Leitsatz (amtlich)
Hängen mehrere innerhalb eines Jahres abgeschlossene Grundstückserwerbs- und Veräußerungsgeschäfte eines Landwirts zusammen, kann der Erwerb des "Ersatzlandes" gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG, aber nicht gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStAgrG (Kleinbetriebsaufstokkung) grunderwerbsteuerbefreit sein.
Normenkette
GrEStAgrG Niedersachsen § 1 Abs. 1 Nrn. 1, 3
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer eines an seinen Sohn verpachteten landwirtschaftlichen Hofes in Niedersachsen. An ein und demselben Tage des Jahres 1966 schloß er einerseits zwei Kaufverträge mit den Landwirten Maier und Müller über mehrere landwirtschaftliche Grundstükke ab und verkaufte andererseits an den Landkreis eine Grundfläche zu Bauzwecken. Die Kaufverträge Maier und Müller wurden unter der Bedingung geschlossen, daß der Vertrag mit dem Landkreis durch den Kreistag genehmigt werde. Der eigene Hof des Klägers umfaßte ohne Berücksichtigung der genannten An- und Verkäufe rund 23 ha.
Das FA (Beklagter) hat gegen den Kläger wegen seiner Käufe die Grunderwerbsteuer festgesetzt. Während es den Kaufvertrag Maier unter Hinweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Grundstücken zur Verbesserung der Struktur land- und forstwirtschaftlicher Betriebe vom 25. März 1959 (GVBl 1959, 57) - GrEStAgrG - zum Teil von der Grunderwerbsteuer freigestellt hat, hat es den Kaufvertrag Müller in vollem Umfang der Steuer unterworfen. Die nur teilweise Freistellung des Vertrags Maier von der Grunderwerbsteuer hat das FA damit erläutert, daß der Betrieb des Klägers nur bis zur Größe von 35 ha steuerfrei aufgestockt werden könne. Da der Verkauf von rd. 12 ha an den Landkreis erst nach dem Zukauf wirksam geworden sei, sei diese verkaufte Fläche dem Kläger im Zeitpunkt des Zukaufs noch zuzurechnen. Eine Steuerfreiheit gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Strukturgesetzes könne nicht gewährt werden, da der Kläger seinen Betrieb verpachtet habe.
Das FG hat die Steuerbescheide aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Zwar greifen die von der Revision erhobenen Rechtsrügen nicht durch. Die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils reichen aber nicht aus, die Entscheidung des FG zu tragen. Die Sache war daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 GrEStAgrG sind von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz auf Antrag ausgenommen:
"1. der Erwerb eines Grundstücks durch einen Land- oder Forstwirt, wenn dadurch die betriebswirtschaftlichen Verhältnisse beim Erwerber und die Agrarstruktur verbessert werden und der Erwerber im Zusammenhang damit ein betriebswirtschaftlich ungünstiges Grundstück veräußert; die Veräußerung kann vor oder nach dem Erwerb liegen ...
2....
3. der Erwerb eines Grundstücks, wenn er der Aufstockung eines landwirtschaftlichen Kleinbetriebs bis zur Größe eines Familienbetriebs dient ..."
Die gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Grundstückskäufe des Klägers von Maier und Müller könnten nach Nr. 1, nicht dagegen nach Nr. 3 des § 1 GrEStAgrG von der Besteuerung ausgenommen sein. Denn Nr. 1 dieser Vorschrift enthält eine Sondernorm für miteinander in Zusammenhang stehende Erwerbs- und Veräußerungsgeschäfte, die in der Regel die Anwendung der Nr. 3 der Vorschrift ausschließt.
Die vom Beklagten vertretene Auffassung, die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStAgrG hänge davon ab, hinsichtlich welcher Flächen der Erwerber z. Z. des Hinzuerwerbs bereits oder noch Eigentümer sei, begegnet rechtlichen Bedenken. Wie der Senat in den Urteilen vom 16. Mai 1973 II R 130/72 (BFHE 109, 480, BStBl II 1973, 710) und vom 23. Mai 1973 II R 14/72 (BFHE 110, 62, BStBl II 1973, 763) ausgeführt hat, ist § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStAgrG auch dann anwendbar, wenn der Erwerber im Zeitpunkt des Aufstockungserwerbs eine unmittelbar zum bürgerlich-rechtlichen Eigentum führende, diesem nach den besonderen Umständen nahekommende Stellung erhalten hat. Entsprechendes wird auch bei der Feststellung der Flächen gelten müssen, die einem landwirtschaftlichen Kleinbetrieb zur Ermittlung der im Gesetz vorgeschriebenen Höchstgrenze des Hinzuerwerbs zuzurechnen sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eben z. Z. des Erwerbsvorgangs aus dem Betrieb ausscheidende oder hinzukommende Grundstücke handelt.
Diese Fragen bedürfen im vorliegenden Fall keiner abschließenden Klärung. Denn zwischen den Grundstücksgeschäften des Klägers bestand, wie das FG festgestellt hat und durch die in den Verträgen Maier und Müller enthaltenen Bedingungen bestätigt wird, ein unlösbarer Zusammenhang. Die zwischen dem Erwerbsgeschäft und dem Veräußerungsgeschäft liegende Zeitspanne betrug weniger als ein Jahr. Fälle dieser Art können zwar zu einer Vergrößerung des landwirtschaftlichen Betriebs führen, und insoweit kann (wie hier geschehen) § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStAgrG anzuwenden sein. Die zur "Aufstockung" erforderliche Betriebsvergrößerung kann aber bei solchen Geschäften nicht in der Auswechselung bisher zum Betrieb gehörender landwirtschaftlicher Nutzflächen gegen andere bisher betriebsfremde Grundstücke gesehen werden.
Eine solche Flächenauswechselung ist nur unter anderen Voraussetzungen als Förderung der Struktur land- und forstwirtschaftlicher Betriebe begünstigt. Diese sind in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStAgrG beschrieben. Eine sich im Zuge solcher Flächenauswechselungen ergebende Vergrößerung des landwirtschaftlichen Betriebs kann zwar insoweit gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStAgrG begünstigt sein, als sie den zuvor bestehenden Kleinbetrieb bis zur Größe eines Familienbetriebs erweitert, aber nicht dazu führen, daß auch außerhalb der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStAgrG genannten Voraussetzungen die "Ersatzlandbeschaffung" unter dem Gesichtspunkt der Kleinbetriebsaufstockung von der Grunderwerbsteuer befreit ist. Denn andernfalls wäre es dem Inhaber eines Kleinbetriebs möglich, ungeachtet der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStAgrG enthaltenen Begrenzung der Befreiungstatbestände im Rahmen der Größe eines Familienbetriebs landwirtschaftliche Grundstücke zu veräußern und den dadurch verkleinerten Betrieb jeweils durch Ersatzlanderwerbe wieder grunderwerbsteuerbefreit "aufzustocken".
Die durch die Gegenüberstellung der Tatbestände des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStAgrG mit dem Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStAgrG deutlich werdende Gesetzessystematik zwingt deshalb zu dem Schluß, daß beide Lebenssachverhalte - "Ersatzlandbeschaffung" einerseits, Kleinbetriebsaufstockung andererseits - vom Gesetzgeber bewußt unter verschiedenen Voraussetzungen von der Grunderwerbsteuer befreit wurden. § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStAgrG ist daher auf Fälle der "Ersatzlandbeschaffung". bei der Veräußerungs- und Erwerbsvorgang im Zusammenhang stehen, jedenfalls dann nicht anwendbar, wenn zwischen beiden Vorgängen eine Zeitspanne von nicht mehr als einem Jahr liegt.
Das FG hat nicht geprüft, ob § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG eingreift, da es aus der Sicht der früheren Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 3. Juli 1963 II 41/63, HFR 1964, 243) mit dem Beklagten davon ausgegangen ist, der Kläger sei wegen der Verpachtung seines Hofes an den Sohn nicht als Landwirt anzusehen. Jedoch kann auch derjenige Landwirt i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG sein, der seinen landwirtschaftlichen Betrieb altershalber an seinen Sohn verpachtet hat (Urteil vom 28. April 1970 II 56/65, BFHE 99, 255, BStBl II 1970, 597). Daher scheitert die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG - soweit bislang zu ersehen - nicht an mangelnder Landwirtseigenschaft des Klägers.
Demzufolge bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen dahin gehend, ob die sonstigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG vorliegen. Sollte sich ergeben, daß eine Steuerbefreiung nach der genannten Vorschrift in Betracht kommt, wäre eine neuerliche Zweckdienlichkeitsbescheinigung des Niedersächsischen Kulturamts nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes notwendig. Denn die vorliegende Bescheinigung vom 21. November 1969 enthält keine Aussage darüber, ob durch die Erwerbe die betriebswirtschaftlichen Verhältnisse beim Erwerber und die Agrarstruktur verbessert wurden. Sie wurde nur im Hinblick auf § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStAgrG erteilt und ist wegen der Unterschiede der begünstigten Zwekke nicht geeignet, die betriebswirtschaftliche und Strukturverbesserung i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG zu bescheinigen (vgl. Urteil vom 23. Oktober 1974 II R 50/68, BFHE 114, 284, BStBl II 1975, 247).
Fundstellen
Haufe-Index 71732 |
BStBl II 1976, 169 |
BFHE 1976, 406 |