Leitsatz (amtlich)
In einem Rechtsmittelverfahren gegen einen Bescheid über den Übergang der Kreditgewinnabgabe nach § 185 LAG ist eine Verböserung zu Lasten eines nach § 60 Abs. 3 FGO notwendig Beigeladenen zulässig, und zwar auch dann, wenn der Beigeladene selbst Klage erhoben hat.
Normenkette
FGO § 44 Abs. 2, § 60 Abs. 3, § 73 Abs. 1-2, § 96 Abs. 1 S. 2, § 100 Abs. 1 S. 1; LAG § 185; 8. AbgabenDV-LA §§ 15-16
Tatbestand
Auf dem Betrieb der Klägerin zu 1. ruhte am 21. Juni 1948 eine mit Bescheid vom 4. Januar 1955 unanfechtbar festgesetzte Kreditgewinnabgabe (KGA)-Schuld von 203 000 DM. Die Klägerin zu 1. (im folgenden: Veräußerer) verkaufte mit Vertrag vom 1. Juli 1963 ihren Gewerbebetrieb an den früheren Kläger zu 2. (im folgenden: Erwerber). Dieser übernahm mit Vertrag vom 1. Juli 1963 alle öffentlichen Lasten und Abgaben, jedoch ohne etwaige Rückstände. Er verpflichtete sich ausdrücklich, mit Wirkung vom 1. Juli 1963 auch die KGA zu übernehmen, und zwar, soweit sie höher als 100 000 DM sein sollte, mit dem Recht, den übersteigenden Betrag von einer am 1. Juli 1965 fälligen Kaufpreisrate von 150 000 DM absetzen zu dürfen. Das FA erließ auf gemeinsamen Antrag der Kläger einen Bescheid über den Übergang der KGA-Schuld nach § 185 LAG vom 12. Juli 1963, in dem es die rückständigen Vierteljahrsbeträge in Höhe von 4 050 DM auf den Veräußerer und die Abgabeschuld in Höhe von 120 777,28 DM und die laufenden Vierteljahrsbeträge ab dem 1. Juli 1963 auf den Erwerber aufteilte. Dieser Bescheid wurde beiden Beteiligten zugestellt. Er wurde unanfechtbar.
Bei einer im Jahr 1963 vorgenommenen allgemeinen Geschäftsprüfung beim FA durch die OFD wurde beanstandet, daß der Veräußerer in der RM-Schlußbilanz und in der DM-Eröffnungsbilanz die am 21. Juni 1948 bestehenden Steuerschulden nicht passiviert habe. Das FA wurde angewiesen, die KGA-Veranlagung zu berichtigen. Das FA erließ daraufhin den auf § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO gestützten berichtigten KGA-Bescheid vom 29. April 1965, durch den die KGA-Schuld auf 209 800 DM festgesetzt wurde, so daß sich ein „Mehrsoll” von 6 208 DM ergab. Der Bescheid war an den Veräußerer gerichtet. Dieser legte gegen den Bescheid Einspruch ein. Außerdem erließ das FA einen auf § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO und § 92 Abs. 3 AO gestützten berichtigten Bescheid über den Übergang der KGA-Schuld nach § 185 LAG vom 31. Mai 1965, der gegen den Erwerber gerichtet war und in dem die Abgabeschuld in Höhe von 124 823 DM, die rückständigen Vierteljahrsbeträge in Höhe von 2 116,50 DM und der Vierteljahrsbetrag ab dem 1. Juli 1963 in Höhe von je 3 671 DM auf den Erwerber aufgeteilt wurde. Gegen diesen Bescheid legte der Erwerber Einspruch ein. Eine Zweitschrift dieses Bescheids wurde am 9. Juli 1965 auch dem Veräußerer zugestellt, der gegen diesen Bescheid ebenfalls Einspruch einlegte. Alle Einsprüche, die das FA gemäß § 240 Abs. 2 AO a. F. verbunden hatte, blieben erfolglos.
Auf die von beiden Klägern eingelegten Berufungen, die das FG nach dem Inkrafttreten der FGO als Klagen behandelte und die durch den Beschluß vom 25. Oktober 1968 nach § 73 Abs. 2 FGO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden, hob das FG u. a. die berichtigten Aufteilungsbescheide vom 31. Mai 1965 und 9. Juli 1965 insoweit auf, als darin ein Übergang von rückständigen Vierteljahrsbeträgen in Höhe von 2 116,50 DM auf den Erwerber ausgesprochen war. Es führte dazu aus: Eine Erhöhung der Abgabeschuld auf Grund eines berichtigten Bescheids wirke nach § 16 Abs. 1 der 8. AbgabenDV-LA auf den Veräußerer und Erwerber in dem Verhältnis, in dem die Aufteilung der Abgabeschuld vorgenommen worden sei. Nach § 16 Abs. 2 der 8. AbgabenDV-LA gingen auch die laufenden Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 1952 bis zum Übergang der Abgabeschuld, die auf Grund der Erhöhung noch zu entrichten seien, auf den Erwerber über. Das gelte jedoch nur, wenn die Beteiligten keine von § 185 Abs. 1 Satz 1 LAG abweichende Regelung getroffen hätten. Die abweichende Regelung im Sinne des § 185 Abs. 1 Satz 2 LAG bestehe im Streitfall darin, daß vereinbart worden sei, daß rückständige KGA-Beträge vom Übergang auf den Erwerber ausgeschlossen sein sollten. Diese Regelung müsse nach der Sachlage auch für spätere Erhöhungen gelten und schließe die Anwendung des § 16 Abs. 2 der 8. AbgabenDV-LA aus. Das FA habe, wie sich aus den Aufteilungsbescheiden ergebe, nur den Erwerber mit den durch die Berichtigung des KGA-Bescheids erforderlich gewordenen Erhöhungen beschweren wollen. Im Vorverfahren hätte also nur der Erwerber mit Nachzahlungsforderungen belastet werden sollen. Daraus ergebe sich für das Gericht das Verbot, die Aufteilungslage zum Nachteil des Veräußerers dadurch zu verschlechtern, daß es ihm die nicht verjährten KGA-Nachzahlungsbeträge in Höhe von 2 116,50 DM zuteile. Das wäre ein Verstoß gegen die in Art. 19 Abs. 4 GG dem Gericht auferlegte Pflicht zur Gewährung von Rechtsschutz. § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO enthalte im Gegensatz zu § 243 Abs. 3 AO a. F. keine Ermächtigung zur Verböserung.
Mit der Revision beantragt das FA, unter Abänderung der Vorentscheidung den an den Veräußerer gerichteten Aufteilungsbescheid vom 9. Juli 1965 dahin zu berichtigen, daß die rückständigen 2 116,50 DM auf den Veräußerer aufgeteilt werden. Es wird die Verletzung von Bundesrecht gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Das Verbot der Verböserung könne dann nicht gelten, wenn es sich wie im Streitfall um Bescheide handele, die nach § 241 AO, § 60 FGO nur einheitlich ergehen könnten. Der Aufteilungsbescheid sei seinem Wesen nach ein dem Feststellungsbescheid nach § 215 Abs. 2 AO ähnlicher Feststellungsbescheid besonderer Art, der nicht nur die Rechtsbeziehungen zwischen FA und dem Abgabepflichtigen regele, sondern auch im Verhältnis der Abgabepflichtigen zueinander wirke. Beteiligte im Sinn des § 241 Abs. 3 AO, § 60 FGO seien zum Verfahren beizuladen. Hier habe sich die Beiladung erübrigt, weil die Kläger von sich aus das Verfahren betrieben hätten. Im Falle der notwendigen Beiladung könne jeder Beteiligte Sachanträge stellen. Die Sachanträge der Beteiligten könnten sich auch widersprechen. Insoweit sei die Rechtslage ähnlich wie bei einem Anschlußrechtsmittel. Für diesen Fall werde im Schrifttum die Meinung vertreten, daß das Verböserungsverbot nicht eingreife. Aus der Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung sei zu folgern, daß die Aufteilung sich auf den vollen aufzuteilenden Betrag beziehen müsse. Wenn dem einen Beteiligten der Aufteilungsbetrag gekürzt werde, ergebe sich zwangsläufig eine Erhöhung für den oder die übrigen Beteiligten.
Der Erwerber beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Der Veräußerer hat keinen Antrag gestellt.
Der BdF ist dem Verfahren nach § 122 Abs. 2 FGO beigetreten. Er ist der Auffassung, daß in einem Zu- und Aufteilungsverfahren das Verböserungsverbot nicht zum Zuge komme. Die Rechtslage gleiche insoweit derjenigen bei der Anschlußberufung im Zivilprozeß, für die allgemein anerkannt sei, daß das Verböserungsverbot nicht gelte.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß nach dem Verfahrensrecht der FGO das Verbot der Verböserung gilt. Die Kläger können durch das auf eine Anfechtungsklage ergehende Urteil nicht schlechter gestellt werden als im angefochtenen Bescheid (vgl. Urteile des BFH V 200/63 vom 21. April 1966, BFH 86, 178, BStBl III 1966, 415; VI 248/65 vom 26. August 1966, BFH 86, 783, BStBl III 1966, 659; Beschluß Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967, BFH 91, 393, BStBl II 1968, 344).
Das Verböserungsverbot hat seine Grundlage einmal in dem Prinzip der Gewaltentrennung. Es ist dem BdF und dem FG jedoch darin zuzustimmen, daß es darüber hinaus auch auf dem allgemeinen Rechtsschutzgedanken beruht, der insbesondere in Art. 19 Abs. 4 GG zum Ausdruck gekommen ist. Das Verböserungsverbot soll es, wie der BdF mit Recht hervorhebt, dem Bürger erleichtern, von seinem Anspruch auf Rechtsschutz gegenüber Eingriffen der Verwaltung Gebrauch zu machen, ohne befürchten zu müssen, dadurch seine Lage zu verschlechtern. Daraus folgert der BdF zutreffend, daß das Verböserungsverbot den Kläger nur vor etwaigen nachteiligen Folgen der eigenen Klageerhebung schützen soll. Das Verböserungsverbot kann jedoch nicht Platz greifen, wenn die für den Kläger nachteilige Folge nicht auf seiner Klageerhebung beruht.
2. Im vorliegenden Fall ist Streitgegenstand in der Revision nur noch der nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 und § 92 Abs. 3 AO berichtigte Bescheid über den Übergang der KGA-Schuld nach § 185 LAG. Ein solcher Bescheid ist nach der Rechtsprechung des Senats ein einheitlicher Feststellungsbescheid besonderer Art. Er enthält Feststellungen, die ihrem Wesen nach für Veräußerer und Erwerber nur in einem einheitlichen Verfahren und in einem einheitlichen Bescheid getroffen werden können, da „andernfalls die einzelnen Feststellungen einander überschneiden könnten und die Möglichkeit einer doppelten Heranziehung zur KGA oder eines Ausfalls von KGA-Raten zu befürchten wäre” (vgl. BFH-Beschluß III B 82/67 vom 1. März 1968, BFH 91, 147, BStBl II 1968, 212). Ist streitig, ob die KGA-Schuld auf den Erwerber übergegangen ist, so kann aus diesen Gründen auch im Rechtsbehelfsverfahren und im gerichtlichen Verfahren nur eine einheitliche Entscheidung gegenüber Veräußerer und Erwerber ergehen. Der Senat hat deshalb in einem solchen Fall die Beiladung des Veräußerers und des Erwerbers als notwendig angesehen. Er hat in dem Beschluß III B 82/67 (a. a. O.) hervorgehoben, daß dies genauso gelten müsse wie in Rechtsstreitigkeiten über andere Aufteilungsbescheide bei Lastenausgleichsabgaben, in denen nach der Rechtsprechung des Senats ebenfalls eine Beiladung der Beteiligten notwendig ist (vgl. BFH-Urteile III 248-250/62 vom 15. Januar 1965, HFR 1966, 22; III 96/62 vom 28. Januar 1966, BFH 85, 327, BStBl III 1966, 327). In dem letztgenannten Urteil hat der Senat zum Ausdruck gebracht, daß in allen diesen Fällen auch im Rechtsmittelverfahren nur einheitliche Entscheidungen ergehen können, da jede Verschiebung der Belastungen durch eine Rechtsmittelentscheidung sich gleichzeitig bei dem einen Beteiligten zu dessen Gunsten, bei dem anderen zu dessen Lasten auswirken muß. Er hat deswegen die Unterlassung einer notwendigen Beiladung als einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens angesehen, die von Amts wegen zu beachten ist.
3. Das FG ist davon ausgegangen, daß der Veräußerer mit seiner Klage nur den berichtigten KGA-Bescheid vom 29. April 1965 anfechten wollte, daß sich dagegen die Klage des Erwerbers auch gegen den ihn belastenden berichtigten Aufteilungsbescheid vom 9. Juli 1965 richtete. Der Senat braucht nicht abschließend dazu Stellung zu nehmen, ob diese Auffassung richtig ist. Denn wenn man sie zugrunde legt, dann hätte der Veräußerer zum Klageverfahren gegen den berichtigten Aufteilungsbescheid als notwendig Beteiligter nach § 60 Abs. 3 FGO beigeladen werden müssen. Da der Veräußerer aber Klage gegen den berichtigten Veranlagungsbescheid erhoben und das FG diese Klage mit der Klage gegen den berichtigten Aufteilungsbescheid nach § 73 Abs. 1 FGO verbunden hat, greift die Vorschrift des § 73 Abs. 2 FGO ein. Denn die eine der miteinander verbundenen Klagen ist von jemand erhoben, der wegen dieses Klagegegenstandes, d. h. wegen des die verbundenen Klagen betreffenden Fragenkomplexes, zu der anderen der miteinander verbundenen Klagen notwendig beizuladen war. Das hat zur Folge, daß die notwendige Beiladung des Veräußerers durch die Verbindung der Klagen ersetzt wird.
Kläger in diesem Verfahren ist jedoch nur der Erwerber. Nach den Ausführungen oben zu 1. hat das hinsichtlich des Verböserungsverbots zur Folge, daß nur der Erwerber gegen eine Verböserung geschützt ist. Der Veräußerer genießt dagegen als notwendig Beigeladener nicht den Schutz des Verböserungsverbots. Der Anteil an der KGA-Schuld kann durch das FG-Urteil auch zu seinem Nachteil höher festgesetzt werden, als es in dem angefochtenen Bescheid geschehen ist. Der Senat stimmt der Auffassung des FG Hamburg in dem Urteil II 352/66 vom 14. September 1967 (EFG 1968, 22) zu, daß es überflüssig gewesen wäre, daß der Gesetzgeber die Beiladung eines nicht klagenden Beteiligten zwingend vorgeschrieben hat, wenn auch ohne dessen Beiladung eine ihn belastende Entscheidung nicht ergehen könnte. Aber auch wenn man entgegen der Auffassung des FG davon ausgeht, daß der Veräußerer auch Klage gegen den berichtigten Aufteilungsbescheid erhoben hat, ist die Verböserung zu seinem Nachteil zulässig. Denn auch dann beruht die Verböserung nicht auf seiner Klage, sondern auf der Klage des Erwerbers. Es kann keinen Unterschied machen, ob ein notwendig Beizuladender selbst Klage erhebt oder sich mit der Stellung eines Beigeladenen begnügt.
Da die Vorentscheidung von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, war sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Aufteilung in dem an den Veräußerer gerichteten Aufteilungsbescheid vom 9. Juli 1965 und des an den Erwerber gerichteten Aufteilungsbescheides vom 31. Mai 1965 war dahin zu ändern, daß die rückständigen Vierteljahrsbeträge an KGA in Höhe von 2 116,50 DM nicht vom Erwerber, sondern vom Veräußerer zu tragen sind. Im übrigen konnte es bei den vom FG vorgenommenen Änderungen verbleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 557491 |
BStBl II 1971, 404 |