Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 9 Abs. 1 KStG findet auf Schachtelerträge, die der Obergesellschaft von einem nach § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG steuerbefreiten Unternehmen zufließen, keine Anwendung.
Normenkette
KStG §§ 2, 4 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 9 Abs. 1, 3
Tatbestand
Streitig ist in erster Linie, ob die Vorschrift des § 9 Abs. 1 KStG auf Schachtelerträge der Obergesellschaft auch dann Anwendung findet, wenn die Untergesellschaft (das Beteiligungsunternehmen) gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG persönlich von der Körperschaftsteuer befreit ist. Daneben betrifft die Anschlußrevision der Revisionsbeklagten die Rechtmäßigkeit der Erhebung einer Nachsteuer (§ 9 Abs. 3 KStG) auf die streitigen Schachtelerträge.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) - eine AG - war in den Streitjahren (1963 und 1964) mit 66 2/3 v. H. an einer AG beteiligt, die ihrerseits wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke nach § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG persönlich von der Körperschaftsteuer befreit war. Die von der Klägerin in den Streitjahren auf ihre Beteiligung bezogenen Gewinnanteile in Höhe von je 16 000 DM unterwarf der Beklagte und Revisionskläger (FA) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des RFH und die Urteile des BFH vom 13. März 1956 I 313/55 U (BFHE 62, 419, BStBl III 1956, 155) und vom 20. September 1960 I 63/59 U (BFHE 73, 202, BStBl III 1961, 341) der Körperschaftsteuer.
Der nach erfolglosem Einspruch zu ihm erhobenen Klage gab das FG mit seinem in EFG 1972, 607 veröffentlichten Urteil im Hauptstreitpunkt statt. Es führte aus:
Die AG sei ungeachtet ihrer persönlichen Freistellung von der Körperschaftsteuer unbeschränkt steuerpflichtig. Damit, daß eine Körperschaft in den Genuß einer persönlichen Steuerbefreiung gelange, scheide sie nicht aus dem Kreis der unbeschränkt steuerpflichtigen Personen aus. Es treffe auch nicht zu, daß eine unbeschränkt steuerpflichtige, indes persönlich steuerbefreite Körperschaft mit ihren steuerabzugspflichtigen Einkünften der beschränkten Steuerpflicht unerliege. Den BFH-Urteilen I 313/55 U und I 63/59 U, die diese Auffassung mit der Begründung verträten, daß die Vorschriften des § 3 Abs. 1 Nr. 2 und des § 9 Abs. 2 KStG 1925 durch ihre Neufassung in § 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 4 Abs. 2 KStG 1934 inhaltlich nicht hätten geändert werden sollen, könne nicht beigetreten werden. Nicht die Absicht des historischen Gesetzgebers, sondern der sich aus Wortlaut und Sinnzusammenhang ergebende objektivierte Wille des Gesetzes sei entscheidend. Während nach dem Körperschaftsteuergesetz 1925 ein Nebeneinander von unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht möglich gewesen sei, weil die beschränkte Steuerpflicht für abzugspflichtige Einkünfte unabhängig von der Organisationsform und dem Sitz der sie beziehenden Körperschaft gewesen sei, sei das nach den Vorschriften der §§ 1 und 2 KStG 1934 nicht mehr der Fall. Deshalb könne auch die Vorschrift des § 4 Abs. 2 KStG so verstanden werden, daß durch sie die Befreiung unbeschränkt steuerpflichtiger Körperschaften in § 4 Abs. 1 KStG nicht eingeschränkt werde.
Das FG stimme der Klägerin jedoch nicht auch darin zu, wenn sie aus dem BFH-Urteil vom 3. Februar 1971 I R 22/68 (BFHE 101, 364, BStBl II 1971, 406) auf die Unrechtmäßigkeit der Nachversteuerung der streitigen Erträge nach § 9 Abs. 3 KStG schließe. Die Erhebung der Nachsteuer führe hier - anders als in dem den gespaltenen Steuertarif betreffenden Urteil - nicht zu einer Besteuerung über 51 v. H. hinaus.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des FA mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zur Begründung trägt es vor:
Die in § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG ausgesprochene subjektive Befreiung, die ihrerseits sachlich auf den Geschäftskreis des Unternehmens abstelle, setze in ihrer materiell-rechtlichen Wirkung die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht aus § 1 KStG insoweit aus, als das Unternehmen keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalte. Eine persönlich steuerbefreite Kapitalgesellschaft stehe deshalb insoweit wirtschaftlich einer Gesellschaft gleich, die im Inland weder unbeschränkt noch beschränkt steuerpflichtig sei.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer unselbständigen - weil erst nach Ablauf der Revisionseinlegungsfrist eingelegten - Anschlußrevision gegen ihre Heranziehung mit den Schachtelerträgen zur Nachsteuer nach § 9 Abs. 3 KStG. Sie trägt zur Begründung vor:
Es könne für die Erhebung der Nachsteuer keinen Unterschied machen, ob die Schachtelerträge bei der ausschüttenden Gesellschaft dem vollen Steuersatz unterlegen hätten oder auf Grund persönlicher Steuerbefreiung steuerfrei geblieben seien. In einem Falle wie dem vorliegenden könne die Nachsteuer ihre Funktion, eine wegen des Ausschüttungstatbestandes bei der Untergesellschaft ermäßigte Steuer durch eine ergänzende Belastung bei der Obergesellschaft auf den vollen Steuersatz zu bringen, nicht erfüllen. Denn da eine Ermäßigung des Steuersatzes mit Rücksicht auf die Ausschüttung nicht eingetreten sei, sei auch der vom Gesetzgeber gewählte Anknüpfungspunkt für die Nachsteuer nicht gegeben. Die Erhebung der Nachsteuer würde deshalb dazu führen, daß Gewinne, die aufgrund einer besonderen Befreiungsvorschrift von der Körperschaftsteuer freigestellt seien, dennoch mit dieser Steuer belastet würden.
Das FA beantragt, die Anschlußrevision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA hat nach zwischenzeitlicher Durchführung einer Betriebsprüfung unter dem 4. Dezember 1972 - d. h. während des Revisionsverfahrens - berichtigende Bescheide erlassen. Die Klägerin hat beantragt, sie gemäß §§ 68, 123 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Sie hat zugleich - über den bisherigen Gegenstand des Rechtsstreits hinaus - beantragt, die ihr seitens der D-GmbH zugeflossenen Ausschüttungen mit demjenigen Teilbetrag von der Nachsteuer freizustellen, der nicht zu einer Ermäßigung des Körperschaftsteuersatzes geführt habe (1963: 199 851 DM, 1964: 232 392 DM).
Das FA hat nunmehr beantragt, die Steuerschuld nach den berichtigten Bescheiden vom 4. Dezember 1972 festzusetzen und den Antrag der Klägerin bezüglich der Behandlung der von der D-GmbH bezogenen Gewinnausschüttungen zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Sache wird unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das FG zurückverweisen.
1. Die Vorschrift des § 9 Abs. 1 KStG fordert für ihre Anwendbarkeit, daß die Untergesellschaft - ebenso wie die Obergesellschaft - unbeschränkt steuerpflichtig ist, d. h. mit ihren sämtlichen Einkünften der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland unterliegt (§ 1 Abs. 2 KStG). Wer unbeschränkt steuerpflichtig ist, ist in § 1 Abs. 1 KStG abschließend geregelt (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1970 I R 122/68, BFHE 101, 79, BStBl II 1971, 187). Begründet wird die unbeschränkte Steuerpflicht der hier genannten Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen damit, daß sie ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben.
Demgegenüber regelt § 2 KStG die beschränkte Steuerpflicht. Ihr unterliegen einmal (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 KStG) solche Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben und deshalb in der Bundesrepublik Deutschland nur mit bestimmten inländischen Einkünften zur Steuer herangezogen werden (§ 6 Abs. 1 KStG, § 49 EStG), zum anderen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 KStG) solche Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind, mit ihren inländischen dem Steuerabzug unterliegenden Einkünften.
Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 2 KStG wäre überflüssig, wollte man sie - streng ihrem Wortlaut nach - allein auf beschränkt Steuerpflichtige im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 KStG beziehen, da diese Gruppe beschränkt Steuerpflichtiger bereits nach eben dieser Vorschrift mit ihren inländischen - und damit auch ihren inländischen steuerabzugspflichtigen - Einkünften der Steuer unterliegt. Sie muß deshalb (auch) auf grundsätzlich unbeschränkt Steuerpflichtige abstellen, die nach besonderer Vorschrift - hier: des § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG - persönlich von der Steuer befreit sind. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 2 KStG begründet für unbeschränkt Steuerpflichtige eine latente beschränkte Steuerpflicht für den Fall ihrer persönlichen Steuerfreistellung. Nichts anderes will der Hinweis auf diese Vorschrift in § 4 Abs. 2 KStG besagen, nach dem die persönliche Freistellung von der Steuerpflicht sich nicht auch auf solche (inländischen) Einkünfte bezieht, die dem Steuerabzug unterliegen (wobei anzumerken ist, daß logischerweise nur inländische Einkünfte dem Steuerabzug unterworfen werden können).
2. Die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 9 Abs. 3 KStG ist im Streitfalle insoweit nicht gegeben, da sie ein Außer-Ansatzbleiben der Schachtelerträge nach § 9 Abs. 1 KStG voraussetzt. Das FA hat - wie oben dargelegt: zutreffend - die Schachtelerträge bei der Klägerin zur Steuer herangezogen, sie mithin nicht außer Ansatz gelassen. Für die Erhebung einer Nachsteuer, wie das FG sie vorgenommen hat, ist daher kein Raum. Ob eine Nachsteuer zu erheben wäre, wenn die von der Klägerin aus ihrer Beteiligung gezogenen Gewinnanteile als Schachtelerträge nach § 9 Abs. 1 KStG anzusehen gewesen wären, kann deshalb dahinstehen.
3. Gleichwohl kann der Senat nicht abschließend entscheiden, da die Sache angesichts des erweiterten Antrags der Klägerin nicht spruchreif ist.
Fundstellen
Haufe-Index 71061 |
BStBl II 1974, 776 |
BFHE 1975, 294 |