Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Veräußerung eines Gewichtsguthabens an Edelmetall ist keine Lieferung im Sinne des Umsatzsteuergesetzes.
Hat ein Unternehmer aus erworbenem Edelmetall Gegenstände des Anlagevermögens herstellen lassen und veräußert er diese, weil sie nicht mehr verwendbar sind, als Schrott, so kann er die Großhandelsvergünstigung nicht in Anspruch nehmen.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 4, § 3/1, § 3/8; UStDB § 2
Tatbestand
Die Revisionsbeklagte ist Rechtsnachfolgerin der I-AG (vormals H-AG) in A.
Die H-AG hatte während des letzten Krieges ein Werk betrieben, in dem aus Holz Zucker, bzw. Alkohol hergestellt wurde. Die dabei verwendeten chemisch-technischen Apparate waren teilweise mit Edelmetallen ausgekleidet (plattiert); auch Laborgeräte bestanden zum Teil aus diesen Metallen. Die Edelmetalle für diese Gegenstände bezog die H-AG von der Fa. B in C und ließ sie durch geeignete Firmen selbst verarbeiten. Der aus den abgängigen Gegenständen anfallende edelmetallhaltige Schrott wurde von der Fa. B übernommen und das daraus gewonnene Edelmetall dem Werk auf ein Gewichtskonto gutgeschrieben. Nach Beendigung des Krieges standen auf den Gewichtskonten noch Guthaben von Edelmetallen. Außerdem wurden nach dem Währungsstichtag Edelmetalle gutgeschrieben, die nach der Beschlagnahme durch die damaligen Besatzungsmächte wieder freigegeben worden waren. Um die noch vorhandenen schon gebrauchten und noch vorrätigen plattierten Gegenstände zu verwerten, wurde 1954 die Fa. B mit der Ausscheidung der Edelmetallauflagen beauftragt. Die zurückgewonnenen Edelmetalle wurden zusammen mit den noch vorhandenen Geräten aus Edelmetall und den Gewichtsguthaben an die Fa. B veräußert.
Streitig ist, ob die I-AG mit dem Erlös aus diesen Verkäufen umsatzsteuerpflichtig war.
Die I-AG hatte diese Verkäufe in ihren Steuererklärungen als umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 4 UStG in Verbindung mit § 29 Abs. 2 Nr. 9 a UStDB behandelt. Bei einer im Jahre 1957 durchgeführten Betriebsprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, daß bei dem gegebenen Sachverhalt für die Edelmetallveräußerungen Steuerfreiheit nicht gewährt werden könne. Das FA schloß sich dieser Auffassung an, führte dementsprechend für 1954 und 1955 Berichtigungsveranlagungen durch und unterwarf die Erlöse aus den Verkäufen an die Fa. B dem Steuersatz von 4 v. H. An dieser Auffassung hielt das FA auch in der Einspruchsentscheidung fest.
Mit der Berufung hatte die Revisionsbeklagte Erfolg. Das FG ging in seiner Entscheidung davon aus, daß der Verkauf der Gewichtsguthaben eine Lieferung von Edelmetallen darstelle. Für eine Lieferung im Sinne des § 3 UStG sei der übergang der Verfügungsmacht maßgebend. Die Führung und das gegenseitige Anerkennen der Gewichtskonten in den Streitjahren zeige, daß die H-AG und später die I-AG die Verfügungsmacht über die in den Konten als Guthaben ausgewiesenen Metallmengen innegehabt habe. Die Rechtsvorgängerin der I-AG habe die der Fa. B zurückgelieferten Edelmetalle auch erworben gehabt. Diese Voraussetzung könne nicht dadurch ausgeschlossen werden, daß der erworbene Gegenstand vor der Weiterlieferung eine Verarbeitung erfahren habe. Für die Frage, ob der erworbene Gegenstand eine seine Marktgängigkeit ändernde Behandlung erfahren habe, komme es auf den Zeitpunkt der Weiterlieferung an. Es könne im vorliegenden Fall nicht übersehen werden, daß die Verarbeitung und Verwendung der Gegenstände im Betrieb ein zeitlich begrenzter innerbetrieblicher Vorgang gewesen sei. Im Zeitpunkt der Weiterlieferung sei die Behandlung wieder rückgängig gemacht gewesen. Zwischen dem erworbenen Metall und dem durch die Verwendung gebrauchten Metall könne kein Unterschied gemacht werden. Schließlich sei unter den gegebenen Verhältnissen auch der Buchnachweis als erbracht anzusehen. Hinsichtlich der Gegenstände, die nach Aufgabe des Betriebs noch vorhanden gewesen sein, sei das FG der Auffassung, daß Liefergegenstand die plattierten Röhren und Laborgeräte gewesen seien. Bei den Verkäufen sei der Wille dahin gegangen, sich endgültig von den metallhaltigen Gegenständen zu trennen. Diese Gegenstände seien Schritt aus einem Gemisch von edlen und unedlen Metallen gewesen. Nach Auffassung des FG richte sich die Zuordnung dieses Schrotts danach, welcher Anteil wertmäßig überwiege. Es könne deshalb Edelmetallschrott angenommen werden. Die Verwendung des erworbenen rohen Metalls durch Verarbeitung zu Röhren und dergleichen und die betriebliche Verwendung bis zur Schrottreife sei eine besonders zugelassene Bearbeitung, denn Schrott sei kein Fertig- oder Halberzeugnis. Die noch ungebrauchten Röhren und Geräte hätten ebenfalls die Eigenschaft von Schrott angenommen, da sie nicht mehr hätten veräußert werden können.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rb. des Vorstehers des FA, die gemäß § 184 Abs. 2 Nr. 1 FGO als Revision zu behandeln ist. § 4 Nr. 4 UStG in Verbindung mit § 29 Abs. 1 UStDB besage eindeutig, daß der erworbene Gegenstand weder bearbeitet noch verarbeitet werden dürfe und daß nur die in § 30 UStDB besonders zugelassenen Bearbeitungen und Verarbeitungen die Steuerfreiheit nicht ausschlössen. Das Urteil des FG sei auch in sich widerspruchsvoll. Die Firma habe die erworbenen Gegenstände in steuerlich unzulässiger Weise bearbeitet und genutzt. Die Wesensart der Gegenstände habe sich während der Besitzzeit mehrmals geändert. Von einer Weiterlieferung erworbener und in zulässiger Weise bearbeiteter Gegenstände könne nicht mehr gesprochen werden. Die von der Revisionsbeklagten und dem FG vertretene Rechtsansicht widerspreche auch dem Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften, die nur den reinen Warenverteiler begünstigen wollten.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Das FG hat zur Recht zwischen der Veräußerung der Gewichtsguthaben und der Veräußerung der nach dem Krieg noch vorhandenen gebrauchten und noch ungebrauchten Gegenstände unterschieden. In der rechtlichen Beurteilung dieser Sachverhalte kann ihm jedoch nicht gefolgt werden.
Das FG hat, wenn es die Auffassung vertritt, daß der Verkauf der Gewichtskonten eine Lieferung von Edelmetallen darstelle, die Bedeutung der Gewichtskonten für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung verkannt. Die Gewichtskonten können obligatorische und dingliche Rechte ausweisen. Ob es sich um obligatorische oder dingliche Rechte handelt, ist nach den Vorgängen zu beurteilen, die der Buchung vorausgegangen sind. Es braucht jedoch nicht untersucht zu werden, welches dieser Rechte vorliegt, da in keinem der beiden Fälle in der Veräußerung der Guthaben eine Lieferung von Edelmetallen gesehen werden kann.
Weist das Gewichtskonto einen obligatorischen Anspruch aus, so stellt die Veräußerung des Gewichtsguthabens lediglich den Verzicht auf einen Lieferanspruch dar. Dieser Verzicht ist aber eine sonstige Leistung. Es fehlt deshalb für die Anwendbarkeit des § 4 Nr. 4 UStG an einer Lieferung.
Liegt der Gutschrift ein dinglicher Anspruch zugrunde, so kann es sich nur um Miteigentum handeln, da das Edelmetall bei der Fa. B mit dem Edelmetall anderer Kunden vermischt wird. Diese Auffassung wird auch von der Steuerpflichtigen vertreten. Die Veräußerung von Miteigentumsanteilen stellt eine Veräußerung von Rechten dar. Gegenstand einer Lieferung können aber nur Sachen und Wirtschaftsgüter sein, die wie Sachen umgesetzt werden. Rechte können nicht geliefert werden. Das gilt auch für die Rechte aus Miteigentum. Zu dem gleichen Ergebnis führt die überlegung, daß der Gegenstand, der geliefert werden soll, nicht hinreichend bestimmt ist. Der Gegenstand der Lieferung muß konkretisiert sein (vgl. dazu Urteile des BFH V 212/55 U vom 21. August 1958, BFH 67, 423, BStBl III 1958, 434; V 127/59 vom 9. November 1961, HFR 1962, 210 und V 157/60 U vom 31. Januar 1963, BFH 76, 544, BStBl III 1963, 198). Diese Beurteilung ergibt sich auch daraus, daß die I-AG nur über ihre Anteile, nicht aber über die Edelmetallbestände verfügen konnte. Eine Lieferung ist daher nicht gegeben.
Wenn die Revisionsbeklagte einwendet, daß der Vorgang so zu beurteilen sei, als ob sie das Edelmetall sich hätte aushändigen lassen und dann übergeben hätte, so ist dem entgegenzuhalten, daß es für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung auf die Verhältnisse ankommt, wie sie sind und nicht wie sie hätten sein können.
Im übrigen handelt es sich bei der Frage, ob eine Lieferung oder eine sonstige Leistung gegeben ist, um eine Rechtsfrage, für deren Entscheidung es auf die Verkehrsauffassung nicht ankommen kann. Es bestand deshalb bei dem an sich klaren Sachverhalt keine Veranlassung, erst noch die Tatsacheninstanz mit der Feststellung der Verkehrsauffassung zu befassen. Daß die beteiligten Wirtschaftskreise die Veräußerung eines Gewichtsguthabens wie eine Veräußerung von Edelmetallen behandeln und betrachten, steht der Annahme einer sonstigen Leistung nicht entgegen. Liegt aber eine sonstige Leistung vor, so kann § 4 Nr. 4 UStG nicht angewendet werden.
Um eine Lieferung handelt es sich dagegen bei der Verwertung der nach Beendigung des Krieges noch vorhandenen gebrauchten und ungebrauchten Röhren und Geräte. Das FG und die Revisionsbeklagte haben zu Recht angenommen, daß die H-AG Edelmetalle erworben und die I-AG Schrott weitergeliefert hat. Auch die ungebrauchten, aber nicht mehr verwendbaren Gegenstände können als Schrott angesehen werden.
Gemäß § 4 Nr. 4 UStG in Verbindung mit § 29 Abs. 1 UStDB muß aber der im Großhandel gelieferte Gegenstand erworben worden sein. Im vorliegenden Fall hat die I-AG Schrott geliefert, der aus gebrauchten und ungebrauchten Röhren und Geräten bestand. Diese Gegenstände hat ihre Rechtsvorgängerin nicht so, wie sie geliefert worden sind, erworben. Aus den erworbenen Edelmetallen sind Gegenstände für den Fabrikationsbetrieb hergestellt worden, für die nach Schließung des Betriebs keine Verwendung mehr war. Diese den Anlagegütern zuzurechnenden Gegenstände sind Schrott geworden. Es kann hiernach nicht gesagt werden, daß die gelieferten Gegenstände, auch wenn sie Schrott sind, die gleichen sind wie diejenigen, die erworben worden waren. Es kommt für die insoweit geforderte Identität nicht auf die Identität des Stoffes, sondern auf die Identität des Gegenstandes an.
Die Wandlung zu Schrott, die das Edelmetall erfahren hat, beruht auch nicht auf einer steuerlich zugelassenen Bearbeitung. Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 5 UStDB liegen besonders zugelassene Bearbeitungen und Verarbeitungen vor, wenn die im § 29 Abs. 2 Nr. 9 a UStDB genannten Edelmetalle oder Edelmetallegierungen zu Gegenständen verarbeitet werden, die weder als fertige Erzeugnisse noch als solche Halberzeugnisse anzusehen waren, die ohne weitere wesentliche Veränderung ihrer Zusammensetzung oder Form dem Fertigerzeugnis oder einem anderen Halberzeugnis eingefügt werden können. Die H-AG hat aus den erworbenen Edelmetall plattierte Röhren und Laborgeräte herstellen lassen. Daß es sich bei den Laborgeräten um Fertigerzeugnisse und bei den Röhren mindestens um Halberzeugnisse gehandelt hat, ist offenkundig. Von einer zugelassenen Bearbeitung kann deshalb keine Rede sein.
Die Herstellung der Rohre und Geräte ist auch nicht rückgängig gemacht worden. Diese Gegenstände wurden so veräußert, wie in jedem Unternehmen nicht mehr gebrauchte Güter des Anlagevermögens in der Form von Hilfgeschäften veräußert werden. Es kann deshalb der Auffassung des FG, daß die Bearbeitungsvorgänge so anzusehen seien, als ob sie nicht geschehen wären, nicht gefolgt werden. Es handelt sich auch nicht um einen Fall, in dem der gelieferte Gegenstand in den Zustand zurückversetzt worden wäre, in dem er erworben wurde. Die I-AG hat Schrott veräußert und Edelmetall erworben. Es ist deshalb auch nicht richtig, daß es sich um Bearbeitungen handelt, die nicht Inhalt einer Leistung geworden sind.
Diese Beurteilung steht auch mit dem Sinn und Zweck der Großhandelsvergünstigung in Einklang. Durch die Vorschrift des § 4 Nr. 4 UStG soll - ebenso wie in den Fällen des § 7 Abs. 3 UStG - der Großhändler begünstigt werden, der Ware einkauft, um sie, so wie er sie erworben hat, an Wiederverkäufer oder gewerbliche Verbraucher weiter zu veräußern. Die Voraussetzung, daß der vom Großhändler gelieferte Gegenstand erworben sein muß, und nicht oder nur in steuerlich unschädlicher Weise bearbeitet worden sein darf, hat den Zweck, den Großhändler gegen den Hersteller abzugrenzen. Ein Unternehmer, der den erworbenen Gegenstand bearbeitet oder verarbeitet, ist kein Großhändler. Auch im vorliegenden Fall hat nicht ein Großhändler das von ihm erworbene Edelmetall weiter veräußert, sondern ein Fabrikationsunternehmer von ihm nicht mehr gebrauchte Anlagewerte verkauft. Es ist zwar richtig, daß durch die bestehende gesetzliche Regelung der Handel und die Bearbeitung von Edelmetallen weitgehend begünstigt sind. Nach der getroffenen Regelung läuft auch die Begünstigung der Edelmetalle, wie die Revisionsbeklagte zutreffend ausführt, weitgehend auf eine Einstufensteuer hinaus, die an der fertigen Gebrauchtware einsetzt. Die Begünstigung hat jedoch dort ihre Grenze, wo das Gesetz für die Inanspruchnahme der Steuervergünstigung bestimmte Voraussetzungen fordert.
Auf das Urteil des BFH V 228/57 U vom 4. September 1958 (BFH 67, 426, BStBl III 1958, 435) kann sich die Revisionsbeklagte nicht berufen, da diesem ein anderer Sachverhalt zugrunde liegt. Es wird dort lediglich für die Lieferung der Fehlerzeugnisse und Abfälle, die bei der Herstellung der Fertigerzeugnisse anfallen, die Großhandelsvergünstigung in Anspruch genommen. Die vor der Neuregelung der Großhandelsvergünstigung im Jahre 1934 bestehende Rechtslage kann zur Unterstützung der gegenteiligen Auffassung nicht herangezogen werden, weil die gesetzliche Regelung damals eine andere gewesen ist.
Die Vorentscheidung war hiernach aufzuheben und die Einspruchsentscheidung wieder herzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 412640 |
BStBl III 1967, 662 |
BFHE 1967, 366 |
BFHE 89, 366 |