Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte trotz beruflich bedingter Umwege
Leitsatz (NV)
Aufwendungen eines Arztes für die Zurücklegung der regulären Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Praxis sind auch dann nur im Rahmen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG abziehbar, wenn die Fahrten zur Erledigung von Hausbesuchen unterbrochen werden.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6, § 9 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als Arzt für Allgemeinmedizin in A selbständig tätig. Er machte für die Streitjahre 1986 bis 1990 tatsächlich entstandene PKW-Kosten je gefahrenen Kilometer auch insoweit in vollem Umfang als Betriebsausgaben geltend, als er Fahrten an seiner Wohnung und seiner 7 km entfernten Praxis angetreten bzw. beendet und -- nach seinem Vortrag bei einer Außenprüfung -- anläßlich jeder dieser Fahrten einen Teil der täglich rund 15 Hausbesuche durchgeführt hatte.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) setzte Aufwendungen für Fahrten an jeweils 220 Tagen nur mit den Pauschbeträgen je Entfernungskilometer (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --) an und ließ Aufwendungen für zusätzliche Mittagsheimfahrten an jeweils 132 Tagen in vollem Umfang unberücksichtigt; die Kosten für die durch die Hausbesuche bedingten Umwege behandelte er als uneingeschränkt abziehbar.
Mit der Klage begehrte der Kläger, die Kürzungen der Betriebsausgaben auf 2/7 der Pauschbeträge zu beschränken. Er trug hierzu vor: Er führe durchschnittlich täglich 20 bis 30 Hausbesuche im gesamten Stadtgebiet durch, und zwar jeweils vor der Vormittagssprechstunde, mittags sowie nach der Nachmittagssprechstunde. Die Fahrtrouten würden aus organisatorischen Gründen nach Möglichkeit so gewählt, daß vor dem ersten bzw. nach dem letzten Hausbesuch nur eine geringe Fahrtstrecke (ca. 2 km) von bzw. zur Wohnung verbleibe.
Die Klage hatte hinsichtlich des Streitpunkts keinen Erfolg.
Mit der vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den angefochtenen Gerichtsbescheid aufzuheben und die Feststellungsbescheide 1986 und 1987 bis 1990, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung, dahin abzuändern, daß weitere Betriebsausgaben in Höhe von ... DM (1986), ... DM (1987), ... DM (1988), ... DM (1989) und ... DM (1990) berücksichtigt werden.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
FA und FG haben zu Recht angenommen, daß die streitigen Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben abziehbar sind.
1. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind auch Aufwendungen für eine durch berufliche Anlässe unterbrochene Fahrt zwischen Wohnung und Betriebsstätte grundsätzlich nur im Rahmen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG abziehbar und demzufolge nur die Aufwendungen für den durch den beruflichen Anlaß erforderlichen Mehrweg uneingeschränkt als Betriebsausgaben anzuerkennen (vgl. Urteile vom 17. Februar 1977 IV R 87/72, BFHE 122, 55, BStBl II 1977, 543; vom 25. März 1988 III R 96/85, BFHE 153, 119, BStBl II 1988, 655; vom 10. Dezember 1992 XI R 13/92, BFH/NV 1993, 473). Als Ziel und Zweck der Fahrt steht in aller Regel das Aufsuchen der Betriebsstätte, d. h. des Ortes, der den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit bildet, im Vordergrund. Wenn dabei nebenher durch Fahrtunterbrechung besondere berufliche Angelegenheiten miterledigt werden, ändert dies nichts an dem im Vordergrund stehenden eigentlichen Zweck der Fahrt. Dieser wird erst dann geändert, wenn nicht das Aufsuchen der Betriebsstätte oder der Wohnung, sondern andere Gründe für die Fahrt maßgeblich waren.
b) Der Senat hält hieran aus den in seinem Urteil in BFHE 122, 55, BStBl II 1977, 543 im einzelnen dargelegten Gründen fest.
Ob das Aufsuchen der Wohnung bzw. Betriebsstätte oder die Erledigung beruflicher Angelegenheiten im Vordergrund steht, ist jeweils nach den Gesamtumständen des Einzelfalls zu gewichten (vgl. BFH-Urteil vom 12. Oktober 1990 VI R 165/87, BFHE 162, 420, BStBl II 1991, 134). Dies gilt auch dann, wenn die Erledigung besonderer beruflicher Angelegenheiten auf den Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte in gewissem Umfang mit einem Ortswechsel verbunden ist. Nichts anderes ergibt sich aus dem vom Kläger herangezogenen BFH-Urteil vom 2. Februar 1994 VI R 109/89 (BFHE 173, 179, BStBl II 1994, 422); denn danach ist § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG mit Rücksicht auf einen häufigen Ortswechsel nur für solche Fahrten nicht anzuwenden, die der Steuerpflichtige von der Wohnung aus zu zahlreichen wechselnden Tätigkeitsstätten unternimmt, ohne den Betrieb seines Arbeitgebers bzw. die Betriebsstätte aufzusuchen.
c) Diese Grundsätze gelten entsprechend für zusätzliche Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte. Aufwendungen für mittägliche Zwischenheimfahrten, soweit sie nicht durch eine Arbeitszeitunterbrechung von mindestens vier Stunden veranlaßt sind, sind in vollem Umfang nicht abziehbar (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG in der ab 1. Januar 1990 geltenden Fassung sowie zur bisherigen Rechtslage z. B. BFH-Urteil vom 17. Dezember 1971 VI R 328/70, BFHE 104, 209, BStBl II 1972, 260).
2. Die Vorentscheidung ist danach nicht zu beanstanden.
Das FG hat den Vortrag des Klägers im Klageverfahren in bezug auf den Umfang und die Durchführung der Hausbesuche als zutreffend unterstellt und auf der Grundlage dieser Feststellungen die Schlußfolgerung tatsächlicher Art gezogen, das Aufsuchen der Wohnung bzw. der Betriebsstätte habe im Vordergrund gestanden. Diese Gesamtwürdigung des FG ist zumindest möglich und gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend, da sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustandegekommen und nicht durch Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt ist. Das FG konnte das Aufsuchen der Wohnung bzw. Praxis als maßgeblichen Grund für die Fahrten ansehen. Die Dauer der Hausbesuche, die der Kläger ohnehin erstmals im Revisionsverfahren mit durchschnittlich insgesamt drei Stunden täglich (3/10 der Arbeitszeit) beziffert hat, ändert nicht zwingend den Charakter der Fahrten als Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte; denn der Dauer der beruflichen Tätigkeiten, die Anlaß für die Unterbrechung der Fahrten sind, ist jedenfalls dann kein entscheidendes Gewicht beizumessen, wenn die Tätigkeit in der Betriebsstätte nach ihrem zeitlichen Umfang im Vordergrund steht (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 473 zum zwei- bis dreistündigen Einkauf eines Einzelhändlers). In die Gesamtwürdigung kann zwar grundsätzlich auch das Verhältnis der Umwegstrecke zur gesamten Fahrtstrecke einzubeziehen sein (vgl. BFH-Urteil in BFHE 162, 420, BStBl II 1991, 134); im Streitfall durfte das FG diesen Umstand aber schon deshalb außer Acht lassen, da der Kläger hierzu weder Aufzeichnungen in einem Fahrtenbuch geführt, noch sonst konkrete Angaben gemacht hat. Schließlich zwang auch der Umstand, daß die Fahrten wegen der Hausbesuche in gewissem Umfang durch einen Ortswechsel geprägt waren, nicht zur Annahme, daß die Erledigung dieser beruflichen Angelegenheiten im Vordergrund stand.
Fundstellen
Haufe-Index 420809 |
BFH/NV 1996, 117 |