Leitsatz (amtlich)
Der Nutzungswert einer Wohnung, die im eigenen Haus unterhaltsberechtigten Personen auf Grund Vereinbarung eines schuldrechtlichen Wohnrechts (teilweise) unentgeltlich überlassen wird, ist vom Überlassenden zu versteuern (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 12 Nr. 2, § 21 Abs. 1-2
Tatbestand
Streitig ist, ob die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) im Veranlagungszeitraum 1969 den Nutzungswert einer den Eltern der Klägerin überlassenen Wohnung zu versteuern haben.
Die Kläger, die Eheleute sind, errichteten in den Jahren 1967/1968 ein eineinhalbgeschossiges Gebäude mit zwei Wohnungen. Während der Bauplanung verpflichteten sich die Eltern der Ehefrau schriftlich zur Gewährung eines zinslosen Darlehens an die Kläger in Höhe von 20 000 DM, das mit monatlich 70 DM zu tilgen ist. Die Kläger hatten nach dem Vertrag den Eltern "ein Wohnrecht an der Einliegerwohnung auf Lebenszeit" zu gewähren. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1969 rechnete der Beklagte und Revisionskläger (FA) den Mietwert dieser letzteren Wohnung den Klägern zu. Im Laufe des Einspruchsverfahrens beantragten die Kläger am 30. August 1971 notariell die Eintragung des Wohnrechts im Grundbuch. Das FA wies den Einspruch als unbegründet ab. Dagegen hatte die Klage Erfolg. Die Vorinstanz führte im wesentlichen aus: Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 21 Abs .2 EStG hätte der Mietwert der Wohnung nicht den Klägern, sondern den Eltern zugerechnet werden müssen. Daran ändere auch § 12 Nr. 2 EStG nichts, wie im Anschluß an die veröffentlichten Entscheidungen des FG Düsseldorf vom 11. März 1970 II 184-185/67 E (EFG 1970, 388) und vom 21. Oktober 1971 I 242-245/66 E (EFG 1972, 121) näher ausgeführt wird.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung der §§ 21 Abs. 2, 12 Nr. 2 EStG.
Der BdF hat zu dem Verfahren seinen Beitritt erklärt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er sich für Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung ausgesprochen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.
1. Mit dem FG kann davon ausgegangen werden, daß die Wohnung auf Grund lediglich schuldrechtlicher Vereinbarung teilweise unentgeltlich den Eltern der Klägerin überlassen wurde. Bei dieser Fallgestaltung rechnet die bisherige Rechtsprechung des BFH in Übereinstimmung mit der späteren Auffassung des RFH entgegen dem Wortlaut des § 21 Abs. 2 EStG den Nutzungswert der Wohnung nicht dem Nutzenden, sondern dem Überlassenden zu, weil nach § 12 Nr. 2 EStG Zuwendungen an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen nicht abzugsfähig sind und es wirtschaftlich auf dasselbe hinauskomme, ob die Zuwendung in Geld oder Geldeswert erfolge (vgl. RFH-Entscheidungen vom 8. September 1938 IV 78/ 38, RStBl 1939, 4; vom 9. März 1939 IV 352/38, RStBl 1939, 758; vom 13. Juli 1939 IV 125/39, StuW Teil II 1939 Nr. 541 Sp. 831; vom 31. Juli 1941 IV 130/41, RStBl 1941, 861; vom 29. Januar 1942 IV 191/41, RStBl 1942, 471 - BFH-Entscheidungen vom 2. März 1951 IV 149/50 U, BFHE 55, 233, BStBl III 1951, 87; vom 11. Januar 1957 VI 5/54 U, BFHE 64, 177, BStBl III 1957, 68; vom 21. August 1964 VI 252/63, StRK, Einkommensteuergesetz, § 12 Nr. 2, Rechtsspruch 46, HFR 1965, 20; vom 15. Oktober 1965 VI 42/64 S, BFHE 84, 290, BStBl III 1966, 106, und vom 14. November 1969 VI R 72/68, BFHE 97, 537, BStBl II 1970, 207).
Eine andere Beurteilung kommt nach der neueren Rechtsprechung des BFH nur in Betracht, wenn der Nutzungsgegenstand auf Grund eines sachenrechtlich wirksamen Rechtsgeschäfts, z. B. durch Bestellung eines Nießbrauchs oder dinglichen Wohnrechts nach § 1093 BGB, überlassen wird (Urteile vom 6. Juli 1966 VI 148/65, BFHE 86, 676, BStBl III 1966, 622 und vom 12. September 1969 VI R 333/67, BFHE 96, 523, BStBl II 1969, 706 mit weiteren Nachweisen), weil damit nach der Entscheidung vom 26. März 1971 VI R 131-135/68 (BFHE 102, 66, BStBl II 1971, 478) die Einkunftsquelle auf den Nutzungsberechtigten übergeht.
Dagegen hatte der RFH ursprünglich wie zum Einkommensteuergesetz 1925 so zum Einkommensteuergesetz 1934 den Nutzungswert ganz oder teilweise unentgeltlich überlassener Wohnungen dem Nutzenden zugerechnet (Entscheidungen vom 4. September 1929 VI A 1099/29, RStBl 1929, 568; vom 4. Juni 1930 VI A 1200/29, StuW 1930 Nr. 1380 Sp. 2112; vom 7. Februar 1934 VI A 63/34, StuW Teil II 1934 Nr. 304 Sp. 667; vom 19. November 1936 VI A 80/36, StuW Teil II 1937 Nr. 19 Sp. 35). Auf diese frühere Rechtsprechung hat sich außer der Vorinstanz auch das FG Baden-Württemberg (Urteile vom 19. Januar 1965 I 607/64, DStZ B 1965, 173, und vom 19. August 1971 VI 181/70, EFG 1972, 23) zur Begründung seiner Rechtsauffassung gestützt.
Der erkennende Senat tritt der ständigen Rechtsprechung des BFH bei. Er meint, daß trotz Bedenken gegen die bisherige Auffassung der Rechtssicherheit und der Stetigkeit der Rechtsprechung der Vorrang einzuräumen ist.
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 15. März 1973 VIII R 58/69 (BFHE 109, 185, BStBl II 1973, 559) im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hervorgehoben hat, folgt aus der Funktion eines obersten Bundesgerichts, eine stetige richtungweisende einheitliche Linie der Rechtsprechung zu entwikkeln, daß es von einer Rechtsprechung nicht abweichen soll, wenn sowohl für die eine wie die andere Ansicht gute Gründe sprechen. Im vorliegenden Fall geht es um die Aufgabe einer in 35 Jahren gefestigten Rechtsprechung oberster Steuergerichte. Eine solche müßte durch schwerwiegende sachliche Erwägungen geboten sein (vgl. auch das Urteil des Großen Senats des BFH vom 13. November 1963 GrS 1/63 S, BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124 und die weiteren Nachweise aus der BFH-Rechtsprechung bei Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Einführung zur FGO, Anm. 16 S. 1546). Von einer derartigen Notwendigkeit hat sich der erkennende Senat bei Abwägung des Für und Wider nicht zu überzeugen vermocht.
Zwar sind die in der Vorentscheidung enthaltenen Einwände gegen die bisherige BFH-Rechtsprechung beachtlich. Für den Standpunkt des FG sprechen vor allem der nahezu eindeutige Wortlaut des § 21 Abs. 2 EStG und der Gesichtspunkt, daß diese Vorschrift nach der überkommenen Auslegung weithin ins Leere geht, weil sie auf den praktisch häufigsten Fall unentgeltlich obligatorischer Überlassung an Unterhaltsberechtigte nicht anzuwenden ist. Zumindest fraglich erscheint es auch, ob der Tatbestand der Eigennutzung bei der Überlassung der Wohnung an andere als erfüllt angesehen werden kann. Bedenken gegen die Annahme der herrschenden Meinung, § 12 Nr. 2 EStG gehe dem § 21 Abs. 2 EStG vor, lassen sich auch aus den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung (§ 1 Abs. 1 AO) herleiten, die es der Rechtsprechung untersagen, durch Auslegung einer Vorschrift einen selbständigen Steuertatbestand zu schaffen. Hinzu kommt, daß nicht jede Unterhaltsgewährung unter § 12 Nr. 2 EStG fällt. Schließlich könnte gegen die bisher vertretene Rechtsauffassung ins Feld geführt werden, daß in § 22 Nr. 1 Satz 2 EStG bei Leistung wiederkehrender Bezüge durch eine gesetzlich unterhaltsverpflichtete Person die Zurechnung beim Empfänger ausdrücklich ausgeschlossen wurde, während eine ähnliche Bestimmung in § 21 Abs. 2 EStG fehlt.
Andererseits führt die in der Vorentscheidung vertretene Rechtsansicht zu sachlich unbefriedigenden und teilweise zur Zeit nur schwer übersehbaren Ergebnissen. Zum einen könnte man die Auffassung vertreten, der Grundgedanke des § 12 Nr. 2 EStG, willkürliche Verschiebungen des Einkommens durch Zuwendungen an nahestehende Personen zu verhindern, werde durchbrochen, ohne daß eine überzeugende Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung ähnlicher Fallgestaltungen, insbesondere dem der Übernahme der Mietzahlung für nahe Angehörige, zu finden wäre. Zum andern verkennt das FG die Folgen seiner Auffassung, die sich bei der Beurteilung der Werbungskosten des Grundstückseigentümers ergeben könnten. Brauchte nämlich der Eigentümer der verbilligt überlassenen Wohnung steuerlich nur die tatsächlichen Einnahmen anzusetzen, so erschiene es ungereimt, ihm gleichwohl den Abzug aller auf die Wohnung entfallenden Aufwendungen als Werbungskosten zu gestatten. Deshalb hat außer dem BdF schon die Steuerreformkommission 1971 eine Kürzung der Werbungskosten des Wohnungseigentümers vorgeschlagen (Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Schriftenreihe des BdF, Heft 17, Abschn. II Textziffer 223). Es bliebe dann auch offen, ob die beim Eigentümer der Wohnung ausgeschiedenen Werbungskosten vom Nutzenden geltend gemacht werden können. Zu diesen Fragen ist auch, abgesehen von einem knappen Hinweis im Urteil des FG Düsseldorf I 242-245/66 E, in den übrigen von der BFH-Rechtsprechung abweichenden FG-Urteilen nicht Stellung genommen. Es bestehen erhebliche Bedenken dagegen, einen im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechungs- und Verwaltungsübung jedenfalls teilweise ungeklärten Lösungsweg zu beschreiten, zumal dessen Praktikabilität weiteren beachtlichen Zweifeln unterliegt.
Von besonderem Gewicht für die Entscheidung des Senats, an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, ist jedoch das Vorhaben der Bundesregierung, die überkommene Rechtsansicht gesetzlich abzusichern, wie dies in dem dem Bundesrat am 8. November 1973 zugeleiteten Gesetzesentwurf (Bundesrats-Drucksache 700/73) in § 56 Abs. 2 vorgesehen ist. Wollte der Senat für das geltende Recht dennoch von dieser Auffassung abrücken, hätte seine Entscheidung unter Umständen nur für verhältnismäßig begrenzte Zeit Bedeutung, da mit dem Inkrafttreten des neuen Einkommensteuergesetzes (nach Erklärungen der Bundesregierung ab 1. Januar 1975) wiederum die frühere Rechtsauffassung zur Geltung käme. Daß ein solcher möglicherweise kurzfristiger Wechsel in der Beurteilung eines häufig vorkommenden Sachverhalts weder den Grundsätzen des Vertrauensschutzes, vor allem den Bedürfnissen der Steuerpflichtigen nach Überschaubarkeit des Steuerrechts, noch dem allseitigen Interesse an Verwaltungsvereinfachung gerecht werden würde, bedarf keiner weiteren Begründung.
2. Das FG hat - von seinem Standpunkt aus zu Recht - unerörtert gelassen, ob das von den Beteiligten vereinbarte obligatorische "Wohnrecht" einem dinglichen Wohnrecht (§ 1093 BGB) gleichgestellt werden kann, so daß § 21 Abs. 2 EStG doch anzuwenden wäre. Diese in der Entscheidung des BFH VI R 333/67 offengelassene Frage ist für die hier vorliegende Vereinbarung unter nahen Angehörigen zu verneinen. Denn handelt es sich um eine Vereinbarung zwischen unterhaltsberechtigten Personen, so muß das bürgerlich-rechtliche Rechtsgeschäft nach ständiger Rechtsprechung formgerecht abgeschlossen und wirtschaftlich vollzogen sein, um steuerlich Anerkennung zu finden. § 5 Abs. 3 StAnpG kommt insoweit nicht zur Anwendung (BFH-Urteile vom 6. Juli 1966 VI 124/65, BFHE 86, 578, BStBl III 1966, 584, und vom 4. Juli 1968 IV 136/63, BFHE 92, 474, BStBl II 1968, 671).
Zugunsten der Eltern der Klägerin wurde im Streitjahr kein dingliches Wohnrecht gemäß §§ 873, 1093 BGB begründet, da die Eintragung im Grundbuch fehlt. Dem erst im Jahre 1971 formgerecht gestellten Antrag auf Grundbucheintragung kommt schon deshalb keine Bedeutung zu, weil er nicht ins Streitjahr zurückwirkt. Erst nach Vollendung des zur dinglichen Rechtsänderung erforderlichen Tatbestands ist die unter nahen Verwandten getroffene Abmachung auch in steuerrechtlicher Hinsicht zu beachten.
3. Die Vorentscheidung kann mithin keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Über die Höhe des Mietwerts der Wohnung besteht kein Streit. Die Klage war abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 70747 |
BStBl II 1974, 163 |
BFHE 1974, 561 |