Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichstellung von Anwartschaften nach dem Pensionsstatut durch das ZVsG vom 24.6.1993 als rückwirkendes Ereignis
Leitsatz (amtlich)
Die Gleichstellung von Anwartschaften nach dem Pensionsstatut der Carl-Zeiss-Stifung Jena durch das ZVsG vom 24. Juni 1993 (BGBl I 1993, 1047) ist ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, das im Jahr der Rückzahlung der zunächst für den Verlust der Anwartschaften erhaltenen Abfindung eingetreten ist.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; ZVsG § 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Im Jahr 1992 erhielten beide Kläger eine Abfindung für den Verlust der Anwartschaft auf eine betriebliche Altersversorgung nach dem Pensionsstatut der Carl-Zeiss-Stifung Jena (Pensionsstatut). Die Abfindungen unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) einem ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 1, 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Am 14. Juni 1995 zahlten die Kläger die Abfindung in Höhe von 6 979,59 DM (Klägerin) bzw. 9 934,04 DM (Kläger) entsprechend § 3 des Gesetzes zur Gleichstellung mit Zusatzversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Zusatzversorgungssystem-Gleichstellungsgesetz --ZVsG--) vom 24. Juni 1993 (BGBl I 1993, 1047) über die Ernst-Abbe-Stiftung an den Bundeshaushalt zurück, um eine Überführung der Pensionsansprüche in eine Rente zu erzielen (siehe Bestätigung der Ernst-Abbe-Stiftung vom 20. Juli 1995). In der Einkommensteuererklärung des Streitjahres 1995 machten die Kläger Beträge von 6 980 DM (Klägerin) bzw. 13 935 DM (Kläger) als "negative Einkünfte" geltend. Das FA berücksichtigte hingegen die Zahlungen lediglich im Rahmen der beschränkt abzugsfähigen Sonderausgaben (Vorsorgeaufwendungen).
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren eingelegte Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah die zurückbezahlten Beträge nicht als negative Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit, sondern als Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 a EStG an. Die sog. Rückzahlung der im Jahr 1992 erhaltenen Abfindung stehe nicht im Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis. Grundlage der Rückzahlung sei vielmehr die vom Gesetzgeber geschaffene Regelung zur Gleichstellung der Anwartschaften nach dem Pensionsstatut mit solchen aus einem Zusatzversorgungssystem, um eine zusätzliche Altersversorgung im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung zu ermöglichen. Die Zahlungen stellten deshalb Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung dar und seien nur im Rahmen der Höchstbeträge steuerlich abziehbar. Ein Abzug über die Höchstbeträge hinaus sei nicht möglich, da das Gesetz insoweit nicht planwidrig unvollständig und ergänzungsbedürftig sei.
Mit der vom FG zugelassenen Revision wenden sich die Kläger gegen die Behandlung der zurückgezahlten Abfindungsbeträge als Sonderausgaben. Die Rückzahlung der Abfindungen im Streitjahr müsse steuerlich wie eine Rückabwicklung der im Veranlagungszeitraum 1992 erfolgten Auszahlung der Entschädigungen gewertet werden. Da die Auszahlung im Jahr 1992 als Arbeitslohn qualifiziert und (ermäßigt) versteuert worden sei, müsse die Rückzahlung im Jahr 1995 als negativer Arbeitslohn berücksichtigt werden.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1995 dahingehend zu ändern, daß Beträge in Höhe von 6 980 DM für die Klägerin und in Höhe von 13 935 DM für den Kläger einkommensteuermindernd berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die mit dem Gleichstellungsantrag der Kläger verbundenen Zahlungen der Abfindungsbeträge an den Versorgungsträger stellten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung dar und seien daher als Vorsorgeaufwendungen im Rahmen des Sonderausgabenabzugs gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 a i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG abziehbar.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Im Ergebnis zutreffend hat das FG die Klage abgewiesen.
Die Kläger können eine Herabsetzung der Einkommensteuer für 1995 nicht erreichen, weil die Rückzahlung der Abfindungen zur Gleichstellung nach dem ZVsG im Streitjahr steuerlich nicht zu berücksichtigen ist. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen Vorgang i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), der auf das Jahr 1992 zurückwirkt.
1. Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Nach dem Bedeutungszusammenhang und der Zielsetzung dieser Vorschrift umfaßt der Begriff "rückwirkendes Ereignis" alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge, die steuerlich in der Weise in die Vergangenheit zurückwirken, daß nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Beurteilung zugrunde zu legen ist (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Ein solches Ereignis kann auch durch den Erlaß einer außersteuerlichen Gesetzesnorm eintreten, wenn dies zur Folge hat, daß ein steuerrechtlich bestandskräftig geregelter Sachverhalt nachträglich umgestaltet wird (vgl. BFH-Urteil vom 9. August 1990 X R 5/88, BFHE 162, 355, BStBl II 1991, 55, 57; Koch/Scholz, Abgabenordnung, 5. Aufl. 1996, § 175 Rz. 11/1; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 175 AO 1977 Anm. 3 e; Woerner/ Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 8. Aufl. 1988, S. 134 f.).
Im Streitfall liegt in der Gleichstellung nach dem ZVsG ein Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977.
a) Nach § 1 Abs. 1 und 2 ZVsG werden Anwartschaften nach dem Pensionsstatut auf Antrag der Berechtigten den in den Zusatzversorgungssystemen des Beitrittsgebiets erworbenen Anwartschaften gleichgestellt. Voraussetzung für die Gleichstellung ist, daß der erforderliche Antrag bis zum 30. Juni 1994 beim Versorgungsträger (der Ernst-Abbe-Stiftung; § 2 Abs. 1 ZVsG) gestellt wird (§ 1 Abs. 4 ZVsG i.d.F. des Art. 5 des Zweiten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht --2. SED-UnBerG--) und daß der Berechtigte bis zum 30. Juni 1995 den Betrag an den Versorgungsträger zahlt, den er als Abfindung für den Verlust der Anwartschaften nach dem Pensionsstatut erhalten hat (§ 3 Abs. 3 Satz 1 ZVsG i.d.F. des Art. 5 2. SED-UnBerG). Mit der Gleichstellung erwirbt der Berechtigte Anwartschaften in der Rentenversicherung wie Berechtigte, die Anwartschaften in einem Zusatzversorgungssystem des Beitrittsgebiets erworben haben (§ 3 Abs. 1 ZVsG), und zwar mit Wirkung vom 31. Dezember 1992 (§ 6 Abs. 1 Satz 1 ZVsG).
Mit dem ZVsG wollte der Gesetzgeber einen sozialpolitisch als unbefriedigend empfundenen Zustand beseitigen. Während im Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606, 1677) die Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus den Zusatzversorgungssystemen der Parteien der ehemaligen DDR in die Rentenversicherung zunächst bewußt zurückgestellt worden ist, stellte sich erst nach der Verabschiedung des Gesetzes heraus, daß Handlungsbedarf für nach dem Pensionsstatut von Carl-Zeiss Jena erworbene Ansprüche und Anwartschaften besteht (vgl. BTDrucks 12/4810, S. 1). Das Pensionsstatut sicherte den im ehemaligen VEB Zeiss Jena beschäftigten Arbeitnehmern bei Eintritt des Rentenfalles beitragsfreie Pensionsansprüche aus betrieblichen Mitteln zu. Die Pensionsansprüche sind von Art und Umfang her Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen DDR vergleichbar. Da die betriebliche Rente aus dem Sozialstatut bei längerer Betriebszugehörigkeit zusammen mit der Rente aus der Sozialpflichtversicherung der ehemaligen DDR etwa die Höhe des letzten monatlichen Nettoarbeitsentgelts erreichte, hat die Mehrzahl der Zeiss-Beschäftigten --ebenso wie die Mehrzahl der in den Zusatzversorgungssystemen gesicherten Personen-- keine Veranlassung gesehen, darüber hinaus noch Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung zu entrichten. Die Schließung des Pensionsstatuts zum 1. März 1991 führte allerdings u.a. dazu, daß ehemalige Beschäftigte, die erst nach dem 31. Dezember 1992 rentenberechtigt wurden, einen Anspruch auf eine Pensionsleistung nach dem Pensionsstatut nicht mehr erwerben konnten. Diese Personen haben daraufhin --vorausgesetzt sie waren am 28. Februar 1991 mindestens fünf Jahre bei Carl-Zeiss Jena beschäftigt-- auf der Grundlage von Sozialplänen Abfindungen für den Verlust der Anwartschaften auf die Leistungen nach dem Pensionsstatut erhalten. Das wiederum hatte im Zusammenspiel mit der in der Vergangenheit sehr niedrigen Beitragsbemessungsgrenze in der Sozialpflichtversicherung eine nur unzureichende soziale Sicherung der betroffenen Personen zur Folge. Diesen Zustand wollte der Gesetzgeber ändern und die früheren Beschäftigten der Carl-Zeiss Jena erkennbar so stellen, als hätte er sie von vornherein dem Kreis derjenigen zugeordnet, deren (beitragsfreie) Zusatzversicherung in die Rentenversicherung überführt werden sollte. Da die ehemaligen Beschäftigten mit Anwartschaften nach dem Pensionsstatut aber bereits eine Abfindung für den Verlust dieser Anwartschaften erhalten hatten, mußten sie --um eine Doppelbegünstigung auszuschließen-- die erhaltenen Abfindungen zurückzahlen, um eine Überführung ihrer Anwartschaften aus dem Pensionsstatut in die Rentenversicherung zu erreichen.
b) Im Streitfall ist (erst) durch die Rückzahlung der Abfindungen im Jahr 1995 die Gleichstellung der Kläger erfolgt. Die Kläger haben damit --wie andere Berechtigte mit einer Zusatzversorgung im Beitrittsgebiet-- jeweils eine Anwartschaft in der Rentenversicherung mit Wirkung vom 31. Dezember 1992 erworben. Der steuerrechtlich maßgebliche Sachverhalt des Jahres 1992 hat sich dadurch grundlegend geändert. Denn durch den Erwerb der Anwartschaften in der Rentenversicherung ist der Rechtsgrund für eine Abfindung wegen des Verlustes der Anwartschaften nach dem Pensionsstatut nachträglich entfallen. Darüber, ob der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid 1992 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 entsprechend zu ändern ist, hat der Senat nicht zu befinden. Er weist jedoch vorsorglich darauf hin, daß die vierjährige Festsetzungsfrist des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 am 1. Januar 1996 zu laufen begann, weil die Gleichstellung mit der Rückzahlung der Abfindungen im Jahr 1995 eingetreten ist.
2. Einer Änderung der in diesem Verfahren angefochtenen Steuerfestsetzung für 1995 wegen der zu Unrecht erfolgten Berücksichtigung der zurückbezahlten Abfindungsbeträge als Sonderausgabe im Rahmen der Höchstbeträge durch den erkennenden Senat steht das Verböserungsverbot (§ 96 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) entgegen.
Fundstellen
Haufe-Index 422647 |
BFH/NV 2000, 493 |
BStBl II 2000, 115 |
BFHE 2000, 13 |
BB 2000, 1338 |
BB 2000, 190 |
DB 2000, 308 |
DStRE 2000, 268 |
HFR 2000, 247 |
StE 2000, 35 |