Leitsatz (amtlich)
Anwärterbezüge, die ein Student der einstufigen Juristenausbildung (im Streitfall im Land Niedersachsen) während der Studienabschnitte erhält, sind steuerpflichtiger Arbeitslohn im Sinne des § 19 EStG.
Orientierungssatz
Ausführungen und BFH-Rechtsprechung zu den Begriffen Arbeitslohn und Dienstverhältnis. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Student einkommensteuerrechtlich als Arbeitnehmer und als Empfänger von Arbeitslohn zu gelten hat, kommt es allein auf die steuerrechtlichen Gesichtspunkte (§ 19 EStG und § 1 Abs. 2 LStDV) an: denn für andere Rechtsgebiete (Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht) können andere Bestimmungen des Begriffs Arbeitnehmer und Arbeitslohn gelten (vgl. BFH-Rechtsprechung und BSG-Rechtsprechung).
Normenkette
EStG 1979 § 19 Abs. 1, § 3 Nrn. 11, 44; LStDV 1978 § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 09.06.1981; Aktenzeichen V 348/80) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) befand sich im Streitjahr 1979 in Niedersachsen als Student zunächst in der sogenannten Hauptphase der einstufigen Juristenausbildung. Die Hauptphase setzt sich aus Hauptstudium und Pflichtpraktika zusammen (§ 7 des Gesetzes über einstufige Juristenausbildung in Niedersachsen vom 2.April 1974 --AusbildungsG--, Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt --NiedersGVBl-- 1974, 214). In der Zeit vom 1.Januar bis 15.März 1979 absolvierte der Kläger ein Pflichtpraktikum. Danach setzte er bis zum Jahresende sein (Wahl-)Studium in der sogenannten Spezialisierungsphase (§ 10 AusbildungsG) fort. Er erhielt im Streitjahr für die gesamte Ausbildungszeit Anwärterbezüge nach § 4 Nr.2 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses in der einstufigen Juristenausbildung vom 2.Februar 1977 --RegelungsG-- (NiedersGVBl 1977, 21) in Höhe von 20 438 DM. Hiervon entfallen auf die Studienzeit vom 16.März bis 31.Dezember 1979 16 093 DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hat bei der Einkommensteuerveranlagung des Streitjahres die vollen Bezüge zu den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit gerechnet. Der Einspruch, mit dem der Kläger begehrt hatte, die auf die Zeit des Wahlstudiums entfallenden Bezüge steuerfrei zu belassen, hatte keinen Erfolg. Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 631 veröffentlichten Urteil ab.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 3 Nr.11 und 44 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie des § 19 EStG. Er führt aus:
In der Zeit des vom 10. bis 11. Semesters dauernden Wahlstudiums seien die Studenten der einstufigen Juristenausbildung zur ordnungsgemäßen Absolvierung ihres Studiums verpflichtet. Allein aus diesem Grund würden weiterhin Bezüge gezahlt. Diese seien daher gemäß § 3 Nr.11 oder 44 EStG steuerfreie Bezüge oder Stipendien. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit lägen nicht vor, weil die ordnungsgemäße Absolvierung des Studiums keine Dienstpflicht aus dem Praktikantenverhältnis sei. Die Pflichten aus dem Praktikantenverhältnis und die gezahlten Stipendien bildeten keinen Zusammenhang, sondern stünden nebeneinander. Das angefochtene Urteil gehe fehl, wenn im Vergleich mit Referendaren die Pflicht zum anderweitigen Einsatz der Arbeitskraft angeführt werde. Auch die Studenten der einstufigen Juristenausbildung würden während der Ableistung ihres Praktikums bei einem Rechtsanwalt im 9.Semester wie andere Arbeitnehmer behandelt. In diesem Zeitraum würden Lohn- und Kirchensteuern von den gezahlten Bezügen einbehalten. Das Wahlstudium im 10. und 11.Semester sei jedoch reine Ausbildung. Die zum Zweck der Fortsetzung des Studiums gezahlten Unterhaltsbeträge seien deshalb steuerfrei.
Mit einem nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger vorgetragen, der niedersächsische Minister der Finanzen habe im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Versicherungspflicht von Praktikanten mit Erlaß vom 26.November 1981 (Niedersächsisches Ministerialblatt 1981, 1293) hinsichtlich der Versicherungspflicht der Studenten der einstufigen Juristenausbildung angeordnet, daß die Studenten während der Praktika weiterhin in der studentischen Krankenversicherung pflichtversichert seien, Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aber nicht mehr abzuführen seien. Somit stehe fest, daß der Kläger auch während der von ihm abgeleisteten Praktika kein Arbeitnehmer gewesen sei.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und von den Bezügen des Klägers als Student der einstufigen Juristenausbildung nur den auf die Zeit vom 1.Januar bis 15.März 1979 entfallenden Betrag von 4 345 DM zur Einkommensteuer heranzuziehen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Die Anwärterbezüge, die der Kläger im Streitjahr während des Studienabschnitts im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung erhalten hat, sind steuerpflichtige Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit.
Nach § 19 Abs.1 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (*= Arbeitslohn, vgl. § 19 Abs.3 - 5 EStG) unter anderem Gehälter, Löhne und andere Bezüge, die für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst gewährt werden. Arbeitslohn liegt vor, wenn die Einnahme des Arbeitnehmers durch das Dienstverhältnis veranlaßt ist, d.h. wenn sie sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für die "Beschäftigung im öffentlichen ... Dienst" erweist (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12.August 1983 VI R 155/80, BFHE 139, 190, BStBl II 1983, 718, und vom 17.September 1982 VI R 75/79, BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39). Ein Dienstverhältnis ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet, d.h. wenn er in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (§ 1 Abs.2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung --LStDV--; BFH-Urteile vom 10.Dezember 1971 VI R 112/70, BFHE 104, 197, BStBl II 1972, 251, und vom 7.April 1972 VI R 58/69, BFHE 105, 274, BStBl II 1972, 643).
Im Streitfall liegen die Merkmale eines Dienstverhältnisses auch während des Wahlstudiums der einstufigen Juristenausbildung vor. Denn auch in diesem Zeitraum war der Kläger gegenüber seinem Dienstherrn grundsätzlich weisungsgebunden und --allerdings in gelockerter Form-- in den Organismus der Justiz eingegliedert. Er stellte seinem Dienstherrn weiterhin seine Dienste, wenn auch zum Zweck der Ausbildung, zur Verfügung.
Mit Beginn des ersten Pflichtpraktikums wird der Student auf seinen Antrag in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis berufen, in dem er grundsätzlich für die Dauer der weiteren Ausbildung und der Abschlußprüfung verbleibt (§ 14 AusbildungsG; § 1 i.V.m. § 7 Abs.1 Nr.1 RegelungsG). Die Rechte und Pflichten des in dieses öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis berufenen Studenten entsprechen während der Praktika weitgehend denjenigen der Referendare, deren Bezüge der Senat in ständiger Rechtsprechung als steuerpflichtigen Arbeitslohn angesehen hat (Urteile in BFHE 104, 197, BStBl II 1972, 251; BFHE 105, 274, BStBl II 1972, 643; BFHE 139, 190, BStBl II 1983, 718). So ist der Student beispielsweise während der Praktika ebenso in die Tätigkeit seines jeweiligen Ausbilders an dessen Arbeitsplatz einzuführen wie ein Referendar (§ 20 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die einstufige Juristenausbildung in Niedersachsen vom 15.Januar 1975 --APO--; NiedersGVBl 1975, 4; für Referendare § 42 der Niedersächsischen Ausbildungsordnung für Juristen vom 7.Juni 1972 --NJAO-- 1972; NiedersGVBl 1972, 275 und § 40 NJAO 1982, NiedersGVBl 1982, 18). Hierbei untersteht er gleichfalls den Weisungen des Ausbilders (§ 15 Abs.2 APO; für Referendare § 31 Abs.2 NJAO 1972, § 30 Abs.2 NJAO 1982). Wie ein Referendar unterliegt der Student z.B. einer Schweigepflicht in bezug auf seine praktische Tätigkeit (§ 5 RegelungsG, § 68 des Niedersächsischen Beamtengesetzes vom 28.September 1978 --NBG--, NiedersGVBl 1978, 677), dem Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken (§ 5 RegelungsG, § 78 NBG) und den Vorschriften über Nebentätigkeiten (§ 4 RegelungsG, § 71a NBG). Diesen Pflichten stehen die auch den Referendaren zustehenden Rechte gegenüber, wie etwa der Anspruch auf Gewährung von Reisekostenvergütung und Trennungsgeld (§ 2 Abs.1 RegelungsG i.V.m. § 98 NBG) oder das Antrags- und Beschwerderecht (§ 2 Abs.1 RegelungsG i.V.m. § 100 NBG).
Allerdings ist der Student nicht --wie ein Referendar-- Beamter auf Widerruf. Die Aufnahme in das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis erfolgt jedoch im wesentlichen unter den gleichen Voraussetzungen wie die Aufnahme in den Referendardienst, nämlich auf Antrag des Bewerbers (§ 14 AusbildungsG, § 1 RegelungsG; für Referendare § 28 Abs.1 NJAO 1972, § 27 NJAO 1982), über den ebenfalls der Präsident des Oberlandesgerichts entscheidet (§ 8 Abs.1 RegelungsG, § 28 Abs.4 NJAO 1972), der auch die Dienstaufsicht ausübt (§ 8 Abs.2 RegelungsG; § 31 Abs.1 NJAO 1972, § 30 Abs.1 NJAO 1982).
Die Rechte und Pflichten des Studenten ruhen zwar größtenteils während der Studienabschnitte (vgl. § 5 RegelungsG), aber er verbleibt dennoch während dieser Zeit in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis (§ 14 AusbildungsG), erhält weiterhin Anwärterbezüge (§ 5 Abs.1 Nr.4 RegelungsG) und unterliegt ausbildungsbegleitenden Leistungskontrollen (§ 16 AusbildungsG, §§ 43, 44 APO). Die Schweigepflicht und das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken --Pflichten, die typisch für ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis sind-- bestehen während der Studienabschnitte ebenfalls weiter (§ 5 Abs.1 Nr.1 und 2 RegelungsG). Diese fortbestehenden Rechte und Pflichten führen dazu, den Studenten der einstufigen Juristenausbildung auch während des Wahlstudiums als --wenn auch in gelockerter Form-- in den Organismus der Justiz eingegliedert anzusehen.
Während des Studienabschnitts schuldet der Student seinem Arbeitgeber auch weiterhin seine Arbeitskraft. Das Schulden der Arbeitskraft bedeutet nicht das Schulden eines Erfolges. Auch eine gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Verpflichtung zur eigenen Ausbildung oder Weiterbildung kann insoweit genügen. Der Senat teilt nicht die gegenteilige Auffassung des FG Bremen (Urteil vom 22.Januar 1982 I 42/80 K, nicht rechtskräftig, EFG 1982, 347), das zwischen Arbeit im eigenen und Arbeit im fremden Interesse unterscheidet und meint, nur im zweiten Fall könne ein Schulden der Arbeitskraft angenommen werden. Unter § 19 EStG fallen die Entgelte für alle Arten von Leistungen, die in abhängiger Stellung erbracht werden. In abhängiger Stellung wird tätig, wer --wie auch ein Student der einstufigen Juristenausbildung während des Wahlstudiums-- in den geschäftlichen Organismus desjenigen eingegliedert, demgegenüber er sich zur Erbringung der wie auch immer gearteten Leistung verpflichtet hat. Im Streitfall oblag dem Kläger gegenüber seinem Dienstherrn während des Studienabschnitts die Verpflichtung, zum Zweck der Ausbildung zu studieren. Insoweit liegen die Verhältnisse während des Studienabschnitts ähnlich wie bei Bundeswehroffizieren, die zum Zwecke des Studiums beurlaubt oder abkommandiert sind, und bei denen die im Zeitraum des Studiums weitergezahlten Bezüge Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit sind (BFH-Urteile vom 28.September 1984 VI R 144/83, BFHE 142, 258, BStBl II 1985, 89, und VI R 127/80, BFHE 142, 255, BStBl II 1985, 87).
Die Voraussetzungen für eine Steuerfreiheit der Anwärterbezüge nach § 3 Nr.11 oder 44 EStG liegen nach der Rechtsprechung des BFH nicht vor (vgl. Urteile vom 22.Januar 1960 VI 5/59 U, BFHE 70, 296, BStBl III 1960, 110; vom 1.Juli 1954 IV 276/52 U, BFHE 60, 36, BStBl III 1955, 14, und in BFHE 105, 274, BStBl II 1972, 643).
Entgegen der Meinung des Klägers ist es für die Lohnsteuerpflicht der Einnahmen aus dem Ausbildungsverhältnis während des Studienabschnitts unerheblich, ob von diesen Bezügen Beiträge zur Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung einzubehalten sind. Für die Beurteilung der Frage, ob der Student einkommensteuerrechtlich als Arbeitnehmer und als Empfänger von Arbeitslohn zu gelten hat, kommt es nicht auf die Rechtslage in einem anderen Rechtsgebiet, etwa dem des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts, sondern allein auf die steuerrechtlichen Gesichtspunkte an, wie sie in § 19 EStG und § 1 Abs.2 LStDV zum Ausdruck kommen; denn für andere Rechtsgebiete können andere Bestimmungen des Begriffs Arbeitnehmer und Arbeitslohn gelten (vgl. BFH-Urteile vom 14.Dezember 1978 I R 121/76, BFHE 126, 311, BStBl II 1979, 188; vom 28.Februar 1975 VI R 29/72, BFHE 115, 251, BStBl II 1975, 520, und in BFHE 104, 197, BStBl II 1972, 271; vgl. auch Urteil des BSG vom 30.April 1968 3 RK 91/65, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1969, 150).
Fundstellen
Haufe-Index 61072 |
BStBl II 1985, 465 |
BFHE 143, 572 |
BFHE 1985, 572 |
BB 1985, 1708-1708 (T) |
DB 1985, 1822-1823 (ST) |
HFR 1985, 513-514 (ST) |