Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern Grundsteuer
Leitsatz (amtlich)
Bei Anwendung des § 4 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. c GrEStG steht auch in Niedersachsen dem Begriff des Eigenheims für sich allein nicht entgegen, daß das Wohngebäude zu mehr als einem Fünftel, aber zu weniger als einem Drittel seiner Grundfläche gewerblich genutzt wird.
Normenkette
GrEStG § 4/1/1/c; 2-WoBauG 9/3
Tatbestand
Der Steuerpflichtige - Stpfl. - (Revisionskläger) hat am 24. November 1958 von einem als gemeinnützig anerkannten Wohnungsunternehmen ein bebautes Grundstück gekauft. Die Nutzfläche des Gebäudes beträgt 217,61 qm. Von dieser entfallen auf die eigene Wohnung des Stpfl. 113,32 qm, auf eine weitere Wohnung 43,61 qm und auf gewerbliche Räume 60,68 qm.
Der Stpfl. hält den Erwerb als übernahme eines Eigenheims mit Kleinwohnungen für befreit von der Grunderwerbsteuer gemäß § 4 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. c GrEStG. Nach Ansicht des Finanzamts (FA) - Revisionsbeklagten - greift diese Vorschrift wegen des Umfangs der gewerblichen Räume nicht ein. Es hat deshalb den Stpfl. zur Grunderwerbsteuer herangezogen. Dessen Einspruch und dessen Berufung hatten keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Stpfl. ist als Revision zu behandeln. Sie ist begründet.
Nach § 4 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. c GrEStG ist beim Kleinwohnungsbau im Sinn der Vorschriften über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen von der Grunderwerbsteuer befreit der erste Erwerb eines von einem gemeinnützigen Bauträger geschaffenen Wohnhauses, das den für Kleinwohnungen geltenden Bestimmungen entspricht, durch eine Person, die das Hausgrundstück als Eigenheim erwirbt. Diese Voraussetzungen sind nach den Grundsätzen, die der Senat in dem Urteil II 203/60 U vom 17. Oktober 1962 (BStBl 1963 III S. 19, Slg. Bd. 76 S. 50) aufgestellt hat, erfüllt.
Das mit dem Grundstück erstmals von dem Bauträger erworbene Gebäude ist seinem überwiegenden Verwendungszweck nach ein Wohnhaus. Eine ausdrückliche Feststellung hierüber hat das Finanzgericht (FG) allerdings nicht getroffen. Sie erübrigt sich nicht schon deshalb, weil die Wohnfläche mit 156,93 qm die gewerblich genutzte Fläche mit 60,68 qm überwiegt. Jedoch war in dem vorangegangenen Verfahren nicht bestritten, daß der Gesamteindruck des Gebäudes der eines Wohnhauses mit Gewerberäumen und nicht der eines gewerblich genutzten Gebäudes mit Wohnräumen ist. FA und FG haben die Steuerbefreiung lediglich deshalb versagt, weil sie ein Gebäude mit mehr als 20 v. H. gewerblicher Nutzfläche nicht mehr als Eigenheim ansahen. Anhaltspunkte dafür, daß die rund zwei Siebtel gewerblicher Nutzfläche den wesentlichen Charakter des Hauses bestimmen könnten, sind nicht ersichtlich.
Die für den Kleinwohnungsbau geltenden Bestimmungen sind eingehalten. Das nimmt auch das FG an. Es legt aber seiner Beurteilung § 10 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen - WGGDV - in der ursprünglichen Fassung vom 23. Juli 1940 (RGBl 1940 I S. 1012) zugrunde, weil es der Ansicht ist, die bundesrechtliche Neufassung dieser Verordnung vom 25. April 1957 (BGBl 1957 I S. 406) wirke wegen Art. 105 Abs. 2 Nr. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht für den Bereich der Grunderwerbsteuer. Darin kann dem FG nicht gefolgt werden. Denn § 4 Abs. 1 GrEStG verweist zur Bestimmung des Begriffs "Kleinwohnungsbau" auf die "Vorschriften über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen". Er verzichtet also auf eine spezifisch grunderwerbsteuerrechtliche Definition des Begriffs Kleinwohnungen und läßt auch für den Bereich der Grunderwerbsteuer die allgemeine Definition dieses Begriffes gelten. Kraft dieser landesrechtlichen (Art. 123 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 Nr. 1 vgl. mit Art. 124, 125 GG) Verweisung ist also der Begriff der Kleinwohnung auch für das Grunderwerbsteuerrecht nach den jeweils bundesrechtlich geltenden Vorschriften über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen (Art. 74 Nr. 18 vgl. mit Art. 125 GG) zu bestimmen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs II 88/62 U vom 13. Oktober 1965, BStBl 1965 III S. 694).
Diese Abweichung des FG von dem Urteil des Bundesfinanzhofs II 83/59 U vom 7. Dezember 1960 (BStBl 1961 III S. 135, Slg. Bd. 72 S. 364) hat jedoch dessen Entscheidung nicht beeinflußt. Denn das FG hat andererseits gemäß § 10 Abs. 2 WGGDV festgestellt, daß die Durchschnittswohnfläche der von dem verkaufenden Wohnungsunternehmen innerhalb des Gemeindegebiets hergestellten Wohnungen das zugelassene Maß nicht überschreitet. Die Steuerbefreiung hat es dagegen versagt, weil es im Hinblick auf das niedersächsische Gesetz über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaus von der Grunderwerbsteuer vom 2. Juli 1952 (GVBl 1952 S. 53) in der Fassung des änderungsgesetzes vom 25. März 1958 (GVBl 1958 S. 11) - Bekanntmachung vom 6. Oktober 1958 (GVBl 1958 S. 179) - der Ansicht war, ein gewerblicher Anteil von mehr als 20 v. H. an der Nutzfläche des Gebäudes sei mit dem Begriff eines Eigenheims unvereinbar.
Dieser Begrenzung gegenüber hält der Senat an den in seinem Urteil II 203/60 U (a. a. O.) aufgestellten Grundsätzen fest. Die damalige Entscheidung betraf zwar einen Steuerfall des Landes Nordrhein-Westfalen, während im vorliegenden Fall das Grundstück in Niedersachsen belegen ist. In beiden Ländern hat aber § 4 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. c GrEStG den gleichen Inhalt; § 1 Ziff. 1 und Ziff. 3 Buchst. b des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau stellte in der ursprünglichen Fassung vom 4. März 1952 (GVBl 1952 S. 33) ebenso auf einen Wohnflächeninhalt von 80 v. H. ab wie § 1 Ziff. 1 des niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer (a. a. O.).
§ 4 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. c GrEStG gilt noch in der Fassung des Reichsgesetzes vom 29. März 1940 (RGBl 1940 S. 585); der Landesgesetzgeber hat diese Vorschrift weder textlich geändert noch Vorschriften erlassen, welche die Befreiung des § 4 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. c GrEStG inhaltlich beeinträchtigen könnten. Im Hinblick auf die Voraussetzungen späterer zusätzlicher Steuerbefreiungsvorschriften, insbesondere des niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer, darf § 4 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. c GrEStG daher nicht einengend ausgelegt werden. Im Gegenteil muß aus dem Umstand, daß das Land Niedersachsen das GrEStG vom 29. März 1940 der Form nach unberührt gelassen hat, geschlossen werden, daß der niedersächsische Gesetzgeber die insoweit noch gegebene Einheit gemeinsamen Landesrechts aufrechterhalten wollte. § 4 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. c GrEStG kann deshalb nur nach Gesichtspunkten ausgelegt werden, die für alle Länder gleichermaßen gelten. Gebäude, die mit mehr als 20 v. H. gewerblichen Zwecken dienen, können daher nicht schon wegen der in § 1 Ziff. 1 des niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer für andere Fälle gezogenen Begrenzung von dem Begriff des Eigenheims ausgenommen werden.
Der Reichsfinanzhof hatte in dem Urteil II 167/41 vom 22. Januar 1943 (RStBl 1943 S. 396, Slg. Bd. 52 S. 330) angenommen, gewerbliche Räume stünden dem Begriff eines Eigenheims nur dann nicht entgegen, wenn sie im Verhältnis zu den Wohnräumen des Eigentümers von untergeordneter Bedeutung sind; diese Voraussetzung hat er nicht mehr als erfüllt angesehen, wenn die gewerblichen Räume fast halb so groß sind wie die Wohnräume des Eigentümers und mehr als 31 v. H. der gesamten Nutzfläche des Hauses umfassen. Dieser für die damaligen Verhältnisse zutreffenden Würdigung kann jedoch, wie der Bundesfinanzhof bereits in dem Urteil II 203/60 U (a. a. O.) erkannt hat, heute nicht mehr uneingeschränkt gefolgt werden. Die tatsächliche und rechtliche Entwicklung der Nachkriegszeit hat dazu geführt, daß der Ausdruck Eigenheim heute in einem wesentlich weitergehenden Sinne zu verstehen ist. Zwar muß nach wie vor der Wohnzweck des Gebäudes im Vordergrund stehen. § 9 Abs. 3 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes vom 27. Juni 1956 (BStBl 1956 I S. 388) läßt aber für seinen Bereich ausdrücklich zu, daß eine in dem Eigenheim enthaltene zweite Wohnung derjenigen des Eigentümers gleichwertig ist, verlangt also zum Begriff des Eigenheims nicht, daß die Wohnnutzung des Eigentümers überwiegt. Auch im Verhältnis zu den gewerblichen Räumen eines der eigenen Wohnnutzung des Eigentümers und seiner Familie dienenden Gebäudes hat sich eine gewisse Lockerung durchgesetzt (vgl. insoweit, allerdings für die bundesgesetzlich geregelte Einkommensteuer, Urteil des Bundesfinanzhofs VI 201/65 U vom 20. Oktober 1965, BStBl 1966 III S. 18). Wie in dem Urteil II 203/60 U (a. a. O.) des näheren dargelegt ist, erfordert der Begriff des Eigenheims heute nicht mehr, daß etwaige gewerbliche Räume des Eigentümers von schlechthin untergeordneter Bedeutung sind, sofern nur der gewerblich oder beruflich genutzte Raum dem im Vordergrund stehenden Wohnzweck gegenüber Nebensache bleibt. Der Fläche nach wird das in der Regel angenommen werden können, wenn die gewerblich oder beruflich genutzte Fläche nicht mehr als ein Drittel des Gesamtraumes beansprucht.
Im vorliegenden Fall entfällt mehr als die Hälfte der Nutzfläche des erworbenen Gebäudes auf die Wohnung des Stpfl. und seiner Familie, und weniger als ein Drittel auf dessen gewerbliche Räume. Der Stpfl. hat somit das im Kleinwohnungsbau erstellte Wohnhaus als Eigenheim übernommen. Der Ersterwerb ist daher gemäß § 4 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. c GrEStG von der Besteuerung ausgenommen.
Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils waren der Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 411939 |
BStBl III 1966, 226 |
BFHE 1966, 38 |
BFHE 85, 38 |