Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerlich nicht zu beanstandende Vermietung einer Arztpraxis unter Ehegatten
Leitsatz (NV)
1. Reichen die vom Vermieter-Ehegatten vereinnahmte Nettomiete und sein Arbeitslohn aus, um vom Zeitpunkt der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und laufende Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Bewirtschaftung des Grundstücks zu tragen, so ist die Vermietung der Arztpraxis an den Mieter-Ehegatten regelmäßig anzuerkennen. Dem Vorsteuerabzug steht dann § 42 AO 1977 nicht entgegen (Anschluß an Senatsentscheidung vom 10. September 1992 - V R 27/89, BFH/NV 1993, 629).
2. Entgelt für die Vermietungsleistungen ist nicht nur die Kaltmiete, sondern alles, was der Mieter aufwendet, um die Vermietungsleistungen zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Hierzu gehören auch die Nebenkosten zur Miete, die beim Vermieter keine durchlaufenden Posten i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 4 UStG 1980 sind.
Normenkette
AO 1977 § 42; UStG 1980 § 2 Abs. 1, § 10 Abs. 1 S. 4, §§ 14-15
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist bei ihrem Ehemann, einem seit dem 1. Dezember 1986 freiberuflich tätigen Arzt, als Helferin angestellt. Ihr Gehalt beträgt ab 1. Dezember 1986 monatlich ... DM.
Mit notariellem Vertrag vom 15. April 1985 erwarb die Klägerin ein Grundstück schenkweise von ihrem Ehemann, das sie mit einem Wohnhaus bebaute, dem eine Arztpraxis angegliedert war. Die Praxisräume wurden im Streitjahr (1986) fertiggestellt. Auf ihre Herstellung entfielen ... DM. Die Gesamtherstellungskosten des Gebäudes betrugen ... DM. Zur Finanzierung der Baukosten nahm die Klägerin 1985 ein Darlehen über ... DM und im Streitjahr ein Darlehen über ... DM auf. Der Zinssatz betrug jeweils ... v.H. Das Darlehen in Höhe von ... DM ist durch eine Kapitalversicherung bis zum 31. Dezember ..., das Darlehen über ... DM mit ... v.H. des Darlehensbetrages jährlich zu tilgen. Zur Sicherung des Darlehens in Höhe von ... DM trat der Ehemann der Klägerin seine Ansprüche aus einer Lebensversicherung über ... DM an die Bank ab. Am 18. November 1986 vermietete die Klägerin die Arztpraxis und eine Garage für ... DM monatlich an ihren Ehemann zuzüglich gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer von ... DM mit Wirkung ab dem 1. Dezember 1986 auf ... Jahre. Die Klägerin verzichtete auf die Umsatzsteuerbefreiung der Vermietungsumsätze und machte in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr die Vorsteuerbeträge geltend, die auf die Errichtung des Praxisanbaus entfielen. Sie erklärte überdies als Umsatz die Vermietung im Monat Dezember 1986.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ die begehrten Vorsteuerbeträge nicht zum Abzug zu, weil das Vermieten der Praxisräume eine unangemessene Gestaltung i.S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) sei. Die Klägerin sei ohne zusätzliche Zuwendungen ihres Ehemannes nicht in der Lage gewesen, das Objekt aus ihrem eigenen Einkommen zu finanzieren.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, das Mietverhältnis stelle keinen Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts dar. Die Klägerin sei in der Lage gewesen, die an ihren Ehemann vermieteten Räume mit eigenen Mitteln zu finanzieren. Zu den eigenen Mitteln der Klägerin gehörten auch die aufgrund des Mietvertrages tatsächlich gezahlte Miete des Ehemannes. Bei einer Finanzierung von ... DM hätten Zinsen und Tilgung höchstens ... DM betragen, während die Nettomiete und der Arbeitslohn ... DM betragen hätten.
Mit seiner vom FG (wegen Umsatzsteuer 1986) zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es macht geltend, bei Lieferungen und sonstigen Leistungen, die Einzelunternehmer an ihnen nahestehende Personen ausführen, sei der Umsatz gemäß § 10 Abs. 4 Nr. 2 und Abs. 5 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) nach den entstandenen Kosten zu bemessen, wenn diese das nach § 10 Abs. 1 UStG 1980 ermittelte Entgelt überstiegen. Die Klägerin vermietete Praxisräume an ihren Ehemann zu einem Entgelt, das die tatsächlichen Kosten nicht decke.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Es fehlen Feststellungen des FG zur Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer.
1. Zutreffend ist das FG allerdings davon ausgegangen, daß die Klägerin als Unternehmerin die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmen für ihr Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen kann (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG). Die Klägerin war im Streitjahr Unternehmerin i.S. des § 2 Abs. 1 UStG 1980. Die auf bestimmte Zeit vereinbarte und tatsächlich durchgeführte Vermietung war eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG 1980). Nach dem Willen der Vertragsparteien vollzog sich die Nutzungsüberlassung nicht auf familienrechtlicher Grundlage als Beitrag zur Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern durch Abschluß eines entgeltlichen Vertrags als steuerbarer Leistungsaustausch im Sinne des Umsatzsteuerrechts.
Dem Vorsteuerabzug steht auch § 42 AO 1977 nicht entgegen.
Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Wie der Senat im Urteil vom 16. Januar 1992 V R 1/91 (BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541) näher dargelegt hat, liegt eine unangemessene Gestaltung vor, wenn ein Unternehmer, der einen Gegenstand für sein Unternehmen benötigt, die finanziellen Mittel seinem Ehegatten zur Verfügung stellt, damit dieser den Gegenstand erwirbt, um ihn an den Unternehmer-Ehegatten zu vermieten. Der Vermieter-Ehegatte wird unter diesen Umständen gewissermaßen vorgeschaltet, um zur Vermeidung eigenen Anschaffens dessen wirtschaftliches Ergebnis zu erzielen, indem der Mieter-Ehegatte die Aufwendungen wirtschaftlich so trägt, als wäre er Grundstückskäufer und Bauherr gewesen. Ein derartiges Vorschalten liegt vor, wenn der Vermieter-Ehegatte in einem überschaubaren Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und laufende Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Bewirtschaftung des Grundstücks nicht aus der Miete (einschließlich Erstattung der Nebenkosten) und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung von Miete und ggf. Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muß. Ist der Mieter-Ehegatte selbst nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, widerspricht eine solche Gestaltung den Wertungen des Gesetzes.
Das FG hat hierzu für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend festgestellt, daß die von der Klägerin vereinnahmte Nettomiete und ihr Arbeitslohn ausreichen, um vom Zeitpunkt der Vermietung an die Zins- und Tilgungsaufwendungen zu tragen. Die von ihr erzielten Einnahmen in Höhe von ... DM übersteigen ihre Ausgaben in Höhe von ... DM. Zu Recht hat das FG nur die Aufwendungen in seine Vergleichsberechnung einbezogen, die der Errichtung der Praxis zuzurechnen sind (vgl. Senatsentscheidung vom 10. September 1992 V R 27/89, BFH/NV 1993, 629). Es hat zutreffend auch nicht die Beiträge zu der Lebensversicherung, die zur Tilgung des Darlehens in Höhe von ... DM verwendet werden sollen, als Ausgabe in die anzustellende Berechnung eingestellt; denn nicht die Klägerin, sondern der Ehemann hat diese Beiträge als Versicherungsnehmer gezahlt (vgl. V R 27/89).
2. Die Vorentscheidung ist jedoch aufzuheben, weil das FG § 10 Abs. 1 Satz 4 UStG 1980 unzutreffend angewandt hat.
Entgelt für die Vermietungsleistungen ist nicht nur die Kaltmiete, sondern alles, was der Mieter aufwendet, um die Vermietungsleistungen zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980). Hierzu gehören auch die Nebenkosten zur Miete, die beim Vermieter keine durchlaufenden Posten i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 4 UStG 1980 sind. Der Vermieter vereinnahmt und verausgabt die entsprechenden Beträge nicht im Namen und für Rechnung eines anderen, sondern hat selbst Anspruch auf Zahlung aus dem Mietvertrag. Anders verhält es sich bei Kosten, die der Mieter selbst unmittelbar dem Kostengläubiger schuldet.
Das FG hat abweichend von diesen Grundsätzen lediglich die im Mietvertrag vereinbarte Kaltmiete der Umsatzsteuer zugrunde gelegt. Die Sache ist nicht spruchreif. Es fehlen Feststellungen zur Höhe der Nebenleistungen.
Soweit sich für die erneute Entscheidung durch das FG noch die Frage stellen sollte, ob das Entgelt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 niedriger ist als die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG 1980, verweist der Senat auf seine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vom 24. Juni 1992 V R 151/84 (BFHE 168, 477; Der Betrieb 1992, 2224).
Fundstellen