Entscheidungsstichwort (Thema)
Monatsprinzip bei Kindergeldfestsetzung; Bedeutung des „Merkblatts über Kindergeld“
Leitsatz (NV)
- Der Kindergeldbescheid ist ein teilbarer Verwaltungsakt; er kann deshalb für jeden Monat geändert oder aufgehoben werden und für andere Monate unverändert bestehen bleiben.
- Der Kindergeldbescheid ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern oder aufzuheben, wenn den Kindergeldberechtigten kein grobes Verschulden daran trifft, dass Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Er handelt regelmäßig grob fahrlässig, wenn er das "Merkblatt über Kindergeld" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen hat, aber den dort genannten Mitwirkungspflichten nicht nachkommt.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 66 Abs. 2, § 68 Abs. 1, § 70 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein in Deutschland beschäftigter türkischer Staatsangehöriger, bezog während des gesamten Kalenderjahres 1996 für seine drei Kinder Kindergeld, das der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) nach Aufhebung der Kindergeldfestsetzung im Bescheid vom 14. Januar 1997 zurückforderte, weil der Kläger den ihm im Oktober 1996 zugesandten Fragebogen mit den angeforderten Nachweisen über die für die Weitergewährung von Kindergeld maßgeblichen Verhältnisse nicht innerhalb der gesetzten Frist von vier Wochen eingereicht hatte. Der Beklagte ging deshalb davon aus, dass sich diese Verhältnisse geändert hätten; auf die Rechtsfolgen der Unterlassung sei im Fragebogen hingewiesen worden. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 4. März 1997 sandte der Kläger den ausgefüllten Fragebogen an den Beklagten zurück; aus ihm ergab sich, dass sich seine Verhältnisse seit der erstmaligen Antragstellung im Januar 1996 nicht geändert hatten. Der Beklagte wertete die Einreichung des Fragebogens als Neuantrag und setzte mit Bescheid vom 5. März 1997 unter Hinweis auf die in § 66 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) a.F. bestimmte Beschränkung einer rückwirkenden Kindergeldfestsetzung das Kindergeld nur für die Zeit ab September 1996 fest. Das Schreiben des Klägers, mit dem er "diesem Bescheid widersprach", behandelte der Beklagte als Einspruch und wies diesen mit Einspruchsentscheidung vom 30. April 1997 als unbegründet zurück.
Im Rahmen der Prüfung des Einspruchs stellte der Beklagte u.a. fest, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld jedenfalls für Januar 1996 vorgelegen hätten, weil der Kläger in seinem auf dem amtlichen Formular eingereichten ersten Antrag vom Januar 1996 alle für das Kindergeld bedeutsamen Fragen beantwortet habe. Dementsprechend teilte er dem Kläger mit "Multibrief" (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) vom 12. Mai 1997 mit, dass das Kindergeld für diesen Monat doch zu Recht bezahlt worden sei und dass sich deshalb der Rückforderungsanspruch entsprechend verringere. Den Rückforderungsanspruch für die Zeit von Februar bis August 1996 hielt er aufrecht.
Am 6. Juni 1997 erhob der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 5. März 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. April 1997 und des Bescheides vom 12. Mai 1997. Außerdem legte er gegen den Bescheid vom 12. Mai 1997 Widerspruch ein, den der Beklagte als Einspruch behandelte und mit Einspruchsentscheidung vom 30. September 1997 als unbegründet zurückwies. Der Kläger erhob daraufhin gegen den Bescheid vom 12. Mai 1997 nochmals und fristgerecht Klage, die das Finanzgericht (FG) als Schriftsatz im bereits anhängigen Klageverfahren behandelte. Der Kläger will mit seinen Klagen erreichen, dass der Bescheid vom 14. Januar 1997 aufgehoben wird. Dieser Bescheid sei zwar bestandskräftig geworden, aber nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) aufzuheben, weil dem Beklagten nachträglich bekannt geworden sei, dass sich die Verhältnisse während des Jahres 1996 nicht geändert hätten.
Das FG gab der Klage statt.
- Es hob zunächst die Einspruchsentscheidung vom 30. April 1997 ersatzlos auf; der Kläger habe keinen Einspruch gegen den Bescheid vom 5. März 1997 eingelegt, sondern beantragt, den bestandskräftigen Bescheid vom 14. Januar 1997 aufzuheben und damit die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung wieder aufleben zu lassen.
- Es hob dann auch den Bescheid ("Multibrief") über die Aufhebung des Aufhebungsbescheides und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 30. September 1997 auf. Dieser Bescheid habe Kindergeld für einen Monat festgesetzt, obwohl dem Kindergeldrecht eine Festsetzung für einzelne Monate fremd sei. Damit erfasse der "Multibrief" den ganzen vorausgehenden Aufhebungsbescheid und regele die Verhältnisse für Januar (gewährend) und für Februar bis August (ablehnend) neu.
- Da von dem ursprünglichen Aufhebungsbescheid keine Bindungswirkung mehr ausgehe, werde für Februar bis August die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung wieder wirksam. Ob eine Rechtsgrundlage für den den Aufhebungsbescheid aufhebenden Bescheid vorliege, könne offen bleiben. Gegebenenfalls liege auch nur eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 1977 vor.
Mit der Revision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 37 Abs. 2, § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977, § 66 Abs. 2, § 68 Abs. 1, § 70 Abs. 2 EStG).
Er beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Die Klage, mit der der Kläger beantragt hat, die verschiedenen gegen ihn ergangenen Bescheide aufzuheben, ist unter Berücksichtigung der Klagebegründung als Verpflichtungsklage zu beurteilen (vgl. dazu u.a. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 23. November 2001 VI R 125/00, BFHE 197, 387, BStBl II 2002, 296, unter 5.b der Gründe). Sie war als unbegründet abzuweisen.
1. Der Kläger hat gegen den die Kindergeldfestsetzung aufhebenden Bescheid vom 14. Januar 1997 keinen Einspruch eingelegt; damit wurde dieser Bescheid bestandskräftig. Mit der Bestandskraft des Bescheides ist der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes entfallen; der gezahlte Betrag war deshalb an den Beklagten zurückzuerstatten (§ 37 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO 1977). Von dieser Rechtslage hätte das FG bei seiner Entscheidung aus den nachfolgenden Gründen ausgehen müssen.
2. Der Beklagte hat die verspätete Einreichung des Fragebogens zutreffend als Antrag auf Weitergewährung des Kindergeldes behandelt.
Da der Kläger die Frist für einen Einspruch gegen den Bescheid vom 14. Januar 1997 versäumt hatte und Wiedereinsetzungsgründe weder vorgetragen noch ersichtlich waren, musste der Beklagte auf der Grundlage der Angaben im Fragebogen nicht nur prüfen, ob die Voraussetzungen für die Weitergewährung von Kindergeld ―ab dem auf die Bestandskraft des Bescheides vom 14. Januar 1997 folgenden Monat (vgl. dazu u.a. BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 78/98, BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88)― für die Zukunft vorlagen, sondern auch, ob dem Antrag rückwirkend für die Zeit von Januar bis Dezember 1996 stattzugeben war. Eine rückwirkende Stattgabe setzte voraus, dass der Aufhebungsbescheid ―der unter Hinweis auf die zwischenzeitlich veränderten Verhältnisse des Klägers zugleich das Bestehen eines Anspruchs auf Kindergeld für diesen Zeitraum verneinte (zum Regelungsinhalt eines Aufhebungsbescheides vgl. u.a. BFH-Urteil in BFHE 197, 387, BStBl II 2002, 296, unter 2.b der Gründe)― nach Maßgabe der Vorschriften der §§ 172 f. AO 1977 und § 70 Abs. 2 und 3 EStG 1996 geändert oder aufgehoben werden konnte. Dementsprechend hat der Beklagte auch zutreffend die Möglichkeit einer rückwirkenden Aufhebung des Aufhebungsbescheides geprüft.
3. Der Beklagte hat den Bescheid vom 14. Januar 1997 mit Bescheid vom 5. März 1997 auch rückwirkend geändert. An einer vollständigen Aufhebung des Bescheides sah er sich durch die in § 66 Abs. 3 EStG getroffene Regelung gehindert, dass Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt werden dürfe, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen sei. Damit hat der Beklagte nicht nur ―positiv― den Anspruch des Klägers auf Kindergeld für die Zeit von September bis Dezember 1996 bejaht, sondern auch ―negativ― eine weitere Aufhebung des Bescheides vom 14. Januar 1997 abgelehnt (zur Erstreckung der Ausschlussfrist des § 66 Abs. 3 EStG auf Zweitanträge BFH-Beschluss vom 25. November 1998 VI B 269/98, BFH/NV 1999, 614, und zum Streitstand Schmidt/ Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 19. und 22. Aufl., § 66 Rz. 8). An die für den Kläger positive Entscheidung in diesem Bescheid war das FG unabhängig davon gebunden, ob der Beklagte die Änderungsmöglichkeit zutreffend bejaht hat. Denn insoweit ist der Bescheid bestandskräftig geworden. Kindergeldbescheide sind teilbare Verwaltungsakte (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 26. Juli 2001 VI R 163/00, BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174); sie können für jeden einzelnen Monat selbständig angefochten werden (vgl. dazu Senatsurteil vom 29. Januar 2003 VIII R 60/00, BFH/NV 2003, 927). Das FG ist deshalb zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit dem Schreiben vom 17. März 1997 den Bescheid vom 5. März 1997 insoweit nicht anfechten wollte, als er den Kindergeldanspruch des Klägers bestätigte.
4. Das FG durfte aber die diesen Bescheid bestätigende Einspruchsentscheidung vom 30. April 1997 nicht ersatzlos aufheben.
Das Schreiben vom 17. März 1997, mit dem der Kläger "dem Bescheid vom 5. März 1997 widersprochen" hatte, war als Einspruch gegen diesen Bescheid zu behandeln. Denn mit ihm begehrte der Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 5. März 1997 insoweit, als dieser die Aufhebung des Aufhebungsbescheides vom 14. Januar 1997 für die Monate Januar bis August 1996 ablehnte.
Im Rahmen dieses Einspruchs musste der Beklagte auf der Grundlage des eingereichten Fragebogens und seiner verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Durchbrechung der Bestandskraft des Bescheides vom 14. Januar 1997 prüfen, ob er eine Änderung oder Aufhebung dieses Bescheides im angefochtenen Bescheid vom 5. März 1997 zu Recht abgelehnt hat. Er hat dies bejaht und den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Damit war dem Kläger nach erfolglosem Vorverfahren die Verpflichtungsklage zum FG eröffnet (§ 40 Abs. 1 und 2, § 44 Abs. 1 FGO).
5. Das FG durfte auch den Bescheid vom 12. Mai 1997 ("Multibrief") und die diesen bestätigende Einspruchsentscheidung vom 30. September 1997 nicht aufheben.
Der "Multibrief" enthält mit der teilweisen Aufhebung des Bescheides vom 5. März 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. April 1997 nur die Regelung, dass der Bescheid vom 14. Januar 1997 für den Monat Januar 1996 aufgehoben, die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung für Januar 1996 wieder in Kraft gesetzt und der Rückforderungsanspruch des Beklagten für diesen Monat nicht mehr aufrechterhalten werde. Der Beklagte war zu dieser zeitlich beschränkten Aufhebung verfahrensrechtlich berechtigt. Der Kindergeldbescheid ist, wie ausgeführt, ein teilbarer Verwaltungsakt; er konnte deshalb für jeden Monat geändert oder aufgehoben werden und für andere Monate unverändert bestehen bleiben (BFH-Urteile in BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174; vom 26. Juli 2001 VI R 102/99, BFH/NV 2002, 178; in BFH/NV 2003, 927).
Diese Regelung ist bestandskräftig geworden. Der Kläger hat zwar auch diesen Bescheid angefochten; die Anfechtung betraf jedoch ersichtlich nicht die für ihn günstige Regelung für Januar 1996, sondern geschah in der Annahme, der Bescheid enthalte gleichzeitig auch die für ihn ungünstige Ablehnung der Aufhebung des Aufhebungsbescheides vom 14. Januar 1997 für die Zeit von Februar bis einschließlich August 1996. Da der "Multibrief" diesen Regelungsinhalt nicht hatte, hat der Beklagte seine Änderung mit der Einspruchsentscheidung vom 30. September 1997 zutreffend abgelehnt.
Auswirkungen auf das anhängige Klageverfahren hatte der "Multibrief" und das gegen ihn gerichtete Einspruchsverfahren nicht; das Ergebnis dieses Verfahrens hatte bereits vor Klageerhebung zu einer Änderung der Einspruchsentscheidung vom 30. April 1997 und damit zur materiellen Erledigung der Hauptsache geführt, soweit der Kläger die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Aufhebungsbescheides vom 14. Januar 1997 für den Monat Januar 1996 beantragt hatte.
Der "Multibrief" hatte auch keine Auswirkungen auf das Klageverfahren betreffend die Monate Februar bis einschließlich August 1996. Insbesondere wurde er nicht ―wie das FG offenbar angenommen hat― durch Umdeutung der Klage nach § 68 FGO Gegenstand dieses Klageverfahrens (zur analogen Anwendung von § 68 FGO auf Einkommensteuer-Änderungsbescheide, die vor Klageerhebung während der Klagefrist ergangen sind, vgl. BFH-Beschluss vom 15. Oktober 1997 VIII B 91/97, BFH/NV 1998, 479). Er ist wegen seines eingeschränkten Regelungsgehalts nicht ändernder oder ersetzender Bescheid im Sinne dieser Vorschrift, auch nicht als wiederholende Verfügung (zur Anwendbarkeit von § 68 FGO auf wiederholende Verfügungen vgl. BFH-Urteil vom 26. November 1997 I R 104/95, BFH/NV 1998, 1102, und BFH-Beschluss vom 17. November 1999 XI B 4/99, BFH/NV 2000, 586). Das FG durfte deshalb den "Multibrief" und die ihn bestätigende Einspruchsentscheidung nicht als Teil des Klagebegehrens im Verfahren gegen den Bescheid vom 5. März 1997 behandeln. Es war auch nicht verpflichtet, dieses Verfahren entsprechend § 74 FGO auszusetzen, wie dies bei (teilweise) identischen Streitgegenständen geboten gewesen wäre (vgl. dazu u.a. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1999 VIII R 26/94, BFHE 191, 1, BStBl II 2000, 300, m.w.N.).
6. Die Entscheidung des Falles hängt demnach davon ab, ob der Beklagte verpflichtet war, im Bescheid vom 5. März 1997 den Bescheid vom 14. Januar 1997 aufzuheben. Das ist zu verneinen.
a) Dem Bescheid vom 14. Januar 1997 kommt hinsichtlich der Ablehnung der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für Februar bis einschließlich August 1997 Bindungswirkung bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe zu (s. oben II.2. der Gründe); das war hier bis Ende Januar 1997. Er konnte deshalb nur nach Maßgabe der §§ 172 f. AO 1977 oder nach § 70 Abs. 2 und 3 EStG 1996 aufgehoben werden. Da § 70 EStG nicht für Bescheide gilt, mit denen eine Kindergeldfestsetzung abgelehnt oder aufgehoben wird (BFH-Urteile in BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88, und vom 25. Juli 2001 VI R 164/98, BFHE 196, 257, BStBl II 2002, 89), kommt im Streitfall nur eine Aufhebung des Bescheides vom 14. Januar 1997 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 in Betracht (vgl. dazu u.a. BFH-Urteil in BFHE 197, 387, BStBl II 2002, 296). Soweit der Kläger und das FG auf die Möglichkeit einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO 1977 verweisen, ist dem Senat eine Entscheidung im vorliegenden Verfahren verwehrt. Die Steuerfestsetzung nach § 155 AO 1977 und die Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 1977 sind zwei verschiedene Streitgegenstände, über die in verschiedenen Verfahren entschieden wird (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Urteile vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297; vom 18. November 1998 X R 110/95, BFHE 187, 488, BStBl II 1999, 225, unter II.3. der Gründe; BFH-Beschluss vom 26. Mai 2000 XI E 1/00, BFH/NV 2001, 43). Im Streitfall fehlt es sowohl an einem die Billigkeitsmaßnahme ablehnenden Verwaltungsakt als auch an dem für eine zulässige Verpflichtungsklage erforderlichen Vorverfahren (vgl. dazu u.a. BFH-Urteil vom 21. September 2000 IV R 54/99, BFHE 193, 301, BStBl II 2001, 178, unter 2. der Gründe).
b) Der Bescheid war nicht gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern.
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 war der Bescheid nur zu ändern oder aufzuheben, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt wurden, bei deren Kenntnis der den Kläger belastende Bescheid nicht erlassen worden wäre und den Kläger kein grobes Verschulden daran traf, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt wurden. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall nicht vor. Der Senat geht zwar mit den Beteiligten davon aus, dass dem Beklagten mit der Einreichung des Fragebogens die für die Kindergeldfestsetzung maßgeblichen Tatsachen erst nachträglich ―d.h. nach abschließender Zeichnung der Verfügung zum Bescheid (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 197, 387, BStBl II 2002, 296, unter 4.c der Gründe, m.w.N.)― bekannt wurden; die nachträgliche Kenntnis hat aber der Kläger grob fahrlässig verschuldet. Grob fahrlässig handelt, wer die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen und Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil in BFHE 197, 387, BStBl II 2002, 296, unter 4.d der Gründe, m.w.N.). Das ist z.B. dann anzunehmen, wenn es ein Steuerpflichtiger unterlässt, das Einkommensteuerformular und den dazu gehörenden Erläuterungstext im Einzelnen durchzulesen und Erläuterungen, die den Erklärungsformularen beigefügt sind, zu beachten. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Anforderungen an die Mitwirkung klar erkennbar und die Erläuterungen hierzu leicht verständlich abgefasst sind und auf die besondere Situation eingehen, an die die Mitwirkungspflicht anknüpft (vgl. dazu u.a. Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 173 Rz. 112, mit Rechtsprechungsnachweisen; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 173 AO 1977 Tz. 77).
So liegt der Fall auch hier. Der Kläger hat auf dem ihm zugesandten Fragebogen bestätigt, dass er das "Merkblatt über Kindergeld" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen hat. Seine Mitwirkungspflichten waren ihm auch bereits aus den früheren jährlichen Fragebogenaktionen bekannt.
In diesem Merkblatt, das den Kindergeldberechtigten auffordert, es genau zu lesen, damit er über seine Rechte und Pflichten informiert ist, wird auf die besondere Bedeutung der Mitwirkungspflichten des Kindergeldberechtigten und ―besonders herausgehoben― darauf hingewiesen, dass der Kindergeldanspruch jeweils durch Zusendung eines Fragebogens überprüft wird (unter Tz. 18). Ergänzend ist dort ausgeführt: "Zu dieser Mitwirkung sind Sie nach § 93 Abs. 1 der Abgabenordnung ausdrücklich verpflichtet. Wenn Sie ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht nicht nachkommen, muss die Festsetzung ihres Kindergeldanspruchs wegen Nichtfeststellbarkeit der Anspruchsvoraussetzungen aufgehoben oder geändert werden."
7. Da die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Februar bis einschließlich August 1996 nicht mehr geändert werden kann, konnte der Beklagte das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld nach § 37 Abs. 2 AO 1977 zurückfordern.
Fundstellen
Haufe-Index 1131128 |
BFH/NV 2004, 910 |
DStRE 2004, 851 |