Leitsatz (amtlich)
Als wissenschaftliche Tätigkeit i. S. des § 34 Abs. 4 EStG 1967 kann nur eine nebenberufliche Lehrtätigkeit in der Oberstufe an höheren Schulen oder ihnen gleichzusetzenden Lehranstalten, nicht aber an den zur mittleren Reife führenden Bundeswehrfachschulen beurteilt werden.
Normenkette
EStG 1967 § 34 Abs. 4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), Oberstudienrat an einem Gymnasium, unterrichtet in den Fächern Geschichte, Deutsch, Erdkunde und Sozialkunde in allen Stufen. Daneben erteilte er im Streitjahr 1969 in freier Berufstätigkeit - weniger als 6 Wochenstunden - Unterricht an einer Bundeswehrfachschule in den Fächern Geschichte (20. Jahrhundert) und Sozialkunde und zwar im Rahmen eines zwei-semestrigen Lehrgangs (sogenannte Kurse M I und M II), nach dessen Abschluß die Kursteilnehmer durch Ablegen einer vom Kultusministerium einheitlich für alle Bundeswehrfachschulen des Landes geleiteten Prüfung die mittlere Reife erlangen können. Für die Nebeneinkünfte aus dieser Tätigkeit in Höhe von 2 232 DM begehrt der Kläger die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hatte die Vergünstigung für 1967 und 1968 gewährt, versagte sie aber für das Streitjahr 1969, auch in der Einspruchsentscheidung, mit der Begründung, daß Lehrgänge, die nur zur mittleren Reife führten, im allgemeinen keine wissenschaftliche Lehrtätigkeit erforderten, gleichgültig, ob der Unterricht an einer höheren Schule, an einer Realschule oder an einer sonstigen Lehranstalt erteilt werde, und daß eine wissenschaftliche Lehrtätigkeit nicht angenommen werden könne, soweit der Lehrgang auf die Erweiterung des Allgemeinwissens ausgerichtet sei und der Unterrichtsstoff dem der Unter- und Mittelstufe der allgemeinbildenden Schulen entspreche.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bejahte das Vorliegen einer wissenschaftlichen Tätigkeit. Im weiteren Sinne sei auch derjenige wissenschaftlich tätig, der, ohne den Kreis der wissenschaftlichen Erkenntnis zu erweitern, das aus der Forschung hervorgegangene Wissen auf konkrete Vorgänge und Verhältnisse anwende. Der Auffassung der Finanzverwaltung, daß eine nebenberuflich ausgeübte Lehrtätigkeit an höheren Schulen nur dann als wissenschaftlich gewertet werden könne, wenn der Unterricht in der Oberstufe erteilt werde, sei nicht zuzustimmen, denn es könne keine Rede davon sein, daß die Unterrichtserteilung an der Mittelstufe hinsichtlich Stoff und Form der Darbietung für eine akademisch vorgebildete Lehrkraft weniger an Methodik und Didaktik (Unterrichtslehre) erfordere als in der Oberstufe. Der Direktor der Bundeswehrfachschule habe hinsichtlich Methodik und Didaktik der Aufbereitung des Unterrichtsstoffes das wissenschaftliche Gepräge des Unterrichts bescheinigt. Auch aufgrund eigener Überzeugung bestehe kein Anlaß, an der Richtigkeit der Auskunft zu zweifeln. Hinzu komme, daß der Kläger wegen der zwei-semestrigen Darstellung des Mittelstufenstoffes in gedrängter Form vor einem Forum, das sich im Erwachsenenalter befinde, gehalten sei, diesem Stoff ein höheres Niveau zu geben, als im Unterricht vor 15jährigen Schülern eines Gymnasiums. Ebenso wie im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. April 1959 VI 29/59 S (BFHE 68, 504, BStBl III 1959, 193) der Unterricht eines Dozenten an einer technischen Abendschule für Facharbeiter mit abgeschlossener Berufsausbildung sei auch die Wissenschaftlichkeit der Unterrichtstätigkeit des Klägers zu bejahen.
Zur Begründung der wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision des FA, mit der beantragt wird, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, wird unter anderem vorgetragen: Die finanzamtliche Praxis komme ohne Festlegung konkreter Abgrenzungsmerkmale nicht aus. Für die Beurteilung nebenberuflicher Lehrtätigkeit an Bundeswehrfachschulen habe die Finanzverwaltung objektive Merkmale herausgestellt. Danach könne für die Unterrichtstätigkeit in Lehrgängen, die nur zur Fachschule (mittlerer Reife) führten, die Steuervergünstigung ausnahmslos nicht gewährt werden. Das entspreche der ländereinheitlichen Verwaltungsauffassung, wonach die nebenberufliche Lehrtätigkeit an höheren Schulen nur in der Oberstufe als wissenschaftlich gewertet werden könne. Die Auffassung des FG, der Unterricht in der Mittelstufe erfordere für eine akademisch vorgebildete Lehrkraft nicht weniger an Methodik und Didaktik als in der Oberstufe, führe dazu, in Fächern, die ihrer Natur nach akademisch sein könnten, jeden Unterricht, auch den an Volksschulen, als wissenschaftlich zu bewerten.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage.
Das FG ist mit Recht davon ausgegangen, daß an den Begriff der wissenschaftlichen Tätigkeit, die nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigt wird, im Fall der unterrichtenden Tätigkeit erhöhte Anforderungen zu stellen sind. Es kann nicht jede unterrichtende Tätigkeit als wissenschaftliche Tätigkeit beurteilt werden. Denn während in § 18 Abs. 1 Satz 1 EStG die selbständig ausgeübte unterrichtende Tätigkeit - ebenso wie die erzieherische Tätigkeit - gleichrangig neben der wissenschaftlichen, künstlerischen und schriftstellerischen Tätigkeit aufgeführt ist, sollen nach § 34 Abs. 4 EStG als tarifbegünstigte Nebentätigkeiten nur die wissenschaftliche, die künstlerische und die schriftstellerische Tätigkeit in Betracht kommen. An diese Entscheidung des Gesetzgebers fühlt sich der erkennende Senat gebunden. Auch wenn es aus mancherlei Gründen sinnvoll erscheinen mag, die Nebeneinkünfte aus - freiberuflicher - unterrichtender oder erzieherischer Tätigkeit in gleicher Weise zu begünstigen wie Nebeneinkünfte aus den in § 34 Abs. 4 EStG aufgezählten Tätigkeiten, läßt sich doch in der unterschiedlichen Behandlung ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht erblicken.
Als Kennzeichen für eine unterrichtende Tätigkeit, die den erhöhten Anforderungen einer wissenschaftlichen Tätigkeit gerecht wird, hat das FG auch zutreffend aufgeführt, daß sowohl der dargebotene Stoff als auch die Form der Darbietung wissenschaftliches Gepräge haben müssen, daß eine schwierige Aufgabe nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten gelöst und in einen Verständniszusammenhang gebracht werden muß und daß auch derjenige wissenschaftlich tätig ist, der das aus der Forschung hervorgegangene Wissen auf konkrete Vorgänge und Verhältnisse anwendet (vgl. die BFH-Urteile VI 29/59 S; vom 14. Dezember 1967 IV R 149/67, BFHE 91, 51, BStBl II 1968, 273, und vom 8. August 1974 IV R 105/71, BFHE 113, 233, BStBl II 1974, 744). Die aus diesen Grundsätzen abgeleitete Folgerung des FG, daß die Unterrichtserteilung in der Mittelstufe hinsichtlich des Stoffes und der Form der Darbietung nicht weniger an Methodik und Didaktik erfordere als in der Oberstufe und daß deshalb die Auffassung der Finanzverwaltung unzutreffend sei, eine Lehrtätigkeit an höheren Schulen sei nur bei Unterricht in der Oberstufe als wissenschaftlich zu werten, hält einer Nachprüfung nicht stand.
Dem FG ist einzuräumen, daß in der Rechtsprechung des BFH die Vorbildung der Hörer und das Ausbildungsziel zunächst nicht als entscheidend angesehen wurden. So wurde in dem BFH-Urteil vom 30. April 1952 IV 73/52 U (BFHE 56, 425 [429], BStBl III 1952, 165) den Vorlesungen und Vorträgen an der Volkshochschule der wissenschaftliche Charakter zuerkannt, weil dabei schwerwiegende Fragen wirtschaftlicher Natur behandelt wurden, "wie sie auch den volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Disziplinen der Hochschulen eigentümlich sind", und weil der Steuerpflichtige in der Lage war, seine Vorträge in der für wissenschaftliche Vorträge notwendigen qualifizierten Form zu halten. Auf den Bildungsstand der Hörer brauchte somit nicht abgestellt zu werden. Darauf gründet sich die Bemerkung in dem BFH-Urteil VI 29/59 S, in dem über das BFH-Urteil IV 73/52 U berichtet wird mit dem Zusatz "Der Vorbildung der Hörer und der Frage, ob die Hörer durch die Vorträge die Fähigkeit zu eigener wissenschaftlicher Tätigkeit oder Forschung erhalten sollten, wurde keine Bedeutung beigemessen" (BFHE 68, 508). Diese Bemerkung darf nicht in dem Sinn ausgelegt werden, daß der Vorbildung der Hörer keine Bedeutung beizumessen ist. Dementsprechend wird auch in dem BFH-Urteil IV R 149/67, anknüpfend an die zitierte Bemerkung, klargestellt, daß die genannten Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung von Bedeutung seinkönnen.
Läßt sich die Vortrags- oder Unterrichtstätigkeit nicht schon nach Gegenstand, Form und Niveau als wissenschaftlich beurteilen, beschränkt sich insbesondere der Lehrstoff auf Themen, die Gegenstand des Schulunterrichts sind, so sind weitere Unterscheidungsmerkmale einzubeziehen. Dabei kann nicht außer Betracht bleiben, daß der Unterricht in jeder Stufe an den Unterrichtenden große Anforderungen an pädagogischem Geschick stellt, möglicherweise in der Vorstufe und der Unterstufe mehr als in den höheren Stufen, daß daraus aber Kriterien für die Wissenschaftlichkeit des Unterrichts ebensowenig entnommen werden können, wie daraus, daß der Unterrichtende wissenschaftlich vorgebildet ist, daß er mit wissenschaftlicher Genauigkeit seinen Unterrichtsstoff vorbereitet oder daß er sich bemüht, ihn nach Planung, Aufbau und Niveau wissenschaftlich darzubieten. Andererseits ist dem FA darin zuzustimmen, daß es nicht möglich ist, sich in jedem Einzelfall aus unmittelbarer, eigener Anschauung ein Urteil über das Niveau der Lehrtätigkeit zu bilden oder die wissenschaftliche Einstufung des Unterrichts dem Schulleiter zu überlassen. Es kann auch nicht darauf ankommen, ob im Einzelfall der Vortragende die an ihn gestellten Anforderungen etwa überschreitet. Denn die für die Steuervergünstigung in Frage stehenden Einkünfte bemessen sich nach dem objektiv vorgegebenen Auftrag und im allgemeinen nicht nach dem Niveau der Ausführung dieser Aufgabe im Einzelfall. An konkreten Abgrenzungsmerkmalen, die auch für nicht am Unterricht Beteiligte erkennbar und nachprüfbar sind, müssen danach außer der Ausbildung des Vortragenden auch die Vorbildung des Zuhörerkreises sowie Lernstoff und Ausbildungsziel des Unterrichts herangezogen werden.
In diesem Sinn kann einer allgemeinunterrichtenden Tätigkeit der wissenschaftliche Charakter erst dann zugesprochen werden, wenn sie nach dem bereits erreichten Bildungsstand der Schüler sowie insbesondere nach Aufgabe und Ziel des Unterrichts ein wissenschaftliches Gepräge erhält. Davon läßt sich aber erst sprechen, wenn der Unterricht den Zweck hat, die Unterrichteten zu der wissenschaftliche Studien eröffnenden Hochschulreife zu führen. Das ist bei dem Unterricht in der Oberstufe der Fall, noch nicht aber bei dem in der Mittelstufe. Denn für diese ist - ebenso wie für die Unterstufe und die Vorstufe - das unmittelbare Ausbildungsziel nicht die Erlangung der Hochschulreife.
Es wurde auch bereits in mehreren BFH-Urteilen der wissenschaftliche Charakter einer Unterrichtstätigkeit erst bejaht, wenn der Bildungsstand der Hörer dem der mittleren Reife entsprach. In dem Fall des Urteils VI 29/59 S, das die Wissenschaftlichkeit von Vorträgen eines Dozenten an einer Ingenieurschule vor allem deshalb anerkannte, weil der Unterrichtsstoff auch an einer technischen Hochschule behandelt wurde, handelte es sich bei den Hörern unter anderem um Absolventen der Ingenieurschulen. Auch für den Hörerkreis im Fall des BFH-Urteils IV R 149/67 war Aufnahmevoraussetzung die mittlere Reife. In dem nicht veröffentlichten BFH-Urteil vom 14. Oktober 1971 IV R 97/66 billigte der BFH die Entscheidung des FG, daß der nebenamtliche Religionsunterricht vor den obersten vier Klassen eines humanistischen Gymnasiums als wissenschaftliche Tätigkeit zu würdigen ist, während der Deutschunterricht in der Mittelstufe eines Privatgymnasiums in dem nicht veröffentlichten BFH-Urteil vom 30. Oktober 1975 IV R 79/72 mit dem FG nicht als wissenschaftlich anerkannt wurde.
Zu Unrecht stellt das FG auch darauf ab, daß der Kläger vor einem Hörerkreis, der sich im Erwachsenenalter befindet, gehalten gewesen sei, dem Unterrichtsstoff ein höheres Niveau zu geben als im Unterricht vor 15jährigen Schülern. Es mag zutreffen, daß der Unterricht vor Schülern eines Gymnasiums anders zu gestalten ist als der vor Bundeswehrsoldaten und daß für diesen Unterricht, wie der Kläger im Klageverfahren vorgetragen hat, im Unterschied zum Mittelstufenunterricht die zum Teil leidenschaftlichen Diskussionen kennzeichnend sind. Damit läßt sich aber nicht der wissenschaftliche Charakter des Unterrichts an der Bundeswehrfachschule belegen. Es kann nicht entscheidend sein, ob in der Mittelstufe nur 15jährige oder vielleicht auch ältere Schüler unterrichtet werden, und ob bei der Bundeswehrfachschule die Diskussionsbereitschaft der Hörer im allgemeinen größer sein wird als bei den Klassen der Mittelstufe. Gerade diese Umstände zeigen, daß es nicht angehen kann, für jeden Einzelfall und damit gar für jede Unterrichtsstunde Kriterien für die Wissenschaftlichkeit des Unterrichtens aufzustellen und anzuwenden. Solange nicht Ziel des Unterrichts ist, die Schüler oder Hörer der Hochschulreife zuzuführen, die Lehrgangsteilnehmer vielmehr - wie im Streitfall - nur darauf vorbereitet werden sollen, die mittlere Reife zu erlangen, läßt sich das Unterrichten nicht als wissenschaftliche Tätigkeit beurteilen.
Der Auffassung der Finanzverwaltung, daß eine nebenberufliche Lehrtätigkeit an höheren Schulen oder in gleichzusetzenden Instituten jedenfalls nur in der Oberstufe als wissenschaftlich i. S. des § 34 Abs. 4 EStG gewertet werden kann, ist daher im Ergebnis zuzustimmen.
Fundstellen
Haufe-Index 72827 |
BStBl II 1978, 560 |
BFHE 1979, 365 |