Entscheidungsstichwort (Thema)
Werbungskosten bei Ferienreisen einer Einzelbetreuerin mit betreutem Kind
Leitsatz (NV)
Unternimmt eine nichtselbständig tätige sozialpädagogische Fachkraft als Einzelbetreuerin mit dem betreuten verhaltensgestörten Kind regelmäßig während der Schulferien Ferienreisen, so sind ihre Reisekosten jedenfalls dann keine Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, wenn sie allein und ohne Weisung Dritter entscheiden konnte, ob und wohin sie Reisen als sog. erlebnispädagogische Maßnahmen unternehmen wollte.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 1, § 12 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine sozialpädagogische Fachkraft. Sie war im Streitjahr 1994 als Einzelbetreuerin nichtselbständig tätig. Seit 1992 betreute sie ausschließlich ein im Streitjahr zwölf Jahre altes verhaltensgestörtes Kind. Das Kind lebte im Haushalt der Klägerin und besuchte eine vom Arbeitgeber der Klägerin, einem eingetragenen Verein, unterhaltene Schule. Die Klägerin hatte die volle Aufsichtspflicht und die pädagogische Verantwortung für das Kind. Die pädagogische Betreuung wurde auch während der Schulferien fortgesetzt. Teil des Betreuungskonzepts waren auch gemeinsame Ferienreisen, insbesondere Auslandsreisen. Die für das Kind anfallenden Reisekosten trug jeweils der Verein im Rahmen der Betreuungspauschale. Die Klägerin erhielt neben ihrer Gesamtvergütung hinsichtlich ihrer eigenen Reisekosten keinen Kostenersatz.
Im Jahre 1994 unternahm die Klägerin mit dem von ihr betreuten Kind mehrere Reisen in das Ausland und nach Berlin. An den Auslandsreisen nahmen außer dem betreuten Kind jeweils zwei weitere Mitbewohner aus der Wohngemeinschaft der Klägerin teil. Eine Anrechnung der Reisetage auf den Jahresurlaub der Klägerin erfolgte nicht.
Die Klägerin machte die Reisekosten als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erkannte insoweit unter Hinweis auf §12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) keine Werbungskosten an.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es meinte, dem Umstand, daß es sich bei den aufgesuchten Reiseorten um bevorzugte Ziele des Tourismus gehandelt habe, könne keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden, weil die als erlebnispädagogische Maßnahmen einzustufenden Reisen in der sozialtherapeutischen Tätigkeit der Klägerin ihren unmittelbaren beruflichen Anlaß gehabt hätten. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 1016 veröffentlicht.
Das FA rügt mit seiner Revision eine Verletzung von §§9 Abs. 1, 12 Nr. 1 EStG und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage. Das FG hat die Aufwendungen für die Reisen nach Berlin und ins Ausland zu Unrecht als Werbungskosten (§9 Abs. 1 Satz 1 EStG) abgezogen. Der Senat teilt die Ansicht des FA, daß es sich um gemischt veranlaßte Aufwendungen handelt, die gemäß §12 Nr. 1 EStG weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden dürfen.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) führen Auslandsreisen, die nach der Lebenserfahrung sowohl dem beruflichen als auch dem Bereich der privaten Lebensführung angehören können, nur dann zu abziehbaren Werbungskosten, wenn die Reisen ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend im beruflichen Interesse unternommen werden, wenn also die Verfolgung privater Interessen, wie z. B. Erholung, Bildung und Erweiterung des allgemeinen Gesichtskreises, nach dem Anlaß der Reise, dem vorgesehenen Programm und der tatsächlichen Durchführung nahezu ausgeschlossen ist (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213; BFH-Urteil vom 14. Juli 1988 IV R 57/87, BFHE 154, 312, BStBl II 1989, 19, 20).
Für die Beurteilung der Frage, ob in nicht unerheblichem Umfang Gründe der privaten Lebensführung eine Rolle gespielt haben, hat die Rechtsprechung in erster Linie auf den Zweck der Reise abgestellt. Reisen, denen ein offensichtlich unmittelbarer beruflicher Anlaß zugrunde liegt, sind in der Regel ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen (vgl. BFH-Urteil vom 23. Januar 1997 IV R 39/96, BFHE 182, 536, BStBl II 1997, 357).
Den Ferienreisen der Klägerin ins Ausland und nach Berlin lag kein offensichtlich unmittelbarer beruflicher Anlaß zugrunde. Die Durchführung dieser Reisen war für die Klägerin nicht zwingend. Zwar hat der Arbeitgeber der Klägerin für die Vorlage beim FA bescheinigt, daß er die Ferienmaßnahmen für einen unverzichtbaren Teil des gesamten Betreuungskonzepts halte. Gleichzeitig hat er aber bestätigt, daß die Klägerin ihre Arbeit völlig selbständig gestalten konnte. Das bedeutet, daß die Klägerin allein und ohne Weisung Dritter entscheiden konnte, ob sie in den Schulferien überhaupt mit dem betreuten Kind verreisen wollte und bejahendenfalls, welches Ziel die Reise haben sollte. Daß die Klägerin die Reisen als sog. erlebnispädagogische Maßnahmen aus sozialtherapeutischen Gründen für sinnvoll erachtet hat, begründet unter den gegebenen Umständen entgegen der Ansicht der Vorinstanz noch keinen unmittelbaren beruflichen Anlaß.
Mit der Feststellung, daß den Reisen ein unmittelbarer beruflicher Anlaß fehlte, wird nicht in Frage gestellt, daß bei der Entscheidung der Klägerin, die jeweilige Reise durchzuführen, berufliche Überlegungen eine Rolle gespielt haben, also eine berufliche Mitveranlassung der Reisekosten anzunehmen ist. Dies reicht aber für eine Zuordnung der Reisekosten zur beruflichen Sphäre nicht aus. Der Abzug der Aufwendungen als Werbungskosten setzt vielmehr voraus, daß das Hereinspielen der Lebensführung nicht ins Gewicht fällt und von ganz untergeordneter Bedeutung ist (vgl. BFH in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213, 218, unter C. II. 2. c der Entscheidungsgründe, Urteil vom 21. August 1995 VI R 47/95, BFHE 179, 37, BStBl II 1996, 10). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Die von der Klägerin unternommenen Reisen führten an beliebte Orte des Tourismus. Solche Reisen werden ihrer Art und ihrem Programm nach auch von Eltern mit eigenen betreuungsbedürftigen Kindern durchgeführt. Sie haben einen erheblichen persönlichen Erlebniswert und bewirken eine Erweiterung des Gesichtsfeldes. Der Umstand, daß die Klägerin das betreute Kind nicht unbeaufsichtigt sein lassen durfte, mag den Erlebniswert der Reisen zwar beeinträchtigt haben, rechtfertigt aber nicht die Wertung, daß dieser ganz entfallen war und die Reisen keine Erweiterung des Gesichtsfeldes bewirkt haben. Dafür, daß sich die Reisen der Klägerin von denjenigen anderer Touristen in ihrer Art und ihrem Ablauf jedenfalls nicht so sehr unterschieden haben, daß es geboten wäre, die privaten Gesichtspunkte als völlig untergeordnet zu beurteilen, spricht auch, daß Mitbewohner der Wohngemeinschaft der Klägerin an den Auslandsreisen teilgenommen haben.
Die Vorentscheidung hat dies anders gewertet und ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da sich von den insgesamt geltend gemachten Reisekosten nicht ein durch den Beruf veranlaßter Teil nach objektiven Maßstäben sicher und leicht abgrenzen läßt, ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 66954 |
BFH/NV 1998, 449 |
DStRE 1998, 302 |
HFR 1998, 355 |