Leitsatz (amtlich)
1. Ein mit einem Einzelunternehmen bestehendes stilles Gesellschaftsverhältnis wird bei Einbringung des Einzelunternehmens in eine KG nur dann mit dieser fortgesetzt, wenn die KG und der stille Gesellschafter dies vereinbaren.
2. Ficht eine KG einen gegen sie wegen Nichteinbehaltung von Kapitalertragsteuer für Gewinnanteile eines stillen Gesellschafters ergangenen Haftungsbescheid vor Gericht an, so ist weder die Beiladung des geschäftsführenden Gesellschafters, der persönlich statt der KG als Haftungsschuldner in Betracht kommt, noch die Beiladung des stillen Gesellschafters notwendig (§ 60 Abs. 3 FGO).
2. Die Vorschrift des § 718 ZPO (Vorabentscheidung über die Vollstreckbarkeit) ist im Revisionsverfahren vor dem BFH nicht anwendbar.
2. Die Vorschrift des § 708 Nr. 7 ZPO, nach der die Kostenentscheidung für vorläufig vollstreckbar erklärt werden kann, ist auch im Verfahren vor dem FG anwenbar.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 717; HGB §§ 105, 161, 335; StAnpG § 1 Abs. 2-3; FGO § 60 Abs. 3, § 76 Abs. 1, § 151 Abs. 3, § 155; ZPO § 708 Nr. 7, §§ 712, 718
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob die Klägerin, die R. M. & Co. KG (KG), für nicht abgeführte Kapitalertragsteuer haftet. Die KG ist mit Gesellschaftsvertrag vom 11. Februar 1960 durch Herrn R. M. als alleinigem geschäftsführenden Gesellschafter und die Firma O. OHG als Kommanditist gegründet worden. In Abschn. I Ziff. 3 dieses Vertrages wird bestimmt: "Mit Wirkung vom 31.12.1959 übernimmt die Gesellschaft das von dem persönlich haftenden Gesellschafter unter der Firma R. M. betriebene Einzelunternehmen mit sämtlichen Aktiven und Passiven nach der zum 31.12.1959 aufzustellenden Bilanz der Firma R. M. Der Betrag des in dieser Bilanz für Herrn R. M. ausgewiesenen Eigenkapitals wird ihm auf seinem Privatkonto gutgeschrieben. Der Kapitalanteil von Herrn R. M. wird mit Wirkung vom 31.12.1959 zu Lasten seines Privatkontos auf 750 000 DM ... erhöht."
An dem Einzelunternehmen R. M. war seit 1958 die Firma O. AG als stille Gesellschafterin mit einer Einlage von 130 000 DM, auf die sie 40 % des Gewinns erhielt, beteiligt gewesen. In der Eröffnungsbilanz der KG zum 1. Januar 1960 erscheint eine solche stille Beteiligung nicht mehr. Gemäß § 1 eines schriftlichen, von Herrn R. M. und der AG unstreitig am 25. April 1960 abgeschlossenen "Darlehnsvertrags" war die AG "als stille Gesellschafterin ... mit Wirkung vom 31.12.1959" aus der Einzelfirma R. M. ausgeschieden. Zufolge § 2 des Vertrages hatte sie ihre "Auseinandersetzungsforderung" von 250 000 DM Herrn R. M. "als Darlehen übereignet", das mit einem "Drittel des Gewinnanteils des Herrn R. M. aus seiner Beteiligung an der Firma R. M. & Co. KG ... mindestens aber 12 % der Darlehnssumme verzinst" werden sollte (§ 3 des Vertrages).
Die AG erhielt jährlich Abschriften der Handelsbilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und einen Rechenschaftsbericht über die Geschäftsentwicklung der KG. Auf Grund jährlicher Gewinnabrechnungen wurden ihr durch die KG vom 5. Juli 1961 bis 8. Juli 1966 insgesamt 617 784 DM - die Jahressummen betrugen zwischen 56 821 DM und 187 540 DM - gutgeschrieben, die sie in der Schweiz versteuerte.
Das FA nahm nach einer Betriebsprüfung mit Haftungsbescheid vom 16. Januar 1968 die KG auf Zahlung von 156 660,40 DM in Anspruch, da sie es entgegen § 44 Abs. 5 EStG in Verbindung mit § 5 KapStDV unterlassen habe, Kapitalertragsteuer für die der AG als stiller Gesellschafterin seit 1960 zugeflossenen Gewinne abzuführen. Den Einspruch der KG wies das FA im wesentlichen mit der Begründung zurück, daß die stille Gesellschaft zwischen R. M. und der AG zum 31. Dezember 1959 nur formell aufgelöst worden sei, in Wahrheit aber, wie sich auf Grund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise ergebe, mit der KG fortbestanden habe.
Das FG gab der Klage statt. Es hielt kein stilles Gesellschaftsverhältnis zwischen KG und AG, sondern eine Unterbeteiligung der AG am Gesellschaftsanteil des Komplementärs R. M. für gegeben. Das Urteil wurde vom FG hinsichtlich der Kosten gemäß § 151 FGO in Verbindung mit § 708 Nr. 7 ZPO ohne Antrag und Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Mit der Revision, die Verletzung formellen und materiellen Bundesrechts rügt, macht das FA unter Beibehaltung seines Rechtsstandpunkts geltend, das FG habe in verschiedener Hinsicht seine Aufklärungspflicht verletzt und zugleich gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen. Das FG habe ferner die notwendige Beiladung von R. M. unterlassen, obwohl dieser als persönlich haftender Gesellschafter der KG an dem streitigen Rechtsverhältnis, dem Vorliegen oder Nichtvorliegen einer stillen Gesellschaft hinsichtlich der AG, derartig beteiligt sei, daß nur eine einheitliche Entscheidung in Betracht komme. Schließlich hätte das Urteil nicht nach § 708 Nr. 7 ZPO für vorläufig vollstreckbar erklärt werden dürfen, da diese Bestimmung - vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 151 FGO, Rdnr. 4 - eine vermögensrechtliche Streitigkeit und Entscheidung eines OLG voraussetze, was hier beides ausscheide.
Das FA beantragt,
1. das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen,
2. Vorabentscheidung über den Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit.
Die KG beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
1. Die auch ohne Revisionsrüge von Amts wegen durchzuführende Prüfung notwendiger Beiladungen ergibt keinen Verfahrensfehler. Nach § 60 Abs. 3 FGO sind notwendig beizuladen Dritte, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derartig beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Diese Voraussetzungen liegen weder bei den Gesellschaftern der KG noch bei der an ihr möglicherweise als stille Gesellschafterin beteiligten AG vor. Gegenstand des Rechtsstreits ist allein die Frage, ob die KG für die Kapitalertragsteuer haftet. Es geht nicht darum, ob anstelle der Gesellschaft ihr Komplementär oder ihr Kommanditist persönlich in Anspruch genommen werden könnte. Insbesondere ist über die persönliche Haftung des Komplementärs - etwa auf Grund einer Unterbeteiligung - nicht entschieden, wenn die Haftung der KG verneint oder bejaht wird. Schließlich kommt der zu treffenden Entscheidung hinsichtlich der Frage, ob ein stilles Gesellschaftsverhältnis zur KG bestand, auch keine Bindungswirkung gegenüber der AG zu, wie sie etwa bei einer einheitlichen und gesonderten Feststellung im Sinne des § 215 Abs. 2 AO gegeben wäre.
2. Gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 2, § 44 Abs. 3, 5 EStG haftet der Schuldner für die Kapitalertragsteuer, die er von den Einkünften des an seinem Handelsgewerbe beteiligten stillen Gesellschafters einzubehalten hat. Eine Personengesellschaft kann als Haftende in Anspruch genommen werden (vgl. Entscheidung des Reichsfinanzhofs - RFH - IV 241/40 vom 16. Januar 1941, RStBl 1941, 83 [84] zur lohnsteuerlichen Arbeitgeberhaftung). Zur Klärung der Frage, ob die KG für die Kapitalertragsteuer haftet, ist das FG zutreffend von der zivilrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts ausgegangen. Denn die bürgerlich-rechtliche Gestaltung ist, sofern sie von den Beteiligten ernsthaft gewollt und auch tatsächlich durchgeführt wird, für die Besteuerung nach ständiger Rechtsprechung des BFH maßgebend (vgl. z. B. BFH-Entscheidung VI 55/61 U vom 11. Mai 1962, BFH 75, 112, BStBl III 1962, 310). Die Annahme eines stillen Gesellschaftsverhältnisses setzt, wie das FG nicht verkannt hat, dessen rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen dem Inhaber des Handelsgewerbes (KG) und dem stillen Gesellschafter (AG) voraus. Das gilt auch für den Fall, daß ein stilles Gesellschaftsverhältnis, das zu einem Einzelunternehmen bestand, bei dessen Einbringung in eine Personengesellschaft auf diese übertragen werden soll (vgl. Schilling in Staub, Großkommentar zum HGB, 3. Aufl. 1970, § 335 Anm. 48; Schlegelberger-Geßler, HGB, 4. Aufl. 1963, § 335 Anm. 32 f., 48). Ein ausdrücklicher schriftlicher Vertrag zwischen der KG und der AG über die Gründung eines stillen Gesellschaftsverhältnisses liegt unstreitig nicht vor. Ein solcher Vertrag kann aber auch mündlich geschlossen werden. Jedoch setzt die Annahme eines Vertragsabschlusses, wie das FG zutreffend angenommen hat, jedenfalls eine Einigung zwischen den Vertragspartnern voraus. Eine auf eine solche Einigung gerichtete Willensäußerung könnte sich für die KG aus ihrem Gründungsvertrag ergeben. Das FG hat angenommen, die Kommanditistin habe ihre Zustimmung zu einer stillen Beteiligung der AG an der KG versagt, weil die Eröffnungsbilanz der KG zum 1. Januar 1960 diese Beteiligung nicht ausweist. Nach dem Gesellschaftsvertrag kommt es jedoch auf die Eröffnungsbilanz der KG nicht an. Aus Abschn. I Nr. 3 des Vertrages geht hervor, daß das Einzelunternehmen R. M. mit sämtlichen Aktiven und Passiven gemäß einer "zum 31.12.1959 aufzustellenden Bilanz der Firma R. M." in die KG eingebracht werden sollte. Der Vertragstext verweist mithin für die Frage, welche Aktiven und Passiven übernommen sind, auf eine Bilanz der Einzelfirma R. M., die zum 31. Dezember 1959 aufzustellen war. Die vom FG irrig herangezogene Eröffnungsbilanz der KG kann damit nicht gemeint sein. Denn es ist ausdrücklich von einer Bilanz der Firma R. M., nicht von der in Abschn. I Nr. 4 des Gesellschaftsvertrags genannten KG, und von dem in dieser Bilanz für Herrn R. M. ausgewiesenen "Eigenkapital", nicht von dessen Kapitalanteil die Rede. Die erste Bilanz der KG konnte auch nicht zum 31. Dezember 1959, sondern erst zum 1. Januar 1960, dem Gründungszeitpunkt der Gesellschaft, aufgestellt werden. Wegen dieses Widerspruchs war die Vorentscheidung aufzuheben.
Aus dem Klagevortrag der KG ergibt sich, daß die Einzelfirma R. M. zum 31. Dezember 1959 zwei Bilanzen - die Schlußbilanz und die Geschäftsübergabebilanz - aufgestellt hat. Das FG muß bei seiner erneuten Entscheidung prüfen, welche dieser Bilanzen in Abschn. I Nr. 3 des Gesellschaftsvertrages gemeint ist und ob sich hieraus der Wille zur Begründung eines stillen Gesellschaftsverhältnisses mit der AG herleiten läßt. Ist dies der Fall, so muß das FG des weiteren Feststellungen darüber treffen, ob etwa auch die AG mit der Begründung eines stillen Gesellschaftsverhältnisses zur KG einverstanden war. Gelangt das FG zur Auffassung, daß zwischen KG und AG ein stilles Gesellschaftsverhältnis rechtswirksam begründet worden ist, so wird es sich auch mit der Tragweite des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz vom 15. Juli 1931 in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 (BStBl I 1959, 1006) zu befassen haben. Der Senat weist hierzu auf das Urteil des I. Senats I R 205/67 vom 5. März 1969 (BFH 95, 171, BStBl II 1969, 325) hin.
3. Dem von der Revision gestellten Antrag auf Vorabentscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit konnte der Senat nicht entsprechen. Nach der für den Zivilprozeß geltenden Vorschrift des § 718 Abs. 1 ZPO ist in der Berufungsinstanz über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf Antrag vorab zu verhandeln und zu entscheiden. Diese Bestimmung ist im Verfahren vor dem BFH schon deshalb nicht anwendbar, weil sie eine Vorabentscheidung nur in der Berufungsinstanz zuläßt, während der BFH ausschließlich Revisionsgericht ist.
4. Es ist nicht zu beanstanden, daß die Vorinstanz das Urteil ohne Antrag und ohne Sicherheitsleistung hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt hat. Nach § 155 FGO ist die ZPO sinngemäß anzuwenden, soweit die FGO keine Bestimmungen über das Verfahren enthält und soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten es nicht ausschließen. Nach § 708 Nr. 7 ZPO sind auch ohne Antrag für vorläufig vollstreckbar zu erklären: Urteile der OLG in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. FG stehen nach § 2 FGO Oberlandesgerichten gleich. Die Vorschrift des § 151 Abs. 3 FGO, nach der Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden können, beschränkt zwar den Anwendungsbereich des § 708 Nr. 7 ZPO auf Kostenentscheidungen, bestätigt aber die Auffassung des Senats, daß die Anwendung der Vorschrift des § 708 Nr. 7 ZPO im finanzgerichtlichen Verfahren nicht mit der Begründung abgelehnt werden kann, daß grundsätzliche Unterschiede des Verfahrens die Anwendung ausschließen (ebenso v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 151 FGO, Rdnr. 5, und Martens in DStR 1967 S. 274). Die Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts (Entscheidung VII C 126.63 vom 26. August 1963, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 16 S. 254 zu der § 151 Abs. 3 FGO entsprechenden Vorschrift des § 167 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung), wonach bei Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen keine vermögensrechtlichen Streitigkeiten vorliegen, teilt der Senat nicht, wenn und soweit es sich um die Vollstreckbarkeitserklärung der Kostenentscheidung handelt. Daß die Kostenentscheidung nicht Streitgegenstand ist, wird von der Rechtsprechung der Zivilgerichte seit langem für unerheblich gehalten (z. B. Stein-Jonas-Pohle-Münzberg, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl. 1968, § 708 Anm. II 7, § 709 Anm. III).
Sinn der Vollstreckbarkeitserklärung von Kostenentscheidungen ist es, den siegreichen Beteiligten vor kostenmäßiger Benachteiligung für die Dauer des Revisionsverfahrens zu schützen. Den Belangen der am Prozeß beteiligten Verwaltungsbehörde ist durch die Vorschrift des § 712 ZPO hinreichend Rechnung getragen, nach der auf Antrag des Schuldners auszusprechen ist, daß das Urteil nicht vorläufig vollstreckbar sei, wenn glaubhaft gemacht wird, daß die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
Eine Anrufung des Gemeinsamen Senats nach dem Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der Obersten Gerichtshöfe vom 19. Juni 1968 (BGBl I 1968, 661) ist nicht erforderlich, da die Entscheidung des Senats nicht von den Überlegungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit getragen wird.
Fundstellen
Haufe-Index 69445 |
BStBl II 1971, 426 |
BFHE 1971, 478 |