Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnung als inländische Betriebsstätte eines ausschließlich im Ausland tätigen Handelsreisenden
Leitsatz (NV)
Die Anforderungen an den Umfang der betrieblichen Handlungen, die zur Begründung einer Betriebstätte erforderlich sind, sind um so geringer, je mehr sich die eigentliche gewerbliche Tätigkeit außerhalb einer festen örtlichen Anlage vollzieht. Bei einem Handelsreisenden kommt deshalb auch die Wohnung als Betriebstätte in Betracht.
Normenkette
StAnpG § 16 (AO 1977 § 12); GewStG § 2 Abs. 1 S. 1; DBA BEL Art. 5 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Streitjahren (1970 bis 1975) einen nicht angemeldeten Handel mit Schmuckwaren und Edelsteinen.
Der Kläger übte seine Handelstätigkeit ausschließlich in Belgien aus. Er fuhr hierbei zwanzig- bis dreißigmal jährlich von seiner inländischen Wohnung aus nach Antwerpen oder Brüssel, wo er sämtliche Ein- und Verkäufe mit stets wechselnden Geschäftspartnern als Bargeschäfte abwickelte. Für die Geschäftsabschlüsse stand dem Kläger kein bestimmter Raum zur Verfügung. Die Gewinne wurden auf inländische Bankkonten eingezahlt; die Kontoauszüge wurden in der Wohnung aufbewahrt.
Nach einer Steuerfahndungsprüfung unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Gewinne aus der Handelstätigkeit der Gewerbeertragsteuer. Einspruch und Klage gegen die Gewerbesteuer-Meßbescheide blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, der Kläger habe ein Gewerbe betrieben, für das im Inland eine Betriebstätte unterhalten worden sei. Als Betriebstätte sei hierbei die Wohnung des Klägers anzusehen, die der Ausgangs- und Endpunkt seiner Handelsreisen und der einzige Platz gewesen sei, an dem oder über den er ständig zu erreichen gewesen sei. Sie sei damit mangels einer festen Einrichtung im Ausland der einzige lokalisierbare Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Betätigung gewesen.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 2 Abs. 1 Satz 3 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) und des § 16 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG). Zur Begründung führt er aus: Der Umstand, daß der Kläger von seiner Wohnung aus nach Belgien gefahren sei, könne die Wohnung, in der keinerlei betriebliche Tätigkeiten ausgeübt worden seien, nicht zu einer Betriebstätte machen. Es sei nicht zulässig, nur deshalb die Wohnung als Betriebstätte anzusehen, weil es an einer anderweitigen festen örtlichen Anlage oder Einrichtung fehle.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Handelstätigkeit des Klägers ist gewerbesteuerpflichtig.
Der Gewerbesteuer unterliegt nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Gewerbesteuerpflichtig sind ferner die Reisegewerbebetriebe, soweit sie im Inland betrieben werden (§ 35 a Abs. 1 GewStG). Stehender Gewerbebetrieb ist nach § 1 Abs. 2 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) jeder Gewerbebetrieb, der kein Reisegewerbebetrieb ist.
1. Die Tätigkeit des Klägers stellt sich als stehender Gewerbebetrieb dar.
Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit darüber, daß die Handelstätigkeit des Klägers sämtliche Merkmale der Begriffsbestimmung des Gewerbebetriebs in § 1 Abs. 1 GewStDV (vgl. nunmehr § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG - in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1984, BGBl I 1983, 1583) erfüllt.
Im Streitfall liegt ein stehender Gewerbebetrieb vor; die Voraussetzungen für einen Reisegewerbebetrieb nach § 35 a Abs. 2 Satz 1 GewStG sind nicht gegeben. Für die auf das Ausland beschränkte Tätigkeit bedurfte der Kläger keiner Reisegewerbekarte nach § 55 der Gewerbeordnung (GewO).
2. Der Kläger hat den stehenden Gewerbebetrieb im Inland betrieben. Im Inland betrieben wird ein Gewerbebetrieb, soweit für ihn im Inland eine Betriebstätte unterhalten wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Für den Begriff der Betriebstätte ist im Streitfall noch die Definition in § 16 StAnpG maßgebend. Das FG hat zu Recht die Wohnung des Klägers als Betriebstätte im Sinne dieser Vorschrift angesehen.
Betriebstätte ist nach § 16 Abs. 1 StAnpG jede feste örtliche Anlage oder Einrichtung, die der Ausübung des Betriebes eines stehenden Gewerbes dient. In der festen örtlichen Anlage oder Einrichtung müssen sich Tätigkeiten vollziehen, die dem Gewerbebetrieb unmittelbar dienen (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. August 1960 I B 148/59 U, BFHE 71, 585, BStBl III 1960, 468). Hierzu reichen jedoch verhältnismäßig nebensächliche oder untergeordnete Betriebshandlungen bereits aus (vgl. BFH-Beschluß vom 10. Mai 1961 IV 155/60 U, BFHE 73, 134, BStBl III 1961, 317).
Die Anforderungen an den Umfang der betrieblichen Handlungen, die zur Begründung einer Betriebstätte an einem bestimmten Ort erforderlich sind, richten sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Gewerbebetriebs. Sie sind um so geringer, je mehr sich die eigentliche gewerbliche Tätigkeit außerhalb einer festen örtlichen Anlage vollzieht.
Das FG hat hiernach die Wohnung des Klägers zu Recht als feste örtliche Anlage angesehen, die der Ausübung seines Gewerbebetriebes diente. Denn nach den Feststellungen des FG und dem eigenen Vortrag des Klägers hat dieser in der Wohnung die Kontoauszüge derjenigen Bankkonten verwahrt, auf die er die bar vereinnahmten Gewinne aus seiner Handelstätigkeit eingezahlt hatte. Hat der Kläger die Kontoauszüge in der Wohnung aufbewahrt, so hat dort auch die Überprüfung der zutreffenden Verbuchung der eingezahlten Beträge stattgefunden. Die Kontrolle des Geldverkehrs ist eine betriebliche Handlung, die im Streitfall zur Begründung einer Betriebstätte ausreicht. Der Senat kann daher offenlassen, ob bereits der Umstand, daß der Kläger seine Geschäftsreisen von der Wohnung aus angetreten und dort beendet hat, für sich allein die Annahme einer Betriebstätte in der Wohnung rechtfertigen könnte.
3. Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger in Belgien keine der Ausübung des Betriebs dienende feste örtliche Anlage oder Einrichtung unterhalten. Der Gewerbebetrieb ist folglich in vollem Umfang nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG im Inland steuerpflichtig. Mangels einer festen Geschäftseinrichtung gem. Art. 5 Abs. 1 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien vom 11. April 1967 (BGBl II 1969, 18) wird das deutsche Besteuerungsrecht durch das Doppelbesteuerungsabkommen nicht eingeschränkt.
Fundstellen
Haufe-Index 414927 |
BFH/NV 1988, 119 |