Leitsatz (amtlich)
Wird die Klageschrift zunächst auf Matrize geschrieben, dort vom Prozeßbevollmächtigten unterschrieben und dann ein Matrizenabzug dem Gericht eingereicht, so fehlt dieser Klage nicht das Merkmal der Schriftlichkeit i. S. von § 64 Abs. 1 FGO.
Normenkette
FGO § 64 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Den Hintergrund des Rechtsstreits bildet die materielle Streitfrage, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Grundstücksgemeinschaft, in den Streitjahren 1952 bis 1964 einen gewerblichen Grundstückshandel betrieben hat. Hiervon war der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) beim Erlaß der streitigen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheide ausgegangen. Im Vordergrund des Rechtsstreits steht jedoch zunächst die formelle Frage, ob die Klägerin gegen diese Bescheide wirksam Sprungklage erhoben hat. Diesbezügliche Zweifel waren deshalb entstanden, weil bis zum Ablauf der Klagefrist beim FG lediglich eine als Matrizenabzug gefertigte Klageschrift einging, die (infolgedessen) nur mit dem Matrizenabdruck der eigenhändigen Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten versehen war.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Es vertrat die Auffassung, daß die Klageschrift als bestimmender Schriftsatz grundsätzlich handschriftlich unterschrieben sein müsse. Nur dann gehe in der Regel aus dem Schriftsatz mit ausreichender Deutlichkeit hervor, daß der Urheber eine rechtserhebliche Erklärung habe abgeben wollen. Dem Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift genüge die bei Gericht eingegangene Klageschrift nicht. Das gelte für eine als Matrizenabzug hergestellte Unterschrift ebenso wie dies für eine faksimilierte Unterschrift vom BFH bereits entschieden sei (Hinweis auf das Urteil vom 29. August 1969 III R 86/68, BFHE 97, 226, BStBl II 1970, 89). Auch sonstige Gründe, die ausnahmsweise dazu berechtigen würden, die Klage trotz Fehlens einer eigenhändigen Unterschrift als wirksam erhoben anzusehen (z. B. eigenhändig unterschriebenes Begleitschreiben), seien nicht gegeben. Daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit einem handschriftlich unterzeichneten Anschreiben an den Vorsteher des FA eine Durchschrift der "heute eingereichten" Sprungklage überreicht habe, könne den Mangel der Unterschrift auf der Klage nicht heilen, da dieses Anschreiben nicht innerhalb der Klagefrist dem Gericht vorgelegen habe und auch ein Fall der Anbringung der Klage bei der Behörde (§ 47 Abs. 2 FGO) eindeutig nicht gegeben gewesen sei.- Auch die hilfsweise von der Klägerin begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) könne nicht gewährt werden. Das Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten, er habe den für das Gericht bestimmten Matrizenabzug noch zusätzlich mit seiner Originalunterschrift versehen, dieser sei jedoch durch ein Versehen der mit der Postaufgabe beauftragten Büroangestellten wegen der Vielzahl der zu versendenden Ausfertigungen (26 Beteiligte) nicht an das Gericht gelangt, rechtfertige eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht, denn der Bevollmächtigte habe nicht, was zur Begründung seines Antrags erforderlich gewesen wäre, vorgetragen, daß und welche Vorkehrungen er getroffen habe, um sicherzustellen, daß der noch zusätzlich unterschriebene Matrizenabzug an das Gericht abgesandt werde.
Hiergegen legte die Klägerin Revision ein, mit der sie geltend macht, die Vorentscheidung stehe im Widerspruch zur Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 5. November 1973 GrS 2/72 (BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242). Die Klage sei somit wirksam erhoben worden. Dagegen seien die angefochtenen Feststellungsbescheide unwirksam, weil in ihnen nicht die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft bezeichnet worden seien. Trotz dieser zunächst streitigen formellen Fragen werde aber im übrigen gebeten, auch über die materielle Frage dahin zu entscheiden, daß die Klägerin keinen gewerblichen Grundstückshandel betrieben habe.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die angefochtenen Feststellungsbescheide vom 25. September 1970 aufzuheben.
Das FA beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO.
Der Senat vermag der Vorinstanz nicht darin zu folgen, daß im Streitfalle die Klage aus den vom FG genannten Gründen nicht wirksam erhoben worden sei. Die Vorinstanz geht allerdings zutreffend davon aus, daß ein bestimmender Schriftsatz, als welcher sich die nach § 64 Abs. 1 FGO schriftlich einzureichende Klage darstellt, grundsätzlich handschriftlich unterschrieben sein muß. Das hat auch der Große Senat des BFH im Beschluß GrS 2/72 noch einmal ausdrücklich betont. Der Große Senat hat jedoch dann ausgeführt, wenn zweifelhaft sei, ob dem Erfordernis der handschriftlichen Unterschrift genügt sei, so könne nicht unbeachtet bleiben, welchen Sinn dieses Erfordernis habe. Die Unterschrift solle mit dazu dienen, daß die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sichergestellt werde. Verfahrensvorschriften seien nicht Selbstzweck, sondern dienten letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozeßbeteiligten. Diese Vorschriften seien daher in Zweifelsfällen - wenn irgend vertretbar - so auszulegen, daß eine Entscheidung über die materielle Rechtslage ermöglicht und nicht verhindert werde.
Bei Anwendung dieser Grundsätze, mit denen der Große Senat des BFH sich im übrigen weitgehend in Übereinstimmung mit der in seinem Beschluß zitierten Rechtsprechung des BVerwG und des BVerfG befindet, ergibt sich für den Streitfall folgendes. Mit dem Erfordernis der handschriftlichen Unterzeichnung soll zweierlei erreicht werden. Einmal soll sich mit hinreichender Zuverlässigkeit der Urheber des Schriftsatzes ergeben, zum anderen soll die Feststellung gewährleistet sein, daß der bestimmende Schriftsatz mit Wissen und Willen seines Verfassers bei Gericht eingegangen ist, es sich also z. B. nicht etwa nur um einen Entwurf handelt (vgl. die Entscheidung des BVerfG vom 19. Februar 1963 1 BvR 610/62, BVerfGE 15, 288, und die übrige im BFH-Urteil III R 86/68 angeführte Rechtsprechung; vgl. ferner das Urteil des BVerwG vom 7. November 1973 VI C 124/73, JR 1974, 169, HFR 1974, 174).
Diese Voraussetzungen sind bei der von einer Matrize abgezogenen Klageschrift gegeben. Bei einer solchen Klageschrift ist zu berücksichtigen, daß das in ihr schriftlich Erklärte auch tatsächlich durch die Unterschrift des Erklärenden gedeckt ist, der seinen Namenszug eigenhändig (wenn auch auf der Matrize) gerade unter diesen Text gesetzt hat. Hierdurch unterscheidet sich die hier zu beurteilende Klageschrift wesentlich und in entscheidenden Punkten von der lediglich mit Maschinenschrift "unterschriebenen" (vgl. Urteil des BFH vom 18. Mai 1972 V R 1/71, BFHE 106, 4) oder mit Faksimileunterschrift versehen (vgl. das BFH-Urteil III R 86/68) Klageschrift. Denn in diesen Fällen sind Rückschlüsse auf den Urheber und dessen Willen, rechtswirksame Erklärungen abzugeben, mit ungleich größeren Unsicherheiten verbunden, da jeder Dritte den Namen mit Maschinenschrift oder den Faksimilestempel unter den Schriftsatz gesetzt haben kann. Bei der Klageschrift in Form eines Matrizenabzugs muß dagegen, von ganz ungewöhnlichen Fällen abgesehen, die auch bei eigenhändig unterschriebenen Originalschriftsätzen denkbar sind, davon ausgegangen werden, daß der Erklärende mit der Unterzeichnung der Matrize die Erklärung deckt und gleichzeitig seinen Willen bekundet, daß die Erklärung in dieser Form in den Rechtsverkehr gelangen soll. Daß sich dann im Vergleich zu einem normalen Schriftsatz nun zwischen die Unterzeichnung und die Absendung noch der mechanische Vorgang der Vervielfältigung schiebt, kann nach Auffassung des Senats nicht bewirken, daß nunmehr die Authentizität des Schriftsatzes in relevanter Weise fragwürdiger erscheinen muß (so auch das BVerwG im Urteil vom 25. November 1970 IV C 119/68, NJW 1971, 1054). Die diesbezüglichen Bedenken von Gräber (Steuer und Wirtschaft 1973 S. 324 [326]) - StuW 1973, 324 [326] - betreffen nur den in Fotokopie eingereichten Schriftsatz, bei dem allerdings nicht ohne weiteres ersichtlich ist, ob das fotokopierte Original mit einer eigenhändigen oder einer faksimilierten Unterschrift versehen war. Im übrigen hat aber auch hier das BVerwG eine wirksame Klageschrift für gegeben angesehen, wenn ohne Rückfrage oder Beweiserhebung gesichert ist, daß der Schriftsatz von der als Verfasser bezeichneten Person herrührt und mit deren Willen bei Gericht eingereicht wurde (Urteil VI C 124/73).
Der Senat befindet sich mit der hier vertretenen Auffassung auf der Linie des Großen Senats des BFH im Beschluß GrS 2/72 und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerwG. Der BGH hat allerdings in Zivilsachen offenbar eine andere Auffassung vertreten (vgl. Urteil vom 29. Mai 1962 I ZR 137/61, NJW 1962, 1505). Der Senat sieht jedoch keine Veranlassung, gemäß § 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968, BGBl I, 661, den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen, da hier keine zur Anrufung zwingende Divergenz gegeben ist. Der BFH hat schon in der Entscheidung III R 86/68 betont, daß die Anforderungen, die hinsichtlich der Formstrenge an einen ein gerichtliches Verfahren in Gang setzenden Schriftsatz zu stellen sind, nicht für alle Gerichtszweige einheitlich beurteilt werden können. Auch der Große Senat des BFH hat in der Entscheidung GrS 2/72 diese unterschiedliche Beurteilung durch die verschiedenen obersten Gerichtshöfe anerkannt, ohne hieraus Konsequenzen i. S. einer Anrufung des Gemeinsamen Senats zu ziehen. Wie der III. Senat sieht auch der Große Senat des BFH einen in diesem Zusammenhang wesentlichen Unterschied zwischen dem Zivilprozeß und dem finanzgerichtlichen Verfahren darin, daß es im letztgenannten weder einen Vertretungs- noch gar einen Anwaltszwang gibt. Hiermit zusammenhängend erscheint es im übrigen bedeutsam, daß in Strafsachen die herrschende Meinung und auch der BGH selbst nicht die strengen Anforderungen an die Schriftlichkeit stellen, wie dies im Zivilprozeß geschieht (vgl. Kleinknecht, Strafprozeßordnung, 31. Aufl., Einleitung 5 C), und daß auch das BVerfG (a. a. O.) für die Schriftlichkeit der ein Verfahren beim BVerfG einleitenden Anträge (§ 23 Abs. 1 BVerfGG) die im Zivilprozeß geübte Formstrenge nicht fordert. Der BGH hat allerdings in der Entscheidung I ZR 137/61 auch ausgeführt, daß diese Formstrenge nicht auf Anwaltsprozesse zu beschränken sei. Er hat sie dann aber mit den - seiner Meinung nach z. B. nicht mit dem Strafprozeß vergleichbaren - Besonderheiten des von ihm zu beurteilenden Patentnichtigkeitsverfahrens begründet. Wenn er darüber hinaus seine Auffassung noch auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung stützt, so spricht das nur scheinbar für eine Divergenzlage im Streitfall; denn das BVerwG hat inzwischen in ständiger Rechtsprechung Ausnahmen von den strengen Grundsätzen, wie sie seit der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen des RG vom 15. Mai 1936 GSZ 2/36 - V 62/35 (RGZ 151, 82) für den Zivilprozeß gelten sollen, zugelassen. Insoweit sei nochmals auf das Urteil des BVerwG IV C 119/68 verwiesen, das auch das BGH-Urteil I ZR 137/61 ausdrücklich erwähnt, ohne jedoch eine Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu erwägen.
Da der Senat somit im Gegensatz zum FG zu dem Ergebnis gelangt, daß im Streitfall die Wirksamkeit der Klageerhebung nicht an einem Mangel der Schriftlichkeit i. S. von § 64 Abs. 1 Satz 1 FGO scheitert, muß die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zurückverwiesen werden, damit dieses nun, wenn die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, über die Frage der Wirksamkeit der angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide und ggf. über deren materielle Richtigkeit entscheiden kann. Der BFH ist zu einer solchen Entscheidung nicht in der Lage, da es infolge des Prozeßurteils der Vorinstanz an jeglicher Tatsachenfeststellung durch die Tatsacheninstanz fehlt und der BFH selbst grundsätzlich keine tatsächlichen Feststellungen zu treffen berechtigt ist. Das verkennt die Klägerin mit ihrem Antrag auf materielle Entscheidung des Rechtsstreits durch den BFH.
Fundstellen
Haufe-Index 71225 |
BStBl II 1975, 199 |
BFHE 1975, 416 |