Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine nach § 100 AO in vollem Umfang vorläufige Veranlagung wird durch Berichtigung nach § 225 AO nur dann endgültig, wenn das Finanzamt dies ausdrücklich im Berichtigungsbescheid erklärt.

 

Normenkette

AO §§ 100, 225

 

Tatbestand

Die beschwerdeführenden Eheleute erzielten im Jahre 1951, wie durch Berichtigungsbescheid festgestellt, folgende gewerbliche Einkünfte:

Ehefrau: Beteiligung an einer KG ----- 49.812 DM Ehemann: Beteiligung an einer KG ----- 10.603 DM Ehemann: Einzelunternehmen ----------- 33.741 DM Gesamtbetrag der Einkünfte ----------- 94.156 DM.Streitig ist, ob sie gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Ziff. 3 EStG 1957 getrennt zu veranlagen sind. Bei getrennter Veranlagung wären für Ehemann und Ehefrau folgende Einkommensteuern festzusetzen:

------------------------- Ehemann ----- Ehefrau --------------------------- DM ----------- DM gewerbliche Einkünfte --- 44.344 ------ 49.812 Sonderausgaben ------------- 200 -------- 3.417 Einkommen --------------- 44.144 ------ 46.395 Einkommensteuer nach Steuerklasse I ----- 20.175 ------ 21.495 zusammen ---------------------- 41.670 DM.Die vom Finanzamt im Wege der Zusammenveranlagung durch Berichtigungsbescheid festgesetzte Einkommensteuer beträgt 51.140 DM. Bei getrennter Veranlagung würde sie mithin eine um 9.470 DM geringere Einkommensteuer ergeben.

Finanzamt und Finanzgericht lehnten die getrennte Veranlagung ab.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. der Eheleute ist begründet. Sie sind uneingeschränkt getrennt zu veranlagen.

Für die Entscheidung ist folgender Sachverhalt von Bedeutung:

Die Eheleute wurden zunächst durch Bescheid vom 5. Oktober 1953 in vollem Umfange vorläufig zusammen veranlagt. Der Bescheid enthielt den Vermerk: "Vorläufiger Steuerbescheid für 1951." Der Berechnungsbogen trug dagegen den Vermerk: "Vorläufig gemäß § 100 Abs. 1 und 2 AO." Dabei wurde der Gewinn des Ehemanns aus seinem Einzelunternehmen - unter Hinzurechnung eines Betrages von 500 DM - im übrigen seiner Erklärung entsprechend mit einem Betrag von 52.025 DM angesetzt. Die Gewinnanteile der Eheleute aus ihrer Beteiligung an der KG wurden, worauf im Bescheid erläuternd hingewiesen wurde, vorläufig mit einem Betrage von 20.000 DM angesetzt, weil die Mitteilung des Betriebsfinanzamts über die Höhe dieser Anteile noch ausstand. Nachdem diese Mitteilung im August 1954 ergangen war, wurde der Bescheid vom 5. Oktober 1953 am 9. September 1954 gemäß § 225 AO dahin geändert, daß nunmehr der mitgeteilte Gewinnanteil in Höhe von 60.415 DM berücksichtigt wurde. Der Gewinn des Ehemanns aus seinem Einzelunternehmen blieb unverändert. Das Finanzamt wies im Bescheid erläuternd darauf hin, daß die änderung auf der Mitteilung des Betriebsfinanzamts beruhe. Die festgesetzte Einkommensteuer betrug 65.835 DM. Die Bf. legten gegen den Bescheid kein Rechtsmittel ein.

Auf Grund einer im Jahre 1956 durchgeführten Betriebsprüfung ergab sich, daß der durch Vermögensvergleich ermittelte Gewinn des Ehemanns aus seinem Einzelunternehmen nur 33.741 DM betrug. Gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO in Verbindung mit § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG berichtigte das Finanzamt den im September 1954 nach § 225 AO ergangenen Bescheid und setzte die Einkommensteuer durch Bescheid vom 28. Mai 1958 nunmehr auf 51.140 DM fest, indem es die Eheleute wie bisher zusammen veranlagte.

Bei dieser Sachlage machen die Eheleute im Rechtsmittelwege mit Recht geltend, daß sie mangels Antrages auf Zusammenveranlagung gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Ziff. 3 EStG 1957 getrennt zu veranlagen sind.

Nach § 26 Abs. 2 Ziff. 3 EStG 1957 sind Ehegatten uneingeschränkt getrennt zu veranlagen, wenn eine Veranlagung erstmals vor dem 1. Juli 1957 durchgeführt worden ist und der Steuerbescheid am 30. Juni 1957 noch nicht rechtskräftig war. Im Sinne dieser Vorschrift sind - wie der Senat in seiner Entscheidung IV 284/59 U vom 3. August 1961 (BStBl 1961 III S. 511, Slg. Bd. 73 S. 674) erkannte - "noch nicht rechtskräftig" nicht nur solche Bescheide, die im maßgeblichen Zeitpunkt noch anfechtbar waren oder gegen die in diesem Zeitpunkt bereits ein Rechtsmittel schwebte, sondern - in übereinstimmung mit Abschn. 174 a EStR 1955 in der Fassung der Einkommensteuer-Ergänzungsrichtlinien 1956/57 - auch solche Bescheide, die in vollem Umfange oder hinsichtlich der Ehegattenbesteuerung als vorläufig ergangen sind. Diese Vorläufigkeit läßt nicht nur dem Finanzamt, sondern auch dem Steuerpflichtigen in formeller und in materieller Hinsicht - z. B. in der Frage der Ehegattenbesteuerung - freie Hand, wie der Senat in seiner Entscheidung IV 10/57 U vom 12. Dezember 1957 (BStBl 1958 III S. 154, 156, Slg. Bd. 66 S. 401) darlegte.

Das Finanzgericht, das eine Vorläufigkeit in diesem Sinne verneint, verkennt ebenso wie das Finanzamt die Rechtslage.

Für die Frage der Vorläufigkeit kommt es nicht darauf an, was das Finanzamt in dieser Hinsicht gewollt hat. Entscheidend ist, was es zum Ausdruck gebracht hat und was danach bei objektiver Betrachtung als sein Wille anzusehen ist und demgemäß auch vom Steuerpflichtigen als Wille des Finanzamts angenommen werden kann. Geht man von diesen Grundsätzen aus, so ist festzustellen:

Der ursprüngliche im Oktober 1953 ergangene Einkommensteuerbescheid 1951 war in vollem Umfang vorläufig. Er enthielt insbesondere - wie es der Senat in der Entscheidung IV 10/57 U fordert - keine ausdrückliche Beschränkung der Vorläufigkeit auf die Gewinnanteile aus der Beteiligung der Eheleute an der KG.

Hiernach kommt es darauf an, ob die vorläufige Veranlagung durch den im September 1954 nach § 225 AO ergangenen "änderungsbescheid" in vollem Umfang endgültig wurde. Das verneint der Senat. Wie der Reichsfinanzhof in seiner Entscheidung I A 290/33 vom 17. April 1934 (RStBl 1934 S. 595) erkannte, wird eine vorläufige Veranlagung aus Gründen der Rechtssicherheit erst dann endgültig, wenn sie ausdrücklich für endgültig erklärt wird. Daran hält der Senat fest. Diesem Erfordernis genügt der im September 1954 ergangene änderungsbescheid nicht. Er enthält keine ausdrückliche Endgültigkeitserklärung. Die Bf. sind daher ihrem Antrage entsprechend getrennt zu veranlagen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411114

BStBl III 1964, 436

BFHE 1964, 559

BFHE 79, 559

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