Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung der Rückwarenregelung bei Veredelungserzeugnissen
Leitsatz (NV)
Kann auf Veredelungserzeugnisse die Rückwarenregelung Anwendung finden, so ist von den zuständigen Behörden erforderlichenfalls auch das Verfahren über die Zusammenarbeit der Verwaltungen anzuwenden, um die notwendigen Angaben hinsichtlich des Betrags der gesetzlich geschuldeten Abgaben zu ermitteln.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 187 Unterabs. 2; EWGV 2454/93 Art. 611 Abs. 2 Buchst. b, Art. 613, 848; FGO § 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
Tatbestand
I. In der Zeit zwischen Dezember 1994 und März 1995 meldete die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) 20 Sendungen mit neuen PKW einer bestimmten Marke und eines bestimmten Typs aus der Tschechischen Republik mit Ursprung Deutschland als Rückwaren zur Überführung in den freien Verkehr an. Sie legte jeweils eine Rückwarenerklärung sowie eine mit dem Ausfuhrvermerk der deutschen Zollstelle versehene Warenrechnung vor. Das Zollamt fertigte die Fahrzeuge antragsgemäß als Rückwaren zollfrei ab und erklärte die letzten fünf Zollbescheide wegen noch vorzulegender Unterlagen für vorläufig. Nachdem die fehlenden Unterlagen nicht nachgereicht wurden, forderte das Zollamt für die vorläufigen Zollbescheide die Herstellererklärung an. Daraufhin legte die Klägerin fünf Präferenznachweise EUR 1 vor und erklärte, dass sie von der Herstellerfirma keine Herstellererklärungen erhalte. Das den aktiven Veredelungsverkehr der Herstellerfirma überwachende Hauptzollamt teilte mit, dass die in Rede stehenden PKW aus dem aktiven Veredelungsverkehr abgemeldet und nach Tschechien ausgeliefert worden seien. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt ―HZA―) forderte daraufhin mit dem angefochtenen Steueränderungsbescheid Zoll in Höhe von … DM nach.
Die Klage, mit der sich die Klägerin gegen die volle Verzollung der aus einem Veredelungsverkehr stammenden PKW und die Nichtberücksichtigung der in den PKW enthaltenen gemeinschaftlichen Wertelemente wandte, hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig. Die Abgabenfreiheit für Rückwaren scheide aus, weil die PKW aus einem aktiven Veredelungsverkehr ausgeführt worden seien. Eine Abgabenberechnung nach Art. 187 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex ―ZK―) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 302/1) komme ebenfalls nicht in Betracht, weil die erforderlichen Feststellungen nicht vorlägen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, dass das FG die Abgabenbegünstigung für die als Rückwaren angemeldeten PKW zu Unrecht mit der Begründung verneint habe, dass die Fahrzeuge aus dem aktiven Veredelungsverkehr der Gemeinschaft in die Tschechische Republik ausgeführt worden seien. Für die Fahrzeuge, die unstreitig als Rückwaren wieder eingeführt worden seien, seien die Abgaben nach den Grundsätzen des Art. 187 ZK zu ermitteln und festzusetzen. Die Klägerin müsse nur die Rückwareneigenschaft der PKW nachweisen, was auch geschehen sei; sie brauche aber, anders als das FG meine, und entgegen der Dienstvorschrift des Bundesministeriums der Finanzen in der Vorschriftensammlung Bundesfinanzverwaltung (VSF Z 08 34 Abs. 17) nicht den Umfang und die Bemessungsgrundlagen der in den Veredelungserzeugnissen enthaltenen unveredelten Drittlandswaren (Art. 121 Abs. 1 ZK) oder den "Abrechnungsschlüssel" oder lediglich den darauf entfallenden Einfuhrabgabenbetrag anzumelden und nachzuweisen.
Im Verlauf des Revisionsverfahrens hat der Senat mit Beschluss vom 22. Januar 2002 VII R 23/01 (BFHE 197, 563), auf den wegen der Darstellung des Streitstandes im Einzelnen verwiesen wird, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die folgende Auslegungsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
"Ist Art. 187 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (ZK) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 302/1) dahin auszulegen, dass bei der Überführung von Veredelungserzeugnissen, die als Rückwaren angemeldet werden, in den zollrechtlich freien Verkehr auch die für die Berechnung der gesetzlich geschuldeten Einfuhrabgaben erforderlichen Tatsachen angemeldet und nachgewiesen werden müssen oder sind diese, sofern möglich, von der abfertigenden Zollstelle bei der überwachenden Zollstelle mittels des Formblatts INF 1 entsprechend dem in Art. 613 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (ZKDVO) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253/1) in der bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung vorgeschriebenen Verfahren zu erfragen?"
Der EuGH hat daraufhin mit Urteil vom 22. Mai 2003 Rs. C-56/02 wie folgt entschieden:
"Artikel 187 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist dahin auszulegen, dass die Abfertigungszollstellen dann, wenn ein Einführer nachgewiesen hat, dass es sich bei den eingeführten Waren um Veredelungserzeugnisse handelt, auf die gemäß Artikel 848 der Durchführungsverordnung die Rückwarenregelung gemäß Artikel 848 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 Anwendung finden kann, es ihm aber nicht möglich ist, sämtliche Angaben zu liefern, die für die Berechnung der gesetzlich geschuldeten Abgaben erforderlich sind, das in den Artikeln 611 Absatz 2 Buchstabe b und 613 der Verordnung Nr. 2454/93 vorgeschriebene Verfahren der Zusammenarbeit der Verwaltungen anzuwenden haben. Diese Behörden müssen sich daher mittels des Formblatts INF 1 an die Überwachungszollstelle wenden, damit diese ihnen den Betrag der gesetzlich geschuldeten Abgaben mitteilt."
Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich zu dem Vorabentscheidungsurteil zu äußern.
Die Klägerin sieht sich in ihrer Auffassung durch die Ausführungen des Vorabentscheidungsurteils in vollem Umfang bestätigt.
Sie beantragt, die Vorentscheidung und den angefochtenen Steueränderungsbescheid aufzuheben.
Das HZA hat keine Stellungnahme zum Streitgegenstand mehr abgegeben. Der Senat geht daher davon aus, dass es an seinem ursprünglichen Antrag festhält, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Die Revision ist begründet, weil das FG ―wie zuvor schon das HZA― zur Auslegung des Art. 187 Unterabs. 2 ZK eine andere Rechtsauffassung als der EuGH vertreten hat und die die Klage abweisende Entscheidung darauf beruht. Da der Bundesfinanzhof (BFH) an die Rechtsauffassung des EuGH gebunden ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben.
Da die Sache nicht spruchreif ist, ist sie an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Denn der Anteil der in den PKW enthaltenen, aus einem aktiven Veredelungsverkehr stammenden Waren und die darauf entfallenden Abgaben müssen unter Beachtung der Rechtsauffassung des EuGH noch ermittelt werden, damit die Rückwarenregelung des Art. 187 ZK sachgerecht angewendet werden kann. Das FG wird daher dem HZA aufzugeben haben, auf Grund seiner nach § 76 Abs. 1 FGO bestehenden Mitwirkungspflicht die entsprechenden Angaben zu beschaffen und die Abgabenberechnung auf deren Grundlage durchzuführen.
Fundstellen
Haufe-Index 995675 |
BFH/NV 2003, 1616 |