Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine ausnahmslose Anwendung des § 205 a AO entspricht nicht dem Gesetz. Es muß vielmehr unter Beachtung des § 171 Abs. 1 AO und der §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 und 2 StAnpG in jedem einzelnen Fall geprüft werden, ob die Anwendung der Vorschrift zu dem von ihr erstrebten Zweck führt und sich im Rahmen des Zumutbaren hält (siehe Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 81/50 vom 23. Februar 1951, BStBl. III 1951 S. 77, StRK AO § 205 a Rechtsspruch 1).

 

Normenkette

AO §§ 205a, 217

 

Tatbestand

Mit dem 31. Juli 1949 hat der Steuerpflichtige (Stpfl.) wegen mangelnder Rentabilität seine bisherige Tätigkeit als Fuhrunternehmer eingestellt. Durch das Amt für Wirtschaftsüberwachung erfuhr das Finanzamt, daß er anschließend Schrotthandel betrieben habe, aus dem er nach den Ermittlungen im Jahre 1949 1.000 DM und im Jahre 1950 3.000 DM an Einnahmen erzielt habe. Die Altmetalle wurden von Arbeitslosen, Flüchtlingen, Trümmer- und Bauarbeitern aufgekauft. Es ist nicht mehr streitig, daß der Stpfl. als Eigenhändler zu behandeln ist. Aufzeichnungen hat er nicht geführt. Die Umsatzsteuerveranlagungen sind rechtskräftig. Da der Stpfl. die Namen seiner Lieferanten nicht angab und erklärte, sie auch nicht angeben zu können, hat das Finanzamt in Anwendung des § 205 a der Reichsabgabenordnung (AO) die Umsätze zugleich als Gewinne angesehen und entsprechende Veranlagungen zur Einkommensteuer und Gewerbesteuer vorgenommen. In dem Vorbringen des Stpfl., es möge berücksichtigt werden, daß er diese Tätigkeit nur ausgeübt habe, um sich als Arbeitsloser, dem keinerlei Unterstützung zuteil geworden sei, einen kleinen Nebenverdienst zu verschaffen, und daß es unbillig erscheine, auf ihn die Vorschrift des § 205 a AO anzuwenden, da er keine Einkünfte habe und seine Ehefrau, die zur Erhaltung der dreiköpfigen Familie im Jahre 1950 ein kleines Lebensmittelgeschäft eröffnete und in diesem Jahre nur einen überschuß von 270,95 DM erzielt habe, für die nachzuentrichtenden Steuern aufkommen müsse, hat es keine die Anwendung der bezeichneten Vorschrift ausschließenden Umstände gesehen und die Einsprüche zurückgewiesen.

Das Finanzgericht führt aus, das Finanzamt hätte bei der mangels Aufzeichnungen gebotenen Schätzung sich nicht mit den bei den Abnehmern festgestellten Beträgen zu begnügen brauchen und höhere Umsätze annehmen können. Da hierfür aber ausreichende Anhaltspunkte nicht bestanden haben, habe es nur die unbestrittenen erzielten Einnahmen erfaßt. Diese dem Stpfl. nicht ungünstige Behandlung rechtfertige jedoch allein nicht die Gleichsetzung von Umsatz und Gewinn. Ziel der Schätzung sei die Ermittlung des alle Umstände des einzelnen Falles berücksichtigenden wahrscheinlichen Gewinnes. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Bestimmung des § 205 a AO bei Ausgaben für Warenkäufe überhaupt zum Zuge kommen dürfe. Für den Streitfall komme sie aus einem anderen Grunde nicht in Betracht. Ihre Anwendung sei in das Ermessen der Finanzbehörden gestellt. Wie in dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 81/50 vom 23. Februar 1951 (Bundessteuerblatt - BStBl. - III S. 77, Steuerrechtskartei AO § 205 a Rechtsspruch 1) ausgesprochen sei, könnten die Finanzgerichte im Berufungsverfahren gegen Steuerbescheide ihr Ermessen an die Stelle des Finanzamts auch dann setzen, wenn sich seine Ermessensentscheidung im Rahmen der gesetzlichen Ermessensgrenzen bewege. § 205 a AO bezwecke die steuerliche Erfassung der Betriebsausgaben oder Werbungskosten bei den Empfängern. Nach der unwiderlegten Darstellung des Stpfl. habe er den Schrott bei Flüchtlingen usw. aufgekauft. Bei der geringen Höhe der Umsätze, der Vielzahl der Lieferanten und im Hinblick auf die Tatsache, daß der vom Pflichtigen als Lieferer in Anspruch genommene Personenkreis über wesentliche sonstige Einnahmen nicht zu verfügen pflege, erscheine es ausgeschlossen, daß die Nichtangabe irgendwie bedeutsame Steuerausfälle zur Folge haben könne. Die Anwendung der Gesetzesbestimmung würde dazu führen, daß der Pflichtige nicht erzielte Einkünfte versteuern müßte, obwohl eine Steuerpflicht bei den Empfängern nicht gegeben sei. Dieses Ergebnis könne zwar nicht eindeutig bewiesen werden, es spreche jedoch eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine nennenswerte Verkürzung von Steuerbeträgen nicht eintrete. Hinzu komme, daß der Stpfl. die Namen der Lieferanten nicht böswillig verschweige, sondern dazu nicht mehr in der Lage sei. Die Forderung des Finanzamts überschreite daher die Grenzen des Zumutbaren. Das Finanzgericht schätze den Reingewinn auf 30 v. H. der Umsätze; der vom Pflichtigen begehrte Satz von 20 v. H. erscheine mangels ziffernmäßiger Angabe zu gering.

In der Vorentscheidung sind dementsprechende Steuerfestsetzungen vorgenommen worden, die für 1949 zu einer Ermäßigung, für 1950 zu einer Freistellung von Einkommen- und Gewerbesteuer geführt haben.

Die Ausführungen des Finanzgerichts werden in der auf Anweisung der Oberfinanzdirektion eingelegten Rechtsbeschwerde (Rb.) vom Finanzamtsvorsteher mit der Begründung angegriffen, § 205 a AO habe den Zweck, diejenigen, die ihre Steuerpflicht zu umgehen versuchen, dadurch zu erfassen, daß die von ihnen belieferten Personen veranlaßt werden, zur Vermeidung eigener, an sich ungerechtfertigter Steuerforderungen die Namen der Empfänger der geltend gemachten Betriebsausgaben oder Werbungskosten anzugeben, wobei es ohne Belang sei, ob die Namhaftmachung absichtlich verweigert werde oder unmöglich sei. Als Kann-Vorschrift könne das Ermessen zwar auch vom Finanzgericht ausgeübt werden; wenn aber vom Abs. 2 des § 205 a AO Gebrauch gemacht werde, so sei die Anwendung des Abs. 3 a. a. O. jedoch zwingend; dieser sei eine Muß-Vorschrift.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. kann keinen Erfolg haben.

Sowohl Finanzamt wie Finanzgericht sehen zutreffend den Zweck des § 205 a AO darin, daß das, was bei dem einen abzusetzen ist, bei dem anderen erfaßt werden muß, wenn nicht steuerpflichtige Beträge unversteuert bleiben sollen; sie gehen ferner von der ebenfalls richtigen Auffassung aus, daß das den Finanzbehörden eingeräumte Ermessen in gleicher Weise auch von den Finanzgerichten ausgeübt werden kann. In der Anwendung der bezeichneten Vorschrift unterscheiden sie sich jedoch dadurch, als das Finanzamt ihre ausnahmslose Beachtung fordert, während das Finanzgericht das nur unter Berücksichtigung der Verhältnisse des einzelnen Falles zulassen will, Die Beurteilung durch das Finanzgericht entspricht dem Gesetz. Seine Darlegungen enthalten keinen Rechtsirrtum. Der Senat hat in der bereits vom Finanzgericht erwähnten Entscheidung IV 81/50 vom 23. Februar 1951 betont, daß der § 205 a AO im Rahmen der übrigen Vorschriften der Reichsabgabenordnung betrachtet werden muß, insbesondere des § 171 AO und des § 2 Abs. 1 und 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG). Das gleiche gilt auch vom § 1 Abs. 2 StAnpG. Danach dürfen die Steuerbehörden Unterlagen nur verlangen, deren Beschaffung dem Stpfl. nach den Umständen zugemutet werden kann. Die zu treffende Entscheidung muß dem Zweck der Vorschrift des § 205 a AO entsprechen. Werden diese Grundsätze, die Grenzen für das anzuwendende Ermessen aufrichten, verletzt, so liegt darin eine überschreitung des vom Gesetz aufgestellten Ermessensrahmens. Im Streitfall hat die Vorentscheidung überzeugend dargelegt, weshalb mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht angenommen werden kann, daß bei dem Personenkreis, der den Schrott geliefert hat, steuerliche Erfolge zu erwarten sind. Es handelt sich unstreitig um arbeitslose Flüchtlinge und dergleichen. Bei der offenbar nicht unerheblichen Zahl der in Betracht kommenden Lieferanten würden auf den einzelnen nur geringe Summen entfallen. Die Möglichkeit, daß Beträge unversteuert bleiben, ist so gering, daß es eine dem Zweck des § 205 a AO widersprechende Auslegung darstellen würde, ihn auf den vorliegenden Fall anzuwenden; bei dieser Beurteilung braucht auf die Frage, ob die Vorschrift bei einer unmittelbaren Schätzung des Gewinnes nach § 217 AO überhaupt zum Zuge kommen darf, nicht eingegangen zu werden. Auch die Rechtsbeschwerdebegründung des Finanzamtsvorstehers geht anscheinend davon aus, daß steuerliche Ergebnisse bei den Lieferanten nicht zu erwarten sind, jedenfalls werden dahingehende Umstände nicht angeführt. Hinzu kommt noch, daß, worauf das Finanzgericht mit Recht hinweist, der Bf. die Namen der Lieferanten nicht mehr angeben kann; Anhaltspunkte dafür, daß er das absichtlich oder auch nur aus Nachlässigkeit nicht tut, liegen nicht vor und werden auch nicht vorgebracht. Es würde daher eine übersteigerung der durch § 171 AO dem Pflichtigen obliegenden Mitverantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts darstellen, wenn ihm die Namhaftmachung der Lieferanten zugemutet würde. An dieser Beurteilung kann auch der Hinweis des Finanzamts auf Abs. 3 des § 205 a AO nichts ändern. Es ist zwar richtig, daß diese Bestimmung eine Muß-Vorschrift ist, sie ist jedoch nicht für sich allein anzuwenden, sondern kommt erst zu Raum, wenn das Verlangen nach Abs. 2 a. a. O. berechtigt ist.

Es muß hiernach, da die Schätzung nicht zu beanstanden ist und auch nicht beanstandet wird, bei der Vorentscheidung sein Bewenden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407492

BStBl III 1952, 275

BFHE 1953, 716

BFHE 56, 716

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