Leitsatz (amtlich)
Schuldzinsen für einen Kredit zur Nachentrichtung frelwilliger Beiträge zur Angestelltenversicherung sind bei den sonstigen Einkünften in Gestalt wiederkehrender Bezüge in voller Höhe als Werbungskosten abziehbar.
Normenkette
EStG 1975 § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 1, § 22 Nr. 1 Buchst. a
Tatbestand
Die Kläger, Revisionsbeklagten und Anschlußrevisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1975 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger zahlte im Streitjahr 1975 aus Mitteln eines ihm von einer Bank gewährten Kredits freiwillige Beiträge zur Angestelltenversicherung für die Jahre 1945 bis 1948 und 1956 bis 1968 nach. Für den Kredit zahlte er 1975 497,59 DM Schuldzinsen.
In der Einkommensteuererklärung für 1975 machte der Kläger die vorerwähnten Zinsen als vorab entstandene Werbungskosten bei den sonstigen Einküften i. S. von § 22 Nr. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG) geltend. Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte einen Abzug der Ausgaben und erließ einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid für 1975.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage teilweise statt und führte dazu aus: Die Schuldzinsen seien dem Grunde nach vorab entstandene Werbungskosten bei sonstigen Einkünften des Klägers nach § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG. Sie stünden in einem ausreichend bestimmten wirtschaftlichen Zusammenhang mit den vom Kläger erstrebten künftigen Rentenbezügen aus der Angestelltenversicherung. Für die Höhe des Abzugs sei jedoch zu berücksichtigen, daß die Rentenbezüge des Klägers bei einem voraussichtlichen Beginn mit Vollendung des 65. Lebensjahres nur in Höhe des Ertragsanteils von 20 v. H. einkommensteuerpflichtig seien. Die mit den steuerfreien Einnahmen zusammenhängenden Zinsen seien nicht abziehbar. Als Werbungskosten seien demnach 20 v. H. des Zinsbetrags zu berücksichtigen.
Mit der - wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen - Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 9 Abs. 1 EStG und bringt dazu vor: Die Zinsen stünden weder in einem unmittelbaren noch in einem zeitlichen Zusammenhang mit Einkünften. Mit den Kreditmitteln sei lediglich eine Anwartschaft auf ein Rentenstammrecht erworben worden, nicht aber die Einkunftsquelle selbst. Eine solche Einkunftsquelle könne der 1916 geborene Kläger frühestens 1981 erlangen.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Mit der - unselbständigen - Anschlußrevision rügt der Kläger ebenfalls unrichtige Anwendung des § 9 Abs. 1 EStG. Er hält die Schuldzinsen für in voller Höhe abziehbar. § 3 c EStG könne nicht eingreifen, weil der Kapitalrückzahlungsteil bei der Rente keine steuerfreie Einnahme i. S. dieser Vorschrift sei.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1975 die Einkommensteuer auf ... DM herabzusetzen.
Entscheidungsgründe
1. Revision des FA
Die Revision ist unbegründet.
Die Schuldzinsen für den Kredit zur Nachentrichtung von Beiträgen zur Angestelltenversicherung sind Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 EStG (§§ 9, 22 Nr. 1 Buchst. a EStG).
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen Werbungskosten. Dies gilt auch für Schuldzinsen, soweit sie mit einer Einkunftsart in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG).
Schuldzinsen gehören ebenso wie andere Aufwendungen im Rahmen von sonstigen Einkünften in Form wiederkehrender Bezüge (§ 22 Nr. 1 Buchst. a EStG) zu den Werbungskosten, wenn sie durch Erzielen solcher Einkünfte veranlaßt sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gilt für Betriebsausgaben und Werbungskosten gleichermaßen das Veranlassungsprinzip (vgl. Beschluß vom 28. November 1977 GrS 2- 3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105 betr. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 EStG; Urteile vom 21. Juli 1981 VIII R 128/76, BFHE 134, 119, betr. Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG; vom 3. Juni 1975 VIII R 274/71, BFHE 116, 35, BStBl II 1975, 664 betr. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 EStG). Danach können ebenso wie bei den anderen Überschußeinkünften nach § 2 Abs. 1 Nrn. 4 bis 7 EStG auch bei sonstigen Einkünften in Form wiederkehrender Bezüge nach § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG Aufwendungen mit Ausnahme der Anschaffungs- oder Herstellungskosten einschließlich der Anschaffungsnebenkosten der zur Erzielung von Einkünften verwendeten Wirtschaftsgüter Werbungskosten sowohl sein, wenn bereits Einnahmen fließen als auch dann, wenn noch keine Einnahmen erzielt werden; bei vergeblichen Planungen kann das Bestehen einer erkennbaren Beziehung mit den angestrebten Einkünften genügen (vgl. BFH-Urteil vom 13. November 1973 VIII R 157/70, BFHE 110, 556, BStBl II 1974, 161).
Schuldzinsen und andere Kreditkosten sind durch die Erzielung wiederkehrender Bezüge veranlaßt, wenn die Schuldaufnahme dazu dient, das Fließen wiederkehrender Bezüge zu ermöglichen oder zu fördern. Das ist bei den Zinsen und Kosten eines Kredits der Fall, mit dem die Beiträge zur Bildung eines Rentenstammrechts oder - wie bei Sozialversicherungsrenten - einer Anwartschaft finanziert werden, aus dem oder der die wiederkehrenden Bezüge fließen sollen. Unerheblich ist es, ob die Beiträge selbst bei der Überschußermittlung zu berücksichtigen sind oder ob sie nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 oder Abs. 2 EStG als Sonderausgaben abziehbar sind oder nicht. Ebenso wie Finanzierungskosten nicht zu den Anschaffungskosten oder Anschaffungsnebenkosten eines Wirtschaftsguts gehören, sind auch die Kreditkosten nicht den Beiträgen zum Erwerb des Rentenstammrechts oder der Anwartschaft zuzurechnen. Entgegen der Meinung des FA ist es auch belanglos, in welchem zeitlichen Zusammenhang die Kreditkosten mit den späteren Rentenbezügen stehen oder ob der Versicherungsfall wirklich eintritt. Unter dem Veranlassungsgesichtspunkt ist der Zusammenhang in jedem Fall gegeben, zumal auch vergebliche Ausgaben Werbungskosten sein können. Entscheidend ist, daß die Kreditkosten zur Finanzierung der Grundlage für Renteneinkünfte aufgewendet werden.
2. Mit diesen Grundsätzen steht die Vorentscheidung im Einklang, soweit sie eine Abziehbarkeit der Schuldzinsen dem Grunde nach bejaht hat. Gleichwohl kann sie, wie nachstehend zur Anschlußrevision der Kläger ausgeführt wird, keinen Bestand haben.
II. Anschlußrevision der Kläger
Die Anschlußrevision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur anderweitigen Steuerfestsetzung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Anschlußrevision ist zulässig. Sie wurde innerhalb eines Monats nach der Zustellung der Revisionsbegründung eingelegt und begründet (vgl. BFH-Zwischenurteil vom 8. April 1981 II R 4/78, BFHE 133, 155, BStBl II 1981, 534).
2. Die Anschlußrevision ist auch begründet.
Die umstrittenen Schuldzinsen sind in voller Höhe Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften (§§ 22, 9 EStG).
a) Entgegen der Meinung des FG steht es einem Abzug der Schuldzinsen in voller Höhe nicht entgegen, daß die späteren Rentenbezüge nur in Höhe des sog. Ertragsanteils einkommensteuerpflichtig sind, während der sog. Kapitalanteil steuerfrei bleibt (§ 22 Nr. 1 Buchst. a EStG). Es kann hier offenbleiben, ob es bei Sozialversicherungsrenten überhaupt zur Zahlung eines Ertragsanteils und eines Kapitalanteils kommt (vgl. dazu Tipke, Steuerrecht, 8. Aufl., S. 183). Ist - wie oben unter I. zur Revision des FA ausgeführt - für die Abziehbarkeit von Schuldzinsen als Werbungskosten auf die Veranlassung durch Erzielung von Einkünften abzustellen, dann genügt es für den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Aufwendungen und Einkunftsart i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, daß der Gedanke der Einkünfteerzielung im Vordergrund steht. Ob auch die Erwägung, daß Kapital zurückgezahlt werden soll, mitursächlich für die Ausgaben ist, ist belanglos, weil dadurch die Veranlassung der Ausgaben durch ein - künftiges - Erzielen von wiederkehrenden Bezügen nicht aufgehoben wird.
Diese Auffassung verstößt nicht gegen § 3 c EStG. Abgesehen davon, daß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG nicht als eine Umkehrung des in § 3 c EStG enthaltenen Abzugsverbots anzusehen ist, sind nach § 3 c EStG nur solche Ausgaben vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen, bei denen eine abgrenzbare Beziehung zu steuerfreien Einnahmen besteht. Das ist bei Schuldzinsen der in Rede stehenden Art nicht der Fall. Sie werden zur Finanzierung von Beiträgen geleistet, deren Zweck es ist, wiederkehrende Bezüge in Form einer Leibrente über den erbrachten Beitrag hinaus zu erhalten. Zweck der Schuldaufnahme ist nicht die Finanzierung des Aufwands für einen Anspruch auf Kapitalrückzahlung, sondern auf Rentenzahlung.
b) Die Vorentscheidung, die insoweit auf einer anderen Überlegung beruht, war aufzuheben. Der Senat kann selbst entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 74116 |
BStBl II 1982, 41 |
BFHE 1981, 124 |