Leitsatz (amtlich)
Zu den Familienangehörigen im Sinne des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1951 gehört auch die Ehefrau; die ihr als Sachlohn gewährten Naturalleistungen sind beim Vorliegen der anderen Voraussetzungen des § 4 Nr. 12 UStG 1951 umsatzsteuerfrei.
Normenkette
UStG 1951 § 4 Nr. 12
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) betreibt eine Metzgerei. Er beschäftigt in dem Betrieb außer einem fremden Gesellen und gelegentlichen Aushilfskräften seine Ehefrau. Zwischen den Eheleuten besteht auf Grund des formularmäßigen Dienstvertrages vom 15. Februar 1962 ein vom FA steuerlich anerkanntes Arbeitsverhältnis. Nach Nr. 3 des Vertrages erhält die Ehefrau ein monatliches Bruttogehalt von 650 DM, auf das neben der Lohn- und Kirchensteuer ein Betrag von monatlich 46 DM (= jährlich 552 DM) für Waren aus dem Geschäft angerechnet wird. Im Anschluß an diese Bestimmung hatte der Steuerberater des Steuerpflichtigen vor der Unterzeichnung des Vertrages durch die Eheleute handschriftlich die Aufteilung des Bruttogehalts in Barlohn, Sachlohn und Lohn- und Kirchensteuer festgelegt. Der vereinbarte Sachlohn entspricht dem Pauschbetrag für den Eigenverbrauch (Sachentnahme) des Unternehmers bzw. seiner Familienangehörigen im Metzgereigewerbe gemäß der Richtsatz-Sammlung 1964 für nichtbuchführende Gewerbetreibende (Gruppe Süd).
Der Steuerpflichtige hatte den Sachlohn seiner Ehefrau in der Umsatzsteuererklärung für 1964 unter Hinweis auf die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 12 UStG 1951 vom Gesamtumsatz als steuerfrei abgesetzt, während der Beklagte und Revisionskläger (FA) ihn als steuerpflichtigen Eigenverbrauch gemäß § 1 Nr. 2 UStG 1951 der Umsatzsteuer mit 4 v. H. unterwarf.
Die Sprungklage des Steuerpflichtigen hatte Erfolg. Das FG sah die Voraussetzungen des § 4 Nr. 12 UStG 1951 als gegeben an: Der Steuerpflichtige habe seiner in einem steuerlich anerkannten Arbeitsverhältnis zu ihm stehenden Ehefrau die im Metzgereigewerbe üblichen Naturalleistungen in Gestalt von Fleisch- und Wurstwaren in angemessener Menge als Teilvergütung für ihre in seinem Betrieb geleisteten Dienste gewährt. Der Vertrag vom 15. Februar 1962 enthalte eine klare Aufteilung des Bruttogehalts in Bar- und Sachlohn. Der Ansicht des FA, § 4 Nr. 12 UStG 1951 sei auf Ehefrauen nicht anwendbar, weil sich sonst ein unlösbarer Widerspruch zur ehelichen Lebensgemeinschaft ergeben würde, könne nicht gefolgt werden. Erkenne man ein Arbeitsverhältnis zwischen den Ehegatten steuerlich an, so sei in der Gewährung von Sachlohn in Gestalt der üblichen Naturalleistungen an die Ehefrau ein Verstoß gegen die Regeln der ehelichen Lebensgemeinschaft ebensowenig zu erblicken wie in der Auszahlung von Barlohn an sie. Auch die Voraussetzungen des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1951 seien im Streitfall erfüllt: Die Ehefrau habe das 16. Lebensjahr überschritten, sei im Unternehmen des Steuerpflichtigen voll beschäftigt und unterstehe der Versicherungspflicht. Die Ehefrau sei im Jahre 1964 zwar nicht kranken- und renten-, sondern nur unfallversichert gewesen. Daß der Ehegatte des Unternehmers allen Zweigen der sogenannten Sozialversicherung unterstellt sei, verlange die Vorschrift aber nicht. Die Bestimmung über die Versicherungspflicht der Familienangehörigen diene lediglich zur Erleichterung der "Kontrolle" durch die FÄ (vgl. Popitz, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 3. Aufl., Anm. II 4 zu § 2 Nr. 10 UStG 1926, S. 574).
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht. Zwar seien ernstlich gemeinte Ehegatten-Arbeitsverhältnisse grundsätzlich anzuerkennen. Das Wesen der Ehe, insbesondere die Verpflichtung zur Lebensgemeinschaft (§ 1353 BGB) und die Pflicht der Ehefrau, den Haushalt zu führen (§ 1356 Abs. 1 BGB), schränke für Ehegatten das Recht, Arbeitsverhältnisse zu vereinbaren, aber ein. Rechte und Pflichten, die sich aus der ehelichen Lebensgemeinschaft ergeben, dürften nicht durch schuldrechtliche Verträge überlagert werden. So könne unter Ehegatten die Beherbergung und Beköstigung der Ehefrau in der ehelichen Wohnung nicht zum Gegenstand eines Arbeitsvertrages gemacht werden. Dies müsse auch für die Naturalentnahme von Fleisch- und Wurstwaren gelten, weil sie einen Ausschnitt aus dem Bereich "Beköstigung" darstelle. Da jede Ehefrau - wo dies möglich sei - aus dem Geschäft ihres Mannes Naturalien für den Haushalt entnehme, könne zwischen "Naturalleistung" im Sinne des § 4 Nr. 12 UStG 1951 und Eigenverbrauch im Sinne des § 1 Nr. 2 UStG 1951 nicht genau unterschieden werden. An der vom BFH geforderten klaren und eindeutigen Festlegung vertraglicher Abmachungen fehle es, wenn - wie im Streitfall - statt Aufzeichnungen der Entnahmen aus dem Betrieb nach den Eigenverbrauchsätzen der Richtsatz-Sammlung geschätzte Beträge als Naturallohn angenommen würden. Der aus § 12 EStG für das Einkommensteuerrecht entwickelte Grundsatz, daß Aufwendungen, deren betrieblicher und privater Anteil sich nur schwer erkennen lasse, insgesamt zu den nichtabzugsfähigen Ausgaben der privaten Lebenssphäre zu schlagen seien, müsse auch für das Umsatzsteuerrecht gelten. Dieser Falle liege hier vor, weil sich die im Haushalt der Eheleute verbrauchten Fleisch- und Wurstwaren nicht mit der erforderlichen Genauigkeit in Naturallohn und Eigenverbrauch trennen ließen. Schließlich könne auch durch die Zahlung der Beiträge zur Unfallversicherung das Erfordernis der "Versicherungspflicht" nicht als erfüllt angesehen werden. Der Gesetzgeber habe vielmehr die allgemeine Sozialversicherungspflicht nach § 175 der Reichsversicherungsordnung (RVO) im Auge gehabt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA hat keinen Erfolg.
Nach § 4 Nr. 12 UStG 1951 sind umsatzsteuerfrei die Beherbergung, die Beköstigung und die üblichen Naturalleistungen, die ein Unternehmer den Angestellten und Arbeitern seines Unternehmens als Vergütung für die geleisteten Dienste gewährt (Satz 1, a. a. O.). Zu den Angestellten und Arbeitern gehören auch die im Unternehmen voll beschäftigten und der Versicherungspflicht unterstellten Familienangehörigen, wenn sie das 16. Lebensjahr überschritten haben (Satz 2, a. a. O.).
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen im Streitfall vor: Die Überlassung von Fleisch- und Wurstwaren an die Angestellten und Arbeiter des Unternehmens ist im Metzgereigewerbe branchenüblich. Sie fällt nicht - wie das FA ursprünglich angenommen hat - in den Bereich der "Beköstigung", sondern in den der "üblichen Naturalleistungen". Diese sind der Ehefrau des Steuerpflichtigen "als Vergütung für geleistete Dienste" gewährt worden. Durch ihre Verrechnung mit dem im Formularvertrag vorgesehenen Bruttogesamtgehalt wird - entgegen der früher von der Verwaltung vertretenen Ansicht - der kausale Zusammenhang zwischen der Vergütung und den geleisteten Diensten nicht unterbrochen; denn der Arbeitsvertrag ist von den Eheleuten erst unterschrieben worden, nachdem zuvor durch den Steuerberater des Steuerpflichtigen der Bruttolohn durch handschriftliche Ergänzung des Vertragstextes betragsmäßig in Barlohn und Sachlohn aufgeteilt worden war. Die Abgrenzung ist nicht bloß vertraglich, sondern auch tatsächlich mit genügender Klarheit vorgenommen worden. Die Forderung des FA nach genauer Aufzeichnung der aus dem Geschäft entnommenen Naturalleistungen findet im Gesetz keine Stütze. Auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes, daß an vertragliche Abmachungen zwischen Eheleuten und die tatsächliche Durchführung strenge Anforderungen zu stellen sind, bilden die amtlichen Richtsätze für den Eigenverbrauch eine hinreichend bestimmte Grundlage für die Bemessung der Naturalleistungen. Den vom Senat im Urteil V 103/58 U vom 3. März 1960 (BFH 70, 452, BStBl III 1960, 169) zur Vermeidung mißbräuchlicher Rechtsgestaltung aufgestellten Erfordernissen (vgl. auch Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 8. Aufl., Tz. 2966 bis 2968 b) ist daher Genüge getan. Das FA hat nicht dargelegt, daß ein Betrag von monatlich 46 DM als Wert der üblichen Naturalleistungen im Metzgereigewerbe überhöht wäre und daß die Ehefrau des Steuerpflichtigen aus dessen Geschäft wertmäßig weniger Fleisch- und Wurstwaren entnommen hätte, als den Richtsätzen entspricht. Richtsätze dienen dazu, dem Steuerpflichtigen entbehrliche Aufzeichnungen und der Verwaltung deren Prüfung zu ersparen. Der Senat trägt keine Bedenken, den Wert der als Vergütung für die Dienste der Ehefrau entnommenen Naturalleistungen mit dem auf die Ehefrau entfallenden Teil des nach den amtlichen Richtsätzen zu schätzenden Eigenverbrauchs gleichzusetzen.
Der Senat vermag die Ansicht des FA, für Ehegatten komme die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 12 UStG 1951 nicht in Betracht, nicht zu teilen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gehören zu den in Satz 1 genannten Angestellten und Arbeitern unter bestimmten Voraussetzungen auch die im Unternehmen mitarbeitenden "Familienangehörigen". Da die Ehefrau zusammen mit den Kindern zum engsten Kreise der Familie des Unternehmers gehört (vgl. hierzu Urteil des Senats V 101/61 U vom 25. Juni 1964, BFH 79, 571, BStBl III 1964, 440), wäre es willkürlich, sie für die Anwendung des § 4 Nr. 12 UStG 1951 nicht zu den "Familienangehörigen" zu rechnen. Hätte der Gesetzgeber sie ausschließen wollen, so hätte er entweder eine andere Begriffsbezeichnung gewählt oder für die Ehefrau ausdrücklich eine Ausnahme bestimmt. Die Einbeziehung der Ehefrau in § 4 Nr. 12 UStG 1951 entspricht auch dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Durch sie sollten insbesondere die Landwirte und Handwerker umsatzsteuerlich entlastet werden, die durch die Art ihres Betriebs und wegen des zu seiner Aufrechterhaltung erforderlichen persönlichen Kontakts zu ihren Arbeitskräften gezwungen sind, diese unter dem eigenen Dach zu beherbergen und am eigenen Tisch zu beköstigen. Um die Kleinbetriebe, die auf die Mitarbeit der Ehefrau und der Kinder angewiesen sind, gegenüber den größeren Betrieben, die vorwiegend fremdes Personal beschäftigen, nicht zu benachteiligen, wurden gegen nicht unbeträchtlichen Widerstand von verschiedenen Seiten die Familienangehörigen unter den in Satz 2 der Vorschrift genannten Voraussetzungen in die Steuerfreiheit einbezogen (Näheres bei Popitz, a. a. O., Anm. II 1 bis 4 zu § 4 Nr. 10 UStG 1926, S. 572 bis 574).
Es kann dem FA darin nicht zugestimmt werden, daß die Gewährung der üblichen Naturalleistungen als Vergütung an die in einem Arbeitsverhältnis zum Ehemann stehende Ehefrau die Grenzen überschreite, die bei der Abfassung schuldrechtlicher Verträge zwischen Eheleuten durch das Wesen der Ehe, insbesondere durch die Verpflichtung der Ehefrau zur ehelichen Lebensgemeinschaft und zur Haushaltsführung, gezogen sind. Diese Auffassung konnte sich schon unter den Verhältnissen, die bei der Einführung der Befreiungsvorschrift herrschten - wie die oben dargestellte Entstehungsgeschichte des § 4 Nr. 12 UStG 1951 zeigt -, nicht durchsetzen. Sie ist noch weniger haltbar, seitdem im Laufe der Jahrzehnte ernstlich gemeinte Arbeitsverträge zwischen Ehegatten in steigendem Umfange arbeitsrechtlich und steuerrechtlich anerkannt werden. Erkennt man aber die Stellung der Ehefrau als Arbeitnehmerin im Geschäft des Mannes an, so muß man grundsätzlich auch die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten gelten lassen, insbesondere, wenn sie sich zugunsten der Eheleute auswirken und ihre Verweigerung zu bedenklichen Ungleichmäßigkeiten führen würde. Das trifft für die Gewährung von Naturallohn ebenso zu wie für die Beköstigung. Die Erwägungen, die das FA hinsichtlich der Gewährung von Unterkunft anstellt, sind theoretischer Natur. Denn es wird keinem Unternehmer einfallen, die Gewährung von Unterkunft in das Arbeitsverhältnis mit seiner Ehefrau einzubeziehen, weil er dadurch keine steuerlichen Vorteile hätte; § 1 Nr. 2 UStG 1951 (betreffend Eigenverbrauch) erstreckt sich nicht auf die "sonstigen Leistungen". Das Problem braucht nicht weiter vertieft zu werden. Nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck des § 4 Nr. 12 UStG 1951 entspricht es - wie oben dargelegt - dem Willen des Gesetzgebers, die Ehefrau unter bestimmten Voraussetzungen in den Kreis der Personen einzubeziehen, die als Empfänger steuerfreier Naturalleistungen in Betracht kommen.
Diese in Satz 2 des § 4 Nr. 12 UStG 1951 genannten Voraussetzungen sind im Streitfalle erfüllt. Zweifel könnten nur hinsichtlich der "Versicherungspflicht" bestehen. Es ist nicht zu beanstanden, daß das FG das Tatbestandsmerkmal der "Versicherungspflicht" bejaht hat, obwohl die Ehefrau des Steuerpflichtigen nicht kranken- und renten-, sondern nur unfallversichert war. Es ist weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinnzusammenhang der Vorschrift zu entnehmen, daß sich die Versicherungspflicht auf alle drei Zweige der Sozialversicherung erstrecken müßte. Es wäre widersinnig, wenn der Gesetzgeber für die Anwendung des § 4 Nr. 12 UStG 1951 die Familienangehörigen und damit auch die Ehefrau zu den Angestellten und Arbeitern gehörig bezeichnet, gleichzeitig aber ein Erfordernis aufgestellt hätte, das nach den damals geltenden Vorschriften der RVO (§ 159 RVO a. F., §§ 175, 1228 Abs. 1 Nr. 1 RVO n. F.: keine Kranken- und Rentenversicherungspflicht der Ehefrau) gar nicht erfüllt werden konnte. Im übrigen erscheint es zweifelhaft, ob nicht infolge der Weiterentwicklung der Rechtsauffassung über die arbeitsrechtliche Stellung der im Betrieb des Ehemannes mitarbeitenden Ehefrau die zusätzlichen Voraussetzungen des Satzes 2 des § 4 Nr. 12 UStG 1951 dann entfallen, wenn - wie im Streitfalle - ein klares, von den Vertragspartnern ernstlich gewolltes und praktiziertes, vom FA steuerlich anerkanntes Arbeitsverhältnis besteht; die Vorschrift hätte dann nur noch für die Fälle Bedeutung, in denen ein klarer Arbeitsvertrag (Dienstvertrag) zwischen dem Unternehmer und seiner in seinem Betrieb mitarbeitenden Ehefrau nicht vorliegt.
Die Revision des FA war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 69293 |
BStBl II 1971, 75 |
BFHE 1971, 264 |