Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Eine Wertfortschreibung von Amts wegen zum 1. Januar 1950 darf für Berliner Grundstücke in Fällen, in denen die Feststellung eines Sonderwertes gemäß § 3 9. AbgabenDV-LA beantragt worden ist, jedenfalls dann nicht ohne besonderen Grund verweigert werden, wenn die Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung auf einen früheren Zeitpunkt nicht gegeben waren. Die Versäumung der Antragsfrist des § 225a AO allein kann die Verweigerung der Wertfortschreibung in solchen Fällen nicht rechtfertigen.
Normenkette
9-AbgabenDV-LA 3; AO § 225a
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Eigentümer des in Berlin-.... belegenen gemischtgenutzten Grundstücks, dessen Einheitswert letztmalig zum 1. Januar 1935 auf 95.300 RM festgestellt worden ist. Das Grundstück hat in den Jahren 1944 bis 1945 Kriegssachschäden leichterer Art erlitten, die im wesentlichen, und zwar teils vor, teils nach der Währungsumstellung, beseitigt worden sind.
Nachdem am 28. Juni 1954 die Verordnung über die Behandlung von Grundbesitz in Berlin (West) bei den Lastenausgleichsabgaben (9. AbgabenDV-LA) ergangen war, hat der Bf., der bis dahin einen Antrag auf Wertfortschreibung für das obenbezeichnete Grundstück nicht gestellt hatte, am 28. September 1954 einen Antrag auf Feststellung eines Sonderwertes für Zwecke des Lastenausgleichs eingereicht.
Das Finanzamt hat den Antrag des Bf. abgelehnt und auf den Einspruch des Bf. seine ablehnende Entscheidung damit begründet, daß eine Sonderwertfeststellung nur nach § 3 9. AbgabenDV-LA in Betracht komme, daß jedoch eine Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1950, die die Voraussetzung für die Feststellung eines Sonderwerts nach § 3 9. AbgabenDV-LA bilde, nicht erfolgt sei. Der Bf. habe bisher, das heißt bis zum Zeitpunkt seines Antrags auf Feststellung eines Sonderwertes, niemals ein derartiges Fortschreibungsbegehren geltend gemacht. Bei dieser Sachlage müsse man zu der Feststellung gelangen, der Bf. habe mit der Antragstellung grundlos jahrelang gewartet. Dieser Umstand stehe aber jetzt der vom Bf. angeregten Wertfortschreibung von Amts wegen auf einen zurückliegenden Zeitpunkt entgegen.
Mit einer im wesentlichen gleichlautenden Begründung hat das Verwaltungsgericht die Berufung des Bf. gegen den Einspruchsbescheid des Finanzamts ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen.
Der Bf. hat Rechtsbeschwerde (Rb.) erhoben. Er rügt Rechtsverletzungen seitens der Vorinstanz und macht geltend, daß Artikel IV § 2 des Ersten Gesetzes über die Neuordnung der Vermögensbesteuerung in Berlin vom 29. Dezember 1950 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 1951 S. 26) die Fortschreibung von Einheitswerten des Grundbesitzes auf den 1. Januar 1950 bei einer Wertabweichung von mehr als 10 v. H. vorsehe, ohne daß es hierzu eines Antrages bedürfe. Die Wertfortschreibung müsse daher in derartigen Fällen von Amts wegen durchgeführt werden. Selbst wenn man dieser Auffassung aber nicht folgen wolle, vielmehr grundsätzlich an dem Antragserfordernis für Wertfortschreibungen festhalte, hätten die Finanzbehörden im Streitfalle doch der Anregung zur Fortschreibung des Einheitswertes von Amts wegen folgen müssen, weil nicht davon gesprochen werden könne, daß er, der Bf., die Antragstellung grundlos jahrelang verzögert habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
Zutreffend sind die Vorinstanzen bei der Entscheidung über den Antrag auf Feststellung eines Sonderwertes für die Zwecke des Lastenausgleichs davon ausgegangen, daß es an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung der §§ 2 und 4 9. AbgabenDV-LA von vornherein fehlt, weil niemand bei dem nach dem Vielfachen der Jahresrohmiete bewerteten Grundstück des Bf. eine besondere Wertfortschreibung nach Art. IV § 3 des Ersten Gesetzes über die Neuordnung der Vermögensbesteuerung in Berlin nicht in Betracht kommt und weil zum anderen dieses Grundstück nicht in den in der Anlage zur 9. AbgabenDV-LA bezeichneten Schadensgebieten gelegen ist.
Als Rechtsgrundlage für die beantragte Feststellung eines Sonderwertes kann daher nur die Bestimmung des § 3 9. AbgabenDV-LA herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift können die auf den 1. Januar 1950 fortgeschriebenen Einheitswerte für von Kriegsschäden betroffenen Grundbesitz in Berlin (West) als die am 1. April 1949 maßgeblichen Werte angesetzt werden, wenn die Wertabweichungen, die zu dieser Fortschreibung führten, bereits zu Beginn des 1. April 1949 vorgelegen haben und der Einheitswert vom 1. Januar 1950 niedriger ist als der am 1. April 1949 bisher maßgebliche Einheitswert. Im Streitfall ist bislang auch zum 1. Januar 1950 noch keine Fortschreibung des Einheitswertes für das Grundstück des Bf. durchgeführt worden, so daß der Antrag auf Feststellung eines Sonderwertes für die Zwecke des Lastenausgleichs auch insoweit der Ablehnung verfallen muß, wenn nicht eine Nachholung der bisher unterbliebenen Fortschreibung des Einheitswertes auf den 1. Januar 1950 in Betracht zu ziehen ist.
Einen selbständigen Antrag auf Wertfortschreibung zum 1. Januar 1950 hat der Bf. selbst nicht gestellt. Der bei den Bewertungsakten befindliche Fortschreibungsantrag der X-GmbH vom 15. Dezember 1948, der offensichtlich irrtümlich und für einen ganz anderen Eigentümer als den Bf. gestellt worden ist, muß als Antrag des Bf. in diesem Zusammenhang ausscheiden. Im übrigen haben die mündlichen Rücksprachen, die der Bf. entweder persönlich oder durch seine Vertreter in der Frage etwaiger Fortschreibungsmöglichkeiten beim Finanzamt geführt haben will, offenkundig nicht die Stellung eines formgültigen Antrags zur Folge gehabt; etwa in dieser Richtung bestehende Absichten sind jedenfalls - vielleicht auf Grund der vom Finanzamt erteilten Belehrungen über mangelnde Fortschreibungsmöglichkeiten - fallen gelassen worden. Die Nachholung eines diesbezüglichen Antrags auf Wertfortschreibung zum 1. Januar 1950 wäre aber jetzt nicht mehr möglich, da sowohl die Antragsfrist nach § 225a der Reichsabgabenordnung (AO) als auch die Frist für eine etwaige Nachsichtgewährung wegen Versäumung dieser Antragsfrist längst verstrichen sind. Dies würde im übrigen auch schon für den Zeitpunkt des Antrags auf Feststellung eines Sonderwertes gelten, den der Bf. mit Schriftsatz vom 28. September 1954 gestellt hat, so daß auch die Behandlung dieses Schreibens als ein zum 1. Januar 1950 gestellter Fortschreibungsantrag des Bf. nicht zum Erfolg führen könnte.
Unter diesen Umständen bleibt nur zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine zum 1. Januar 1950 durchzuführende Wertfortschreibung von Amts wegen vorliegen. Die Vorinstanzen haben in dem Antrag auf Feststellung eines Sonderwertes für Zwecke des Lastenausgleichs zugleich auch eine Anregung des Bf. zur Durchführung einer solchen Wertfortschreibung von Amts wegen erblickt; sie haben aber der Anregung nicht folgen zu können geglaubt, weil sie der Auffassung sind, eine solche Fortschreibung sei nicht statthaft, nachdem der Bf. grundlos jahrelang mit der Stellung eines derartigen Antrags gewartet habe. Die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen, die insbesondere das Verwaltungsgericht zu dieser Frage gemacht hat, geben jedoch zu rechtlichen Bedenken Anlaß.
In dieser Hinsicht darf nicht übersehen werden, daß der anfänglich für die Wertfortschreibung bei Kriegsschäden kleineren Umfangs verhältnismäßig ungünstige Rechtszustand in Berlin erst in den Jahren nach 1950 zugunsten der Grundstückseigentümer geändert worden ist. Nach den Berechnungen, die der Bf. selbst im Laufe des anhängigen Verfahrens seinen tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen zugrunde gelegt hat, betrug die Wertminderung seines Grundstücks, die als Folge der erlittenen Kriegsschäden eingetreten war, am 1. Januar 1950 nur noch wenig mehr als 10 v. H. Nach Ansicht des Finanzamts ist sie sogar noch geringer. Da sich die Schadensverhältnisse des Grundstücks aber im Laufe des Jahres 1949 bis zum 1. Januar 1950 offenbar nur geringfügig verändert haben, so wäre einem für die Zeit vor dem 1. Januar 1950 gestellten Fortschreibungsantrag aller Voraussicht nach ein Erfolg nicht beschieden gewesen, da nach den bis dahin in Berlin geltenden Vorschriften des Reichsbewertungsgesetzes Voraussetzung für eine Wertfortschreibung eine Wertabweichung von mindestens 20 v. H. war. Daß auch eine besondere Wertfortschreibung zum 1. April 1949 auf Grund des Art. IV § 3 des Ersten Gesetzes über die Neuordnung der Vermögensbesteuerung in Berlin vom 29. Dezember 1950 nicht in Betracht kommen konnte, hat das Verwaltungsgericht selbst in seiner Entscheidung zum Ausdruck gebracht. Wenn es der Bf. unter diesen Umständen unterlassen hat, für Fortschreibungszeitpunkte vor dem 1. Januar 1950 Anträge auf Wertfortschreibung zu stellen, die nach Lage der Dinge kaum eine Aussicht auf Erfolg versprechen konnten, so ist sein Verhalten insoweit nicht als grundloses Zuwarten zu bezeichnen.
Die Rechtslage hat sich erst auf Grund des Art. IV § 2 des Ersten Gesetzes zur Neuordnung der Vermögensbesteuerung in Berlin für die Feststellungszeitpunkte vom 1. Januar 1950 und später geändert und zugunsten der Berliner Grundstückseigentümer dahin verbessert, daß vom 1. Januar 1950 ab eine Wertfortschreibung schon bei einer Wertabweichung von mehr als 10 v. H. zulässig wurde. Es mag dahingestellt bleiben, weshalb der Bf. es trotz der nach seiner Auffassung nunmehr bestehenden Möglichkeiten zur Wertfortschreibung auf 1. Januar 1950 zunächst unterlassen hat, einen diesbezüglichen Antrag zu stellen, ob dies aus einer gewissen Nachlässigkeit geschah oder etwa aus dem Grunde, weil der Bf. der Meinung war, daß die verhältnismäßig unbedeutenden Auswirkungen der Fortschreibung auf seine steuerliche Belastung durch Grund- und die Vermögensteuer eine Auseinandersetzung mit dem Finanzamt nicht lohnen würde. Auf jeden Fall ist es aber unzutreffend, wenn das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung durchblicken läßt, daß der Bf. trotz der Belastung nach dem Lastenausgleichsgesetz sich durch den am 1. Januar 1950 bestehenden Einheitswert nicht beschwert gefühlt habe. Dabei übersieht das Verwaltungsgericht, daß eine Wertfortschreibung zum 1. Januar 1950 nach dem ursprünglich bestehenden Rechtszustand in Berlin für die Höhe der Lastenausgleichsabgaben überhaupt keine Bedeutung gehabt hätte. Denn Stichtag für die Lastenausgleichsabgaben in Berlin ist der 1. April 1949, so daß sich Wertfortschreibungen auf den 1. Januar 1950 für den Lastenausgleich zunächst jedenfalls nicht auswirken konnten. Erst durch die 9. AbgabenDV-LA, die am 28. Juni 1954 ergangen ist, hat eine zum 1. Januar 1950 durchgeführte Wertfortschreibung für den Lastenausgleich insofern Bedeutung gewonnen, als unter den Voraussetzungen des § 3 der genannten Verordnung die Wertfeststellung zum 1. Januar 1950 auf den 1. April 1949 zurückzuwirken vermag. Diese Auswirkung konnte der Bf. vor Erlaß der 9. AbgabenDV-LA nicht übersehen; es kann daher auch nicht gesagt werden, daß der Bf. in Kenntnis der Bedeutung dieser Fortschreibung für den Lastenausgleich eine Antragstellung jahrelang grundlos unterlassen habe.
Fraglich kann daher nur sein, ob eine Wertfortschreibung von Amts wegen deshalb unterbleiben muß, weil der Bf. es überhaupt unterlassen hat, rechtzeitig eine Wertfortschreibung zum 1. Januar 1950 zu veranlassen, die sich nach der damaligen Lage der Dinge allerdings im wesentlichen nur auf die Grund- und die Vermögensteuer hätte auswirken können. Eine solche Behandlung der Angelegenheit würde jedoch dem Zweck, den der Verordnungsgeber mit dem Erlaß der 9. AbgabenDV-LA offenbar verfolgt hat, nur in ungenügender Weise Rechnung tragen. Die Verordnung soll ihrem ganzen Inhalt nach dazu dienen, in Fällen, in denen eine änderung des Einheitswerts zum 1. April 1949 zugunsten des Steuerpflichtigen im Wege des allgemeinen Festellungs- und Fortschreibungsverfahrens nicht mehr zulässig wäre, den Lastenausgleichspflichtigen wenigstens für die Zwecke des Lastenausgleichs durch Bildung von Sonderwerten in weitgehendem Umfange zu helfen. Es wäre mit diesem Ziel der 9. AbgabenDV-LA nur schwer vereinbar, solchen Personen die Wohltat einer Fortschreibung von Amts wegen zum 1. Januar 1950 und damit der Anwendung des § 3 9. AbgabenDV-LA zu versagen, die es im Hinblick auf die verhältnismäßig unbedeutenden finanziellen Auswirkungen der Fortschreibung für Grund- und Vermögensteuer unterlassen haben, einen derartigen Antrag zu stellen, denen aber die Folgen dieser Unterlassung für die Höhe ihrer Lastenausgleichsabgaben keineswegs erkennbar sein konnten. Nicht mit Unrecht hat der Bf. auch darauf hingewiesen, daß selbst in den Fällen des Art. IV § 3 des Ersten Gesetzes über die Neuordnung der Vermögensbesteuerung in Berlin, in denen grundsätzlich eine Wertfortschreibung zum 1. April 1949 nur auf Antrag vorgenommen werden darf, die Versäumung der Antragsfrist nicht zum Verlust der Möglichkeiten für die Feststellung eines Sonderwertes führt, sondern daß nach § 2 9. AbgabenDV-LA trotz des Fehlens einer Einheitswertfeststellung zum 1. April 1949 die Feststellung eines Sonderwertes ausdrücklich zugelassen wird. Es wäre daher wenig sinnvoll, in Fällen, in denen wie bei der Feststellung des Einheitswertes zum 1. Januar 1950 die Fortschreibung gesetzlich nicht antragsgebunden ist, die Festsetzung eines Sonderwertes daran scheitern zu lassen, daß eine an sich mögliche Fortschreibung von Amts wegen nicht durchgeführt ist. Für den Streitfall und für alle diejenigen Fälle, in denen die Bedeutung einer Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1950 für den Lastenausgleich erst durch die 9. AbgabenDV-LA vom 28. Juni 1954 erkennbar geworden ist, erscheint es jedenfalls nicht angezeigt, die Möglichkeit einer Feststellung von Sonderwerten für Zwecke des Lastenausgleichs aus den von der Vorinstanz hervorgehobenen formalen Gesichtspunkten abzuschneiden.
Da die Vorentscheidung dies verkannt hat, war sie ebenso wie die Einspruchsentscheidung des Finanzamts aufzuheben. Die Sache geht zur nochmaligen Entscheidung an das Finanzamt zurück, das nunmehr die sachlichen Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung zum 1. Januar 1950 zu prüfen haben wird.
Fundstellen
Haufe-Index 408706 |
BStBl III 1957, 158 |
BFHE 1957, 419 |
BFHE 64, 419 |