Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Welche rechtlichen Wirkungen treten ein, wenn ein Einkommensteuerbescheid nur einem Ehegatten zugestellt worden ist? (Die Eheleute sind zusammen zu veranlagen, leben nunmehr aber getrennt.)
Normenkette
AO § 91 Abs. 1
Tatbestand
(Tatbestand ist gekürzt wiedergegeben)
Streitig ist, ob die für die Jahre 1950, 1952 und 1953 ergangenen einheitlichen Feststellungen des Gewinnes aus der inzwischen liquidierten OHG zu Recht ergingen. Der Bf. und die Beigezogenen waren Eheleute. Sie wurden im November 1954 geschieden. Vom 4. April 1949 bis 31. Dezember 1953 betrieben sie in X. gemeinsam ein Textilwarengeschäft in der Rechtsform einer offenen Handelsgesellschaft. Am 1. Januar 1954 übersiedelte der Bf. nach Y. Das Geschäft wurde von der Beigezogenen allein weitergeführt.
Aus einem Vermerk in den Einkommensteuerakten ergibt sich die Kenntnis des Finanzamts davon, daß der Bf. die Familie verlassen hatte. Für die Streitjahre 1950 und 1952 veranlagte das Finanzamt die Beigezogene und den Bf. als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer. Die Bescheide waren an beide Eheleute unter der Anschrift der bis 1. Januar 1954 gemeinsam, von da an nur noch von der Beigezogenen bewohnten Wohnung gerichtet und gingen am 6. September 1952 und 25. März 1954 zur Post. Im Anschluß an eine in den Jahren 1955 auf 1956 durchgeführte Betriebsprüfung wurden sie später berichtigt. Die Berichtigungsbescheide wurden lediglich an die Beigezogenen adressiert und an sie am 17. Mai 1956 zur Post gegeben. Der ebenfalls auf der Zusammenveranlagung beruhende Einkommensteuerbescheid 1953 (zur Post gegeben am 6. September 1955) wurde an beide Eheleute gerichtet, aber nur der Ehefrau zugesandt. Die Beigezogene legte gegen die ihr zugegangenen Bescheide keine Rechtsmittel ein.
Am 19. Februar 1958 berichtigte das Finanzamt die gemäß § 222 AO ergangenen Berichtigungsbescheide für 1950 und 1952 und den erstmaligen Einkommensteuerbescheid für 1953 gemäß § 26 Abs. 4 EStG 1957 dahin, daß es die Gewinne aus der OHG in getrennten Bescheiden auf den Bf. und die Beigezogene je zur Hälfte aufteilte. Auf den Einwand des Bf., daß es an einer einheitlichen Feststellung der Gewinne aus der OHG fehle, holte das Finanzamt diese für die Jahre 1950, 1952 und 1953 durch Bescheide vom 24. November 1958 nach.
Der Einspruch des Bf. hatte keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte er gegen die einheitlichen Gewinnfeststellungen ein, diese hätten nicht ergehen dürfen, weil die auf der Zusammenveranlagung beruhenden Einkommensteuerbescheide für diese Jahre am 21. Februar 1957 bereits rechtskräftig gewesen seien (§ 26 Abs. 5 EStG 1957).
Auch die Berufung blieb erfolglos. Das Finanzgericht war der Auffassung, der berichtigte Einkommensteuerbescheid 1950 und die erstmaligen Einkommensteuerbescheide 1952 und 1953 seien am 21. Februar 1957 noch nicht rechtskräftig gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat nahm dazu wie folgt Stellung:
Gegen die verfahrensrechtliche Zulässigkeit der Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 1950, 1952 und 1953 bestehen keine Bedenken.
Zutreffend ist, daß für Personengesellschaften, die nur aus zwei zusammenlebenden Ehegatten bestanden haben und deren Gewinn zunächst noch nicht einheitlich festgestellt worden ist, die einheitliche Gewinnfeststellung nicht nachgeholt werden kann, wenn die Einkommensteuerveranlagung am 21. Februar 1957 bereits rechtskräftig war und nicht aus anderen Gründen wieder aufgerollt wird (Urteil des Senats I 44/59 U vom 19. Dezember 1959, BStBl 1960 III S. 91, Slg. Bd. 70 S. 247). Das Finanzgericht ist jedoch zu Recht davon ausgegangen, daß nach dem gesetzlichen Stichtag für das Jahr 1950 eine Berichtigungsveranlagung nach § 222 AO und für 1952 und 1953 erstmalige Veranlagungen durchzuführen waren (§ 26 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 EStG 1957). Die hierfür bedeutsame Frage, ob der Gewinn aus dem Textilwarengeschäft zum Teil auch dem Bf. zuzurechnen ist, war im einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahren zu entscheiden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 39/58 U vom 26. Juni 1958, BStBl 1958 III S. 364, Slg. Bd. 67 S. 237).
Für das Jahr 1950 ist der Einkommensteuerbescheid vom 6. September 1952 beiden Eheleuten, die zu diesem Zeitpunkt noch gemeinsam in der ehelichen Wohnung gelebt haben, ordnungsgemäß zugegangen. Er ist rechtskräftig geworden. Der auf Grund der Betriebsprüfung am 17. Mai 1956 ergangene, gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO zulässige Berichtigungsbescheid ist demgegenüber lediglich an die Beigezogene gerichtet gewesen und ihr allein zugegangen. Da die Eheleute nach § 26 EStG alter Fassung zusammen zu veranlagen waren und der Berichtigungsbescheid dem Bf. nicht zugegangen ist, ist er mangels Bekanntgabe nicht wirksam geworden (§§ 91 Abs. 1, 210 b Abs. 1 Satz 1, 211 Abs. 3 AO, § 17 des Verwaltungszustellungsgesetzes). Dies bedeutet, daß die Folgerungen aus dem Ergebnis der in den Jahren 1955 auf 1956 durchgeführten Betriebsprüfung vor dem gesetzlich maßgeblichen Stichtag 1. Juli 1957 noch nicht gegen beide Steuerpflichtige gezogen waren. Auf die nach dem 30. Juni 1957 gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO noch durchzuführende Berichtigungsveranlagung ist die Neufassung des EStG anzuwenden (§ 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957).
Der erstmalige Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1952 vom 25. März 1954, der an den Bf. und die Beigezogene unter der Anschrift der ehemals gemeinsamen Wohnung gerichtet war, ist, wie das Finanzgericht unbestritten und für den Senat bindend festgestellt hat, ergangen, als das Finanzamt bereits davon Kenntnis hatte, daß der Bf. aus der ehelichen Wohnung ausgezogen war. Der Bescheid ist ihm nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts nicht zugegangen und mithin nicht wirksam geworden. Auch ein Bescheid auf Grund der Betriebsprüfung ist gegen den Bf. aus denselben Gründen, wie sie für das Jahr 1950 gelten, nicht erlassen worden. Mithin hat an dem maßgeblichen Stichtag 1. Juli 1957 eine erstmalige rechtskräftige Veranlagung noch nicht vorgelegen. Sie war nach dem 30. Juni 1957 unter Anwendung der Neufassung des EStG (§ 26 Abs. 2 Ziff. 1 EStG 1957) noch durchzuführen. Dieselben Folgerungen ergeben sich für das Streitjahr 1953.
Fundstellen
Haufe-Index 410654 |
BStBl III 1963, 160 |
BFHE 1963, 441 |
BFHE 76, 441 |