben seines Vaters ein Pflichtteilsrecht zustand, das er allerdings nur dann ausüben konnte, wenn er die ihm eingeräumte Nacherbschaft ausschlug. Bei Ausübung seines Pflichtteilsrechts wäre er zwar weder Nacherbe seines Vaters noch Erbe seines Onkels geworden. Die Erbschaft wäre aber gleichwohl seiner Familie erhalten geblieben, da seine Abkömmlinge zu Ersatzerben bestimmt worden waren. Entgegen der Auffassung des FG war deshalb die rechtliche Position des Klägers nicht äußerst schwach. Er konnte wertmäßig über die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs sofort die Hälfte des Nachlasses seines Vaters an sich ziehen und seinen Abkömmlingen gleichwohl die Nacherbfolge nach seinem Vater und die Erbfolge nach seinem Onkel sichern.
Unter diesen Umständen mußte der Onkel des Klägers dessen Forderungen durchaus ernst nehmen. Außerdem mußte er Entgegenkommen zeigen, wollte er hinsichtlich des Grundstücks in A von allen Verfügungsbeschränkungen befreit werden. Demgegenüber gibt es keine zwingenden Gründe, die eine freiwillige vorzeitige Herausgabe eines Teiles des Nachlasses als notwendig erscheinen lassen konnten. Im übrigen hat der Onkel dem Kläger nicht nur Teile des Nachlasses herausgegeben, sondern darüber hinaus auch Teile seines eigenen Vermögens. Es darf auch nicht unbeachtet bleiben, daß eine freigebige vorzeitige Herausgabe des Nachlasses für den Onkel keinerlei erbschaftsteuerrechtliche Vorteile zur Folge gehabt hätte. Insbesondere hätte er sich durch eine solche freiwillige Herausgabe nicht die Vorteile des § 7 Abs. 3 ErbStG 1959 sichern können.
Gegen die Annahme einer Abfindung für den Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch spricht nicht, daß ein derartiger Verzicht in dem Vertrag nicht ausdrücklich ausgesprochen worden ist. Ein solcher Verzicht ergibt sich aus dem Gesamtinhalt des Vertrages. Denn der Vertrag war nur dann sinnvoll, wenn er neben der vereinbarten Vermögensübertragung des Onkels auf den Kläger auch beinhaltete, daß der Kläger keine Pflichtteilsansprüche mehr geltend machen werde.
Wenn die Vertragspartner in dem Vertrag erklärten, daß der Kläger keine Pflichtteilsansprüche geltend gemacht habe, so brachten sie damit zum Ausdruck, daß jedenfalls der Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1959 im Verhältnis zwischen dem Erblasser und dem Kläger nicht verwirklicht worden sei. Diese Äußerung schließt aber nicht aus, daß der Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs vom Onkel des Klägers "honoriert" worden ist, auch wenn er hat protokollieren lassen, da die Zuwendungen auf seinem freien Willen beruhten. Diese Äußerungen wie auch die einleitenden Bemerkungen lassen sich unschwer damit erklären, daß der bereits kranke Onkel, wie der beurkundete Notar erklärt hat, nicht den Eindruck entstehen lassen wollte, als hätte verwandtschaftliche Mißstimmung vorgelegen.
Die Annahme eines Verzichts auf die Geltendmachung eines Pflichtteilanspruchs scheitert auch nicht daran, daß die Geltendmachung eines Pflichtteilanspruchs im vorliegenden Falle die vorherige Ausschlagung der Nacherbschaft erfordert hätte (vgl. § 2306 Abs. 2 BGB). Auch wer sich eine Abfindung dafür zahlen läßt, daß er einen Pflichtteilsanspruch nicht geltend macht, bevor er durch Ausschlagung der Nacherbschaft die Voraussetzungen für die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs geschaffen hat, erhält diese Abfindung letztlich deshalb, weil er darauf verzichtet, den Pflichtteilsanspruch unter Ausschlagung der Nacherbschaft geltend zu machen.
Für die Frage der Abzugsfähigkeit dieser Abfindung entsprechend § 24 Abs. 6 ErbStG 1959 kann es keinen Unterschied machen, ob man der Meinung folgt, daß ein Pflichtteilsanspruch in diesen Fällen erst mit der Ausschlagung der Nacherbschaft rückwirkend entsteht (vgl. Lange/Kuchinke, Lehrbuch des Erbrechts, 2. Aufl., S. 619 mit weiteren Nachweisen; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 40. Aufl., § 2317 Anm. 1) oder ob man annimmt, daß der Anspruch mit dem Erbfall entsteht und die fehlende Ausschlagung lediglich ein Hindernis für seine Geltendmachung bildet (so Urteil des Reichsgerichts - RG - vom 10. November 1930 289/30 IV in Juristische Wochenschrift 1931 S. 1354 - JW 1931, 1354 -).
Nach allem kann der Auffassung des FG nicht gefolgt werden, daß in der Übertragung von Vermögenswerten auf den Kläger keine Abfindung für den Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gesehen werden könne. Es läßt sich aber ohne weitere Prüfung nicht feststellen, inwieweit in der vereinbarten Vermögensübertragung eine solche Abfindung zu sehen ist. Soweit ersichtlich, ist ein Teil der Vermögensgegenstände deshalb auf den Kläger übertragen worden, weil er seinem Onkel das Grundstück in A nebst Hausrat freigab. Der Onkel war als befreiter Vorerbe rechtlich nicht in der Lage, über die ideelle Hälfte dieses Grundstücks, die zum Nachlaß des Erblassers gehörte, unentgeltlich zu verfügen (vgl. § 2123 Abs. 2, § 2136, § 2137 BGB). Er konnte auch über die ihm ohnehin gehörende ideelle Hälfte des Grundstücks wegen des mit dem Erblasser geschlossenen Erbvertrages nicht mehr letztwillig verfügen. Insofern war die Freigabe des Grundstücks in A für den Onkel vorteilhaft. Eine "Honorierung" der Freigabe durch ihn liegt unter diesen Umständen nahe. Da insoweit ein Zusammenhang mit dem Vorerbfall nicht besteht, kommt ein Abzug des Wertes der übertragenen Vermögensgegenstände insoweit nicht in Betracht, als die Übertragung mit Rücksicht auf die Freigabe des Grundstücks in A erfolgt ist. Im einzelnen ist es Aufgabe des FG, darüber zu entscheiden, inwieweit die auf den Kläger übertragenen Vermögensgegenstände deshalb auf ihn übertragen worden sind, weil er keinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht hat, und inwieweit die Vermögensübertragung auf anderen Umständen, insbesondere darauf beruht, daß er seinem Onkel das Grundstück in A nebst Hausrat freigegeben hat. Soweit sichere Abgrenzungsmerkmale nicht ermittelt werden können, wird eine Schätzung erforderlich sein. Anhaltspunkte für eine Schätzung können sich dabei ggf. aus der wertmäßigen Höhe des Pflichtteilsanspruchs ergeben.
Fundstellen
Haufe-Index 413603 |
BStBl II 1981, 473 |
BFHE 1981, 80 |