Leitsatz (amtlich)
Läßt ein Gesellschafter bei der Gesellschaft eine aus Anlaß der Währungsreform höher als gesetzlich vorgesehen umgestellte, nicht fällige Darlehnsforderung stehen, so enthält dieser Rechtsvorgang weder eine gesellschaftsteuerpflichtige Darlehnsgewährung im Sinne des § 3 Abs. 1 KVStG noch eine Stundung im Sinne des § 3 Abs. 3 KVStG.
Normenkette
KVStG 1955 § 3 Abs. 1, 3
Tatbestand
Es ist streitig, ob die Umstellung von unter § 16 UG fallenden Gesellschafterdarlehen Gesellschaftsteuer begründet, wenn die Gesellschaft und ihre Gesellschafter eine höhere Umstellung als 10 : 1 vereinhart haben und die Gesellschafter alle Darlehen bei der Gesellschaft stehenlassen.
Die Bgin. ist im Jahre 1913 errichtet und alsbald mit einem Stammkapital von 150 000 Mark ausgestattet worden. Im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsvertrag schlossen die damaligen Gesellschafter der Bgin. einen Darlehnsvertrag, demzufolge sie sich zur Gewährung von Darlehen im Gesamtbetrage von 1 350 000 Mark verpflichteten. Diese Darlehen sind nach § 2 des Darlehnsvertrages solange unkündbar, bis die Bgin. entweder liquidiert oder die Grundstücke, deren Verwertung Gegenstand des Gesellschaftsvertrages ist, veräußert. Unstreitig sind die Voraussetzungen einer Kündigung bisher nicht eingetreten. Zur Sicherung der Ansprüche der Gesellschafter wurden von der Bgin. an ihrem Grundstück gleichrangige Sicherungshypotheken in Höhe von 1 350 000 Mark bestellt. Nach dem ersten Weltkrieg wurden diese Gesellschafterforderungen auf 675 000 Goldmark umgestellt und ab 1925 in dieser Höhe wieder hypothekarisch gesichert. Diese Darlehen blieben in unveränderter Höhe bis zum Währungsstichtag bestehen. Auf Grund des Urteils des Oberlandesgerichts X. vom 4. August 1953 im Verfahren nach § 6 der Vierzigsten Durchführungsverordnung zum Umstellungsgesetz (40. UGDV -- Mitteilungen der Bank deutscher Länder 1949 S. 706), das die Entscheidung der Vorinstanzen bestätigte, waren die Hypotheken der Gesellschafter und die ihnen zugrunde liegenden Forderungen im Verhältnis 10 : 1 auf Deutsche Mark umzustellen. Entgegen dieser gesetzlich vorgesehenen Umstellung vereinbarten die Bgin. und ihre Gesellschafter auf der Gesellschafterversammlung vom 28. November 1955 eine Umstellung der Gesellschafterforderungen (nicht aber der Hypotheken) 1 : 1, nachdem die Oberfinanzdirektion mit Verfügung vom 23. August 1955 in Übereinstimmung mit dem Finanzamt einer derartigen auf die Gesellschafterforderungen beschränkten Umstellung zugestimmt hatte; außerdem wurde beschlossen, die Darlehnsforderungen ab 21. Juni 1948 mit 8 v. H., statt wie bisher mit 6 v. H., zu verzinsen.
Das Finanzamt nahm an, daß durch die Umstellung, soweit sie das gesetzlich vorgesehene Maß von 10 RM zu 1 DM überschritt, jedem Gesellschafter gegenüber eine neue Schuld begründet worden sei. Da die Gesellschafter die so erworbenen Forderungen nicht einzogen und das Eigenkapital der Bgin. ihr Anlagevermögen bei weitem nicht deckte, war das Finanzamt der Meinung, der Bgin. seien kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen nach § 3 Abs. 1 des Kapitalverkehrsteuergesetzes in der Fassung vom 22. September 1955 (KVStG 1955) gewährt worden. Es setzte dementsprechend die Gesellschaftsteuer auf 3 v. H. von 607 500 DM (= 90 v. H. von 675 000 DM), also auf 18 225 DM fest. Für seine Rechtsansicht berief sich das Finanzamt in dem Steuerbescheid ausdrücklich auf das amtlich nicht veröffentlichte Urteil des Senats II 35/55 vom 19. April 1955 (Deutsche Steuer-Rundschau -- DStR -- 1955 S. 524).
Der Einspruch blieb ohne Erfolg, während die Berufung zur Freistellung der Bgin. von der geforderten Gesellschaftsteuer führte. Das Finanzgericht führte aus, daß durch die erhöhte Umstellung Leistungen der Bgin. an ihre Gesellschafter, nicht aber umgekehrt Leistungen der Gesellschafter an die Bgin. bewirkt worden seien. Durch eine derartige Umstellung sei der Bgin. neues Kapital nicht zugeführt worden. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 KVStG 1955 seien daher nicht erfüllt. Auch ein Rechtsvorgang nach § 3 Abs. 3 KVStG 1955 liege im Streitfall nicht vor, da die RM-Schulden aus Anlaß ihrer Umstellung nicht neu berechnet, sondern nur im Verhältnis 1 : 1 umgestellt worden seien. Bei diesem Sachverhalt bestehe kein Raum für die Annahme einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Stundung. Daraus, daß die zur Sicherung der Forderung dienende Hypothek nur im Verhältnis 10 : 1 umgestellt worden sei, könne kein gegenteiliger Schluß gezogen werden.
Mit der Rb. wendet sich der Vorsteher des Finanzamts gegen diese Rechtsansicht. Er ist der Meinung, daß die alten RM-Schulden und die DM-Schulden, soweit das gesetzliche Umstellungsverhältnis überschritten worden ist, nicht identisch seien (Urteile des Bundesfinanzhofs II 100/52 U vom 18. März 1953, BStBl 1953 III S. 128, Slg. Bd. 57 S. 322, und II 35/55 vom 19. April 1955, a. a. O., sowie Urteil des Finanzgerichts Nürnberg IV 99/55 vom 27. November 1957, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe B -- DStZ -- 1958 S. 71, und Urteil des Hessischen Finanzgerichts in Kassel 854/56 vom 6. September 1957, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1958 S. 56, 229). Die Steuerpflicht werde nicht durch einen neuen tatsächlichen Geldzufluß, sondern durch die Begründung eines neuen Schuldverhältnisses ausgelöst.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts (Bf.) hat keinen Erfolg.
Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob durch die Umstellung 1 : 1 neue Forderungen in Höhe von 9/10 der ursprünglichen RM-Forderungen begründet worden sind, da die Bgin. auch in diesem Falle, wie das Finanzgericht im Ergebnis zutreffend entschieden hat, von der angeforderten Gesellschaftsteuer freizustellen ist. Die Begründung neuer Forderungen aus Anlaß der Umstellung wäre eine Leistung der Gesellschaft an ihre Gesellschafter und als solche nicht gesellschaftsteuerpflichtig (vgl. Urteile des Senats II 154/51 vom 2. November 1951, Der Betrieb -- DB -- 1952 S. 12, und II 35/55 vom 19. April 1955, a. a. O.), da ein Forderungserwerb ohne gleichzeitige Kapitalzuführung nur unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 KVStG 1955 eine Gesellschaftsteuerschuld entstehen läßt. Gesellschaftsteuerpflicht könnte daher in einem solchen Falle erst dann begründet werden, wenn der Gesellschafter eine etwaige, ihm nunmehr gegen die Gesellschaft zustehende Forderung stundet (§ 3 Abs. 3 KVStG 1955). Von einer Stundung im Sinne dieser Vorschrift kann aber nur dann die Rede sein, wenn der Gesellschafter durch seinen freien, nicht auf gesellschaftsrechtlicher Bindung beruhenden Entschluß als Gläubiger der Gesellschaft eine Stundung gewährt (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs II A 15/26 vom 6. August 1926, Mrozek-Kartei, KVStG, § 6 c, Rechtsspruch 48, und II A 423/29 vom 29. Oktober 1929, Mrozek-Kartei, KVStG, § 6 c Abt. IV, Rechtsspruch 2). Wird daher eine nicht sofort, sondern erst später fällige Forderung erworben, so enthält ein derartiger Rechtsvorgang, wie schon der Reichsfinanzhof ausgesprochen hat, weder eine Darlehnsgewährung noch eine Stundung im Sinne des Gesellschaftsteuerrechts (vgl. die zuletzt erwähnten Urteile II A 15/26 und II A 423/29 und das Urteil des Reichsfinanzhofs II A 347/32 vom 26. Januar 1934, RStBl 1934 S. 445, vorletzter Absatz am Ende), denn mehr als die Gesellschaft ihrem Gläubiger in einem derartigen Falle gewährt, kann dieser nicht erwerben (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs II A 9/26 vom 27. Januar 1926, Mrozek-Kartei, KVStG, § 6 c, Rechtsspruch 32).
In Umstellungsfällen könnte daher -- vorausgesetzt, daß eine neue Forderung begründet worden ist -- nur dann Gesellschaftsteuer entstehen, wenn anzunehmen ist, daß sofortige Fälligkeit vereinbart ist und der Gesellschafter die Forderung dennoch stehenläßt, sie also stundet; ist dagegen davon auszugehen, daß der Gesellschafter von der Gesellschaft eine nicht fällige Forderung erworben hat, so ist für eine gesellschaftsteuerrechtlich beachtliche Stundung kein Raum. Es kommt somit bei der Beurteilung entscheidend auf die Umstände des einzelnen Falles an. Fehlen allerdings Vereinbarungen über den Inhalt der etwa neu begründeten Forderung, so kann regelmäßig davon ausgegangen werden, daß sie den gleichen Inhalt wie die ursprüngliche Forderung hat (vgl. auch insoweit das Urteil des Bundesfinanzhofs II 35/55 vom 19. April 1955, a. a. O.).
Die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall muß zur Freistellung der Bgin. von der geforderten Gesellschaftsteuer führen. Wie das Finanzgericht im Einklang mit dem Akteninhalt zutreffend ausgeführt hat, galten, abgesehen von der Erhöhung des Zinssatzes, für die DM-Darlehen die gleichen Bedingungen wie für die RM-Darlehen. Etwaige Forderungen konnten daher nur als unkündbare Forderungen erworben werden, es sei denn, daß die Bgin. am Stichtag in Liquidation getreten war oder die Grundstücke, deren Verwertung Gegenstand des Gesellschaftsvertrages ist, veräußert hatte. Keiner dieser beiden Ausnahmefälle lag jedoch am Tage des etwaigen Forderungserwerbs, dem 28. November 1955, vor. Eine Stundung derartiger nicht fälliger, unkündbarer Forderungen ist rechtlich nicht möglich, so daß der Tatbestand des § 3 Abs. 3 KVStG 1955, der allein noch in Betracht käme, von den Gesellschaftern der Bgin. nicht erfüllt sein kann.
Fundstellen
Haufe-Index 411083 |
BStBl III 1964, 78 |