Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen des Entschädigungsbegriffs
Leitsatz (NV)
Die Mitwirkung des Steuerpflichtigen an dem den Einnahmeausfall begründenden Ereignis (im Streitfall durch Ausübung einer ihm von seinem Arbeitgeber eingeräumten Option) ist nur unschädlich, wenn er unter erheblichem wirtschaftlichen, rechtlichen oder tatsächlichen Druck gehandelt hat.
Normenkette
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
Tatbestand
Seit dem 1. März 1982 arbeitet der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bei der Fa. X (Arbeitgeber). Mit Abschluß des Arbeitsvertrags erwarb der Kläger eine Anwartschaft auf eine betriebliche Altersversorung, für die sein Arbeitgeber Rückstellungen bildete. Im Januar 1988 führte der Arbeitgeber ein ,,Leistungspaket zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung" ein. Neu eintretenden Arbeitnehmern wurde die Möglichkeit eröffnet, auf Kosten des Arbeitgebers eine Kapital-Lebensversicherung abzuschließen. Mitarbeitern, die bereits über eine Pensionsanwartschaft verfügten, konnten ebenfalls von dieser Form der betrieblichen Altersversorgung Gebrauch machen. In diesen Fällen wurde ein Betrag in Höhe der gebildeten Pensionsrückstellung nach Abzug der Steuern als Einmalbetrag in eine Kapital-Lebensversicherung eingezahlt. Da der Kläger aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen mit dem Verfall seiner Anwartschaft rechnete, entschied er sich für diese Möglichkeit. Der Barwert seiner Pensionsanwartschaft wurde in Höhe von 16541 DM ausbezahlt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) besteuerte den Betrag gemäß § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung. Einspruch und Klage, die auf die Anwendung der §§ 24 Nr.1 Buchst. a, 34 Abs. 1, 2 EStG gerichtet waren, blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) führte aus: Als Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst. a EStG kämen nur Einnahmen in Betracht, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen geleistet würden, an deren Stelle träten, auf einer eigenen (neuen) Rechtsgrundlage beruhten und mit dem Steuerpflichtigen unter nicht unerheblichem tatsächlichem, rechtlichen oder wirtschaftlichen Druck vereinbart worden seien. Zumindest bei Abfindungen während eines laufenden Arbeitsverhältnisses könne auf die Tatbestandsvoraussetzung des nicht unerheblichen Drucks nicht verzichtet werden. Anderenfalls könnte die unterschiedliche Behandlung der Fälle des § 34 Abs. 3 EStG nicht gerechtfertigt werden; dem Urteil des FG des Saarlandes vom 27. November 1990 1 K 31/89 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1991, 392; aufgehoben durch Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Juli 1992 XI R 5/91, BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27) sei nicht zu folgen.
Der Kläger habe bei der Ausübung des ihm eingeräumten Wahlrechts nicht unter Druck gestanden. Der Arbeitgeber habe ihm nachträglich das Wahlrecht eingeräumt, ohne in irgendeiner Weise die Willensbildung des Klägers in einer bestimmten Richtung zu beeinflussen. Der Kläger sehe den wirtschaftlichen Druck darin, daß der verfallbaren Anwartschaft wegen der noch fehlenden Mindestbetriebszugehörigkeit angesichts von Rationalisierungsmaßnahmen ein verstärktes Risiko angehaftet habe, welches bei der auf seinen Namen abgeschlossenen Direktversicherung entfallen sei. Wirtschaftlicher Druck liege aber nicht schon dann vor, wenn bei dem Arbeitnehmer wirtschaftlich vernünftige Gründe dafür sprächen, die Kapitalisierung zu wählen (BFH-Urteil vom 15. Dezember 1989 VI R 4/85, BFH/NV 1990, 429). Der Druck müsse vom Arbeitgeber ausgehen und auf die Herbeiführung des gewünschten Ergebnisses gerichtet sein. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Einräumung der Wahlmöglichkeit habe sich an der allgemeinen betrieblichen Situation des Klägers nichts geändert. Der Kläger sei nicht gezwungen gewesen, in jedem Fall die neue Form der betrieblichen Altersversorgung wählen zu müssen, um konkret absehbaren Nachteilen zu entgehen. Der Verzicht auf Rechte aus einer verfallbaren Anwartschaft wegen Zweifeln an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers entspringe lediglich einer gebotenen Risikoabwägung, nicht aber einem erheblichen wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck des Arbeitgebers.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 24 Nr.1 Buchst. a EStG:
1. Würde man der Auffassung des FA folgen, könnte eine Entschädigung nur noch bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses angenommen werden. Diese Auslegung finde im Gesetzeswortlaut keine Stütze.
2. Unter eine Entschädigung falle der vermögensmäßige Nachteilsausgleich, der durch das Ausbleiben bestimmter Einnahmen entstanden sei. § 24 Nr.1 Buchst. a EStG erfasse auch Zahlungen, die den Steuerpflichtigen für einen Einnahmeverlust bzw. die Aufgabe oder das Ruhenlassen der Einkunftsquelle entschädigten (Knobbe-Keuk, Der Betrieb - DB -, Beilage Nr.6/92, 5 ff.). Eine Verengung dieses Entschädigungsbegriffes durch das Merkmal der ,,Quasi-Unfreiwilligkeit" würde dieser Intention entgegenlaufen.
Die Entscheidung, ob außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG vorlägen, könne daher nicht über das ,,Hineinlesen" des Merkmals der ,,Quasi-Unfreiwilligkeit" in den Entschädigungsbegriff des § 24 EStG gelöst werden.
3. Sollte an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten werden, sei - zur Vermeidung einer unbilligen Härte - § 40b EStG nachträglich anzuwenden.
Das FA führt demgegenüber aus:
Der BFH vertrete nach wie vor die Auffassung, daß die Annahme einer Entschädigung ein ,,Handeln unter Druck" voraussetze (vgl. BFH-Urteile vom 24. Oktober 1990 X R 161/88, BFHE 162, 329, BStBl II 1991, 337, und in BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27). Der Kläger habe die Aufgabe seiner Ansprüche gegenüber dem Pensionswerk seines Arbeitgebers durch Unterzeichnung der Verzichtserklärung gegen eine Abfindung in Höhe des ,,Rückstellungswertes" nicht unter einem erheblichen Druck gehandelt.
Gegenstand des anhängigen Verfahrens sei der Einkommensteuerbescheid; eine Pauschalbesteuerung gemäß § 40b EStG sei nicht statthaft. Im übrigen sei § 40b Abs. 2 Satz 3 EStG eine Sonderregelung, die über ihren Regelungsbereich hinaus nicht angewendet werden dürfe (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1987 VI R 204/83, BStBl II 1988, 379).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Gemäß § 24 Nr.1 EStG gehören zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1990, 429; vom 30. Januar 1991 XI R 21/88, BFH/NV 1992, 646, und in BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27, jeweils m.w.N.) ist die Mitwirkung des Steuerpflichtigen an der Entstehung des Einnahmeausfalls unschädlich, wenn er bei der Aufgabe seiner Rechte unter erheblichem wirtschaftlichen, rechtlichen oder tatsächlichen Druck gehandelt hat.
Im Streitfall haben FA und FG zu Recht entschieden, daß der Kläger nicht gezwungen war, zur Sicherung seiner Ansprüche auf die zu erwartenden Leistungen aus dem Pensionsfonds seines Arbeitgebers zu verzichten. Nach den Feststellungen des FG war nicht damit zu rechnen, daß der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen nicht würde nachkommen können; der Kläger war nicht wegen Gefährdung seiner Ansprüche gezwungen, sich abfinden zu lassen.
2. Die Revision wäre auch dann unbegründet, wenn man - wie der Kläger im Anschluß an Knobbe-Keuk, a.a.O. - die Ansicht vertritt, daß das Merkmal der Unfreiwilligkeit nicht zu dem Tatbestand des § 24 Nr.1 Buchst. a EStG gehört. Zur Begründung dieser Ansicht kann sich der Kläger auf die §§ 16, 34 EStG und auf die Buchst. b und c des § 24 Nr.1 EStG berufen; auch in diesen Fällen ist ohne Bedeutung, warum die Tätigkeit aufgegeben oder die Veräußerung vorgenommen wurde. Unter diesem Gesichtspunkt steht § 24 Nr.1 Buchst. a EStG weniger mit § 3 Nr.9 EStG in einem sachlichen Konnex, sondern - wie auch die übergreifende Regelung des § 34 Abs. 1 EStG zeigt - stärker mit § 24 Nr.1 Buchst. b und c EStG und § 16 EStG.
Dieser Vergleich zeigt allerdings auch, daß eine Entschädigung nicht bereits bei jedem Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen anzunehmen ist; vielmehr kommt bei dieser Interpretation des § 24 Nr.1 Buchst. a EStG eine Entschädigung nur in Betracht, wenn - den Tatbeständen der Buchst. b und c § 24 Nr.1 EStG oder des § 16 EStG vergleichbar - eine Tätigkeit beendet wird. Entsprechend und konsequent werden bei Gewinneinkünften Ersatzleistungen wegen der Nichtdurchführung einzelner Verträge nicht als Entschädigungen nach § 24 Nr.1 Buchst. a EStG erfaßt (BFH-Urteil vom 18. September 1986 IV R 228/83, BFHE 147, 477, BStBl II 1987, 25, m.w.N.).
3. Der Antrag auf Pauschalierung der Lohnsteuer gemäß § 40b EStG ist nicht statthaft. Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits ist allein der Einkommensteuerbescheid 1988. Klageänderungen sind im Revisionsverfahren unzulässig (§ 123 Satz 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 419160 |
BFH/NV 1993, 721 |