Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung des angefochtenen VA ohne Sachentscheidung; Angemessenheit der Bezüge eines GesellschafterGeschäftsführers
Leitsatz (NV)
1. Ob dem FA ein die bloße Aufhebung des angefochtenen VA nach § 100 Abs. 2 FGO rechtfertigender wesentlicher Verfahrensmangel unterlaufen ist, ist nach der materiellen Rechtsauffassung zu beurteilen, die das FA seiner Entscheidung zugrundegelegt hat.
2. Eine mangelhafte Sachaufklärung durch das FA ist grundsätzlich ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
3. Ein auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränkter Klageantrag kommt im Anwendungsbereich des § 44 Abs. 2 FGO nur in Betracht, soweit ein besonderes rechtliches Interesse des Klägers an der Wiederholung des Vorverfahrens besteht.
4. Zu den Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit der Bezüge des Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH.
Normenkette
AO 1977 § 88; FGO § 44 Abs. 2, § 100 Abs. 2 S. 2; KStG a.F. § 6 Abs. 1 S. 2 (KStG 1977 § 8 Abs. 3 S. 2)
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, deren Stammkapital in den Streitjahren (1970 bis 1975) 40 000 DM betrug; hiervon entfiel jeweils die Hälfte auf die Gesellschafter-Geschäftsführer A sen. und A jun.
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist die Ausführung von Bedachungs- und Bauklempnerarbeiten. Sie ist überwiegend im Bereich von Großbauten wie Kirchen und Bürogebäuden tätig und führt auch Sanierungsprojekte als Generalunternehmer durch. In den Streitjahren beschäftigte sie 12 bis 15 Arbeitnehmer, unter denen sich zwei Dachdeckermeister befanden.
Die Klägerin hatte mit A sen. einen Anstellungsvertrag als Betriebsleiter abgeschlossen. Die eigentliche unternehmerische Leitung oblag in den Streitjahren jedoch A jun., der bereits 1945 in das klägerische Unternehmen eingetreten war, aber nur die Dachdeckergesellenprüfung abgelegt hat. Beide Gesellschafter übten auch ehrenamtliche Tätigkeiten in verschiedenen Gremien ihrer Unternehmensbranche aus.
Für seine Tätigkeit erhielt A jun. in den Streitjahren Gesamtvergütungen zwischen 53 002 DM und 125 800 DM jährlich.
A sen. bezog bis Ende 1972 ein monatliches Gehalt von 1 000 DM, das ab Januar 1973 auf 3 000 DM erhöht wurde.
Die von der Klägerin erklärten Gewinne betrugen in den Wirtschaftsjahren 1969/70 891 DM, 1970/71 18 714 DM, 1971/72 7 001 DM, 1972/73 4 659 DM und 1973/74 3 722 DM. Für 1974/75 wurde ein Verlust von 22 806 DM erklärt.Bei einer für die Streitjahre durchgeführten Betriebsprüfung gelangte der Prüfer zu dem Ergebnis, daß die an die Gesellschafter-Geschäftsführer gezahlten Vergütungen unangemessen hoch gewesen seien. Für A sen. sah er ein Monatsgehalt von 2 000 DM als angemessen an, da sich dessen Leistung in der Überlassung seines Meistertitels erschöpft habe. Bei der Berechnung angemessener Beträge für A jun. ging der Prüfer unter Zugrundelegung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 80 Stunden vom tariflichen Stundenlohn eines Vorarbeiters aus und zog zum Vergleich mit gesellschaftsfremden Dritten Daten der Landes-Gewerbeförderstelle heran.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte den Feststellungen des Prüfers und nahm in Höhe des für unangemessen erklärten Teils der Vergütungen verdeckte Gewinnausschüttungen an. Die Klägerin legte gegen die entsprechenden Änderungen in den Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerveranlagungen der Streitjahre sowie bei der Anteilsbewertung zum 31. Dezember 1973 zunächst Einspruch ein, erhob jedoch während der Einspruchsfrist Sprungklage, da es im wesentlichen auf eine rechtliche Bewertung bekannter Tatsachen ankomme.
Zur Begründung ihrer Klage, die wegen fehlender Zustimmung des FA als Einspruch behandelt wurde, trug die Klägerin unter Benennung von drei Zeugen vor, daß das Gehalt von A sen. angemessen sei, da dieser täglich vormittags im Betrieb voll mitgearbeitet und sich aufgrund seiner ehrenamtlichen Tätigkeit bei der Akquisition von Aufträgen nützlich gemacht habe. Zur Begründung der Angemessenheit der Vergütungen für A jun. berief sich die Klägerin auf das Zeugnis von vier namentlich benannten Geschäftsführern und leitenden Angestellten, denen in vergleichbaren Betrieben annähernd gleichhohe oder sogar höhere Bezüge gewährt würden.
Das FA gab in den Einspruchsentscheidungen den Einsprüchen insoweit statt, als ein in früheren Betriebsprüfungen zugrunde gelegter Berechnungsmodus zur Ermittlung der angemessenen Bezüge der Geschäftsführer nach Treu und Glauben auch noch in den Streitjahren anzuwenden war. Für A sen. sah das FA weiterhin eine monatliche Vergütung von höchstens 2 000 DM als angemessen an, da die Klägerin einem fremden Dritten bei unverändertem Aufgabengebiet und gleicher Arbeitsleistung keine Gehaltserhöhung von 200 v. H. zugestanden hätte. Den trotz der Erhöhung der als angemessen erachteten Gehaltszahlungen für A jun. verbleibenden überhöhten Teil der Vergütungen sah das FA schon deshalb als verdeckte Gewinnausschüttungen an, weil die Gesellschafter bei vergleichbaren Leistungen an fremde Dritte auf eine angemessene Rendite ihres eingesetzten Kapitals hätten verzichten müssen. Im übrigen hielt es eine Anhebung des vom Betriebsprüfer angesetzten Stundenlohnes für einen Vorarbeiter im Hinblick auf die ausgeübte betriebsleitende Tätigkeit zwar für geboten; diese würde jedoch durch eine Verringerung der effektiven Arbeitszeit infolge der umfangreichen ehrenamtlichen Nebentätigkeiten des Gesellschafter-Geschäftsführers ausgeglichen werden.
Mit ihren hiergegen erhobenen Klagen beantragte die Klägerin unter Wiederholung der Beweisangebote und des übrigen Vorbringens im Vorverfahren zunächst, die vom FA angenommenen verdeckten Gewinnausschüttungen rückgängig zu machen und die angefochtenen Steuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen entsprechend zu ändern. Während des Klageverfahrens schränkte die Klägerin den Klageantrag dahin ein, die Einspruchsentscheidungen aufzuheben und die Sache gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FA zurückzuverweisen und verfolgte das ursprüngliche Klagebegehren nur noch hilfsweise weiter.
Das Finanzgericht (FG) gab dem Hauptantrag statt und hob die Einspruchsentscheidungen gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO auf, weil dem FA durch die Nichterhebung der von der Klägerin angebotenen Beweise wesentliche Verfahrensfehler unterlaufen seien und eine weitere, einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit erfordernde Aufklärung nötig sei.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 6 des Körperschaftsteuergesetzes 1968 (KStG a. F.), des § 88 der Abgabenordnung (AO 1977) und des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die Rüge des FA, das FG habe die Vorschrift des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO verletzt, greift durch.
1. Nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht, wenn es wesentliche Verfahrensmängel feststellt und eine weitere, einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit erfordernde Aufklärung für nötig hält, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Die Feststellung des Gerichts, ob die Voraussetzungen für eine Aufhebung ohne Entscheidung zur Sache nach dieser Vorschrift vorliegen, ist eine im Revisionsverfahren nachprüfbare Rechtsentscheidung (vgl. Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 9563).
a) Die ersatzlose Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen setzt voraus, daß das Gericht wesentliche Fehler des Verwaltungsverfahrens feststellt. Zu diesen Fehlern rechnet grundsätzlich auch eine mangelhafte Sachverhaltsaufklärung durch das FA (vgl. Söhn in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 88 AO 1977 Rdnr. 167). Ob dem FA ein Verfahrensmangel unterlaufen ist, ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) aufgrund der materiellen Rechtsauffassung zu beurteilen, die das FA seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (Urteil vom 29. Mai 1984 VIII R 177/78, BFHE 141, 272, 276, BStBl II 1984, 661, 663; vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 100 FGO Tz. 16; Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, a.a.O., Rdnr. 9550).
b) Im Streitfall hatte das FA bei Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung keinen Anlaß zur Erhebung der von der Klägerin angebotenen Beweise; die unter Beweis gestellten Tatsachen waren aus seiner Sicht nicht rechtserheblich.
Das FA hat unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung verdeckte Gewinnausschüttungen angenommen, weil die Klägerin ihren beiden Gesellschafter-Geschäftsführern Tätigkeitsvergütungen in einer Höhe gezahlt habe, die sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Geschäftsführer, der nicht Gesellschafter ist, nicht gewährt hätte (vgl. z. B. Urteil des BFH vom 5. Oktober 1977 I R 230/75, BFHE 124, 164, BStBl II 1978, 234). Da es für die Angemessenheit der Bezüge von Gesellschafter-Geschäftsführern keine festen Regeln gilt, mußte das FA die Höhe des seiner Auffassung nach unangemessenen Teils der Vergütungen im Wege der Schätzung ermitteln. Nach der Rechtsprechung sind hierbei Art und Umfang der Tätigkeit, die künftigen Ertragsaussichten des Unternehmens, das Verhältnis des Geschäftsführergehalts zum Gesamtgewinn und zur verbleibenden Kapitalverzinsung sowie Art und Höhe der Vergütungen, welche gleichartige Betriebe ihren Geschäftsführern für entsprechende Leistungen gewähren, zu berücksichtigen (vgl. BFHE 124, 164, BStBl II 1978, 234).
Das FA ist zwar in den angefochtenen Einspruchsentscheidungen auf sämtliche vorstehenden Beurteilungskriterien eingegangen; es hat seine Entscheidung jedoch maßgeblich auf das Merkmal der - unzureichenden - Kapitalverzinsung gestützt und damit trotz des Hinweises auf das der Beweiserhebung angeblich entgegenstehende Steuergeheimnis zu erkennen gegeben, daß es auch für den Fall der Gewährung gleichhoher Vergütungen in vergleichbaren Betrieben verdeckte Gewinnausschüttungen annehmen würde. Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 19. März 1975 I R 137/73 (BFHE 116, 12, BStBl II 1975, 722) dem FA vorwirft, nicht erkannt zu haben, daß der Frage der Kapitalverzinsung die von diesem angenommene Ausschließlichkeit nicht zukomme, handelt es sich um keinen Verfahrensmangel, sondern um einen Fehler in der Rechtsanwendung, der eine Kassation der angefochtenen Bescheide nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht zuläßt.
Nicht entscheidungserheblich war nach der materiellen Rechtsauffassung des FA auch die unter Beweis gestellte Tatsache der Arbeitsleistung von A sen. Das FA hat im Rahmen des Fremdvergleichs ein über 2 000 DM liegendes Monatsgehalt für unangemessen erachtet, weil einem fremden Dritten bei unveränderter Tätigkeit keine Gehaltserhöhung von 200 v. H. gewährt worden wäre. Bei dieser Begründung kommt es auf den tatsächlichen Umfang der Arbeitsleistung ersichtlich nicht an.
2. Das FG durfte sich auch nicht deshalb auf eine bloße Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränken, weil die Klägerin mit ihrem Hauptantrag ein entsprechendes Klagebegehren verfolgte. Denn der Hauptantrag ist unzulässig.
Nach § 44 Abs. 2 FGO ist Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat. Die Klage hat sich daher nicht gegen die Einspruchsentscheidung als solche, sondern gegen den Steuerbescheid zu richten. Ein auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränkter Klageantrag kommt im Anwendungsbereich des § 44 Abs. 2 FGO nur in Betracht, soweit ein besonderes rechtliches Interesse des Klägers an der Wiederholung des Vorverfahrens besteht (BFH-Urteil vom 19. August 1982 IV R 185/80, BFHE 136, 445, BStBl II 1983, 21). Die Rechtsprechung hat ein besonderes rechtliches Interesse lediglich in den Fällen bejaht, in denen der Kläger durch auf die Rechtsbehelfsentscheidung beschränkte Mängel beeinträchtigt wird, an deren isolierter Aufhebung ein Rechtsschutzinteresse besteht (vgl. BFH-Urteile vom 18. Oktober 1972 II R 110/69, BFHE 107, 409, BStBl II 1973, 187, und vom 7. Juli 1976 I R 66/75, BFHE 119, 368, BStBl II 1976, 680 betr. den Einspruch zu Unrecht als unzulässig verwerfende Einspruchsentscheidung; vgl. auch Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, a.a.O., Rdnr. 7060 bis 7062). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.
3. Es kann dahinstehen, ob bei der Notwendigkeit erstmaliger Beweiserhebung im Klageverfahren infolge abweichender Rechtsauffassung des Gerichts eine entsprechende Anwendung des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO in Betracht zu ziehen ist, um der Klägerin den geltend gemachten Anspruch auf zwei Tatsacheninstanzen zu gewährleisten. Im Streitfall besteht schon deshalb keine Veranlassung zur Erörterung dieser Frage, weil die Klägerin selbst auf die Durchführung des Vorverfahrens verzichten wollte, da, so die Begründung ihrer Sprungklage, die Durchführung dieses Verfahrens lediglich Zeitaufwand verursachen würde, ohne den Streit einer Erledigung näherzubringen.
Fundstellen
Haufe-Index 415242 |
BFH/NV 1988, 743 |