Leitsatz (amtlich)
Die Darbietungen eines Tanz- und Unterhaltungsorchesters stellen eine "künstlerische Tätigkelt" i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar, wenn sie einen bestimmten Qualitätsstandard erreichen. Dabei kommt es in erster Linie auf die bel den Darbietungen sich erweisenden Fähigkeiten der Orchestermitglieder als Musikinterpreten an.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Nr. 1; GewStG § 2 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Musikgruppe in der Rechtsform einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR). An ihr waren im Streitjahr 1973 sieben Personen beteiligt.
Die von der Klägerin gespielte Tanz- und Unterhaltungsmusik wurde ausschließlich in eigenen Arrangements dargeboten; vielfach wiesen die Darbietungen auch Improvisationsphasen auf.
Zum Programm der Klägerin gehörten gängige Tanz- und Unterhaltungsmelodien sowie eigene Kompositionen der Orchestermitglieder. Bei größeren Veranstaltungen wurde im Streitjahr außerdem eine etwa 40 Minuten dauernde selbstentwickelte Bühnen-Show mit Tanzelementen und musikalischen Sketchen gebracht.
Die Klägerin spielte im Streitjahr bei Tanzturnieren (u. a. beim Turnier um die deutsche Meisterschaft und bei einem internationalen Tanzturnier) sowie bei Bällen von Tanzschulen und Vereinen. Sie wirkte ferner im Rahmen der ...-Konzerte in X mit. Gelegentlich begleitete sie namhafte Solisten.
Die Mitglieder der Klägerin übten ihre musikalische Tätigkeit nebenberuflich aus.
Im Rahmen der einheitlichen Gewinnfeststellung für 1973 sah der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die Tätigkeit der Klägerin als gewerblich an und stellte demgemäß einen Gewinn der Klägerin aus Gewerbebetrieb fest; gleichzeitig zog er die Klägerin zur Gewerbesteuer heran.
Der Einspruch der Klägerin, die ihre Darbietungen als künstlerisch und damit als freiberuflich i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gewertet sehen wollte, hatte keinen Erfolg.
Im Klageverfahren erhob das Finanzgericht (FG) Beweis zu der Frage, ob die Klägerin mit ihrer Tätigkeit "künstlerische Leistungen" erbrachte. Dazu äußerten sich der Musikredakteur ... durch Gutachten vom 20. Februar 1978 sowie Professor ... durch Gutachten vom 20. November 1978.
Das FG hob den Gewerbesteuerbescheid auf und änderte den Bescheid über die Gewinnfeststellung ab, indem es den von der Klägerin erzielten Gewinn den Einkünften aus selbständiger Arbeit zurechnete. Zur Begründung führte das FG aus, die Tätigkeit der Klägerin sei "künstlerisch" i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG; die Einkünfte der Klägerin seien daher freiberuflicher und nicht gewerblicher Art gewesen. Für die Annahme einer künstlerischen Tätigkeit sei entscheidend, daß sie etwas Eigenschöpferisches enthalte und eine künstlerische Gestaltungshöhe aufweise (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 14. Dezember 1976 VIII R 76/75, BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474). Bei der Beurteilung, ob eine musikalische Tätigkeit als "künstlerisch" zu bewerten sei, könne auf urheberrechtliche Grundsätze zurückgegriffen werden. Für die Subsumtion eines Werks unter den Begriff "Kunst" komme es darauf an, ob es sich um eine persönliche geistige Schöpfung (§ 2 Abs. 2 des Urheberrechtsgesetzes -- UrhG --) handle. Die für den Begriff Kunst vom BFH geforderte "künstlerische Gestaltungshöhe" werde auch im Urheberrecht als Maßstab herangezogen. -- Bei den musikalischen Werken, die die Klägerin dargeboten habe, habe es sich -- wie dem Gutachten des Professors ... zu entnehmen sei -- um künstlerische Schöpfungen gehandelt. Die Darbietung dieser Musik durch die Klägerin habe nach den Feststellungen dieses Gutachtens einen eigenschöpferischen Gehalt und eine eigenständige Aussage gehabt. Auch hätten die Orchestermitglieder der Klägerin die für die Erbringung künstlerischer Leistungen erforderlichen Fähigkeiten besessen.
Gegen das Urteil des FG legte das FA das -- wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene -- Rechtsmittel der Revision ein. Das FA rügt die Verletzung materiellen Rechts (§ 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes -- GewStG -- i. V. m. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Das FG habe zu Unrecht die Grenzlinie zwischen künstlerisch-freiberuflicher und handwerksmäßig-gewerblicher Musikausübung nach den Normen des Urheberrechts gezogen. Die Kunstbegriffe des Urheberrechts und des Steuerrechts seien nicht miteinander zu vergleichen. Unter den Schutzbereich des Urheberrechts falle auch die sog. "Musik der kleinen Münze". Da der Gesetzgeber den Urheberschutz im musischen Bereich so umfassend wie möglich habe gestalten wollen, werde man stets von der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit einer Tonschöpfung, der Bearbeitung oder Interpretation eines Werkes ausgehen können. Der so definierte Kunstbegriff könne aber für die steuerrechtliche Beurteilung nicht anerkannt werden. Folge man der Auslegung des FG und des Gutachters Professor ..., so bliebe nur ein schwer vorstellbarer Raum für Unterhaltungskapellen gewerblichen Charakters. Für den steuerrechtlichen Begriff der künstlerischen Tätigkeit müsse vorausgesetzt werden, daß der Schaffende oder Interpret eine eigenschöpferische Leistung vollbringe, durch die seine "individuelle Anschauungs- und Gestaltungskraft" zum Ausdruck komme; außerdem sei eine hinreichende Beherrschung der Technik der betreffenden Kunstart und eine "künstlerische Leistungshöhe" erforderlich. Gehe man von diesen Maßstäben aus, so könnten die Darbietungen der Klägerin nicht als künstlerisch eingestuft werden. Es liege im Wesen der von ihr gespielten Tanz- und Unterhaltungsmusik, daß sie eine gewisse Standardisierung und Schablonenhaftigkeit aufweise. Anders als bei der konzertanten Musik, bei deren Wiedergabe die individuelle Ausdrucksfähigkeit des Orchesters oder des einzelnen Interpreten vom Zuhörer erwartet und empfunden werde, stünden bei der Tanz- und Unterhaltungsmusik die bekannte Melodie und der geläufige Rhythmus im Vordergrund. Hier müsse die individuelle Gestaltungskraft der Interpreten notwendigerweise hinter den gegebenen Mustern zurückbleiben.
Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat die Tätigkeit der Klägerin im Ergebnis zu Recht als freiberuflich i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gewertet.
1. Zu den freiberuflichen Tätigkeiten i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehört auch die selbständig ausgeübte "künstlerische" Tätigkeit. Darunter wird nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. zuletzt Beschluß vom 14. August 1980 IV R 9/77, BFHE 131, 365, BStBl II 1981, 21) eine eigenschöpferische Tätigkeit mit einer gewissen Gestaltungshöhe verstanden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sieht das Wesentliche der künstlerischen Betätigung in der freien schöpferischen Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden (Beschluß vom 24. Februar 1971 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 188 f.).
Diese Umschreibungen enthalten indessen keinen allgemein verbindlichen Kunstbegriff. Was Kunst ist, läßt sich begrifflich kaum erfassen. Denn hierfür gelten in den jeweiligen Gesellschaften und Epochen unterschiedliche -- von den jeweiligen historischen Bedingungen abhängige -- Maßstäbe. Nur mit Hilfe dieser Maßstäbe kann bestimmt werden, was Kunst ist und welchen Wert und welche Bedeutung ein Kunstwerk hat.
Auch die Einordnung musikalischen Schaffens unter den Begriff Kunst erfolgt nach diesen Maßstäben.
2. Bei der Beurteilung, ob musikalische Darbietungen künstlerischen Charakter haben, lassen sich nicht mehr gewisse Arten von Musik von vornherein ausschließen. Der Senat folgt insoweit der Feststellung des Sachverständigen Professor ... in seinem Gutachten vom 20. November 1978, "daß jede musikalische Tätigkeit, die einen bestimmten Qualitätsstandard nicht unterschreitet, das Prädikat 'künstlerisch' impliziert".
Das gilt vor allem auch für die Tanz- und Unterhaltungsmusik. Ebenso wie die musikalische Betätigung im Bereich der Jazz-, Pop- und Rockmusik kann auch die Darbietung von Tanz- und Unterhaltungsmusik eine "künstlerische Tätigkeit" i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG sein. In seinem Urteil vom 3. November 1955 IV 277/54 U (BFHE 62, 302, BStBl III 1956, 112) hat es der BFH zwar noch dahinstehen lassen, ob die Darbietung "bloßer Unterhaltungs- und Tanzmusik" eine künstlerische Betätigung darstellt; nach der genannten Entscheidung sollte lediglich die Leistung eines einzelnen Musikers im Rahmen einer Tanzkapelle für den Fall als künstlerisch angesehen werden, daß die Darbietungen im Rundfunk oder für die Herstellung von Schallplatten erbracht werden. Angesichts der Entwicklung der Verhältnisse läßt sich die vom BFH damals vertretene Auffassung jedoch nicht mehr aufrechterhalten.
3. Die Kriterien, nach denen im Einzelfall zu werten ist, ob der für eine "künstlerische Tätigkeit" vorauszusetzende Qualitätsstandard erreicht ist, lassen sich allerdings nicht -- wie das FG annimmt -- nach den Grundsätzen des Urheberrechts ermitteln. Zwar kennt auch das Urheberrecht den Begriff der "geistigen Schöpfung" (§ 2 Abs. 2 UrhG); für die urheberrechtliche Schutzwürdigkeit solcher geistigen Schöpfungen werden jedoch keine hohen Anforderungen gestellt. So werden z. B. auch Adreßbücher, Kataloge, Formulare, Gebrauchsanweisungen und Preislisten als Werke geschützt (vgl. Hubmann, Urheber- und Verlagsrecht, 4. Aufl., S. 35). Diese sog. "kleine Münze" des Urheberrechts, die Entsprechungen auch auf musikalischem Gebiet hat, kann für die Grenzziehung zwischen künstlerischer Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG und nichtkünstlerischer Betätigung nicht maßgebend sein.
Die Grenze ist deshalb nach anderen Grundsätzen zu ermitteln. Der Senat folgt insoweit den -- auch vom FG in Bezug genommenen -- Ausführungen im Gutachten des Professors ..., nach denen sich die Beurteilung u. a. nach den zutage getretenen Fähigkeiten der Musikschaffenden richtet.
Die Maßstäbe für die Bewertung sind dabei unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um die Tätigkeit eines Komponisten, Arrangeurs bzw. Bearbeiters einerseits oder um die Tätigkeit eines Solisten, Konzertmeisters oder Ensemblemusikers andererseits handelt. In allen Bereichen spielt der Anteil der erlernten Fähigkeiten eine große Rolle; sie sind aber beson ders hoch einzuschätzen bei einer Tätigkeit, die unmittelbar mit dem Instrumentalspiel, insbesondere in einem Ensemble, zusammenhängt. Hier sind die hochentwickelte manuelle Geschicklichkeit, die Tongebung, die rhythmische Genauigkeit, die Sauberkeit der Intonation sowie die Wendigkeit in der Umsetzung des musikalischen Textes die wesentlichen Kennzeichen für künstlerische Fähigkeiten.
Geht es um die Beurteilung der Leistung eines Ensemble im ganzen, so kommt es außer auf die genannten musikalisch-instrumentalen Fähigkeiten der einzelnen Musiker weiter darauf an, wie der Vortrag und das Niveau der Darbietungen insgesamt zu bewerten sind; dabei spielen die Präzision im Zusammenspiel, die spezifische Artikulation sowie die Phantasie und Prägnanz bei der Darbietung improvisierter Teile eine Rolle. Einen erheblichen Einfluß auf diese Bewertung hat es auch, ob und wie die Musik in eigenen Arrangements dargeboten wird.
Da ein musikalischer Laie zu diesen Bewertungen kaum imstande sein wird, kann die Frage, ob im Einzelfall eine künstlerische Tätigkeit vorliegt, häufig nur aufgrund eines Gutachtens getroffen werden (BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474).
4. Der Senat teilt -- im Ergebnis -- die Auffassung des FG, nach der die Tätigkeit der Klägerin als "künstlerisch" i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu werten war.
In dem der Entscheidung des FG zugrunde gelegten Gutachten des Professors ... heißt es u. a.,
"daß es sich beim Anlegen eines angezeigten Maßstabes bei den Darbietungen des Ensembles ... eindeutig um 'künstlerische' und nicht um 'gewerbliche' Leistungen handelt. Diese Feststellung bezieht sich ebenso auf die überwiegend verwendeten, für das Ensemble angefertigten Arrangements, auf die Art ihres Vortrages und die musikalische Darstellung, aber auch die Gestaltung des Programms der einzelnen Veranstaltungen. Es liegt in der Natur der Sache, daß im wesentlichen auf Repertoire-Nummern zurückgegriffen wird, die vom Publikum gefragt und verlangt werden und daß die 'Machart' und Ausgestaltung der dargebotenen Musik sich an bestimmter und konkreter Geschmackserwartung orientiert. Diesem Grundsatz folgt aber auch im Prinzip ein gewichtiger Teil der Produktion der Unterhaltungs- und Tanzmusik im Rundfunk und in der Schallplattenindustrie. Wollte man daraus 'mangelnde Kreativität' oder 'Originalität' ableiten und deswegen die künstlerische Leistung in Frage stellen, so müßte einem beträchtlichen Teil der durch Rundfunk und Schallplatte verbreiteten Musikproduktion ohne Zweifel das Prädikat des Künstlerischen abgesprochen werden".
Die vom FA gegen dieses Gutachten erhobenen Einwände sind unbegründet. Insbesondere können die vom Gutachter für die Beurteilung der künstlerischen Tätigkeit zugrunde gelegten Maßstäbe nicht beanstandet werden. Es ist sicher richtig, daß auf der Grundlage der vom Gutachter verwendeten Maßstäbe das Auftreten von Musikgruppen in größerem Umfang als nach den bisher als maßgebend angesehenen Beurteilungskriterien (vgl. Einkommensteuer-Richtlinien 1981, Abschn. 135 Abs. 5) als künstlerisch zu betrachten ist. Der Senat betont jedoch, daß auch nach den nunmehr anzulegenden Maßstäben auf eine gewisse Leistungshöhe nicht verzichtet werden kann. Die Auffassung des FA, es bliebe "nur ein schwer vorstellbarer Raum für Unterhaltungskapellen gewerblichen Charakters", ist deshalb unzutreffend.
Fundstellen
Haufe-Index 74451 |
BStBl II 1983, 7 |
BFHE 1983, 474 |