Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Bewertung eines Grundstücks im Wege des Ertragswertverfahrens nach den §§ 78 bis 82 BewG 1965 ist der sich nach den §§ 78 bis 81 BewG 1965 ergebende Grundstückswert wegen Vorliegens wertmindernder Umstände im Sinne des § 82 Abs. 1 BewG 1965 zu ermäßigen, wenn infolge aufgestauten Reparaturbedarfs das Dach und eine Stockwerkstreppe vollständig erneuert werden müssen. Dagegen ist kein Abschlag nach § 82 Abs. 1 BewG 1965 zu gewähren, wenn infolge aufgestauten Reparaturbedarfs der Außenputz an verschiedenen Stellen ausgebessert werden muß, eine völlige Erneuerung des Außenverputzes aber nicht erforderlich ist.
2. Die Höhe des Abschlags nach § 82 Abs. 1 und 3 BewG 1965 ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu bemessen. Dabei muß sich das Ausmaß der Ermäßigung nach der Bedeutung richten, die dem Ermäßigungsgrund bei einem Verkauf des Grundstücks nach Lage des Grundstücksmarkts beigemessen wird.
Normenkette
BewG 1965 §§ 78-82
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) hat den Einheitswert eines der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) gehörenden gemischtgenutzten Grundstücks aut den 1. Januar 1964 nach dem Ertragswertverfahren auf 76 600 DM festgestellt. Dabei hat das FA eine von der Klägerin beantragte Wertminderung "wegen erforderlicher Erneuerung von Fußböden, Türen und Fenstern sowie des Außen- und Innenputzes" mit der Begründung abgelehnt, daß die wertmindernden Umstände in der Höhe der Jahresrohmiete und im Vervielfältiger berücksichtigt seien. Der Einspruch, mit dem die Klägerin zunächst einen Abschlag in Höhe von 30 v. H., später in Höhe von 20 v. H. des Einheitswerts beantragte, hatte keinen Erfolg. Das FG gab der Klage zum Teil statt. Es setzte den Einheitswert auf 71 200 DM herab.
Das FA beantragt mit der Revision, das FG-Urteil aufzuheben und die Sache zur Feststellung der Schäden, die zu einem Abschlag führen, an das FG zurückzuverweisen. Es wird unrichtige Anwendung des geltenden Rechts gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Die Auffassung des FG, daß ein erheblicher Alterungs-, Verwitterungs- und abnutzungsbedingter aufgestauter Reparaturbedarf an außerhalb des Wohnbereichs befindlichen Bauteilen selbst schon ein Schaden im Sinne des § 82 Abs. 1 BewG 1965 sei, sei mit den einschlägigen Vorschriften des BewG nicht vereinbar. Auch Abschn. 31 Abs. 3 und 19 Abs. 1 und 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Richtlinien zur Bewertung des Grundvermögens vom 19. September 1966 (BewRGr) ließen eine derartige Auslegung nicht zu. Der Wortlaut des Abschn. 31 Abs. 3 BewRGr zwinge vielmehr zu der Auslegung, daß ein solcher Reparaturbedarf selbst noch kein Bauschaden sein könne, der einen Abschlag nach § 82 Abs. 1 BewG 1965 rechtfertigen könne. Richtig sei nur, daß auch ein erheblicher Reparaturbedarf erst zu einem Bauschaden geführt haben müsse. Die Folgeschäden könnten einen Abschlag begründen. Im übrigen seien in den niedrigeren Vervielfältigern für ältere Gebäude die erforderlichen Instandsetzungskosten bereits reichlich berücksichtigt. Es sei auch nicht richtig, daß das FA der Höhe des vom Gutachter errechneten Abschlags zugestimmt habe. Schließlich sei auch das Stichtagsprinzip dadurch verletzt, daß das FG auf das vorgelegte Bildmaterial Bezug genommen habe. Es habe übersehen, daß die Fotos erst im Juli 1970 aufgenommen worden seien. Sie seien kein Beweis dafür, daß sich das Gebäude am 1. Januar 1964 in dem dargestellten Bauzustand befunden habe. Ein Verstoß gegen das Stichtagsprinzip bestehe auch darin, daß der Sachverständige die von ihm nach dem Stand vom 4. Dezember 1970 ermittelten Schäden in Höhe von 19,5 v. H. nur um 1/4 reduziert habe. Der Zustand des Gebäudes müsse am 1. Januar 1964 noch erheblich besser gewesen sein als Ende 1970.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zum Teil begründet.
Es handelt sich im Streitfall um ein gemischtgenutztes Grundstück im Sinne des § 75 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 4 BewG 1965. Sein Wert ist nach § 76 Abs. 1 Nr. 3 BewG 1965 im Wege des Ertragswertverfahrens (§§ 78 bis 82 BewG 1965) zu ermitteln. Er ergibt sich in der Regel nach § 78 Satz 2 BewG 1965 durch Anwendung eines Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete. Über die Höhe der Jahresrohmiete und den anzuwendenden Vervielfältiger sind sich die Beteiligten im Streitfall einig. Der Streit geht nur darum, ob wertmindernde Umstände vorliegen, die weder in der Höhe der Jahresrohmiete noch in der Höhe des Vervielfältigers berücksichtigt sind, so daß sie nach § 82 Abs. 1 und 3 BewG 1965 zu einer Ermäßigung des durch Anwendung des Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete ermittelten Grundstückswerts führen. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die in § 82 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BewG 1965 genannten wertmindernden Umstände nur Beispiele enthalten. Es spricht manches dafür, daß auch ein aufgestauter Reparaturbedarf für sich allein schon ein wertmindernder Umstand im Sinne dieser Vorschrift ist. Denn es sind bei der Ermittlung des Vervielfältigers die durchschnittlich anfallenden Instandhaltungskosten pauschal berücksichtigt worden. Der durch die Anwendung eines Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete ermittelte Grundstückswert stellt also den Wert dar, den das Grundstück hat, wenn die notwendigen Instandhaltungsarbeiten tatsächlich durchgeführt worden sind. Dabei ist es unerheblich, ob die tatsächlich angefallenen Kosten höher oder niedriger waren als die im Vervielfältiger pauschal berücksichtigten Kosten. Sind aber die notwendigen Instandhaltungsarbeiten ganz unterblieben, ist also ein aufgestauter Reparaturbedarf vorhanden, so spricht einiges dafür, daß sich dieser Umstand allein schon auf den Wert des Grundstücks auswirkt, ohne daß es darauf ankommt, ob durch diesen aufgestauten Reparaturbedarf Bauschäden entstanden sind. Der Senat braucht jedoch im Streitfall diese Frage nicht endgültig zu entscheiden. Denn das FG hat mit Recht wenigstens die vom Gutachter festgestellten Schäden am Dach und an der Stockwerkstreppe als "behebbare Bauschäden" im Sinne des § 82 Abs. 1 Nr. 2 BewG 1965 angesehen. Das Dach ist ein Biberschwanzdoppeldach, das eine Lebensdauer von 40 bis 50 Jahren hat. Es stammt noch aus der Zeit der Erbauung des Hauses, d. h. aus dem Jahre 1905. Die Dachplatten und die Latten zeigen an vielen Stellen Zerstörungserscheinungen. Es ist dem FG zuzustimmen, daß diese vom Gutachter festgestellten Schäden am Dach behebbare Bauschäden sind. Entgegen der Auffassung des FA ist es nicht erforderlich, daß durch das schadhafte Dach Schäden an anderen Gebäudeteilen hervorgerufen worden sind. Das gleiche gilt für die Schäden an der Stockwerkstreppe, die nach den Feststellungen des Gutachters so stark ausgetreten ist, daß sie nicht mehr ohne Gefahr begangen werden kann. Das FG hat auch mit zutreffender Begründung dargetan, daß die von ihm in Übereinstimmung mit dem Gutachter angesetzten Bauschäden sich nicht auf die Rohmiete ausgewirkt haben. Diese Schäden sind auch nicht durch die im Vervielfältiger pauschal berücksichtigten Instandsetzungskosten abgegolten. Die Erneuerung des ganzen Daches und der ganzen Stockwerkstreppe liegt außerhalb des Rahmens der laufenden Instandsetzungen. Dagegen gehört die Beseitigung der vom Gutachter festgestellten Schäden am Außenverputz entgegen der Auffassung des FG zu den laufenden Instandsetzungen. Der Sachverständige hat selbst in seinem Gutachten ausgeführt, daß die festgestellten kleineren Schäden an zahlreichen Stellen des Verputzes keine völlige Erneuerung des Verputzes notwendig machen. Die Einbeziehung dieser Kosten läßt sich auch nicht, wie es der Sachverständige tat, damit begründen, daß es als "ein Versäumnis" bezeichnet werden müßte, wenn in Verbindung mit der für die Dacherneuerung notwendigen Aufstellung eines Gerüstes diese Arbeiten nicht durchgeführt würden. Das FA hat mit Recht beanstandet, daß diese Begründung nicht ausreicht, diese Arbeiten als zur Beseitigung von Bauschäden erforderlich anzusehen.
Entscheidend ist, daß es sich um laufende Instandsetzungskosten handelt, die im Vervielfältiger pauschal berücksichtigt sind. Sie können deshalb nicht zu einem Abschlag nach § 82 Abs. 1 BewG 1965 führen. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif.
Wie hoch der Abschlag zu bemessen ist, ist im Gesetz nicht geregelt. Die Höhe des Abschlags kann nach Auffassung des Senats nur nach den Verhältnissen des Einzelfalls bemessen werden. Dabei muß sich das Ausmaß der Ermäßigung, wie es früher in § 37 Abs. 3 BewDV 1934 ausdrücklich angeordnet war, nach der Bedeutung richten, die dem Ermäßigungsgrund bei einem Verkauf des Grundstücks nach Lage des Grundstücksmarkts beigemessen wird, denn auch bei der Bewertung im Ertragswertverfahren soll der gemeine Wert ermittelt werden. Es bestehen deshalb keine Bedenken dagegen, daß der Gutachter auf Weisung des FG das Verhältnis des Reparaturaufwands zum Gesamtwert des Gebäudes zugrunde gelegt hat. Entgegen der Auffassung des FA ist es auch nicht zu beanstanden, daß der Gutachter die Kosten für die bei der Ortsbesichtigung Ende 1970 festgestellten Bauschäden in der Weise auf den Stichtag vom 1. Januar 1964 zurückgerechnet hat, daß er sie zunächst einmal auf den damals geltenden Bauindex umgerechnet und sie dann noch wegen der in den sieben Jahren zwischen dem 1. Januar 1964 und der Ortsbesichtigung wahrscheinlich eingetretenen weiteren Verschlechterung des Bauzustandes im Verhältnis dieser sieben Jahre zu der Zeit seit der Errichtung des Gebäudes reduziert hat. Es mag sein, daß er dabei nicht in vollem Umfang der Tatsache Rechnung getragen hat, daß sich der bauliche Zustand eines Gebäudes progressiv verschlechtert. Da aber keine Anhaltspunkte für eine genauere Berechnungsmöglichkeit vorliegen, hält der Senat die Schätzungsmethode des Gutachters für vertretbar. Wenn das FG zusätzlich auch auf die von der Klägerin eingereichten, erst 1970 angefertigten fotografischen Aufnahmen verwiesen hat, so ist darin entgegen der Auffassung des FA keine Verletzung des Stichtagsprinzips zu sehen. Denn es ist auf diesen Aufnahmen zu erkennen, daß die Schäden nicht erst in den letzten sieben Jahren entstanden sein können. Das Stichtagsprinzip ist nach den obigen Ausführungen hinreichend durch die Umrechnung der Kosten auf den 1. Januar 1964 gewahrt.
Von den vom Gutachter auf 31 000 DM berechneten Schäden entfallen 7 500 DM, das sind rund 1/4, auf die Ausbesserung und Tünchung des Außenverputzes. Da diese Kosten nach den obigen Ausführungen nicht zu einem Abschlag führen, ermäßigt sich der vom FG in Übereinstimmung mit dem Gutachter mit 15 v. H. angesetzte Abschlag nach § 82 BewG 1965 um 1/4 auf rund 12 v. H. Danach war der Einheitswert für das Streitgrundstück bei der Hauptfeststellung auf den 1. Januar 1964 auf 73 700 DM festzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 70326 |
BStBl II 1973, 258 |
BFHE 1973, 244 |