Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitwirkung stellvertretender Mitglieder bei der Steuerberaterprüfung
Leitsatz (NV)
1. Zur Besetzung des Prüfungsausschusses für die Steuerberaterprüfung mit stellvertretenden Mitgliedern.
2. Zur Begutachtung der Arbeiten durch verschiedene Prüfer.
3. Eine Verletzung des Prüfungsverfahrens liegt nicht darin, daß der nachfolgende Prüfer (Zweitkorrektor) die Beurteilung des vorangegangenen Prüfers (Erstkorrektor) kennt.
Normenkette
DVStB §§ 10, 24 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) nahm an der Steuerberaterprüfung . . . teil. Für die von ihm gefertigten Aufsichtsarbeiten setzte der Prüfungsausschuß des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzministerium) aufgrund der Begutachtung der Arbeiten durch je zwei Prüfer die Noten 5,5, 4,5 und 5,0 fest. Mit Bescheid . . . teilte das Finanzministerium dem Kläger mit, seine Gesamtnote für die schriftliche Prüfung (5,0) übersteige die Zahl 4,5. Er sei deshalb nach § 25 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften (DVStB) von der mündlichen Prüfung ausgeschlossen und habe die Prüfung nicht bestanden.
Die Klage des Klägers führte zur Aufhebung der Prüfungsentscheidung und zur Verpflichtung des Finanzministeriums, den Kläger erneut zu bescheiden. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Prüfungsausschuß sei bei der Bewertung der Aufsichtsarbeiten des Klägers fehlerhaft besetzt gewesen. Das Finanzministerium habe durch seinen Berufungserlaß neben den Mitgliedern des Prüfungsausschusses auch stellvertretende Mitglieder bestellt, die lediglich im Vertretungsfall hätten tätig werden dürfen. Obwohl aber nur ein Mitglied verhindert gewesen sei, hätten an der Bewertung der Aufsichtsarbeiten des Klägers mehrere stellvertretende Mitglieder des Prüfungsausschusses mitgewirkt. Ein Vertretungsfall liege aber nicht vor, wenn die Zahl der Prüflinge so groß sei, daß ein Prüfungsausschuß die Prüfung nur unter Einschaltung von stellvertretenden Mitgliedern bewältigen könne; dieser organisatorischen Schwierigkeit sei durch Bildung mehrerer Prüfungsausschüsse zu begegnen (§ 10 Abs. 1 Satz 2 DVStR).
Der Berufungserlaß des Finanzministeriums lasse im Hinblick auf die große Zahl der Ernennungen zu stellvertretenden Mitgliedern erkennen, daß von vornherein ein arbeitsteiliges Vorgehen bei der Erledigung der dem Prüfungsausschuß übertragenen Aufgaben beabsichtigt gewesen sei. Es seien dagegen nicht mehrere Prüfungsausschüsse mit einer verbindlich festgelegten Besetzungsordnung gebildet worden.
Die unrichtige, gegen die Prüfungsordnung (§ 10 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 DVStB) verstoßende Besetzung des Prüfungsausschusses stelle einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Die Prüfungsentscheidung sei folglich rechtswidrig und aufzuheben. Der Prüfungsausschuß werde die Prüfungsarbeiten des Klägers erneut zu bewerten und sodann die Gesamtnote für die schriftliche Prüfung festzusetzen haben.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Finanzministeriums ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das Finanzministerium hat in dem angefochtenen Prüfungsbescheid aufgrund der Noten für die schriftlichen Arbeiten, die der Prüfungsausschuß in seiner Sitzung vom 13. Januar . . . festgesetzt hat, zu Recht entschieden, daß der Kläger bei einer Gesamtnote für die schriftliche Prüfung von 5,0 von der mündlichen Prüfung ausgeschlossen sei und die Steuerberaterprüfung . . . nicht bestanden habe (§ 25 Abs. 1, 2 und 3 DVStB). Entgegen den Ausführungen des FG ist der Prüfungsausschuß bei der Festsetzung der Noten für die Aufsichtsarbeiten des Klägers nicht deshalb fehlerhaft besetzt gewesen, weil an den Sitzungen auch Personen teilgenommen und an der Bewertung der Arbeiten mitgewirkt haben, die nach den Berufungserlassen des Finanzministeriums (nur) zu stellvertretenden Mitgliedern des Prüfungsausschusses bestellt worden waren.
a) Wie der Senat in seinem Urteil vom 9. Juli 1991 VII R 21/91, BFHE 165, 156, BStBl II 1991, 893 für einen mit dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt (Steuerberaterprüfung 1987 in Baden-Württemberg) entschieden hat, sind auch Personen, die durch den behördlichen Bestellungsakt (§ 10 Abs. 3 Satz 2 DVStR) zu stellvertretenden Mitgliedern berufen worden sind, wenn der Vertretungsfall eintritt und sie mit der Begutachtung von Prüfungsarbeiten betraut werden, Mitglieder des Prüfungsausschusses i. S. des § 24 DVStB mit der Folge, daß sich ihre Tätigkeit nicht nur auf die Begutachtung der Aufsichtsarbeiten beschränken darf, sondern sie auch an der Festsetzung der Note nach § 24 Abs. 1 Satz 2 DVStB beteiligt werden müssen (vgl. auch Senatsurteil in BFHE 157, 477, BStBl II 1989, 858). Der Vertretungsfall, der die Mitwirkung von stellvertretenden Mitgliedern des Prüfungsausschusses an dessen Sitzungen zur Bewertung von Aufsichtsarbeiten rechtfertigt, ist im Gegensatz zur Vorentscheidung auch dann gegeben, wenn wegen der großen Zahl von Prüflingen die Begutachtung der schriftlichen Arbeiten durch mindestens zwei (ordentliche) Mitglieder des Prüfungsausschusses - wie in § 24 Abs. 1 Satz 1 DVStB vorgeschrieben - im Hinblick auf den Arbeitsanfall in angemessener Zeit nicht möglich wäre. Nach der Rechtsprechung des Senats ist es demnach zulässig, daß die Besetzung des Prüfungsausschusses und die Bewertung der Aufsichtsarbeiten - wie es das beklagte Finanzministerium getan hat - so organisiert sind, daß neben einem festen Stamm von (ordentlichen) Mitgliedern des Prüfungsausschusses eine ausreichende Zahl von Stellvertretern berufen wird, die neben den ordentlichen Mitgliedern mit der selbständigen Begutachtung der Arbeiten und der nachfolgenden Notenfestsetzung im Prüfungsausschuß betraut werden. Die Einschaltung der stellvertretenden Mitglieder des Prüfungsausschusses bei der Bewertung der Prüfungsarbeiten nach einem vorher festgelegten Plan ist demnach auch dann zulässig, wenn sie im Hinblick auf die Anzahl der berufenen Mitglieder des Prüfungsausschusses, ihrer Stellvertreter und der zu prüfenden Kandidaten von vornherein absehbar ist.
b) Das Finanzministerium war demnach befugt, auch die schriftliche Steuerberaterprüfung . . . durch einen Prüfungsausschuß abwickeln zu lassen, der wegen seiner Besetzung mit einer ausreichenden Zahl von Stellvertretern in der Lage war, die Begutachtung der Aufsichtsarbeiten durch je zwei Prüfer und die anschließende Notenfestsetzung in angemessener Zeit zu bewältigen. Dabei stellt - wie oben ausgeführt - eine große Zahl von anfallenden Aufsichtsarbeiten, die von den ordentlichen Mitgliedern des Prüfungsausschusses innerhalb der zur Abwicklung des Prüfungsverfahrens zur Verfügung stehenden Zeit nicht begutachtet werden könnten, einen ausreichenden Grund zur Einschaltung der Stellvertreter dar.
Bei der vorliegenden Organisation des Prüfungsverfahrens waren - entgegen der Vorentscheidung - der Aufgabenbereich der einzelnen Prüfer und die Besetzung des Prüfungsausschusses in den Sitzungen, in denen die Noten für die Aufsichtsarbeiten festgesetzt wurden, von vornherein festgelegt, so daß Manipulationen seitens der Prüfungsbehörde zu Lasten einzelner Prüflinge nicht vorgenommen werden konnten. Die konkrete Besetzungsordnung des Prüfungsausschusses ergab sich - wie das Finanzministerium belegt hat - aus dessen Berufungserlassen, mit denen vor Beginn der Steuerberaterprüfung alle ordentlichen und stellvertretenden Mitglieder des Prüfungsausschusses bestellt waren, so wie aus der Verteilung der Erst- und Zweitbegutachtung für die Aufsichtsarbeiten auf die einzelnen Prüfer nach einem bestimmten Prüfungsplan, der vor dem Beginn des schriftlichen Teils der Steuerberaterprüfung anhand eines Nummernsystems für die Kandidaten aufgestellt worden war. Es bedarf hierzu keiner - weiteren -, tatsächlichen Feststellungen durch das FG, da die Verteilung der Prüfungsarbeiten auf die einzelnen Prüfer nach einem festgelegten Plan aus organisatorischen Gründen notwendig und selbstverständlich erscheint. Damit stand die konkrete Besetzung des Prüfungsausschusses für die Begutachtung und Notenfestsetzung der Aufsichtsarbeiten eines jeden Prüfungskandidaten vor dem Beginn der Prüfung fest. Dabei ist - wie der Senat entschieden hat - die Besetzung des Ausschusses für die Bewertung der jeweiligen Aufsichtarbeit maßgebend (§ 24 Abs. 1 DVStB); denn die nach § 25 Abs. 1 DVStB für die schriftliche Prüfung zu bildende Gesamtnote errechnet sich nach § 15 Abs. 2 DVStB - ohne Beurteilungsspielraum des Prüfungsausschusses - nach dem arithmetischen Mittel der Einzelnoten.
Wegen der näheren Begründung der vorstehenden Ausführungen nimmt der Senat Bezug auf das Urteil vom 9. Juli 1991 VII R 21/91; die Vorentscheidung und die Revisionsbegründung des Finanzministeriums stimmen in den beiden Urteilsfällen weitgehend überein. Der Prüfungsausschuß ist demnach bei der Bewertung der schriftlichen Aufsichtsarbeiten des Klägers nicht fehlerhaft besetzt gewesen.
2. Die Revisionserwiderung des Klägers vermag die vorstehende Beurteilung nicht zu beeinflussen.
a) Das Vorbringen des Klägers, die stellvertretenden Mitglieder des Prüfungsausschusses hätten lediglich die Korrekturen der Prüfungsarbeiten durchgeführt, die Begründung für die Benotung bei der Notenfestsetzung im Prüfungsausschuß (§ 24 Abs. 1 Satz 2 DVStB) sei aber von den ständigen (ordentlichen) Mitgliedern wahrgenommen worden, steht im Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen der Vorentscheidung; die Behauptung beinhaltet zum Teil auch neues tatsächliches Vorbringen. Sie kann deshalb in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden (§ 118 Abs. 2 FGO). Nach den Feststellungen des FG haben ausweislich der Niederschrift über die Sitzung des Prüfungsausschusses an der Bewertung der schriftlichen Aufsichtsarbeiten des Klägers neben den ordentlichen Mitgliedern auch stellvertretende Mitglieder des Ausschusses mitgewirkt. Es ist deshalb davon auszugehen, daß die Stellvertreter, soweit sie die Arbeiten begutachtet haben, ihren Notenvorschlag in der Sitzung des Prüfungsausschusses auch vertreten und begründet haben; zumindest hatten sie infolge ihrer Teilnahme an der Sitzung hierzu Gelegenheit (vgl. Senatsurteil in BFHE 157, 477, BStBl II 1989, 858). Für die gegenteilige, nicht näher substantiierte Behauptung des Klägers bestehen keine Anhaltspunkte.
b) Das FG hat auch für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, daß die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses in den Sitzungen, in denen die Noten für die Arbeiten des Klägers festgesetzt worden sind, den formalen Besetzungsanforderungen des § 10 Abs. 3 DVStB entsprach. Hierfür kommt es auf die konkrete Besetzung des Ausschusses mit den in dieser Vorschrift vorgeschriebenen sechs Mitgliedern (Stellvertretern) in der jeweiligen Sitzung an und nicht - wie der Kläger offenbar meint - auf die Zusammensetzung unter Wahrung des vorgeschriebenen Proporzes (Beamte der Finanzverwaltung, Vertreter der Wirtschaft, Steuerberater) hinsichtlich sämtlicher Personen, die zu Mitgliedern und Stellvertretern des Prüfungsausschusses bestellt worden sind.
c) Entgegen dem Vorbringen des Klägers wird durch das vom Finanzministerium praktizierte Prüfungsverfahren die Chancengleichheit sämtlicher Prüflinge nicht dadurch verletzt, daß die Prüfungsarbeiten auf verschiedene Prüfer als Erst- und Zweitgutachter aufgeteilt werden. Der Senat hat - wie oben ausgeführt - die Aufteilung der Arbeiten auf die Mitglieder und Stellvertreter des Prüfungsausschusses zur Begutachtung aus Gründen der Arbeitsteilung gebilligt, weil das schriftliche Prüfungsverfahren innerhalb eines begrenzten Zeitraums abgewickelt werden muß. Die Prüfungskandidaten werden nicht dadurch ungleich behandelt, daß ihre Arbeiten von verschiedenen Prüfern begutachtet werden, denn es ist davon auszugehen, daß alle Prüfer über die notwendige Sachkunde verfügen und die Begutachtung unabhängig und selbständig (§ 24 Abs. 1 Satz 1 DVStB) vornehmen. Auch bei der vom Kläger bevorzugten Bildung mehrerer Prüfungsausschüsse würden die Arbeiten der Prüfungskandidaten des gesamten Jahrgangs von verschiedenen Prüfern begutachtet. Das vorliegend vom Finanzministerium praktizierte Verfahren gewährleistet sogar gegenüber der Einsetzung mehrerer Prüfungsausschüsse eine größere Gleichbehandlung hinsichtlich der Anforderungen an die Prüfungsteilnehmer und des bei der Notenfestsetzung anzuwendenden Beurteilungsspielraums. Denn hier sind zur Notenfestsetzung im Prüfungsausschuß ein Teil der Prüfer an allen bzw. mehreren Sitzungen des Ausschusses beteiligt, während bei mehreren Prüfungsausschüssen jeder Ausschuß unabhängig von den Beurteilungskriterien der anderen Ausschüsse entscheiden würde.
d) Eine Verletzung des Prüfungsverfahrens kann schließlich - entgegen der Auffassung des Klägers - auch nicht damit begründet werden, der Zweitkorrektor habe bei seiner Begutachtung der Arbeit das Korrekturergebnis des Erstgutachters gekannt. Sollte bei der vorliegenden Prüfung so verfahren worden sein - entsprechende Feststellungen im Urteil des FG fehlen - so wäre dadurch die ,,selbständige" Begutachtung der Arbeit durch den Zweitgutachter (§ 24 Abs. 1 Satz 1 DVStB) nicht beeinträchtigt. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 10. Juni 1983 7 B 48.82 (Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 421.0 Nr. 175) verbietet der Rechtsstaatsgrundsatz nicht, daß bei schriftlichen Prüfungsarbeiten der nachfolgende Prüfer die Beurteilung durch den vorangegangenen Prüfer kennt. Auch der Prüfer, der die Beurteilung eines anderen Prüfers nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sich von dem Gewicht der Argumente beeinflussen läßt, wird dadurch - im Gegensatz zum Vorbringen des Klägers - nicht in einer selbständigen, eigenverantwortlichen Beurteilung gehindert. Der Senat schließt sich dieser zu einer juristischen Staatsprüfung vertretenen Rechtsauffassung des BVerwG für das Verfahren der schriftlichen Steuerberaterprüfung an. Auf den unterschiedlichen Wortlaut der Vorschriften über die Begutachtung der Arbeiten in den verschiedenen Prüfungsordnungen kommt es dabei nicht an, weil bei beiden Prüfungen die selbständige und unabhängige (eigenverantwortliche) Stellung des Prüfers nicht zweifelhaft sein kann. Der Kläger ist demnach zu Unrecht der Auffassung, der Zweitgutachter könne bei Kenntnis der Erstkorrektur nicht mehr weisungsungebunden korrigieren.
Da die Prüfungsentscheidung des Finanzministeriums nicht mit einem Verfahrensfehler behaftet ist, war die Vorentscheidung, der eine andere rechtliche Beurteilung zugrunde liegt, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 418071 |
BFH/NV 1992, 275 |