Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer, Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die im § 13 AO enthaltenen Ermächtigungen sind mit dem Inkrafttreten des GG gemäß Artikel 129 Absatz 3 GG erloschen.
Der Erlaß des RdF vom 6. März 1936 S 2140 - 159 III betreffend einkommensteuerliche Behandlung der Vollblutpferdezucht (Gestüte und Rennställe) ist heute nicht mehr rechtsgültig. Eine diesem Erlaß entsprechende Regelung könnte nur im Wege der Gesetzgebung getroffen werden.
Normenkette
EStG § 2; AO § 131; GG Art. 129 Abs. 3
Tatbestand
Der Bundesminister der Finanzen hat den Bundesfinanzhof nach § 2 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950 in Verbindung mit § 63 der Reichsabgabenordnung um Erstattung eines
Gutachtens zu folgenden Fragen gebeten:
Ist der Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 6. März 1936 S 2140 - 159 III betreffend einkommensteuerliche Behandlung der Vollblutzucht (Gestüte und Rennställe) heute noch rechtsgültig?
Ist es für den Fall, daß der Erlaß nicht rechtsgültig ist, zulässig, eine entsprechende Verwaltungsanordnung auf Grund des § 131 der Reichsabgabenordnung oder auf Grund einer anderen Bestimmung ergehen zu lassen?
A. - Der Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 6. März 1936 hat folgenden Wortlaut:
"Die Unterhaltung eines Gestüts und eines Rennstalls kann Landwirtschaft (im Haupt- oder Nebenbetrieb) und in den Fällen, in denen überwiegend fremde Erzeugnisse verwertet werden, Gewerbebetrieb sein. Oft stellt sie aber weder einen landwirtschaftlichen noch einen gewerblichen Betrieb dar, nämlich dann, wenn Gestüt und Rennstall lediglich aus Liebhaberei (sportlichem Interesse) unterhalten werden. Ich weise hierzu auf die Urteile Reichsssteuerblatt 1929 S. 473, 1930 S. 364 und 1936 S. 138 hin.
In den Fällen, in denen es sich um Landwirtschaft oder Gewerbebetrieb handelt, sind bei der Ermittlung des Einkommens sowohl Gewinne als auch Verluste aus dem Gestüt oder dem Rennstall zu berücksichtigen. Handelt es sich um Liebhaberei, so sind weder die Gewinne noch die Verluste bei der Einkommensermittlung zu berücksichtigen. Zur Förderung der Vollblutzucht bestimme ich aber, daß in den Fällen, in denen weder Landwirtschaft noch Gewerbebetrieb vorliegt, wie folgt verfahren wird:
I. - Verluste aus einem Gestüt oder Rennstall können bei Ermittlung des Einkommens abgezogen werden, wenn sich im Pferdebestand des Gestüts- oder Rennstallbesitzers mindestens 2 Mutterstuten befinden und die Zahl der anderen Pferde (Fohlen, Zuchthengste, Rennpferde) im angemessenen Verhältnis zu der Zahl der Mutterstuten steht. Angemessen ist das Verhältnis, wenn auf je eine Mutterstute nicht mehr als drei andere Pferde entfallen. Mutterstuten sind solche Stuten, die nach einer Bescheinigung der Obersten Behörde für Vollblutzucht und Rennen von einem Vollbluthengst gedeckt worden sind.
Soweit dieses Verhältnis gewahrt ist, können etwaige Verluste aus Gestüt und Rennstall bei der Einkommensermittlung abgezogen werden. Soweit dieses Verhältnis überschritten wird, können die Verluste steuerlich nicht berücksichtigt werden.
Beispiel: Ein Steuerpflichtiger besitzt in seinem Gestüt und Rennstall neben sechs Mutterstuten (gleichviel, ob diese im eigenen Betrieb gehalten oder in "Pension" gegeben werden) noch 24 andere Pferde (Fohlen, Zuchthengste, Rennpferde). Gestüt und Rennstall schließen unter Berücksichtigung von Einnahmen aus dem Verkauf von jungen Pferden mit einem Verlust von 8.000 RM ab. Der Besitz von 18 anderen Pferden bleibt im Rahmen des Angemessenen, der Besitz der weiteren sechs Pferde geht darüber hinaus. Der Verlust von 8.000 RM ist daher nur in Höhe von 18/24 = 3/4, mithin in Höhe von 6.000 RM bei der Ermittlung des Einkommens abzugsfähig.
II. - Die vorstehende Vergünstigung hinsichtlich der Abzugsfähigkeit von Verlusten setzt voraus, daß etwa erzielte Gewinne entsprechend versteuert werden.
Beispiel: Ein Steuerpflichtiger, der in seinem Gestüt und Rennstall drei Mutterstuten und 11 andere Pferde besitzt, erzielt daraus einschließlich der Rennpreise einen Gewinn von 22.000 RM. Dieser Gewinn ist im Verhältnis von 9/11 zu 2/11 - der Bestand an anderen Pferden überschreitet das Verhältnis von 1 : 3 um zwei Pferde - aufzuteilen und mit 18.000 RM der Einkommensteuer zu unterwerfen.
III. - Die vorstehenden Grundsätze sind erstmalig bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 1936 anzuwenden. Die in Betracht kommenden Steuerpflichtigen müssen sich bei Abgabe der Einkommensteuererklärung für 1936 darüber schlüssig werden, ob sie sich der vorstehenden Regelung unterstellen wollen. Steuerpflichtige, die im Kalenderjahr 1936 aus einem Gestüt oder Rennstall, die an sich nicht als landwirtschaftliche oder gewerbliche Betriebe im Sinne des Einkommensteuergesetzes anzusehen sind, einen Gewinn erzielen, müssen also, wenn sie in Zukunft die Vergünstigungen dieses Erlasses in Anspruch nehmen wollen, diesen Gewinn entsprechend der vorstehenden Regelung versteuern. Geschieht dies nicht, so können sie sich in späteren Verlustjahren nicht auf diesen Erlaß berufen. Umgekehrt können Steuerpflichtige, die bei der Veranlagung für 1936 den Abzug von Verlusten auf Grund dieses Erlasses geltend machen, sich in späteren Gewinnjahren nicht darauf berufen, daß die Unterhaltung des Gestüts oder des Rennstalls Liebhaberei sei.
IV. - Die nach den Abschnitten I und II zu berücksichtigenden Verluste und Gewinne sind für die Zwecke der Einkommensteuer bei der Veranlagung - ohne Rücksicht auf den steuerrechtlichen Charakter im Einzelfall - zu ermitteln und zu berücksichtigen:
wie Verluste oder Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft, wenn der Steuerpflichtige auch landwirtschaftliche Bodenbewirtschaftung betreibt, in anderen Fällen wie Verluste oder Gewinne aus Gewerbebetrieb; damit wird aber nicht der gewerbesteuerlichen Beurteilung vorgegriffen.
V. - Die vorstehende Regelung gilt nur für die Vollblutzucht, nicht auch für die Traberzucht, da diese rein sportlichen Zwecken dient. Die Regelung ist mit Rücksicht auf die große Bedeutung der Vollblutzucht für die Züchtung eines brauchbaren Militärpferdes getroffen worden.
VI. - Um die nach den Abschnitten I und II zu berücksichtigenden Gewinne zutreffend zu erfassen, wird der Leiter der Obersten Behörde für Vollblutzucht und Rennen bis zum 1. März eines jeden Jahres der Zentralen Nachrichtenstelle beim Landesfinanzamt Berlin eine Liste der in dem vorangegangenen Kalenderjahr erfolgreich gewesenen Besitzer übersenden. Diese Liste wird den Namen und die Anschrift der Besitzer, die Zahl der erfolgreichen Pferde, die Zahl der Siege und die Summe der erzielten Gewinne enthalten. Die Zentrale Nachrichtenstelle beim Landesfinanzamt Berlin wird ihrerseits das Weitere wegen der Auswertung dieser Liste und der Benachrichtigung der Landesfinanzämter und Finanzämter veranlassen".
Der Erlaß ist weder im Reichsgesetzblatt noch im Reichsministerialblatt noch im Reichsanzeiger verkündet worden. Er ist auch nicht im Reichssteuerblatt abgedruckt. Die derzeitige Handhabung des Erlasses ist uneinheitlich; einige Länder wenden den Erlaß noch an, andere nicht.
Der Bundesminister der Finanzen vertritt zu der Frage a) die Auffassung, daß es sich bei dem Erlaß nicht um eine Rechtsnorm, sondern um eine Verwaltungsanweisung handele, die nicht übergeleitetes Recht im Sinne des Art. 123 des Grundgesetzes geworden sei. Zu Frage b) ist er der Meinung, daß eine einkommensteuerliche Begünstigung der Gestüte und Rennställe, die aus Liebhaberei betrieben werden, nur durch eine änderung des Einkommensteuergesetzes vorgenommen werden könnte.
Das Direktorium für Vollblutzucht und Rennen in Köln-Merkheim hat dem Senat zwei Gutachten vorgelegt, in denen der Standpunkt vertreten wird, daß der Erlaß vom 6. März 1936 auch heute noch rechtsgültig sei. Der Erlaß stelle eine auf Grund des § 13 der Reichsabgabenordnung (AO) ergangene Rechtsverordnung dar, die nach der damaligen Rechtslage ordnungsmäßig verkündet sei. Er sei Bundesrecht geworden und gelte nach Art. 123 des Grundgesetzes weiter. Da die Ermächtigung des § 13 AO zufolge Art. 129 des Grundgesetzes erloschen sei, könne der Bundesminister der Finanzen eine Verordnung, die zu der Zeit der Gültigkeit der Ermächtigung des § 13 AO ergangen sei, nicht mehr aufheben oder abändern, weil dazu nur der Gesetzgeber befugt sei. Das Erlöschen der Ermächtigung des § 13 AO habe nicht zur Folge, daß alle auf Grund dieser erlassenen Verordnung zugleich wegfielen.
Entscheidungsgründe
Der mit der Erstattung des Gutachtens beauftragte IV. Senat des Bundesfinanzhofs hat in der Sitzung vom 22. November 1951 wie folgt Stellung genommen:
B. -
Nach dem Einkommensteuergesetz vom 16. Oktober 1934 (Reichsgesetzblatt - RGBl. - I S. 1005), das zu der Zeit galt, als der Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 6. März 1936 herausgegeben wurde, waren Gewinne, die bei einem aus Liebhaberei unterhaltenen Gestüt oder Rennstall erzielt wurden, nicht steuerpflichtig; Verluste, die sich aus der Unterhaltung des Gestüts (Rennstalls) ergaben, konnten bei der Ermittlung des Einkommens nicht abgezogen werden. Der gleiche Rechtszustand bestand nach dem Einkommensteuergesetz 1925 und besteht auch nach dem geltenden Einkommensteuergesetz. Der Erlaß vom 6. März 1936 eröffnete in bestimmtem Umfang die Möglichkeit, Gewinne aus solchen Gestüten (Rennställen) zur Einkommensteuer heranzuziehen und Verluste zum Abzug vom Einkommen zuzulassen. Der Erlaß bedeutet sonach sachlich eine änderung des Einkommensteuergesetzes. In den Fällen, in denen nach dem Gesetz nicht steuerpflichtige Gewinne der Einkommensteuer unterworfen werden, bedeutet er eine Verschärfung; in den Fällen, in denen nach dem Gesetz nicht abzugsfähige Verluste zum Abzug zugelassen werden, bedeutet er eine Milderung des Gesetzes.
Nach § 12 Absatz 1 AO hatte der Reichsminister der Finanzen u. a. die Befugnis, zur Ergänzung der vom Reich erlassenen Steuergesetze Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Eine Ergänzung liegt aber nicht vor, wenn gegen Grundsätze des Gesetzes verstoßen wird, Die Besteuerung von Gewinnen, die in Liebhabereibetrieben erzielt werden, verstößt gegen das Einkommensteuergesetz, weil solche Gewinne nicht unter eine der in § 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) angeführten Einkunftsarten fallen. Der Erlaß vom 6. März 1936 entbehrte daher bereits zu der Zeit, als er herausgegeben wurde, der gesetzlichen Grundlage insoweit, als er die Gewinne aus den aus Liebhaberei betriebenen Gestüten (Rennställen) der Einkommensteuer unterwarf. In diesem Punkt war der Erlaß schon bei seiner Herausgabe rechtsungültig.
Neben den vom Reichstag beschlossenen Gesetzen gab es in der Zeit des autoritären Staates seit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 (RGBl. I S. 141) auch Reichsgesetze, die von der Reichsregierung ohne Mitwirkung des Reichstages erlassen wurden. Zum Zustandekommen eines solchen Regierungsgesetzes war aber immerhin ein Beschluß der Reichsregierung erforderlich. Der Reichsminister der Finanzen konnte auch im Jahre 1936 keine "Gesetze" erlassen. Es ist richtig, daß im autoritären Staat in einzelnen Fällen durch Rechtsverordnungen und durch Verwaltungsanweisungen an die Finanzämter Steuergesetze verschärft wurden. Es sei beispielsweise auf das Urteil des Obersten Finanzgerichtshof I 8/49 S vom 25. Februar 1950 (Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen 1950 S. 147) verwiesen, das sich mit dem Falle der Verschärfung des Begriffs wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes durch die Gemeinnützigkeitsverordnung vom 16. Dezember 1941 befaßt. Es ist auch richtig, daß die Finanzverwaltungsbehörden solche Anordnungen des Reichsministers der Finanzen vollzogen haben, und daß die Finanzgerichte unzulässige Gesetzesänderungen vielfach nicht beanstandeten. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß de jure auch im autoritären Staat ein formelles Gesetz nur durch einen Gesetzgebungsakt, nicht aber durch einen Verwaltungsakt des Reichsministers der Finanzen verschärft werden konnte. Durch den Abschnitt III des Erlasses vom 6. März 1936 wurde die Heranziehung der Gewinne, die bei den aus Liebhaberei betriebenen Gestüten oder Rennställen erzielt wurden, von einer bei der Einkommensteuererklärung 1936 abzugebenden Willenserklärung des Steuerpflichtigen abhängig, daß er sich dieser Regelung unterwerfe. Die Besteuerung der Gewinne ist ferner mit der Abzugsfähigkeit der Verluste gekoppelt. Auch diese Umstände können die Rechtsungültigkeit der Bestimmungen über die Besteuerung dieser Gewinne nicht verhindern. Ein Tatbestand, der nach dem Gesetz nicht steuerpflichtig ist, kann nicht dadurch steuerpflichtig werden, daß der Steuerpflichtige sich mit der Besteuerung einverstanden erklärt.
Der Schwerpunkt des Erlasses vom 6. März 1936 liegt in der Zulassung des Abzugs von Verlusten, die bei den aus Liebhaberei betriebenen Gestüten und Rennställen entstehen. Rechtsgrundlage für die Zulassung des Abzugs solcher Verluste war der § 13 Absatz 1 Ziffer 1 AO. Nach dieser Vorschrift konnte der Reichsminister der Finanzen für bestimmte Arten von Fällen aus Billigkeitsgründen anordnen, daß abweichend von den Vorschriften des Reichsrechts von Reichssteuern Befreiung zu gewähren oder die Steuern niedriger festzusetzen waren. Die Anordnung des Erlasses vom 6. März 1936, wonach Verluste der in Frage kommenden Gestüte und Rennställe abgezogen werden konnten, war danach - im Gegensatz zur Besteuerung der Gewinne - durch eine gesetzliche Ermächtigung gedeckt. Die auf Grund des § 13 AO erlassenen Bestimmungen setzen Rechtsnormen. Sie müssen daher, um rechtswirksam zu sein, verkündet werden. Die Verkündung muß entweder im Reichsgesetzblatt oder im Reichsministerialblatt oder im Reichsanzeiger stattfinden (Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 13. Oktober 1923, RGBl. I S. 959). Da es an einer solchen Verkündung fehlt, ist die Anordnung über die Zulassung des Abzugs von Verlusten als Rechtsverordnung nicht in Kraft getreten.
Das Direktorium für Vollblutzucht und Rennen vertritt die Auffassung, daß im autoritären Staat die Unterscheidung zwischen Rechtsverordnungen und Verwaltungsanweisungen beseitigt worden sei, und die rechtsetzenden Organe in der Verkündungsweise frei gewesen seien, so daß es zum Zustandekommen einer Rechtsverordnung genügt habe, wenn nur der Adressat von der Kundmachung erreicht worden sei. Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Auffassung zutrifft. Der Reichsminister der Finanzen hat in dem Schreiben vom 10. Juni 1940 S 1105 - 9 / III, Reichssteuerblatt 1940 S. 756, zwischen Rechtsverordnungen nach § 13 Absatz 1 Ziffer 1 AO, Billigkeitserlassen gemäß § 131 AO und Runderlassen (allgemeinen Verwaltungsanweisungen) auf Grund des § 17 Absatz 2 AO unterschieden und dabei seinen Runderlassen die Eigenschaften von Rechtsverordnungen abgesprochen. Da, wie dargelegt, eine Verkündung des Erlasses vom 6. März 1936 in der vorgeschriebenen Form nicht vorgenommen ist, hat die für den Erlaß von Rechtsverordnungen nach § 13 AO zuständige Stelle eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß der bezeichnete Erlaß nicht als Rechtsverordnung anzusehen ist.
Der Erlaß vom 6. März 1936 ist nur den Finanzämtern und den in Frage kommenden Züchterverbänden zugeleitet worden. Als Dienstanweisung setzte der Erlaß kein Recht; er verpflichtete aber die Finanzverwaltungsbehörden, an die er gerichtet war (ß 17 Absatz 2 - nunmehr aufgehoben durch § 39 Absatz 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950, Bundesgesetzblatt S. 448 -, § 46 Absatz 2 AO). Die Anordnung des Erlasses, daß Verluste aus den in Frage kommenden Gestüten und Rennställen bei der Ermittlung des Einkommens zum Abzug zuzulassen sind, war von den Finanzverwaltungsbehörden zu beachten. Es entsteht die Frage, ob diese Dienstanweisung von den Finanzverwaltungsbehörden auch heute noch zu beachten ist. Diese Frage ist nach Auffassung des Senats zu verneinen. Der Abschnitt V des Erlasses besagt, daß die Regelung nur für die Vollblutzucht gilt, und daß sie mit Rücksicht auf die große Bedeutung der Vollblutzucht für die Züchtung eines brauchbaren Militärpferdes getroffen worden ist. Der Grund für den Erlaß lag danach im wesentlichen auf militärischen Gebiet. Dieser Grund ist mit dem Zusammenbruch Deutschlands weggefallen. Da dem Erlaß spätestens mit dem 8. Mai 1945 die Grundlage entzogen worden ist, kann er auch von diesem Zeitpunkt an für die Finanzverwaltungsbehörden nicht mehr als bindend angesehen werden.
Die vom Bundesminister der Finanzen gestellte Frage a) ist dahin zu beantworten, daß der Erlaß vom 6. März 1936 heute nicht mehr rechtsgültig ist.
Bei der Prüfung der Frage b) des Bundesministers der Finanzen, ob es zulässig ist, eine dem Erlaß vom 6. März 1936 entsprechende Verwaltungsanordnung auf Grund des § 131 AO oder auf Grund einer anderen Bestimmung ergehen zu lassen, ist wiederum zu unterscheiden zwischen einer Regelung, die eine Verschärfung des Einkommensteuergesetzes bedeutet, und einer Regelung, die eine Milderung des Gesetzes darstellt.
Wenn Gewinne aus Gestüten und Rennställen, die aus Liebhaberei betrieben werden, der Einkommensteuer unterworfen werden wollen, so ist hierzu eine änderung des Einkommensteuergesetzes notwendig. Solche Gewinne sind nach dem geltenden Einkommensteuergesetz steuerfrei.
Was die Frage der Zulassung des Abzugs von Verlusten aus Gestüten und Rennställen, die aus Liebhaberei betrieben werden, betrifft, so ist zu prüfen, ob ein solcher Abzug auf Grund der Vorschriften der Reichsabgabenordnung oder auf Grund anderer Ermächtigungsvorschriften eingeführt werden könnte.
Auf den § 131 Absatz 1 AO könnte eine solche Anordnung nicht gestützt werden. Die Anwendung des § 131 Absatz 1 AO setzt voraus, daß die Einziehung der Steuern nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu der Frage, inwieweit für eine "Mehrheit von einzelnen Fällen" Erlaß gewährt werden kann, ist in der Begründung zum Steuervereinheitlichungsgesetz (Reichstagsdrucksache 1928 Nr. 568 S. 218) ausgeführt: "Immer muß der Grund für die Billigkeitsmaßnahme in der besonderen Lage der einzelnen Fälle liegen, die durch das auf eine abstrakte Formulierung angewiesene Gesetz nicht berücksichtigt werden kann. Solche auf eine Mehrheit von einzelnen Fällen sich erstreckenden Billigkeitsmaßnahmen können z. B. durch Unwetter, Hochwasser oder ähnliche Katastrophen veranlaßt werden. Dagegen bietet der § 108 Absatz 1 (jetzt § 131) keine Grundlage, um z. B. allen Grundbesitzern mit einem bestimmten geringen Einkommen die Grundsteuer zu erlassen oder etwa allen Besitzern von Miethäusern mit Wohnungen von bestimmten geringem Umfange die Grundsteuer zu ermäßigen. Denn dabei würde es sich um Maßnahmen handeln, die der Gesetzgeber, wenn er sie gewollt hätte, selbst getroffen hätte; derartige Maßnahmen würden also eine änderung des Gesetzes darstellen, die nur in der Weise möglich ist, daß (sei es durch Gesetz, sei es durch Rechtsverordnungen) eine neue Rechtsnorm geschaffen wird". Im vorliegenden Falle würde der Erlaß zu gewähren sein, um die Vollblutpferdezucht zu fördern. Das Bestreben, die Vollblutpferdezucht zu fördern, ist aber kein sachlicher Härtegrund im Sinne des § 131 AO.
Auch die Frage, ob eine Anordnung über den Abzug von Verlusten bei Gestüten und Rennställen, die aus Liebhaberei betrieben werden, im § 12 AO eine Rechtsgrundlage hätte, ist zu verneinen. Die Vorschrift des § 13 AO ist aus dem § 108 Absatz 2 AO von 1919 hervorgegangen. Nach § 108 Absatz 2 AO 1919 konnte der Reichsminister der Finanzen mit Zustimmung des Reichsrats aus Billigkeitsgründen allgemeine Befreiungen oder Ermäßigungen von Steuern vorsehen. Der § 13 AO ermächtigt den Reichsminister der Finanzen zu Steuermilderungen aus Billigkeitsgründen auf dem Gebiete der Reichssteuern und der Realsteuern. Die Notwendigkeit einer solchen Vorschrift wird allgemein anerkannt. Es ist nicht immer möglich, die Gesetze so zu fassen, daß bei ihrer Durchführung keine unbilligen Härten entstehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Steuertarife sehr hoch sind. Nach Artikel 129 Absatz 3 des Grundgesetzes sind aber Ermächtigungen erloschen, die sich in solchen Rechtsvorschriften befinden, die Bundesrecht geworden sind - dazu gehört die Reichsabgabenordnung - und die zur änderung von Gesetzen, zur Ergänzung von Gesetzen oder zum Erlaß von Rechtsvorschriften an Stelle von Gesetzen ermächtigen. Um eine Vorschrift, die zur änderung von Steuergesetzen, und zwar zu einer Milderung ermächtigt, handelt es sich bei dem § 13 AO. Die in § 13 AO enthaltene Ermächtigung ist mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes erloschen.
Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, daß in der en-bloc-Verweisung auf die Reichsabgabenordnung in Bundesgesetzen (z. B. im Gesetz über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950) eine Erneuerung dieser Vorschrift gesehen werden könne (Bühler, Steuerrecht, Grundriß, Bd. I S. 53). Dieser Auffassung kann sich der Senat nicht anschließen. Wenn eine Delegation, die in einem früheren Reichsgesetz enthalten war, durch das Grundgesetz aufgehoben worden ist, so kann sie nur dadurch wieder ins Leben treten, daß sie in einem Bundesgesetz ausdrücklich wiederhergestellt wird. Im § 2 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950 (Bundesgesetzblatt S. 257) ist gesagt, daß ... die Vorschriften der Reichsabgabenordnung vom 22. Mai 1931 (RGBl. I S. 161) in der zur Zeit geltenden Fassung ... Anwendung finden. Da der § 13 AO am 23. Mai 1949 (Verkündung des Grundgesetzes) außer Kraft getreten ist, enthielt die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes über den Bundesfinanzhof geltende Fassung der Reichsabgabenordnung die Vorschrift des § 13 AO nicht mehr. Sie ist danach durch den § 2 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof auch nicht wiederhergestellt worden. Auch durch den § 39 des Gesetzes über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950 (Bundesgesetzblatt S. 448) ist der § 13 AO nicht wiederhergestellt worden.
Die Ermächtigung des § 13 AO, die nach der Reichsabgabenordnung für alle Reichssteuern und die Realsteuern galt, ist durch die Bundesgesetzgebung - neben anderen Ermächtigungen - für die wichtigsten Besitz- und Verkehrsteuern in bestimmtem Umfange wiederhergestellt worden. Es darf in diesem Zusammenhange auf die Artikel II Ziffer 1 und Artikel IV Ziffer 1 des Gesetzes zur änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 (Bundesgesetzblatt S. 95), auf den Abschnitt I Ziffer 20 und den Abschnitt II Ziffer 5 des Gesetzes zur änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 27. Juni 1951 (Bundesgesetzblatt I S. 411), auf den Abschnitt I Ziffer 10 des Gesetzes zur änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Beförderungsteuergesetzes vom 28. Juni 1951 (Bundesgesetzblatt I S. 402), auf den Artikel II des Gesetzes zur änderung des Erbschaftsteuergesetzes vom 30. Juni 1951 (Bundesgesetzblatt I S. 759) sowie den Artikel II des Gesetzes zur änderung des Grundsteuergesetzes vom 10. August 1951 (Bundesgesetzblatt I S. 515) verwiesen werden.
Eine Zulassung des Abzugs von Verlusten aus Gestüten und Rennställen, die aus Liebhaberei betrieben werden, könnte ferner nicht auf § 12 Absatz 1 AO gestützt werden. Nach § 12 Absatz 1 AO kann der Reichsminister der Finanzen zur Durchführung und zur Ergänzung der vom Reich erlassenen Steuergesetze, insbesondere auch zur überleitung der Gesetzgebung und der Behördenorganisation Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen. Er kann insbesondere den Umfang der Befreiungen, Steuerermäßigungen und Steuervergütungen näher bestimmen. Er kann auf dem Gebiet der Reichssteuern für einzelne Gruppen von Fällen bestimmen, daß die Steuern im Abzugsverfahren durch Dritte zu entrichten sind; dabei kann er das Nähere insbesondere über die Haftung des Dritten und die Entlastung des Steuerpflichtigen bestimmen. Die Frage, welche der im § 12 Absatz 1 enthaltenen Ermächtigungen mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ganz oder teilweise erloschen sind, braucht im vorliegenden Falle nicht im einzelnen entschieden zu werden. Sicher ist, daß der § 12 Absatz 1 AO durch den Artikel 129 Absatz 3 des Grundgesetzes insoweit außer Kraft gesetzt worden ist, als er den Reichsminister der Finanzen ermächtigt, zur Ergänzung der vom Reich erlassenen Steuergesetze Rechtsverordnungen zu erlassen. Die Zulassung des Abzugs von Verlusten aus Gestüten und Rennställen, die aus Liebhaberei betrieben werden, bei der Einkommensteuer wäre auch nur möglich auf Grund einer Ergänzung des Einkommensteuergesetzes. Insoweit ist aber die Ermächtigung des § 12 Absatz 1 AO erloschen.
Auf Vorschriften der Reichsabgabenordnung könnte also eine Anordnung, wonach Verluste aus Gestüten und Rennställen, die aus Liebhaberei betrieben werden, bei der Ermittlung des Einkommens abgezogen werden dürfen, nicht gestützt werden.
Als Ermächtigungsvorschriften für eine derartige Anordnung außerhalb der Reichsabgabenordnung kommen in Frage der Artikel 108 Absatz 6 des Grundgesetzes und der Artikel II des Gesetzes zur änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 in Verbindung mit Artikel I Ziffer 20 des Gesetzes zur änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 27. Juni 1951. Nach Artikel 108 Absatz 6 des Grundgesetzes können zur Einkommensteuer allgemeine Verwaltungsvorschriften durch die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden. Durch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift können Fragen geregelt werden, die das in dem Gesetz Gewollte entfalten und im einzelnen weiter ausführen. Es können auch "Durchführungsbestimmungen" erlassen werden, die sich im Rahmen des Gesetzes bewegen. Als allgemeine Verwaltungsvorschriften sind aber nicht solche Normen anzusehen, die das Gesetz ändern (sei es mildern oder verschärfen), oder die praeter legem ergehen, d. h. Fragen regeln, die im Gesetz selbst nicht vorgesehen sind, und die daher auch nicht auf den Willen des Gesetzgebers zurückgeführt werden können. Im Artikel 108 Absatz 6 des Grundgesetzes hätte die Zulassung des Abzugs von Verlusten aus Gestüten und Rennställen, die aus Liebhaberei betrieben werden, keine Rechtsgrundlage.
Nach Artikel II Ziffer 1 des Gesetzes zur änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 ist die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates für das zweite Kalenderhalbjahr 1948 und die Kalenderjahre 1949 bis 1951 über ... die Ermittlung der Einkünfte, die Feststellung des Einkommens einschließlich der abzugsfähigen Beträge, die Veranlagung, die Anwendung der Tarifvorschriften ... Rechtsverordnungen zur Durchführung des Einkommensteuergesetzes und dieses Gesetzes zu erlassen, soweit dies zur Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Beseitigung von Unbilligkeiten und Härten erforderlich ist. Die Zulassung eines Abzugs von Verlusten aus Rennställen und Gestüten, die aus Liebhaberei betrieben werden, wäre aber keine Maßnahme, die der Gleichmäßigkeit der Besteuerung oder der Beseitigung von Unbilligkeiten und Härten dient. Der Abzug würde vielmehr der Förderung der Vollblutpferdezucht dienen und den Besitzern von derartigen Gestüten (Rennställen) eine im Gesetz nicht vorgesehene Begünstigung einräumen. Der Artikel II Ziffer 1 des Gesetzes zur änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 würde danach ebenfalls eine Rechtsgrundlage für eine solche Anordnung nicht bilden. Das gleiche gilt für den Artikel I Ziffer 20 des Gesetzes zur änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 27. Juni 1951. Zusammenfassend geantwortet der Senat daher die Frage b) des Bundesministers der Finanzen dahin, daß eine dem Erlaß vom 6. März 1936 entsprechende Verwaltungsanordnung nicht zulässig wäre. Eine diesem Erlaß entsprechende Regelung könnte nur im Wege der Gesetzgebung getroffen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 407314 |
BStBl III 1952, 6 |
BFHE 1953, 14 |
BFHE 56, 14 |