Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung der Barabfindung bei einem Aktientausch nach Einführung der Abgeltungsteuer
Leitsatz (NV)
Ein Barausgleich, der anlässlich eines Aktientausches für vor dem 1. Januar 2009 erworbene ausländische Aktien gezahlt wird, ist nicht gemäß § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG 2009 in eine einkommensteuerpflichtige Dividende umzuqualifizieren, wenn die Anteile wegen Ablaufs der einjährigen Veräußerungsfrist bereits steuerentstrickt waren.
Normenkette
EStG 2009 § 20 Abs. 4a Sätze 1-2, § 52a Abs. 10 S. 10, Abs. 11 S. 4, § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 6. Juni 2013 5 K 2416/12 aufgehoben.
Der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 19. August 2013 wird dahingehend abgeändert, dass der Besteuerung Kapitalerträge des Klägers i.S. des § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in Höhe von 0 € zugrunde gelegt werden.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2010) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erwarb am 2. November 2007 2 000 Aktien und am 9. September 2008 3 000 Aktien der X Inc. Aufgrund der Fusion des Unternehmens mit der Y Corp. erhielt er am 20. September 2010 im Tausch für die 5 000 Aktien der X Inc. 466 Aktien der Y Corp. und einen Barausgleich in Höhe von insgesamt 934,58 €. Die Barabfindung wurde von der depotführenden Bank der Kapitalertragsteuer unterworfen. Die Kläger stellten in der Einkommensteuererklärung für 2010 den Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes 2009 (EStG) und auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG. Sie vertraten die Auffassung, dass die im Zusammenhang mit dem Aktientausch erhaltene Zuzahlung des Klägers nicht der Abgeltungsteuer unterliege.
Rz. 2
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dem Antrag bei der Einkommensteuerfestsetzung nicht und berücksichtigte die Barabfindung als Kapitaleinkünfte, die nach § 32d Abs. 1 EStG dem Abgeltungsteuersatz unterliegen. Das Finanzgericht (FG) hat der hiergegen erhobenen Untätigkeitsklage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 1913 veröffentlichten Urteil vom 6. Juni 2013 5 K 2416/12 stattgegeben.
Rz. 3
Mit der Revision rügt das FA, das Urteil des FG verletze §§ 20 Abs. 4a Satz 2, 52a Abs. 10 Satz 10 EStG. Danach sei die Barabfindung als Kapitalertrag nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu besteuern. Dies gelte auch dann, wenn der Steuerpflichtige sie als Gegenleistung für den Tausch von Aktien erhalte, für die die Spekulationsfrist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der am 1. Januar 1999 geltenden Fassung (a.F.) bereits abgelaufen sei. Andernfalls sei auch § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG nicht anzuwenden.
Rz. 4
Das FA hat im Revisionsverfahren aus nicht streitgegenständlichen Gründen zuletzt den Einkommensteueränderungsbescheid für 2010 vom 19. August 2013 erlassen.
Rz. 5
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Rz. 6
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
II. Die Revision des FA ist aus verfahrensrechtlichen Gründen begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 19. August 2013 im Umfang des Tenors zu ändern (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). In der Sache hat die Revision des FA keinen Erfolg.
Rz. 8
1. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, ohne dass es einer Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO bedarf.
Rz. 9
a) Der im FG-Verfahren angefochtene Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 14. Dezember 2011 wurde während des Revisionsverfahrens, zuletzt durch den Änderungsbescheid vom 19. August 2013, ersetzt. Damit liegt dem FG-Urteil nunmehr ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde, so dass es keinen Bestand haben kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Mai 2013 VI R 28/12, BFHE 241, 200, BStBl II 2013, 737).
Rz. 10
b) Der geänderte Einkommensteuerbescheid vom 19. August 2013, in dem das FA die Gewinne des Klägers aus der Veräußerung von Kapitalanlagen in Höhe von insgesamt 761 € mit Verlustvorträgen aus privaten Veräußerungsgeschäften verrechnet hat, ist gemäß § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden. Durch diesen Änderungsbescheid ist keine Verböserung eingetreten. Es haben sich hinsichtlich des weiter in Streit stehenden Punktes, ob der bei dem Aktientausch gezahlte Barausgleich als Kapitaleinkünfte i.S. des § 20 Abs. 4a Satz 2, Abs. 1 Nr. 1 EStG zu qualifizieren ist, keine Änderungen ergeben. Die Beteiligten haben auch keine weitergehenden Anträge gestellt. Es bedarf danach keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind. Sie bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (BFH-Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43).
Rz. 11
2. Die Revision des FA hat in der Sache keinen Erfolg. Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der bei dem Aktientausch gezahlte Barausgleich in Höhe von insgesamt 934,58 € nicht gemäß § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG als Kapitalertrag i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG der Besteuerung nach § 32d Abs. 1 EStG zugrunde zu legen ist.
Rz. 12
a) Erhält der Steuerpflichtige bei einem Aktientausch i.S. des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG zusätzlich zu eingetauschten Aktien eine Gegenleistung, gilt diese gemäß § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG als Kapitalertrag i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Zwar findet die Vorschrift nach § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG erstmals auf nach dem 31. Dezember 2008 zufließende Kapitalerträge Anwendung. Die Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG setzt jedoch voraus, dass es sich um eine steuerbare Gegenleistung für den Erhalt der Anteile handelt, da sich der Regelungsgehalt der Vorschrift auf die Umqualifizierung der Barkomponente in eine Dividende beschränkt. Sie begründet kein Besteuerungsrecht für bereits steuerentstrickte Vermögenswerte (so auch Jachmann/ Lindenberg in Lademann, EStG, § 20 EStG Rz 803; Beinert, GmbH-Rundschau 2012, 291, 295 f.; im Ergebnis ebenso Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, § 20 EStG Rz 585; Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz Fa 25; Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Kommentar zum KStG und EStG, § 20 EStG Rz 299a; von Beckerath in Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 20 Rz 160; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 35. Aufl., § 20 Rz 163; Blümich/Ratschow, § 20 EStG Rz 434; Wüllenkemper, EFG 2013, 522 f.; Schießl in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 13 UmwStG Rz 379; Bron, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2014, 353, 355 f.; a.A. Trossen in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 2. Aufl., Anh. 11 Rz 103; Steinlein, DStR 2009, 509, 510 f.; Benecke und Schnitger, Die Unternehmensbesteuerung 2011, 1, 11). Andernfalls würde die Besteuerung nach § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG auf Vermögensbestände zugreifen, die nicht der Einkommensteuer unterliegen.
Rz. 13
b) Danach unterliegt der bei dem Aktientausch gezahlte Barausgleich in Höhe von insgesamt 934,58 € nicht der Besteuerung. Der Kläger hat den Barausgleich für den Mehrwert der eingetauschten X Inc.-Aktien erhalten, die er vor dem 1. Januar 2009 angeschafft hatte und bei denen die Veräußerungsfrist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. i.V.m. § 52a Abs. 11 Satz 4 EStG zum Zeitpunkt des Aktientauschs und der Barzuzahlung bereits abgelaufen war. Der Wertgehalt der Aktien unterlag danach nicht mehr der Besteuerung, so dass die Umqualifizierung nach § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG nicht greift. Ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG beim Tausch der Aktien --wie vom FG angenommen-- erfüllt waren, kann danach offenbleiben.
Rz. 14
3. Der Einkommensteuerbescheid vom 19. August 2013 ist mithin insoweit rechtswidrig, als darin bei der Berechnung der Einkommensteuer die nach § 32d Abs. 1 EStG zu versteuernden Kapitalerträge des Klägers um 934,58 € zu hoch angesetzt wurden. Die folgende Berechnung ergibt, dass die nach § 32d Abs. 1 EStG zu besteuernden Kapitaleinkünfte bei der Besteuerung beider Kläger mit 0 € anzusetzen sind:
Rz. 15
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Kläger |
Klägerin |
Kapitalerträge |
1.757 €./. 934,58 € = 822,42 € |
640 € |
Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen (ohne Aktien) |
20,00 € |
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Gewinne aus der Veräußerung von Aktien |
741,00 € |
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Verrechnung von Verlustvorträgen aus privaten Veräußerungsgeschäften |
./. 761,00 € |
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Zwischensumme |
822,42 € |
640 € |
Abzüglich Sparer-Pauschbetrag |
./. 962,00 € |
./. 640 € |
Kapitalerträge i.S. des § 32d Abs. 1 EStG |
0 € |
0 € |
Rz. 16
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 10158512 |
BFH/NV 2017, 283 |