Entscheidungsstichwort (Thema)
Beratungsstellenleiter: hauptberufliche Tätigkeit
Leitsatz (NV)
Eine für die Bestellung als Beratungsstellenleiter erforderliche hauptberufliche Tätigkeit i. S. des § 23 Abs. 3 Nr. 3 StBerG ist bei mehreren nebeneinander ausgeübten Berufen jedenfalls dann gegeben, wenn die Tätigkeit auf dem nach § 4 Nr. 11 StBerG einschlägigen Gebieten des Einkommensteuerrechts in etwa dem Umfang einer Halbtagsbeschäftigung entspricht.
Normenkette
StBerG § 23 Abs. 3 Nr. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein Lohnsteuerhilfeverein, beantragte bei der Beklagten und Revisionsklägerin (Oberfinanzdirektion -- OFD --), Herrn X als Leiter seiner Beratungsstelle in C einzutragen. X ist langjähriger Mitarbeiter dieser Beratungsstelle; daneben übt er eine Tätigkeit als Versicherungsvertreter aus. Die OFD lehnte den Antrag mit der Begründung ab, X sei nicht mindestens drei Jahre auf den für die Beratungsbefugnis nach § 4 Nr. 11 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) einschlägigen Gebieten des Einkommensteuerrechts hauptberuflich tätig gewesen.
Mit der nach erfolglosem Beschwerdeverfahren erhobenen Klage trug der Kläger vor, der seit 1971 ununterbrochen für ihn tätige X habe in den Jahren 1988 bis 1990 durchschnittlich 300 Mitglieder beraten. Insgesamt sei X neben seiner Arbeit als Handelsvertreter täglich fünf Stunden für ihn tätig. Unter Zugrundelegung eines Beratungsaufwands von etwa zwei Stunden pro Mitglied ergebe sich eine hauptberufliche Tätigkeit des X.
Das Finanzgericht (FG) verpflichtete die OFD nach Vernehmung des X als Zeugen über Art und Umfang seiner beruflichen Tätigkeiten, den X als Beratungsstellenleiter des Klägers in das bei ihr geführte Verzeichnis der Lohnsteuerhilfevereine einzutragen. Wegen der Begründung der Entscheidung wird auf die Veröffentlichung des FG-Urteils in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 59 Bezug genommen.
Mit der Revision macht die OFD geltend, das FG habe zu Unrecht die Tätigkeit des X für den Kläger als "hauptberufliche" Tätigkeit i. S. des § 23 Abs. 3 Nr. 3 StBerG angesehen. Die hiernach erforderliche hauptberufliche Tätigkeit auf den Gebieten des § 4 Nr. 11 StBerG müsse den Hauptinhalt der Tätigkeit ausmachen, d. h. sie müsse Arbeitszeit und Arbeitskraft überwiegend beanspruchen. "Überwiegend" bedeute "zu mehr als 50 %". Bereits begrifflich könne es daher nicht möglich sein, daß -- wie das FG meine -- X zwei gleichzeitige hauptberufliche Tätigkeiten nebeneinander ausgeübt habe. Die fehlende Hauptberuflichkeit könne nicht dadurch ausgeglichen werden, daß die hier vorliegende Nebentätigkeit auf den Gebieten des Einkommensteuerrechts entsprechend länger ausgeübt worden sei.
Eine hauptberufliche Tätigkeit zu mehr als 50 % der tariflichen Arbeitszeit setze einen Zeitaufwand von ca. 880 Arbeitsstunden voraus. Das entspreche der Betreuung von etwa 600 bzw. 440 Mitgliedern des Lohnsteuerhilfevereins jährlich bei einem durchschnittlichen Zeitaufwand von eineinhalb bzw. zwei Stunden pro Mitglied. Der als Beratungsstellenleiter vorgesehene X habe aber in den Jahren 1988 bis 1990 nur durchschnittlich weniger als 300 Mitglieder jährlich betreut. Im Urteil vom 9. Januar 1979 VII R 22/78 (BFHE 127, 100, BStBl II 1979, 306) habe der Bundesfinanzhof (BFH) die Beratung von jährlich durchschnittlich 300 Vereinsmitgliedern nicht als hauptberufliche Tätigkeit anerkannt.
Der Kläger meint, es sei möglich, zwei Berufe nebeneinander als hauptberufliche Tätigkeiten auszuüben. Das ergebe sich schon daraus, daß beide eine Arbeitszeit von genau 50 % beanspruchen könnten, so daß von Haupt- und Nebenberuf nicht gesprochen werden könne. Die von der OFD vertretene rein numerische bzw. prozentuale Wertung der Arbeitszeit führe zu unvertretbaren Ergebnissen, da sie an die tariflich festgesetzte Arbeitszeit auch für die angenommene 50 %- Grenze anknüpfe. Die tatsächliche individuelle Gesamtarbeitszeit sowie diejenige auf dem nach § 23 Abs. 3 StBerG vorgeschriebenen Gebiet des Einkommensteuerrechts sei aber bei den in Aussicht genommenen Beratungsstellenleitern völlig unterschiedlich, wodurch sich jeweils die zeitlichen Anforderungen hinsichtlich der 50 %-Grenze der maßgeblichen Tätigkeit verschieben würden.
Die Betrachtungsweise der OFD verbiete sich auch im Hinblick auf die nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Berufsfreiheit. Es sei danach unzulässig, die Zulassung als Beratungsstellenleiter an die Negativvoraussetzung zu knüpfen, daß der Anwärter neben der vorgeschriebenen beruflichen Tätigkeit keinen anderen Beruf ausgeübt habe; ebensowenig könne auf die Zeit abgestellt werden, die er für den anderen Beruf aufgewendet habe. Entscheidend sei allein, ob er sich der vorgeschriebenen Arbeit auf dem Gebiet des Einkommensteuerrechts in einem Maße gewidmet habe, das eine ausreichende Qualifikation für den Beruf des Beratungsstellenleiters erwarten lasse. Dementsprechend sei auch das in § 23 Abs. 3 Nr. 3 StBerG enthaltene Merkmal der Hauptberuflichkeit verfassungskonform dahin auszulegen, daß damit eine Tätigkeit gemeint sei, deren Umfang und Intensität zur Vorbereitung auf die Funktion des Beratungsstellenleiters ausreiche. Das sei sowohl hinsichtlich des erforderlichen steuerlichen Wissens als auch der notwendigen beruflichen Routine bei einer jährlichen Betreuung von etwa 300 Vereinsmitgliedern, wie sie von X erbracht worden sei, anzunehmen.
Bei der Gesamtabwägung der vorgeschriebenen beruflichen Qualifikation könne auch berücksichtigt werden, ob die betreffende Person die erforderliche berufliche Mindestzeit lediglich erfüllt oder ob sie diese -- wie X mit einer ununterbrochenen Berufspraxis von mehr als 20 Jahren -- bei weitem übererfüllt habe. Bei dieser Sachlage sei es mit Art. 12 Abs. 1 GG sowie mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit unvereinbar, die Anerkennung des X als Beratungsstellenleiter mit dem Argument zu verweigern, er hätte noch einige zusätzliche Vereinsmitglieder betreuen müssen, um ausreichend qualifiziert zu sein.
Schließlich müsse X auch deshalb als Beratungsstellenleiter anerkannt werden, weil der Schwerpunkt seiner Arbeit für die Klägerin jeweils in der ersten Hälfte des Kalenderjahres gelegen habe und er in dieser Zeit die von der OFD postulierte 50 %-Grenze für die steuerliche Tätigkeit bei weitem überschritten habe. Da er seit 1972 in dieser Weise tätig gewesen sei und Unterbrechungen der vorgeschriebenen berufspraktischen Zeit nicht schädlich seien, könnten jedenfalls sechs Jahreshälften, in denen er den überwiegenden Teil seiner Arbeitskraft der Lohnsteuerhilfe gewidmet habe, zu der erforderlichen Mindestzeit von drei Jahren nach § 23 Abs. 3 Nr. 3 StBerG zusammengefaßt werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat die OFD zu Recht verpflichtet, den X als Leiter einer Beratungsstelle des Klägers in das bei ihr geführte Verzeichnis der Lohnsteuerhilfevereine einzutragen (§ 23 Abs. 6 StBerG). Entgegen der Auffassung der OFD erfüllt X aufgrund seiner langjährigen Mitarbeit beim Kläger die Voraussetzungen für die Bestellung als Beratungsstellenleiter, denn er ist mindestens drei Jahre auf den für die Beratungsbefugnis nach § 4 Nr. 11 StBerG einschlägigen Gebieten des Einkommensteuerrechts hauptberuflich tätig gewesen (§ 23 Abs. 3 NR. 3 StBerG).
1. Das hier allein streitige Tatbestandsmerkmal einer "hauptberuflichen" praktischen Tätigkeit auf einem bestimmten steuerlichen Gebiet für eine bestimmte (Mindest-)Zeitdauer von Jahren ist als Qualifikationsvoraussetzung für gewisse Rechte nach dem StBerG nicht nur in § 23 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 StBerG für die Bestellung als Beratungsstellenleiter, sondern auch in § 36 Abs. 1 und 2 StBerG für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung vorgeschrieben (vgl. auch das im wesentlichen ausgelaufene Recht für Steuerbevollmächtigte in §§ 156 Abs. 2 Nr. 3, 157 Abs. 1 Nr. 1 StBerG). Der Begriff der hauptberuflichen Tätigkeit ist in beiden Vorschriften gleich auszulegen. Aus dem Wortsinn ergibt sich lediglich, daß die vorgeschriebene Tätigkeit nicht nur nebenberuflich ausgeübt worden sein darf (Urteil des Senats vom 27. Juli 1966 VII 48/64, BFHE 86, 460, BStBl III 1966, 569; Völzke, Anerkennung als Lohnsteuerhilfeverein, Der Betrieb -- DB -- 1975, 2389, 2390). Darüber hinaus hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung den Begriff der hauptberuflichen Tätigkeit nicht immer einheitlich ausgelegt.
a) Eine Vollzeitbeschäftigung auf dem Gebiet des (Lohn-)Steuerwesens (so die Gesetzesfassung bis zum Inkrafttreten des Fünften Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes -- 5. StBerÄndG -- vom 13. Dezember 1990, BGBl I, 2756) bzw. auf den jetzt gesetzlich jeweils näher umschriebenen Steuerrechtsgebieten ist nicht erforderlich. Der erkennende Senat hat aber in der Mehrzahl seiner Entscheidungen verlangt, daß die vorgeschriebene Berufstätigkeit den Hauptinhalt der Tätigkeit des Bewerbers ausmacht und seine berufliche Betätigung, d. h. seine Arbeitszeit und Arbeitskraft, überwiegend in Anspruch nimmt (Urteile vom 18. Mai 1965 VII 18/64, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1965, 492; vom 12. November 1974 VII R 112/73, BFHE 114, 310, BStBl II 1975, 313, 315; vom 17. Oktober 1978 VII R 30/78, BFHE 126, 107, BStBl II 1979, 27, 30; in BFHE 86, 460, BStBl III 1966, 569, und in BFHE 127, 100, BStBl II 1979, 306, 307). Auch Zeiten einer Halbtagsbeschäftigung auf dem Gebiet des (Lohn-)Steuerwesens, in denen also die Normalarbeitszeit allenfalls zu 50 %, nicht aber darüber hinaus erfüllt war, hat der Senat als hauptberufliche Tätigkeit i. S. des § 23 Abs. 3 StBerG anerkannt (Urteil vom 19. April 1988 VII R 85/87, BFH/NV 1989, 49, 52). Ob eine noch geringere Teilzeitbeschäftigung (im gegebenen Fall drei Stunden täglich) hierfür ausreicht, ist in dem Beschluß vom 16. März 1993 VII S 4/93 (BFH/NV 1993, 568: Prozeßkostenhilfe für Nichtzulassungsbeschwerde) als zweifelhaft bezeichnet worden.
Im Urteil vom 13. März 1990 VII R 50/89 (BFHE 160, 373, BStBl II 1990, 1093) hat der Senat indes bei einer Arbeitnehmerin, die gleichzeitig als Lohnbuchhalterin und als Finanzbuchhalterin ganztägig beschäftigt war, die Voraussetzungen für die Bestellung als Beratungsstellenleiterin als erfüllt angesehen, obwohl auf die Tätigkeit in der Lohnbuchhaltung, die allein dem Gebiet des Lohnsteuerwesens i. S. von § 23 Abs. 3 StBerG a. F. zugeordnet werden konnte, nur etwa 1/3 der Gesamtarbeitszeit entfiel. Dabei hat der Senat darauf abgestellt, daß die Beschäftigung als Lohnbuchhalterin die Arbeitszeit und Arbeitskraft nicht unwesentlich in Anspruch genommen hatte, in bezug auf die gesamte Berufstätigkeit also nicht von untergeordneter Bedeutung war und somit aufgrund ihrer Nachhaltigkeit und Dauer zu einer einschlägigen praktischen Berufserfahrung, wie sie § 23 Abs. 3 StBerG voraussetzt, geführt hatte. Soweit die Revision die vorstehende Entscheidung für den Streitfall schon deshalb für bedeutungslos hält, weil sie zur Auslegung des Begriffs "Lohnsteuerwesen" ergangen sei, der nunmehr von § 23 Abs. 3 StBerG n. F. nicht mehr verwendet wird, kann dem nicht gefolgt werden, weil das hier streitige Tatbestandsmerkmal der Hauptberuflichkeit der maßgeblichen berufspraktischen Tätigkeit -- nunmehr auf den nach § 4 Nr. 11 StBerG einschlägigen Gebieten des Einkommensteuerrechts -- vor und nach der Gesetzesänderung aufgrund des 5. StBerÄndG Voraussetzung für die Bestellung eines Beratungsstellenleiters war.
b) Aus den vorstehenden Entscheidungen folgt, daß eine rein mathematisch-formale Betrachtungsweise in dem Sinne -- wie sie die OFD vertritt --, daß die in § 23 Abs. 3 StBerG vorgeschriebene mindestens dreijährige Berufstätigkeit die Arbeitszeit und Arbeitskraft des Beratungsstellenleiter- Kandidaten zu mehr als 50 % beansprucht haben muß, weder dem Sinn und Zweck der beruflichen Qualifikationsregelung noch den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles gerecht wird. Die an die tatsächliche Arbeitszeit des jeweiligen Kandidaten anknüpfende 50 %-Grenze führt je nach der Leistungsfähigkeit und Gesamtarbeitsdauer des Betroffenen im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der zeitlichen Mindestanforderungen für die vorgeschriebene Tätigkeit auf dem Gebiet des Einkommensteuerrechts. Berufliche Qualifikationsvoraussetzungen müssen aber im Gesetz eindeutig und für alle Fälle gleich bestimmt sein. Es erscheint auch nicht sachgerecht, bei mehreren Berufstätigkeiten -- wie sie im Streitfalle vorliegen -- in jedem Falle unabdingbar darauf abzustellen, daß die vorgeschriebene steuerrechtliche Tätigkeit einen Zeitanteil von mehr als 50 % der tariflich festgelegten Arbeitszeit umfaßt. Denn die tarifliche Arbeitszeit unterliegt Veränderungen, und sie unterscheidet sich je nach Art der Berufsbranche. Sie ist ferner in den Fällen ohne Bedeutung, in denen die Berufstätigkeit -- wie im Streitfall bei beiden Berufen des X -- nicht als Arbeitnehmer, sondern selbständig ausgeübt wird. Da in diesen Fällen -- wie häufig bei den freien Mitarbeitern eines Lohnsteuerhilfevereins (vgl. Völzke, DB 1975, 2391 zu Nr. 6.04) -- keine festen Arbeitszeiten bestehen, kann -- wie der Streitfall ebenfalls zeigt -- die 50 %-Grenze als Mindestarbeitszeit häufig nicht eindeutig bestimmt und ihre Einhaltung noch weniger nachgewiesen werden.
Ob ein Mitarbeiter eines Lohnsteuerhilfevereins -- wie X -- diese Tätigkeit bisher gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 3 StBerG hauptberuflich ausgeübt hat, kann auch nicht allein nach der Zahl der Vereinsmitglieder beurteilt werden, die er im Durchschnitt der letzten drei Jahre betreut hat. Auch eine derartige Berechnung (von etwa 600 bzw. 440 notwendigen Mitgliedern, wie sie die OFD vorgenommen hat) knüpft wiederum an eine fiktive Normalarbeitszeit sowie an einen durchschnittlichen Zeitaufwand pro Mitglied an, der objektiv nicht feststeht, zwischen den Beteiligten umstritten und von den unterschiedlichen fachlichen Kenntnissen und beruflichen Erfahrungen des jeweiligen Bearbeiters abhängig ist. Die Berechnung der OFD läßt auch außer Betracht, daß die Zeitdauer der für jegliche steuerliche Beratung zwingend notwendigen beruflichen Weiterbildung, die von der Zahl der Vereinsmitglieder unabhängig ist, sowie alle Bürodienstzeiten, die ohne Erbringung konkreter Beratungsleistungen in der Beratungsstelle des Lohnsteuerhilfevereins verbracht worden sind, zu der hauptberuflichen Tätigkeit des Beratungsstellenmitarbeiters zählen. Die Zahl der im Jahresdurchschnitt betreuten Vereinsmitglieder kann deshalb nur einen groben Anhaltspunkt für die Frage der Hauptberuflichkeit der Beratungstätigkeit bieten. Soweit der Senat mit seinem Urteil in BFHE 127, 100, BStBl II 1979, 306 die dortige Beurteilung der Vorinstanz, wonach die Beratung von durchschnittlich 300 Vereinsmitgliedern pro Jahr nicht als hauptberufliche Tätigkeit i. S. des § 23 Abs. 3 StBerG anerkannt werden konnte, im Ergebnis gebilligt hat, können daraus für den Streitfall, in dem auch X etwa in diesem Umfang für den Kläger tätig gewesen ist, keine rechtlichen Schlußfolgerungen gezogen werden. Denn der Senat war bei seiner Entscheidung -- wie er ausgeführt hat -- an die tatsächliche Würdigung des FG, daß im dortigen Fall nur eine Nebentätigkeit vorgelegen habe, gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden. Da im Revisionsverfahren andere Rechtsfragen streitig waren, hat er sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, wie viele Vereinsmitglieder ein hauptberuflicher Mitarbeiter eines Lohnsteuerhilfevereins mindestens zu betreuen hat.
c) Die in § 23 Abs. 3 Nr. 3 StBerG für die Mindestdauer von drei Jahren vorgeschriebene Tätigkeit auf dem Gebiet des Einkommensteuerrechts muß nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift -- wie der Kläger zutreffend ausführt -- deshalb hauptberuflich ausgeübt worden sein, um nach Umfang und Intensität der berufspraktischen Erfahrungen eine ausreichende Qualifikation für die Funktion eines Beratungsstellenleiters zu gewährleisten. Hat die hierfür vorgesehene Person -- wie X -- gleichzeitig mehrere Berufe ausgeübt, von denen nur einer die fachlichen Anforderungen des § 23 Abs. 3 Nr. 3 StBerG erfüllt, so darf die betreffende Tätigkeit im Hinblick auf die gesamte Berufstätigkeit nicht von untergeordneter Bedeutung gewesen sein. Die Tätigkeit auf den nach § 4 Nr. 11 StBerG einschlägigen Gebieten des Einkommensteuerrechts muß vielmehr -- wie der Senat in BFHE 160, 373, BStBl II 1990, 1093 für den ähnlichen Fall einer gleichzeitigen Tätigkeit als Lohnbuchhalter und Finanzbuchhalter entschieden hat -- aufgrund ihrer Nachhaltigkeit und Dauer zu einer einschlägigen praktischen Berufserfahrung, wie sie § 23 Abs. 3 Nr. 3 StBerG voraussetzt, geführt haben. Diese am Sinn und Zweck der Rechtsvorschrift orientierte Betrachtungsweise erlaubt es -- wie sich der vorstehend zitierten Entscheidung ebenfalls entnehmen läßt -- für den Qualifikationsnachweis als Beratungsstellenleiter einer Zeitdauer der Tätigkeit auf dem Gebiet des Einkommensteuerrechts, die über die Mindestzeit von drei Jahren weit hinausgeht, besondere und kompensierende Bedeutung beizumessen, wenn die maßgebende Tätigkeit nicht das Schwergewicht der Gesamtberufstätigkeit des vorgesehenen Beratungsstellenleiters darstellt.
Eine hauptberufliche Tätigkeit i. S. des § 23 Abs. 3 Nr. 3 StBerG hält der Senat bei mehreren nebeneinander ausgeübten Berufen jedenfalls dann für gegeben, wenn die Tätigkeit auf den einschlägigen Gebieten des Einkommensteuerrechts in etwa dem Umfang einer Halbstagsbeschäftigung entspricht. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so bestehen -- entgegen der Meinung der Revision -- auch keine rechtlichen Bedenken hinsichtlich der Auffassung des FG, wonach gleichzeitig zwei Hauptberufe nebeneinander ausgeübt werden können. An der älteren Rechtsprechung, wonach diese Tätigkeit die Arbeitszeit und Arbeitskraft des Betroffenen "überwiegend" in Anspruch nehmen muß, hält der Senat im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift und die vorstehend dargestellten praktischen Schwierigkeiten bei der Festlegung der 50 %-Grenze nicht mehr fest. Eine etwas großzügigere Auslegung des Begriffs "hauptberuflich" erscheint im Hinblick auf den Gesetzeszweck, eine ausreichende Qualifikation des Beratungsstellenleiters zu gewährleisten, auch deshalb vertretbar, weil nunmehr die vorgeschriebene berufspraktische Tätigkeit enger auf den vorgesehenen Beruf zugeschnitten ist als die früher vorgeschriebene Tätigkeit auf dem Gebiet des -- von der Rechtsprechung des Senats weit ausgelegten -- Lohnsteuerwesens. Ob eine Tätigkeit auf den nach § 4 Nr. 11 StBerG einschlägigen Gebieten des Einkommensteuerrechts auch dann als hauptberuflich i. S. des § 23 Abs. 3 Nr. 3 StBerG angesehen werden kann, wenn sie -- wie in dem Urteilsfall in BFHE 160, 373, BStBl II 1990, 1093 -- nur etwa 1/3 der Gesamtarbeitszeit umfaßt, braucht der Senat für den Streitfall nicht zu entscheiden. Denn nach den Feststellungen des FG ist davon auszugehen, daß die steuerberatende Tätigkeit des X im Jahresdurchschnitt etwa die Hälfte seiner Arbeitskraft beansprucht hat.
2. Das FG hat aufgrund der Vernehmung des X als Zeugen festgestellt, daß dieser seit 1972 die Beratungsstelle des Klägers in C und den vorhandenen Mitgliederbestand allein aufgebaut hat.
X hat seine Beratungsfunktion für den Kläger und seine Versicherungsagentur gleichrangig nebeneinander betrieben. Er hat in zeitlicher Hinsicht einen wesentlichen Teil seiner Arbeitskraft, insbesondere jeweils im ersten Halbjahr eines Veranlagungszeitraumes den überwiegenden Teil seiner Arbeitskraft, seiner Beratungstätigkeit für den Kläger gewidmet. Ein Indiz dafür, daß das Betreiben der Versicherungsagentur den überwiegenden Teil seiner Gesamttätigkeit ausgemacht hat, besteht nach den Feststellungen und der tatsächlichen Würdigung des FG nicht. Daraus folgt, daß das FG -- in zeitlicher Hinsicht -- wenigstens von einer gleichwertigen Tätigkeit des X auf den nach § 4 Nr. 11 StBerG einschlägigen Gebieten des Einkommensteuerrechts ausgegangen ist. Der Senat ist nach § 118 Abs. 2 FGO an die tatsächliche Würdigung des FG, das hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Zeugen X keinen Zweifel hegte, gebunden, da Verfahrensrügen hiergegen nicht erhoben worden sind. Er folgt deshalb auch der rechtlichen Beurteilung des FG, daß X seine Beratungstätigkeit für den Kläger nicht als Nebenberuf, sondern als hauptberufliche Tätigkeit i. S. des § 23 Abs. 3 Nr. 3 StBerG ausgeübt hat.
Die Bestellung des X zum Beratungsstellenleiter wäre -- wie der Kläger zu Recht ausführt -- auch nach der älteren, strengeren Rechtsprechung des Senats jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn auf die tatsächlichen Umstände der Berufsausübung in der jeweils ersten Hälfte des Kalenderjahres abgestellt wird. Nach den Feststellungen des FG übt X seit nunmehr etwa 20 Jahren seine beiden Tätigkeiten in der Weise aus, daß er jeweils im ersten Halbjahr eines Veranlagungszeitraumes den überwiegenden Teil seiner Arbeitskraft der Lohnsteuerberatung widmet. Da die in § 23 Abs. 3 Nr. 3 StBerG vorgeschriebene Mindestzeit der hauptberuflichen Tätigkeit auf dem Gebiet des Einkommensteuerrechts nicht ohne Unterbrechung abgeleistet werden muß, können hier sechs erste Jahreshälften, für die die überwiegende Tätigkeit auf dem Gebiet der Lohnsteuerberatung feststeht, zu der erforderlichen Mindestzeit von drei Jahren zusammengefaßt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 419972 |
BFH/NV 1995, 165 |