Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücklage für Ersatzbeschaffung nur bei Anschaffung oder Herstellung; zum Ansatz niedrigerer Besteuerungsgrundlagen im Billigkeitswege; Korrektur einer in der Vergangenheit fälschlich mit zu geringem Wert gebuchten Einlage in der nächstoffenen Anfangsbilanz
Leitsatz (NV)
1. Abschnitt 35 EStR (Rücklage für Ersatzbeschaffung) greift nur ein, wenn das Ersatzwirtschaftsgut unmittelbar zum Betriebsvermögen angeschafft oder hergestellt wird. Keine Anwendbarkeit auf Einlagen (so entsprechend zu § 6 b EStG BFH-Urteil vom 28. Januar 1981 IV R 111/77 BFHE 132, 534, BStBl II 1981, 430).
2. § 131 Abs. 1 S. 3 RAO (entsprechend § 163 Abs. 1 AO 1977) kann auch die Rechtsgrundlage für Billigkeitsmaßnahmen darstellen, die in der Übertragung stiller Reserven auf Ersatzwirtschaftsgüter bestehen.
3. Können Bilanzen der Wirtschaftsjahre 02 bis 07 nicht mehr berichtigt werden, weil sie bestandskräftigen Einkommensteuerveranlagungen zugrundeliegen und sich die Aktivierungsfehler in diesen Veranlagungszeiträumen steuerlich ausgewirkt haben, so ist eine Fehlerberichtigung grundsätzlich frühestens in der Bilanz zum 31. 12. 08 zulässig (Anschluß an BFH-Urteil vom 23. 7. 1975 I R 210/73 BFHE 117, 144, 149, BStBl II 1976, 180). Dies gilt dann nicht, wenn in den Jahren 02 bis 07 eine Einlage mit einem zu niedrigen Wertansatz gebucht wurde und das eingelegte Wirtschaftsgut im Jahre 08 entnommen wird. In diesem Falle kann die Einlage erfolgsneutral mit dem zutreffenden Wert (Teilwert z. Zt. der Einlage abzüglich AfA) in die Anfangsbilanz des Jahres 08 eingebucht werden.
Dem fiktiven Ansatz der AfA nur zum Zwecke der Ermittlung des Einbuchungswerts auf den 1. 1. 08 stehen die Grundsätze über den Bilanzenzusammenhang nicht entgegen.
Normenkette
EStG §§ 5-6; AO § 131; AO 1977 § 163 Abs. 1; EStR Abschn. 35
Verfahrensgang
Tatbestand
Der verstorbene Ehemann der Klägerin und Revisionklägerin (Klägerin) war Eigentümer des Grundstücks K, das bis zu seiner Veräußerung im Jahre 1956 dem Gewerbe einer OHG, an der der Ehemann der Klägerin beteiligt war, als Betriebsvermögen gedient hatte. Anläßlich der Auflösung der OHG im Jahre 1956 wurden die in dem Grundstück K enthaltenen stillen Reserven aufgedeckt, was zu einer Einkommensteuerschuld in Höhe von . . . DM führte. Der Ehemann der Klägerin bezahlte diese Schuld in der Folgezeit nicht. Das Gewerbe wurde fortan von ihm als Einzelunternehmer betrieben. Als Betriebsgrundstück diente ein von ihm im Jahre 1955 erworbenes Ruinengrundstück (Grundstück S), das 1956 mit einem Miet- und Geschäftsgebäude bebaut wurde. In die Bilanzen bis einschließlich 1960 wurde das Grundstück S weder mit seinem betrieblich genutzten noch mit dem sonstigen Teil aufgenommen.
Der Ehemann der Klägerin stellte im Dezember 1958 Antrag auf Erlaß der sich aus der OHG-Auflösung ergebenden Steuer. Über diesen Antrag wurde - soweit ersichtlich - förmlich nicht entschieden.Auf der Bilanz zum 31. Dezember 1960 befindet sich ein Aktenvermerk vom 22. Dezember 1961 des zuständigen Sachbearbeiters des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) des Inhalts, daß ihm der damalige Steuerberater des Ehemannes der Klägerin fernmündlich mitgeteilt habe, ,,der betrieblich genutzte Teil des Grundstücks S" sei ,,wegen grundsätzlicher Regelung der Frage bei der bereits angekündigten Betriebsprüfung" noch nicht in die Bilanz aufgenommen worden.
Im Rahmen der 1962 durchgeführten Betriebsprüfung wurde das Grundstück S (Grund und Boden sowie Gebäude) als Ersatzwirtschaftsgut für das veräußerte Grundstück K anerkannt, da das Ersatzwirtschaftsgut bereits im Jahre 1955 erworben und im Jahre 1956 bebaut wurde. Da sich der Einheitswert des verkauften Grundstücks aus 74 v. H. Bodenwert und 26 v. H. Gebäudewert zusammensetzte, wurde der aus der Veräußerung des Grundstücks K erzielte Veräußerungsgewinn entsprechend anteilig auf die Anschaffungskosten des Grund und Bodens S und auf die Herstellungskosten des Gebäudes S verteilt. Der Ansatz der um die ,,Ersatzbeschaffungsrücklage" verminderten Anschaffungswerte von Grundstück und Gebäude erfolgte erstmals in der vom Betriebsprüfer erstellten Bilanz zum 1. Januar 1956.
Bei der Schlußbesprechung wurde über alle diese Vorgänge Einigung erzielt. Entsprechend dieser Einigung wurden durch den Ehemann der Klägerin bereits in die Bilanz zum 31. Dezember 1961, also zum letzten Bilanzstichtag vor der Betriebsprüfung, sowohl der Grund und Boden als auch das Gebäude S mit den vom Prüfer festgestellten Werten aufgenommen.
Der Ehemann der Klägerin beendete seine gewerbliche Tätigkeit im Jahre 1968. Er vertrat im Einspruchsverfahren die Auffassung, das Grundstück S sei notwendiges Privatvermögen gewesen und deshalb mit dem Buchwert auszubuchen. Er habe sich stets gegen die Behandlung des Grundstücks als Betriebsvermögen durch den Betriebsprüfer gesträubt, sich aber schließlich damit einverstanden erklären müssen.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Sowohl das Grundstück S als auch das darauf errichtete Gebäude wurden vom FA insoweit zutreffenderweise in der Bilanz zum 31. Dezember 1956 auf der Grundlage der Anschaffungs- oder Herstellungskosten bewertet, als beide Wirtschaftsgüter zum unmittelbaren Einsatz im Gewerbebetrieb des Ehemannes der Klägerin selbst bestimmt waren (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. November 1977 I R 115/74, BFHE 124, 52, BStBl II 1978, 193). Denn insoweit lag - worüber sich offenbar auch die Beteiligten einig sind - notwendiges Betriebsvermögen vor, das innerhalb von drei Jahren vor der Einlage angeschafft worden war (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG). Das FG hat - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht festgestellt, inwieweit Grundstück und Gebäude dem Betrieb dienten, somit notwendiges Betriebsvermögen waren. Die Beteiligten beurteilen diese Frage unterschiedlich. Der betriebliche Anteil bedarf noch der Ermittlung.
2. Soweit das Grundstück S und das darauf befindliche Gebäude nicht dem Betrieb des Ehemannes der Klägerin dienten, stellten beide Wirtschaftsgüter nicht notwendiges Betriebsvermögen dar. Es stand dem Ehemann der Klägerin frei, sie dem Betrieb als sogenanntes gewillkürtes Betriebsvermögen zur Verfügung zu stellen. Dies konnte nur durch eine nach außen erkennbare Willensbekundung erfolgen (BFH-Urteil vom 18. Juli 1974 IV R 187/69, BFHE 113, 222, BStBl II 1974, 767 m. w. N.). Eine solche ist ehestens aus der Bilanz zum 31. Dezember 1961 ersichtlich, so daß diese Wirtschaftsgüter frühestens zu diesem Zeitpunkt Betriebsvermögen geworden waren, sofern dies in den Abschlußbuchungen 1961 bereits zum Ausdruck gekommen sein sollte. Das FG hat hierüber keine Feststellungen getroffen. Möglicherweise erfolgte die Einlage erst anläßlich der Erstellung der Bilanz zum 31. Dezember 1961 im Verlaufe des Jahres 1962. Die Einlage von Grundstück und Gebäude mußte zu den jeweiligen Teilwerten erfolgen (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG).
Eine andere Beurteilung ergibt sich weder aus dem Aktenvermerk vom 22. Dezember 1961 des Sachbearbeiters des FA, noch aus Abschn. 35 EStR, noch aus einer evtl. Vereinbarung des Ehemannes der Klägerin mit den Beamten der Betriebsprüfungsstelle betreffend die Übertragung stiller Reserven.
a) Selbst wenn man den Inhalt des Aktenvermerks vom 22. Dezember 1961 als wahr unterstellen wollte, würde sich daraus allenfalls die Erkenntnis gewinnen lassen, daß der Ehemann der Klägerin zu diesem Zeitpunkt erwogen hat, auch die nicht betriebliche genutzten Teile des Grundstücks und Gebäudes dem Betrieb zu widmen. Daß eine solche Widmung tatsächlich bereits erfolgt war oder wann dies geschah, erweist die angebliche Aussage des Steuerberaters des Ehemannes der Klägerin nicht.
b) Den infolge der Aktenvernichtung unvermeidbar lückenhaften Feststellungen des FG kann nicht entnommen werden, auf welcher Rechtsgrundlage die offenbar einvernehmliche Übertragung der stillen Reserven des Grundstücks K erfolgt ist. Sollte die Übertragung auf Abschn. 35 EStR gestützt worden sein, so könnte hieraus eine fiktive Zurückverlegung der Einlage des nicht dem Betrieb dienenden Teils des Grundstücks S und des darauf befindlichen Gebäudes nicht hergeleitet werden. Denn eine solche Fiktion wäre für die Anwendung des Abschn. 35 EStR unbehelflich gewesen. Abschn. 35 EStR greift nur ein, wenn das Ersatzwirtschaftsgut unmittelbar zum Betriebsvermögen angeschafft oder hergestellt wird (so entsprechend zu § 6 b EStG BFH-Urteil vom 28. Januar 1981 IV R 111/77, BFHE 132, 534, BStBl II 1981, 430). Dies hat das FG nicht festgestellt.
c) Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 der Reichsabgabenordnung (AO) in der im Jahre 1961 geltenden Fassung konnte mit Zustimmung des Steuerpflichtigen bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, daß einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit berücksichtigt werden. Diese Vorschrift kann auch die Rechtsgrundlage für Billigkeitsmaßnahmen darstellen, die in der Übertragung stiller Reserven auf Ersatzwirtschaftsgüter bestehen, wobei in diesem Falle das Ersatzwirtschaftsgut nicht zwingend unmittelbar zum Betrieb angeschafft oder hergestellt sein muß, sondern auch aus dem Privatvermögen eingelegt worden sein kann.
Es braucht im vorliegenden Verfahren nicht entschieden zu werden, ob es zulässig ist, im Zuge einer solchen Billigkeitsmaßnahme den Einlagezeitpunkt eines Ersatzwirtschaftsguts fiktiv in ein früheres Wirtschaftsjahr zurückzuverlegen. Denn selbst wenn dies zulässig wäre, könnte sie nicht ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen geschehen (§ 131 Abs. 1 Satz 3 AO). Eine solche Zustimmung konnte - ebenso wie sonstige Einzelheiten des Billigkeitsverfahrens - vom FG nicht festgestellt werden. Die Umstände deuten sogar darauf hin, daß diese Frage zwischen den Beteiligten deshalb gar nicht erörtert wurde, weil der Betriebsprüfer von der unzutreffenden Annahme ausging, das gesamte Grundstück S nebst Gebäude sei vom Ehemann der Klägerin durch sein unentschlossenes Verhalten dem FA gegenüber ab 1. Januar 1956 zumindest bedingt - für den Fall der Genehmigung der Übertragung der stillen Reserven seitens des FA - eingelegt worden. In diese Richtung deutet auch das Vorbringen des FA in seinem Revisionserwiderungsschriftsatz vom 28. August 1981, demzufolge ,,in der Schlußbilanz zum 31. Dezember 1961 nicht etwa eine konstitutiv wirkende Einlage-,Buchung` sondern eine Angleichungsbuchung als Kapitalberichtigung zur Wiederherstellung des Bilanzzusammenhangs zu sehen" ist.
3. Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Kürzung der Anschaffungs- und Herstellungskosten (notwendiges Betriebsvermögen) bzw. der Einlagewerte (gewillkürtes Betriebsvermögen) um die im Grundstück K enthaltenen stillen Reserven enthält das FG-Urteil keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen. Das FG hat offenbar die Voraussetzungen des Abschn. 35 EStR für gegeben angesehen. Der Senat kann diese Wertung nicht nachvollziehen. Das FG wird dieser Frage noch nachzugehen haben. Sollte wegen des erheblichen Zeitablaufs und der inzwischen erfolgten Vernichtung der Unterlagen durch das FA keine Sachverhaltsaufklärung mehr möglich sein, so erscheint es angesichts der insoweit wohl übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten vertretbar, davon auszugehen, daß die Übertragung der stillen Reserven seinerzeit vom FA gemäß § 131 AO gebilligt worden war.
4. Die Grundsätze über den Bilanzenzusammenhang (BFH-Beschluß vom 29. November 1965 GrS 1/65 S, BFHE 84, 392, BStBl III 1966, 142) stehen der Korrektur der Buchwerte des Grundstücks S nebst dem darauf befindlichen Gebäude nach Maßgabe der zu 1. bis 3. dargestellten Überlegungen nicht entgegen.
Zwar können die Bilanzen der Wirtschaftsjahre 1962 bis 1967 nicht mehr berichtigt werden, denn sie liegen bestandskräftigen Einkommensteuerveranlagungen zugrunde, und die Aktivierungsfehler haben sich in diesen Veranlagungszeiträumen steuerlich ausgewirkt. Eine Fehlerberichtigung wäre mithin frühestens in der Bilanz zum 31. Dezember 1968 bzw., weil die gewerbliche Tätigkeit früher beendet wurde, in der Schlußbilanz per 30. April 1968 zulässig (vgl. BFH-Urteile vom 21. Juni 1972 I R 189/69, BFHE 106, 422, BStBl II 1972, 874, und vom 23. Juli 1975 I R 210/73, BFHE 117, 144, 149, BStBl II 1976, 180).
Dies kann indes dann nicht gelten, wenn eine Bilanz deshalb unrichtig ist, weil eine in früheren Jahren erfolgte Einlage mit einem zu niedrigen Wertansatz gebucht wurde. Durch das Festhalten an dem unzutreffenden Buchansatz auch für diesen Fall würde das Ausscheiden des eingelegten Wirtschaftsguts aus dem Betriebsvermögen nicht etwa zu einem automatischen Fehlerausgleich führen, sondern das Gegenteil würde eintreten. Der Fehler würde durch das Entstehen einer zu hohen ,,Gewinn"-Realisierung endgültig festgeschrieben werden.
Die Buchung der Einlage mit dem zu geringen Wertansatz hat den steuerrechtlichen Gewinn des Jahres, in welchem die richtige Buchung hätte erfolgen müssen, nicht beeinflußt. Die Zweischneidigkeit der Wertansätze in der Bilanz, die das entscheidende Kriterium für die Rechtsprechung des BFH zum Bilanzenzusammenhang darstellt, ist in diesem Falle nicht gegeben (vgl. Urteil des Senats vom 19. Januar 1982 VIII R 21/77, BFHE 135, 282, 288, BStBl II 1982, 456). Durch Einbuchung der Einlage mit dem zutreffenden Wert in die Anfangsbilanz des ersten offenen Veranlagungszeitraums entsteht keine ,,Verzerrung der Gewinnermittlung" (BFHE 84, 392, BStBl III 1966, 142). Die Fehlbuchung war vielmehr erfolgsneutral, weshalb auch ihre Berichtigung in erfolgsneutraler Weise durchgeführt werden kann.
Die zutreffenden Werte des Grundstücks S und des darauf befindlichen Gebäudes ergeben sich nach den zu 1. bis 3. dargestellten Überlegungen aus den Anschaffungskosten (soweit notwendiges Betriebsvermögen) bzw. dem Teilwert (soweit gewillkürtes Betriebsvermögen) jeweils abzüglich des Anteils der übertragenen stillen Reserven und abzüglich der AfA, die auf den so ermittelten Gebäudewert in der Zeit bis zum 31. Dezember 1967 hätten vorgenommen werden müssen (BFHE 106, 422, 426, BStBl II 1972, 874). Dem fiktiven Ansatz dieser AfA zum Zwecke der Festlegung des Buchwerts per 31. Dezember 1967 steht nicht entgegen, daß die AfA in dieser Höhe bisher tatsächlich nicht vorgenommen worden sind und sich deshalb auch steuerlich nicht ausgewirkt haben. Denn die Grundsätze über den Bilanzenzusammenhang gebieten es nicht, alle steuerlichen Auswirkungen einer zu Unrecht unterlassenen Aktivierung von Anlagevermögen, bzw. einer Aktivierung mit zu geringem Wertansatz ebenfalls richtigzustellen (Urteil in BFHE 106, 422, 426, BStBl II 1972, 874; ebenso das nicht veröffentlichte BFH-Urteil vom 8. Dezember 1977 IV R 145/73).
Fundstellen
Haufe-Index 413723 |
BFH/NV 1985, 34 |