Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassungsstreit; Ermächtigung eines organschaftlichen Gesamtvertreters
Leitsatz (NV)
1. Greift der Revisionskläger ein Prozeßurteil mit der Begründung an, die nach Auffassung der Vorinstanz fehlende Sachurteilsvoraussetzung - hier: die wirksame Vollmachtserteilung - sei gegeben, so darf die Revision wegen dieses gerügten Mangels nicht als unzulässig verworfen werden.
2. Die gesellschaftsrechtliche Gesamtvertretung kann auch dadurch ausgeübt werden, daß die nicht - durch Teilerklärungen - handelnden Gesamtvertreter einen Gesamtvertreter zur Vornahme eines bestimmten Geschäfts - hier: Erteilung einer Prozeßvollmacht - ermächtigen oder dem Geschäft zustimmen.
Normenkette
FGO § 62; BGB §§ 182, 185; HGB § 125 Abs. 2, § 150; AktG § 78 Abs. 4, § 269
Verfahrensgang
Tatbestand
Geschäftsführer der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, waren der Kaufmann J K und der Maschinenschlosser K K. In § 7 Abs. 1 Satz 3 des Gesellschaftsvertrages der Klägerin ist bestimmt, daß, wenn mehrere Geschäftsführer berufen werden, diese jeweils nur mit einem anderen Geschäftsführer oder einem Prokuristen vertretungsberechtigt sind. Am 4. Juni 1980 lehnte das Amtsgericht W einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse ab (§ 107 der Konkursordnung - KO -). Die somit eingetretene Auflösung der Klägerin ist am 12. September 1980 in das Handelsregister eingetragen worden.
Rechtsanwalt R hat im Namen der Klägerin beim Finanzgericht (FG) Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 1981 reichte er eine von J K unterzeichnete Prozeßvollmacht ein und trug ergänzend vor: K K weigere sich, eine schriftliche Vollmacht zu unterzeichnen. Er habe aber ihm, dem Prozeßvertreter der Klägerin, gegenüber erklärt, J K solle allein die GmbH in dieser Sache vertreten. In dieser Erklärung könne man unter Umständen eine Zustimmung zu diesem Verfahren erblicken. J K sei aus Gründen, die er nicht zu vertreten habe, gehindert, die vom FG geforderte, von beiden Geschäftsführern unterzeichnete Vollmacht beizubringen. Er beantrage daher, die gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) vom 31. März 1978 (BGBl I 1978, 446) verfügte Frist (18. Dezember 1981) angemessen zu verlängern, um Herrn J K die Möglichkeit zu geben, die Vollmachtserteilung bzw. Zustimmung einzuklagen.
Das FG hat die Klage abgewiesen und die Kosten des Verfahrens Rechtsanwalt R als vollmachtlosem Prozeßvertreter auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Befugnis zur Klageerhebung könne nur durch Vorlage der schriftlichen Vollmacht beider Liquidatoren nachgewiesen werden. Dies sei nicht innerhalb der Ausschlußfrist geschehen. Die Ausschlußfrist habe über den 18. Dezember 1981 hinaus nicht verlängert werden können.
Hiergegen hat Rechtsanwalt R namens der Klägerin Revision eingelegt. Er rügt fehlerhafte Anwendung der §§ 62, 135 der Finanzgerichtsordnung (FGO), des Art. 3 § 1 VGFGEntlG sowie des § 2 Abs. 1 des Löschungsgesetzes (LöschG). Er trägt u. a. vor:
J K sei in seiner Funktion als Liquidator der Klägerin alleinvertretungsberechtigt gewesen. K K sei damit einverstanden gewesen, daß J K die Geschäfte abwickelte und insbesondere das Verfahren vor dem FG allein führe. Dies sei von den Gesellschaftern mündlich beschlossen worden, auch wenn K K kein Vollmachtsformular habe unterschreiben wollen. Tatsächlich habe J K die Firma liquidiert und insbesondere den Schriftwechsel mit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) geführt; die entsprechenden Bescheide des FA seien auch an ihn adressiert worden. Den Auftrag zur Prozeßvertretung habe J K als Notgeschäftsführer erteilt. Jedenfalls hätte das FG dem Liquidator J K nicht die Möglichkeit abschneiden dürfen, die Zustimmung des K K zur Durchführung des finanzgerichtlichen Verfahrens im Klagewege zu erzwingen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Änderung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 19. Juni 1981 und Aufhebung des angefochtenen Urteils nach dem in der ersten Instanz gestellten Antrag zu entscheiden, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen und die Kosten des Verfahrens dem Prozeßvertreter der Klägerin aufzuerlegen.
Das FA weist darauf hin, daß die auf den Prozeßvertreter lautende Vollmacht zur Einlegung der Revision nur von J K unterschrieben sei.
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Das FG durfte die Klage nicht allein mit der Begründung abweisen, die Vollmacht sei nur von einem der beiden Liquidatoren unterzeichnet worden.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig.
Der vom FG angenommene Mangel in der Vollmachtserteilung stünde dem nicht entgegen. Greift der Revisionskläger ein Prozeßurteil mit der Begründung an, die nach Auffassung der Vorinstanz fehlende Sachurteilsvoraussetzung - hier die wirksame Vollmachtserteilung - sei gegeben, so darf ein Rechtsmittel wegen dieses gerügten Mangels nicht als unzulässig verworfen werden (vgl. Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 11. April 1957 VII ZR 280/56, BGHZ 24, 91, 94; vom 21. Oktober 1985 II ZR 82/85, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht - WM - IV 1986, 145; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., 1986, §§ 43 IV 2, 44 IV 2 zum Zulassungsstreit betreffend Partei- und Prozeßfähigkeit).
2. Die Revision ist begründet.
Wenn ein Prozeßvertreter namens eines Rechtsträgers Revision einlegt, muß er sich von den diesen Rechtsträger nach außen repräsentierenden Personen - hier: Organen der GmbH - bevollmächtigen lassen. Können diese Personen den Rechtsträger kraft Gesetzes, Statuts oder Vertrags nur gemeinsam nach außen vertreten, so liegt eine ordnungsgemäße Bevollmächtigigung grundsätzlich erst dann vor, wenn alle vertretungsberechtigten Personen diese Vollmacht unterzeichnet haben. Fehlt auch nur die Unterschrift einer Person, ist die Vollmacht nicht erteilt. Dies hat zur Folge, daß die Revision unzulässig ist und daß der Prozeßbevollmächtigte - und zwar nur dieser - die Kosten des gesamten Verfahrens tragen muß. Etwas anderes gilt im möglicherweise hier gegebenen Fall der internen Ermächtigung. Denn die gesellschaftsrechtliche Gesamtvertretung kann nicht nur dadurch ausgeübt werden, daß alle Gesamtvertreter, wie vorstehend dargestellt, Teilerklärungen abgeben. Vielmehr kann ein Gesamtvertreter auch dadurch mitwirken, daß er dem Rechtsgeschäft zustimmt (§ 182 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) oder einen oder mehrere andere Gesamtvertreter zur Vornahme eines bestimmten Geschäfts oder einer bestimmten Art von Geschäften ermächtigt (entsprechend § 125 Abs. 2, § 150 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches - HGB -, § 78 Abs. 4, § 269 Abs. 3 des Aktiengesetzes - § AktG -; BGH-Urteil vom 6. März 1975 II ZR 80/73, BGHZ 64, 72; Scholz/Schneider, GmbH-Gesetz, Kommentar, § 35 Rdnr. 87 ff.). Durch eine solche Ermächtigung erstarkt die organschaftliche Gesamtvertretungsmacht für den im einzelnen bezeichneten Geschäftsbereich zur Alleinvertretungsmacht; das ermächtigte Gesellschaftsorgan handelt nicht als Bevollmächtigter, etwa aufgrund einer ihm durch den anderen Gesamtvertreter erteilten Handlungsvollmacht (BGH-Urteil in BGHZ 64, 72, 75). Der wirksam von den übrigen Gesamtvertretern zur Durchführung eines Rechtsstreits ermächtigte Geschäftsführer einer GmbH vertritt diese allein nach außen. Die dem Gericht vorzulegende Prozeßvollmacht (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26. August 1987 I R 135/84, BFHE 151, 1, BStBl II 1988, 280) ist - nur - von ihm zu unterzeichnen.
3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist und sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, war diese aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird unter Berücksichtigung auch des Vorbringens der Klägerin im Revisionsverfahren erneut prüfen, ob die von J K ausgestellte Vollmacht ausreichend war. Gegebenenfalls wird es zur Sache entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 415855 |
BFH/NV 1989, 183 |