Leitsatz (amtlich)
Die OFD kann eine vZTA im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens jederzeit ändern oder aufheben. Das ergibt sich aus § 23 ZG i. V. m. § 31 AZO. Diese Vorschriften gehen als Sonderregelung den Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten in den §§ 130 Abs. 2 und 131 Abs. 2 AO 1977 vor.
Normenkette
ZG § 23; AZO § 31; AO 1977 § 130 Abs. 2, § 131 Abs. 2, §§ 172, 207 Abs. 2
Tatbestand
Der Klägerin wurde auf Antrag die verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) vom 19. Juli 1974 über eine als „G…” bezeichnete Ware erteilt, in der diese als „Zuckerware ohne Kakaogehalt” der Tarifst. 17.04 D I b 1 zugewiesen wurde. Mit Bescheid vom 19. Oktober 1977 hob die Beklagte (die Oberfinanzdirektion – OFD –) die vZTA mit der Begründung auf, daß sie im Hinblick auf die Erläuterungen zu Tarifst. 17.04 Teil I Rdnr. 7 nicht mehr aufrechterhalten werden könne.
Den Einspruch der Klägerin wies die OFD mit der Begründung zurück, daß die vZTA weder als Steuerbescheid noch als Feststellungsbescheid angesehen werden könne. Der Widerruf unterliege daher nicht der Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Maßgebend sei die allgemeine Vorschrift des § 130 Abs. 1 AO 1977. Selbst wenn man annehme, daß es sich bei der vZTA um einen begünstigenden Verwaltungsakt handle, könne sie widerrufen werden. Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt könne nach § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 stets widerrufen werden, da seine Zurücknahme durch § 31 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) zugelassen sei. Zwar sei in dem rechtswidrige Verwaltungsakte betreffenden § 130 AO 1977 eine entsprechende Vorschrift nicht enthalten. Jedoch müsse man davon ausgehen, daß ein rechtswidriger Verwaltungsakt keinen höheren Bestandsschutz genießen könne, als ein rechtmäßiger Verwaltungsakt.
Mit der Klage macht die Klägerin geltend, sie habe am 22. Juni 1977 für ein ähnliches Produkt erneut eine vZTA beantragt. Diese sei ihr mit Schreiben vom 11. Juli 1977 mit der Begründung verweigert worden, daß es sich um die gleiche Ware handle, für die bereits eine vZTA, die noch rechtsgültig sei, erteilt worden sei. Auch für die vZTA gelte § 169 AO 1977. Sie entfalte nicht nur Wirkungen gegenüber den Zollbehörden, sondern auch gegenüber den Finanzämtern (FÄ) als Verwaltern der Umsatzsteuer. Durch die Einordnung der Ware unter die Tarifnr. 17.04 werde auch mit Wirkung für die Umsatzsteuer klargestellt, daß die Ware dem begünstigten Steuersatz von 5,5 bzw. 6 v. H. unterliege. Da die Festsetzungsverjährungsfrist bereits mit dem Jahre 1975 abgelaufen sei, habe die OFD die aus dem Jahr 1974 stammende vZTA nicht mehr aufheben können. Ihr, der Klägerin, Vertrauen in die Bestandskraft der Verfügung aus 1974 sei auch in besonderer Weise schutzwürdig. Sie sei in ihren Preisüberlegungen 1977 nachweisbar davon ausgegangen, daß auch 1978 das von ihr angebotene Produkt nur mit einem Steuersatz von 6 v. H. Umsatzsteuer belastet würde. Dementsprechend habe sie nur diesen Prozentsatz in ihren Preislisten in Ansatz gebracht. Es sei völlig ausgeschlossen, während der Laufzeit der Preislisten 1978 den Preis des Produktes bei den Großhandelsketten zu verändern. Der Versuch, Endabgabepreise zu erhöhen, würde mit Sicherheit dazu führen, daß sie die vorgeplanten Mengen nicht absetzen und dann auch ihre Abnahmeverpflichtungen gegenüber den niederländischen Vorlieferanten nicht erfüllen könne, so daß insoweit mit Schadensersatzforderungen zu rechnen wäre.
Die Aufhebung der vZTA könne auch nicht auf § 130 AO 1977 gestützt werden. Für die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsaktes seien die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 AO 1977 nicht erfüllt. § 131 AO 1977 enthalte eine eindeutige Regelung; eine Gesetzeslücke sei nicht erkennbar. Daher entfalle das Argument, ein rechtswidriger Verwaltungsakt könne keinen höheren Bestandsschutz genießen als ein rechtmäßiger. Selbst wenn man aber § 131 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 für anwendbar hielte, sei ein Widerruf nur möglich, wenn der widerrufene Verwaltungsakt eine Ausnahmeregelung treffe. Dies sei aber bei einer vZTA nicht der Fall, weil sie nur eine Klärung für die zollrechtliche und umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Umsätzen der streitigen Ware herbeiführen solle. § 31 AZO sei durch die Vorschriften der Abgabenordnung überholt. Aber selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellte, sie wäre nach dem neuen Recht als Rechtsvorschrift i. S. des § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auszulegen, erscheine wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit des von ihr, der Klägerin, in die vZTA gesetzten Vertrauens der Zeitpunkt der Aufhebung der Auskunft nicht gerechtfertigt. Die OFD hätte die Aufhebung so rechtzeitig verfügen müssen, daß sie bei der Preisgestaltung für 1978 hätte berücksichtigt werden können, oder aber ihr, der Klägerin, eine Aufschubfrist bis zum Ende des Jahres 1978 einräumen müssen. Nur eine solche Behandlung hätte als ermessensfehlerfrei angesehen werden können.
Die Klägerin beantragt, die Verfügung der OFD vom 19. Oktober 1977 ersatzlos aufzuheben.
Die OFD beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie führt unter Hinweis auf ihre Einspruchsbegründung zusätzlich aus, daß nur Zollstellen durch eine vZTA gebunden werden könnten, nicht dagegen FÄ. vZTA für Umsatzsteuerzwecke dürften somit nicht erteilt werden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
§ 23 Abs. 2 Satz 2 des Zollgesetzes (ZG) setzt die Möglichkeit der jederzeitigen Änderung oder Aufhebung einer vZTA voraus. Das zeigt, daß eine derartige Auskunft nicht nur bei einer Änderung der ihr zugrunde liegenden Rechtsvorschriften außer Kraft treten soll (§ 23 Abs. 3 ZG), sondern auch, wenn sie nach Ansicht der sie erteilenden Behörde nicht der Rechtslage entspricht oder die Bindung aller Zollstellen an die erteilte Auskunft aus sonstigen Gründen nicht aufrechterhalten werden soll. Die im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde stehende Änderungsmöglichkeit einer Auskunft, bei der das Vertrauen des Antragstellers in ihren Fortbestand noch für eine bestimmte Zeit nach der Aufhebung geschützt ist (§ 23 Abs. 2 Satz 2 ZG), entspricht ihrem Wesen. Sie stellt eine im Interesse des Antragstellers erteilte, mit gewissen Garantien ausgestattete Zusage der Verwaltung dar, aufgrund derer er seine geschäftlichen Dispositionen treffen kann. Andererseits soll durch sie nicht eine den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung widersprechende Gewährung von Wettbewerbsvorteilen über Gebühr aufrechterhalten werden.
Im Einklang mit diesem dem Institut der vZTA innewohnenden Sinn und gestützt auf die Ermächtigung des § 23 Abs. 4 ZG bestimmt § 31 AZO, daß die Auskunft schriftlich aufgehoben oder geändert werden kann. Sowohl die Ermächtigung des § 23 Abs. 4 ZG als auch ihre Ausfüllung durch § 31 AZO entsprechen der im Zollrecht seit eh und je bestehenden gesetzgeberischen Praxis. Aufgrund der in § 78 Abs. 1 Nr. 3 ZG enthaltenen gleichen Ermächtigung kann der Bundesminister der Finanzen (BdF) durch Rechtsverordnung das „Verfahren” bei der Erfassung des Warenverkehrs und bei der Zollbehandlung, für die besonderen Zollverkehre, für die anderen in diesem Gesetz vorgesehenen Verkehre, für den Zollerlaß und für die Zollerstattung näher regeln. Unter Verfahren in diesem Sinne ist – im Gegensatz zur Regelung der materiellen Grundlage der Abgabenerhebung – die nähere Ausgestaltung der verfahrensmäßigen Behandlung, insbesondere auch bei der Gestattung von Ausnahmen vom normalen Verfahren, wie auch der Wiederaufhebung solcher Ausnahmen zu verstehen. So ist z. B. bei der Erteilung von Bewilligungen und Zulassungen regelmäßig auch bestimmt worden, daß sie widerrufen werden können (vgl. die §§ 88 Abs. 4 Satz 2, 92 Satz 2, 95 Abs. 1 Satz 2, 95 Abs. 2 Satz 2, 96 Abs. 1 Satz 2, 111 Abs. 5 Nr. 2, 115 Abs. 4 Satz 1, 116 Abs. 3 Satz 1, 117 Abs. 3 Satz 2 AZO). Auch im Falle des § 23 Abs. 4 ZG kann nach dem oben näher definierten Sinn der vZTA unter „Verfahren” nichts anderes verstanden werden, da durch die Auskunft das Verfahren bei der Zollbehandlung insoweit erleichtert wird, als es der Tarifierung der Ware im Einzelfall nicht mehr bedarf.
§ 23 ZG i. V. m. § 31 AZO geht daher den in den §§ 130, 131 AO 1977 getroffenen Regelungen als die speziellere, besonders auf das Zollverfahren zugeschnittene Regelung vor, so daß auf die Auslegung dieser Vorschriften nicht mehr eingegangen zu werden braucht (vgl. hierzu auch Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, vor § 204 Anm. 83, und Müller, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1977 S. 162 – ZfZ 1977, 162 –).
Daß eine vZTA als ein das Zollrecht betreffender Bescheid unter der Geltung der Reichsabgabenordnung (AO) jederzeit geändert werden konnte, konnte schon angesichts des § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht zweifelhaft sein. Damit erscheint der diesen Grundsatz wiederholende § 31 AZO auch aus diesem Gesichtswinkel betrachtet der gesetzlichen Lage entsprechend. Es kann nicht angenommen werden, daß er durch die Neufassung der Reichsabgabenordnung seine auch aus § 23 Abs. 2 und 4 ZG herzuleitende Rechtfertigung verlieren konnte und sollte. Eine solche Absicht des Gesetzgebers erscheint dem Senat ausgeschlossen. Zwar ist an die Stelle des § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO, der seinem Wortlaut nach die Aufhebung oder Änderung auch einer vZTA ermöglichte, ohne daß er – ebenso wie § 31 AZO – andere Voraussetzungen als die der Ausübung des sachgemäßen Ermessens vorsah (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 7. November 1972 VII K 27/69, BFHE 107, 330), § 172 AO 1977 getreten, der nur noch Steuerbescheide betrifft und daher auf vZTA nicht anwendbar ist, da in diesen keine Steuer festgesetzt wird (§ 155 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Doch zeigt selbst § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, der die jederzeitige Änderung von Steuerbescheiden auf dem Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern vorschreibt, daß auf diesen Gebieten andere Grundsätze gelten als bei sonstigen Abgaben. Insbesondere aber zeigt sich, daß der Gesetzgeber an dem Grundsatz der Rücknehmbarkeit von vZTA nichts ändern wollte, darin, daß er in der offensichtlich dem § 23 Abs. 2 Satz 2 ZG i. V. m. § 31 AZO nachgebildeten Vorschrift des § 207 Abs. 2 AO 1977, die das rechtsähnliche Institut der verbindlichen Zusage aufgrund einer Außenprüfung behandelt, dieselbe in § 94 AO und § 31 AZO nur an das Ermessen der Behörde gebundene Möglichkeit der Aufhebung oder Änderung der Zusage für die Zukunft angeordnet hat. Von der Absicht, die bestehende Lage zu ändern, kann auch schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der den grenzüberschreitenden Warenverkehr betreffenden Vorschriften weitgehend in die für sie verbindlichen Regelungen des Rechts der Europäischen Gemeinschaften eingebunden ist. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn das nicht in allen Mitgliedstaaten bekannte Institut der vZTA, das geeignet ist, den Wettbewerb zu berühren, in einem das bisher gesetzlich Angeordnete überschreitenden Ausmaß geregelt würde, d. h. die Zusage, wie die Klägerin meint, für sechs Jahre verbindlich bleiben müßte (§ 23 Abs. 3 Satz 1 ZG).
Die OFD hat in ihrer Einspruchsentscheidung zutreffend ausgeführt, daß die Aufhebung der vZTA nicht der Festsetzungsverjährung unterliegt, weil § 169 Abs. 1 AO 1977 nur Steuerbescheide und Feststellungsbescheide erfasse, nicht aber die unter § 348 Abs. 1 Nr. 5 AO 1977 als besondere Bescheide aufgeführten vZTA. Denn diese dienen nicht der Festsetzung bereits entstandener Steuern, sondern betreffen die Tarifierung erst künftig einzuführender Waren.
Im Streitfall konnte die OFD die erteilte vZTA mit der Begründung aufheben, daß sie ihre Rechtsauffassung im Hinblick auf die Erläuterungen zur Tarifnr. 17.04 Teil I Rdnr. 7 nicht mehr aufrechterhalten konnte. In dieser Hinsicht hat die Klägerin keine Einwendungen erhoben. Sie hat sich vor allem dagegen gewendet, daß sie ihre Preislisten wegen der durch die Aufhebung der vZTA bedingten Änderung des Umsatzsteuersatzes nicht mehr habe rechtzeitig umstellen können. Gegenüber der oben umschriebenen eng umgrenzten gesetzlichen Regelung des Vertrauensschutzes in § 23 Abs. 2 ZG und in Anbetracht des Widerrufsvorbehalts in § 31 AZO ist für einen daneben bestehenden Vertrauensschutz hinsichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Vertrieb der eingeführten Ware im Inland kein Raum. Die Klägerin konnte aus der klaren gesetzlichen Regelung erkennen, in welchem Umfang sie auch zeitlich auf den Bestand der vZTA vertrauen konnte. Im übrigen konnte die OFD nicht etwa eine Übergangsfrist einräumen, da dies gesetzlich nicht vorgesehen ist und jede Veränderung der gesetzlichen Vertrauensschutzregelung unter Umständen eine Benachteiligung anderer Wettbewerber bedeuten würde.
Fundstellen
Haufe-Index 514653 |
BFHE 1979, 477 |