Leitsatz (amtlich)
1. Zur steuerlichen Behandlung von Mehrkosten, die dadurch entstehen, daß eine berufstätige Mutter, die von ihrem Ehemann verlassen ist und den Unterhalt für sich und ihre Kinder allein verdienen muß, während der beruflichen Abwesenheit ihre Kinder in einem Heim unterbringt.
2. Zur Abgrenzung der Aufgaben von Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 2 Nr. 1, § 33 Abs. 1, § 33a Abs. 2
Tatbestand
Die Steuerpflichtige lebt von ihrem im Ausland tätigen Ehemann getrennt. Der Ehemann trägt zum Unterhalt seiner zwei Kinder nicht bei. Im Streitjahr 1965 besuchte das ältere Kind die Volksschule, das jüngere einen Kindergarten. Die Steuerpflichtige wohnt in A und ist in B ganztägig als Sekretärin beschäftigt.
Sie will die Ausgaben von 150 DM monatlich, die ihr dadurch entstehen, daß das ältere Kind nach Schulschluß ein privates Schülerheim besucht, steuerlich berücksichtigt haben. Das FA lehnte das ab, da auch diese Ausgaben durch den gewährten Kinderfreibetrag gemäß § 32 EStG abgegolten seien. Der Aufenthalt im Schülerheim sei auch keine auswärtige Unterbringung im Sinne des § 33a Abs. 2 EStG (§ 25a Abs. 2 LStDV). Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Die Klage der Steuerpflichtigen hatte Erfolg. Das FG gewährte in seiner in EFG 1967, 454 veröffentlichten Entscheidung der Steuerpflichtigen eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG und führte aus, durch den Kinderfreibetrag würden nur Lasten abgegolten, die durch den Unterhalt und die Erziehung eines Kindes normalerweise entstünden. Hier lägen die Aufwendungen aber außerhalb des normalen Rahmens. Das habe auch der BFH im Urteil VI 215/63 U vom 4. Dezember 1964 (BFH 81, 467, BStBl III 1965, 169) anerkannt, in dem er neben dem Kinderfreibetrag eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG gewährt habe, soweit den Eltern außergewöhnliche Kosten für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes entstünden. Damals sei es allerdings um Kosten für die Anstaltsunterbringung eines zehnjährigen geisteskranken Kindes gegangen. Im Streitfall liege die Zwangsläufigkeit darin, daß die Steuerpflichtige die Alleinverdienerin der Familie sei. Das Kind müsse in den ersten Schuljahren nach Schulschluß unter Aufsicht sein, um der Verwahrlosung zu entgehen. Dazu müsse die Steuerpflichtige fremde Hilfe gegen Bezahlung in Anspruch nehmen. Der streitige Aufwand belaste das Einkommen der Mutter um mehr als 1/5. Es handelt sich um einen ausgesprochenen Härtefall.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA ist begründet.
Nach der Rechtsprechung des Senats werden durch den Kinderfreibetrag des § 32 Abs. 2 Nr. 1 EStG grundsätzlich alle Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für den normalen Unterhalt, die Erziehung und die Ausbildung des Kindes abgegolten (z. B. Urteile des Senats VI 144/55 U vom 9. Juli 1958, BFH 67, 346, BStBl III 1958, 407; VI 332/65 vom 13. Mai 1966, BFH 86, 361, BStBl III 1966, 506; VI 215/63 U vom 4. Dezember 1964, BFH 81, 467, BStBl III 1965, 169; VI 306/64 U vom 19. Februar 1965, BFH 82, 102, BStBl III 1965, 284). Das Urteil des FG entspricht dieser Rechtsprechung nicht. Die Kinderfreibeträge des § 32 EStG wollen nicht die vollen Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für das Kind ausgleichen (vgl. Urteil des BFH VI R 236/67 vom 23. Februar 1968, BFH 91, 418, BStBl II 1968, 374). Höhere als die normalen Aufwendungen eines Steuerpflichtigen werden steuerlich nur berücksichtigt, soweit sie durch eine auswärtige Unterbringung zur Berufsausbildung anfallen. Für diese Fälle wird in § 33a Abs. 2 EStG ein zusätzlicher Freibetrag gewährt. Von einer auswärtigen Unterbringung des Kindes kann aber hier nicht die Rede sein. Das Kind besucht die Volksschule und anschließend das Schülerheim am Wohnort der Steuerpflichtigen. Es kehrt abends in den Haushalt der Mutter zurück und hat dort sein Zuhause.
Die Kosten für die Unterbringung des Kindes in dem Schülerheim gehören zu den normalen Unterhalts- und Ausbildungskosten, die durch den Kinderfreibetrag abgegolten sind. Neben dem Kinderfreibetrag hat, wie das FG zutreffend bemerkt, der Senat allerdings für Kosten, die durch eine Krankheit des Kindes entstanden sind, eine Steuerermäßigung nach § 33 Abs. 1 EStG gewährt. Es handelt sich hier aber um eine Ausnahme, die nicht erweitert werden kann (Urteil VI R 236/67, a. a. O.).
Das FG stellt besonders heraus, daß hier ein Härtefall vorliege und es unbillig sein würde, die beantragte Steuerermäßigung nach § 33 EStG zu versagen, vor allem, weil die von ihrem Ehemann verlassene Steuerpflichtige allein den Unterhalt für sich und ihre beiden Kinder verdienen müsse, dazu noch außerhalb ihres Wohnorts. Der Senat verkennt nicht, daß diese Umstände gewichtig sind. Das geltende Recht gibt aber den Steuergerichten keine Möglichkeit, für solche Fälle eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG zu gewähren. Wollte man der Steuerpflichtigen hier die erstrebte Steuerermäßigung nach § 33 EStG gewähren, so ließe sich eine klare Abgrenzung gegen andere ähnliche Fälle, die den Senat in verschiedenen Abwandlungen laufend beschäftigen, nicht mehr finden. Es geht im Kern um eine Frage allgemeiner Art, nämlich ob und in welchem Maß die durch die Berufstätigkeit einer Frau entstehenden Mehrkosten für die Erziehung und Ausbildung von Kindern steuerlich auszugleichen sind. Diese Frage, die durch die gesellschaftliche Entwicklung entstanden ist und zunehmend an Bedeutung gewinnt, können die Steuergerichte durch die Auslegung des geltenden Rechts nicht befriedigend lösen, ohne in einer unabsehbaren Zahl von Grenzfällen mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland in Konflikt zu kommen und Rechtsunsicherheit zu schaffen. Es geht hier um ein steuerpolitisches Problem mit einem familienpolitischen Einschlag, das nur der Gesetzgeber nach allgemeinen Merkmalen (typisierend) in einer für die Rechtsanwendung brauchbaren Weise regeln kann, etwa in der Weise, daß er in § 33a EStG einen weiteren Tatbestand einfügt, auf Grund dessen bei Berufstätigkeit von Frauen mit minderjährigen oder schulpflichtigen Kindern wegen der dadurch normalerweise entstehenden Mehrkosten für die Kinder allgemein ein Freibetrag gewährt wird, ohne daß es dann darauf ankommt, ob die Kinder während der Abwesenheit der Mutter durch eine Aufsichtsperson im Haushalt der Mutter oder im Haushalt von Verwandten, in einem Kindergarten oder Schülerheim oder in einem Internat untergebracht werden. Nur eine typisierende Regelung solcher Art bietet Gewähr für eine gleichmäßige und durchsichtige Rechtsanwendung.
Da die Vorentscheidung somit von einer unzutreffenden Rechtsauslegung der §§ 32, 33, 33a EStG ausgegangen ist, war sie wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Für die von der Steuerpflichtigen begehrte Steuerermäßigung gemäß § 33 Abs. 1 EStG ist nach den Grundsätzen dieser Vorschrift kein Raum. Die Einspruchsentscheidung des FA entspricht der Rechtslage. Die gegen sie gerichtete Klage der Steuerpflichtigen war deshalb als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 68006 |
BStBl II 1968, 434 |
BFHE 1968, 1 |