Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsantrag
Leitsatz (NV)
Ein Revisionskläger ist ausnahmsweise dann berechtigt, abweichend von seinem beim FG gestellten Antrag, die angefochtenen Bescheide abzuändern, nunmehr deren Aufhebung zu beantragen, wenn er geltend macht, diese Bescheide seien insgesamt rechtswidrig.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 123 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb im Streitjahr 1999 ein Einzelunternehmen als Ausbeiner. In seiner für dieses Jahr abgegebenen Umsatzsteuererklärung erklärte er mit 16 v.H. steuerpflichtige Nettoumsätze von 304 557 DM (ohne unentgeltliche Wertabgaben/Eigenverbrauch). Diese Einnahmen legte er auch seinen für das Streitjahr abgegebenen Einkommensteuer- und Gewerbesteuererklärungen zugrunde. Hierdurch ergab sich nach Abzug der erklärten Betriebsausgaben ein Gewinn aus Gewerbebetrieb von 167 269 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte in den für das Streitjahr ergangenen ursprünglichen Bescheiden die Einkommensteuer, die Umsatzsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag erklärungsgemäß fest.
Am 13. Oktober 2003 erhielt das FA die Kontrollmitteilung des Finanzamts X vom 7. Oktober 2003. Nach den vom Finanzgericht (FG) hierzu getroffenen Feststellungen hat der Kläger von der F-GmbH für Aushilfs- und für Ausbein- und Zerlegearbeiten Zahlungen erhalten. Ferner sind in einer Anlage zu der Kontrollmitteilung u.a. die in 1999 gegenüber der F-GmbH ausgestellten Rechnungen des Klägers im Einzelnen unter Angabe des jeweiligen Rechnungsdatums, des Bruttorechnungsbetrags und der darin enthaltenen, offen ausgewiesenen Umsatzsteuer von 16 v.H. dargestellt. Diesen Bruttorechnungsbeträgen stellte der Sachbearbeiter des FA nach den vom FG hierzu getroffenen Feststellungen mittels auf dieser Anlage angebrachter Vermerke die vom Kläger für die jeweiligen Jahre (einschließlich des Streitjahres 1999) jeweils erklärten Bruttoumsätze gegenüber.
Mit Schreiben vom 22. Oktober 2003 wies das FA den damaligen Steuerberater des Klägers unter Auflistung der sich aus der Kontrollmitteilung u.a. für das Jahr 1999 ausgewiesenen Umsätze auf erhebliche Differenzen zu den erklärten Umsätzen hin. Es bat um Überprüfung und Stellungnahme.
Auf der vom Kläger mit der Antragsschrift im Aussetzungsverfahren 1 V 1903/04 beim FG eingereichten Kopie des Schreibens vom 22. Oktober 2003 sind neben handschriftlich ergänzten Zahlen folgende handschriftliche Vermerke angebracht: "Original am 30.10.2003 9.45 Uhr Hr. … (Kläger) zwecks Klärung + Stellungnahme vorgelegt; hat Schreiben mit nach Hause genommen. Soll sich möglichst bald bei uns diesbezügl. melden" und "Anruf v. Hr. … (Kläger) 30.10.2003 10.15 Uhr: Angaben FA bzw. … stimmen". Beide Vermerke sind jeweils mit einem Unterschriftskürzel versehen.
Mit am 12. Februar 2004 beim FA eingegangenem Schreiben übersandte der Kläger einen unterschriebenen Vordruck "Strafbefreiende Erklärung" nach dem Strafbefreiungserklärungsgesetz (vom 23. Dezember 2003, BGBl I 2003, 2928 --StraBEG--). In dieser Erklärung wurden aufgrund unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben nicht besteuerte Einnahmen für die Jahre 1993 bis 2002 angegeben. In einer Anlage wurden u.a. hinsichtlich des Streitjahres 1999 nicht versteuerte Bruttobetriebseinnahmen von 88 788,81 DM erklärt.
Unter dem 29. März 2004 erließ das FA für das Jahr 1999 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid, einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid sowie einen nach § 35b Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) geänderten Gewerbesteuermessbescheid. In dem geänderten Einkommensteuerbescheid und dem geänderten Gewerbesteuermessbescheid erhöhte es die gewerblichen Einkünfte des Klägers um den für 1999 in der strafbefreienden Erklärung angegebenen Betrag der nicht besteuerten Einnahmen, gekürzt um die darin enthaltene Umsatzsteuer. Diese Nettoeinnahmen wurden auch in dem geänderten Umsatzsteuerbescheid angesetzt. In einer Anlage, die dem geänderten Einkommensteuerbescheid beigefügt war, wies das FA darauf hin, die strafbefreiende Erklärung könne (für das Streitjahr) nicht anerkannt werden. Dem FA sei bereits vor dem 1. Januar 2004 bekannt gewesen, dass die Einnahmen nicht in der tatsächlichen Höhe erklärt worden seien.
Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig, weil vom Kläger eine wirksame strafbefreiende Erklärung abgegeben worden sei. Eine Tatentdeckung i.S. des § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG habe nicht vorgelegen. Das FA habe im Streitfall noch keine solch umfassende Kenntnis vom objektiven und subjektiven Tatbestand sowie von der Rechtswidrigkeit und der Schuld einer Steuerstraftat besessen, dass (vor Abgabe der strafbefreienden Erklärung) eine Anklage zum Strafrichter hätte erhoben werden können. Die erst zwei Monate nach Abgabe der strafbefreienden Erklärung erfolgte Einleitung eines Strafverfahrens belege, dass das FA entgegen der Intention des Gesetzgebers gerade seine strafbefreiende Erklärung zur Grundlage eines Strafverfahrens gemacht, es ohne diese Erklärung aber nicht den zur Anklageerhebung erforderlichen Kenntnisstand besessen habe.
Die angesetzten gewerblichen Einkünfte seien überdies überhöht. Die zusätzlich angesetzten Einnahmen seien zumindest im Schätzwege um die konkreten, jedenfalls aber um die durchschnittlichen Erwerbsaufwendungen zu mindern.
Das FA ist der Klage entgegengetreten. Die Erklärung des Klägers habe keine Straf- oder Bußgeldfreiheit bewirkt. Seine Tat sei bereits vor Eingang seiner Erklärung i.S. des § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG entdeckt gewesen. Dies sei zu dem Zeitpunkt geschehen, als der Sachbearbeiter des FA nach Eingang der Kontrollmitteilung die darin für das Jahr 1999 genannte Endsumme mit den Zahlen der Steuererklärung verglichen und dies auch handschriftlich festgehalten habe.
Das FG hat die u.a. für 1999 erhobene Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1312 veröffentlichten Urteil abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von formellem und materiellem Recht.
Das FG habe entgegen § 76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht darauf hingewirkt, dass der Kläger statt der Abänderung der angefochtenen Bescheide deren Aufhebung beantragt habe.
Zudem habe das FG seine Aufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verletzt. In dem Urteil sei die Kontrollmitteilung des Finanzamts X vom 3. September 2003 nicht berücksichtigt worden. Das FG habe sich nicht damit befasst, dass in den beiden Kontrollmitteilungen hinsichtlich des Jahres 1999 unterschiedliche Angaben gemacht worden seien.
Unzutreffend sei zudem die Feststellung des FG, wonach in der Kontrollmitteilung vom 7. Oktober 2003 Zahlungen an den Kläger genannt seien. Die Anlage zu dieser Mitteilung weise keine Zahlungs-, sondern Rechnungsdaten auf. Klärungsbedürftig sei gewesen, ob die in den Kontrollmitteilungen genannten Beträge richtig ermittelt worden seien, ob die Rechnungen tatsächlich vom Kläger stammten und ob in Höhe der Rechnungsbeträge in den jeweiligen Jahren auch tatsächlich Zahlungen erfolgt seien.
Ferner habe das FG unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger in den Streitjahren seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt habe. Zudem habe das FG auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger in diesen Jahren seine Umsätze nach vereinbarten (§ 16 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes --UStG--) oder nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 Abs. 1 UStG) zu versteuern hatte. Hieraus könnten sich aber erhebliche Unterschiede ergeben.
In materiell-rechtlicher Hinsicht habe das FG nicht berücksichtigt, dass das FA die aufgrund der strafbefreienden Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung (§ 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG) nicht aufgehoben habe.
Auch seien die für § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO geltenden Grundsätze nicht in vollem Umfang auf § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG übertragbar. Im Gegensatz zur Selbstanzeige erfordere ein Ausschluss der Strafbefreiung nach Nr. 1 Buchst. b, dass die Tat insgesamt und nicht lediglich zum Teil entdeckt sei. Eine solche Tatentdeckung setze voraus, dass der Tatverdacht bereits so weit konkretisiert sein müsse, dass bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben sei. Im Streitfall habe vor Eingang der strafbefreienden Erklärung bereits der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung nicht festgestanden. Wegen des für den Kläger geltenden Zuflussprinzips sei nicht auszuschließen gewesen, dass die Zahlungszuflüsse in erheblichem Umfang von den in den Kontrollmitteilungen genannten Rechnungsbeträgen abgewichen seien. Von einer Tatentdeckung aufgrund der Kontrollmitteilungen könne auch deshalb nicht ausgegangen werden, weil dort Rechnungsbeträge, nicht aber Zahlungszuflüsse genannt seien. Im Dezember 1999 seien vom Kläger auch Rechnungen in erheblichem Umfang an die F-GmbH erteilt worden. Hinsichtlich der Rechnungsbeträge habe es der Aufklärung bedurft, ob diese im jeweiligen Rechnungsjahr zugeflossen seien.
Auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung habe nicht festgestanden. Es sei im Zeitpunkt des Eingangs der Kontrollmitteilungen nicht auszuschließen gewesen, dass die nicht erklärten Umsätze auf einen Fehler im Steuerberaterbüro des Klägers zurückzuführen seien oder dass ein Fehler der F-GmbH vorgelegen habe. Aus diesem Grund sei es auch folgerichtig gewesen, dass der Sachbearbeiter des FA den Steuerberater um Aufklärung gebeten habe. Dies belege, dass der Sachbearbeiter sich noch kein abschließendes Bild gemacht habe. Vielmehr sei dieser lediglich von Vorfeldermittlungen nach Nr. 146 Abs. 1 und 2 der Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) --AStBV-- (BStBl I 1996, 959) ausgegangen. Bei Vorliegen eines Anfangsverdachts wäre das FA hingegen verpflichtet gewesen, umgehend ein Steuerstrafverfahren einzuleiten (Nr. 121 AStBV). Die Nichtbeachtung dieser Verpflichtung begründe einen Verstoß gegen § 160 Abs. 1 i.V.m. § 136 der Strafprozessordnung (StPO) und damit ein Verwertungsverbot.
Das FG habe bei der Frage der Tatentdeckung auch nicht nach den jeweiligen Steuerarten und Veranlagungszeiten differenziert. Ferner habe es nicht berücksichtigt, dass nach dem StraBEG eine teilweise Tatentdeckung nicht ausreiche.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz, die Einspruchsentscheidung des FA vom 8. September 2005 und den Einkommensteuer-, den Umsatzsteuer- und den Gewerbesteuermessbescheid jeweils für 1999 vom 29. März 2004 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das angefochtene Urteil sei nicht zu beanstanden. Die Tat sei bereits vor Eingang der strafbefreienden Erklärung entdeckt gewesen. Das FA sei bereits aufgrund der Kontrollmitteilungen in der Lage gewesen, Folgerungen für das Besteuerungsverfahren zu ziehen. Aufgrund der Differenzen zu den Steuererklärungen habe schon ohne weitere Ermittlungen festgestanden, dass Beträge nicht erklärt und somit hinterzogen worden seien. Das Schreiben vom 22. Oktober 2003 an den Steuerberater des Klägers habe lediglich der Gewährung rechtlichen Gehörs gedient. Dem Kläger habe eine sog. "goldene Brücke" gebaut werden sollen, sich selbst näher zu seiner Steuerhinterziehung zu äußern. Auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung habe festgestanden. Dies werde durch den handschriftlichen Vermerk des Steuerbüros auf dem Anschreiben des FA vom 22. Oktober 2003 belegt. In der Rechtsprechung zu § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO sei anerkannt, dass eine Tatentdeckung nicht voraussetze, dass das volle Ausmaß der Steuerverkürzung bekannt sei.
Der erkennende Senat hat durch Beschluss vom 23. April 2008 die vorliegende die Änderungsbescheide 1999 betreffende Streitsache von dem unter dem Az. X R 20/07 geführten Revisionsverfahren abgetrennt.
Entscheidungsgründe
II. Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben, soweit es hinsichtlich des Streitjahres 1999 ergangen ist. Die Streitsache wird in diesem Umfang zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das angefochtene Urteil beruht insoweit auf einem vom Kläger geltend gemachten Verfahrensfehler.
1. Der erkennende Senat hat den Revisionsantrag des Klägers in dem Sinne ausgelegt, dass dieser die vollständige Aufhebung der für das Streitjahr ergangenen Änderungsbescheide begehrt. Sein hilfsweise gestellter Antrag, die in diesen Bescheiden festgesetzten Steuerbeträge auf die von ihm benannten Beträge herabzusetzen, ist als bloßes Minus von dem Aufhebungsantrag mit umfasst. Keine besondere Bedeutung hat auch der hilfsweise gestellte Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Denn dies bewirkt lediglich die Überführung des Rechtsstreits in den zweiten Rechtsgang und damit noch keine den Rechtsstreit abschließende Entscheidung.
2. Die Revision ist zulässig.
a) Der Zulässigkeit der Revision steht nicht entgegen, dass der angerufene Senat (angeblich) zu Unrecht die Revision gegen das angefochtene Urteil zugelassen hat. Das Revisionsgericht ist an die von ihm ausgesprochene Zulassung gebunden (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 71).
b) Der Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, dass der Kläger mit seinem Revisionsantrag abweichend von seinem beim FG gestellten Antrag, die angefochtenen Bescheide abzuändern, nunmehr deren Aufhebung beantragt. Zwar darf ein Revisionsantrag nicht über das Klagebegehren hinausgehen. Eine Erweiterung des Klageantrags im Revisionsverfahren ist gemäß § 123 Abs. 1 FGO unzulässig (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Mai 2006 VI R 61/05, BFH/NV 2007, 45). Auch fehlt es insoweit an der erforderlichen formellen Beschwer (Gräber/Ruban, a.a.O., § 123 Rz 2). Es ist indessen anerkannt, dass keine Bindung an den Klageantrag gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO besteht, wenn der BFH zu dem Ergebnis gelangt, der angefochtene Bescheid sei (z.B. wegen eingetretener Festsetzungsverjährung) insgesamt rechtswidrig (Senatsurteil vom 25. April 2006 X R 42/05, BFHE 212, 421, BStBl II 2007, 220). Es kann deshalb einem Revisionskläger nicht verwehrt sein, mit seinem Revisionsantrag geltend zu machen, ein solcher Ausnahmefall liege vor. So ist es im Streitfall. Der Kläger macht geltend, die von ihm abgegebene strafbefreiende Erklärung sei wirksam. Die Ansprüche auf die von ihm hinterzogenen Steuern seien erloschen und hätten daher gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StraBEG nicht festgesetzt werden dürfen (vgl. hierzu Kamps/Wulf, Finanz-Rundschau 2004, 121, 131). Nach Auffassung des Klägers hätten die allein wegen der hinterzogenen Steuern ergangenen streitigen Änderungsbescheide deshalb nicht ergehen dürfen.
3. Das angefochtene Urteil beruht auf Verfahrensfehlern. Es verletzt § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, weil das FG in seinem Urteil nur eine der beiden Kontrollmitteilungen berücksichtigt hat.
a) § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO verpflichtet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Diese Vorschrift ist daher dann verletzt, wenn das FG den Inhalt der ihm vorliegenden Akten nicht vollständig und einwandfrei berücksichtigt (ständige BFH-Rechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 24. Juli 2007 X B 6/07, BFH/NV 2007, 1921, m.w.N.).
b) Einen solchen Verstoß macht der Kläger schlüssig geltend. Er liegt auch tatsächlich vor.
Der Kläger trägt vor, das FG habe in seinem Urteil lediglich die Kontrollmitteilung des Finanzamts X vom 7. Oktober 2003, nicht aber die das Jahr 1999 betreffende Mitteilung dieses Finanzamts vom 3. September 2003 berücksichtigt. Bezogen auf das Jahr 1999 seien die Angaben in diesen Kontrollmitteilungen widersprüchlich. Wegen dieses Widerspruchs habe seitens des FA Aufklärungsbedarf bestanden, weshalb die Tat des Klägers (bezogen auf das Jahr 1999) vor Eingang der strafbefreienden Erklärung noch nicht entdeckt gewesen sei.
Dieser Vortrag begründet einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO. Ausweislich der (dem FG und dem angerufenen Senat) vorliegenden Kopien der Steuerakten wurden dem FA vom Finanzamt X zwei Kontrollmitteilungen übersandt. Aus der Mitteilung vom 3. September 2003 ergibt sich, dass der Kläger der F-GmbH im Jahr 1999 Rechnungen über insgesamt netto 388 385,74 € zzgl. Umsatzsteuer von 62 141,72 € (gemeint wohl jeweils DM statt €) erteilt hat. Demgegenüber weist die Kontrollmitteilung vom 7. Oktober 2003 nach den vorliegenden Kopien bezogen auf das Jahr 1999 entgegen den Feststellungen des FG lediglich Bruttorechnungsbeträge von insgesamt 174 561,83 DM und in Rechnung gestellte Umsatzsteuer von insgesamt 24 077,65 DM aus.
Dem steht nicht entgegen, dass in der Anlage zur Kontrollmitteilung vom 7. Oktober 2003 bezogen auf das Streitjahr 1999 lediglich in der Zeit vom 15. August bis 29. Dezember ausgestellte Rechnungen aufgelistet sind. Dies könnte die erhebliche Differenz zu den in der anderen Kontrollmitteilung genannten Gesamtbeträgen jedoch nur dann erklären, wenn aus dem Kontrollmaterial in ausreichender Weise erkennbar wäre, dass der Kläger auch in der Zeit vor dem 15. August 1999 Rechnungen gegenüber der F-GmbH ausgestellt hatte. Dies ist indessen nicht der Fall. Im Gegenteil erweckt die in der Kontrollmitteilung vom 7. Oktober 2003 enthaltene Anfrage, ob die Gesamtbeträge der Jahre 1999 … in der Gewinnermittlung enthalten seien, den Eindruck, dass die Rechnungen, die der Kläger der F-GmbH im Jahr 1999 erteilt hat, in der Anlage zu der Kontrollmitteilung vollständig aufgeführt sind.
c) Dieser Verfahrensfehler ist auch erheblich.
Ein Urteil beruht dann auf einem Verfahrensfehler, wenn die Entscheidung ohne den Mangel unter Zugrundelegung der in dem Urteil vertretenen materiell-rechtlichen Auffassung möglicherweise anders ausgefallen wäre (BFH-Beschluss vom 7. Februar 1995 V B 62/94, BFH/NV 1995, 861).
Hiervon ist im Streitfall auszugehen. Das FG hat in materiell-rechtlicher Hinsicht den Standpunkt eingenommen, eine Tat sei i.S. des § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG in dem Zeitpunkt entdeckt, zu dem der Sachbearbeiter der Finanzbehörde die in der Kontrollmitteilung ausgewiesenen Umsätze mit denen, die der Steuerpflichtige in seinen Steuererklärungen angegeben hat, vergleicht. Voraussetzung sei, dass die erklärten Umsätze in erheblichem Umfang hinter den in der Kontrollmitteilung angegebenen Umsätzen zurückbleiben. Dies wäre jedoch nur dann der Fall, wenn man von der Kontrollmitteilung vom 3. September 2003 ausginge. Darin sind Nettorechnungsbeträge von 388 385,74 € (gemeint wohl: DM) genannt, welche die steuerlich erklärten Nettoumsätze von 304 557 DM nicht unerheblich übersteigen. Demgegenüber sind in der Kopie der Kontrollmitteilung vom 7. Oktober 2003 bezogen auf das Jahr 1999 lediglich Nettorechnungsbeträge von 150 484,18 DM ausgewiesen, die damit deutlich hinter den steuerlich erklärten Beträgen zurückbleiben. Angesichts dieser erheblichen Diskrepanz stand unter Berücksichtigung beider Kontrollmitteilungen bezogen auf das Streitjahr 1999 im Zeitpunkt des Vergleichs der Daten der Kontrollmitteilungen mit den vom Kläger erklärten Beträgen nicht fest, dass dieser Steuern hinterzogen hat.
d) Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen (§ 126 Abs. 4 FGO) als zutreffend.
aa) Im Ergebnis zutreffend hat das FG erkannt, dass die Klage zulässig ist. Es kommt nicht darauf an, ob die Klage bereits vor der wirksamen Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erhoben wurde. Denn in diesem Fall wurde die Klage mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zulässig (BFH-Urteil vom 17. Mai 1985 III R 213/82, BFHE 143, 509, BStBl II 1985, 521).
bb) Das angefochtene Urteil erweist sich bezogen auf das Streitjahr 1999 auch nicht deshalb als im Ergebnis richtig, weil auf der Kopie des Schreibens des FA vom 22. Oktober 2003 ein (wohl vom Büro des damaligen Steuerberaters des Klägers stammender) Vermerk angebracht ist, wonach der Kläger fernmündlich bestätigt habe, die Angaben des FA bzw. der F-GmbH seien zutreffend. Für die Frage einer Entdeckung der Tat i.S. des § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG durch das FA kann dieser Vermerk nur dann Bedeutung erlangen, wenn das FA von ihm bereits vor Eingang der strafbefreienden Erklärung Kenntnis gehabt hätte. Hierzu hat das FG jedoch keine Feststellungen getroffen.
e) Für das weitere Verfahren weist der angerufene Senat aus Gründen der Prozessökonomie, ohne allerdings das FG binden zu wollen, auf folgende Gesichtspunkte hin:
Das FG wird in erster Linie durch Beiziehung der Originalakten des beklagten FA klären müssen, ob dort abweichend von den vorliegend lediglich aus Kopien bestehenden Akten die Kontrollmitteilungen vom 3. September 2003 und vom 7. Oktober 2003 vollständig wiedergegeben werden.
Ferner wird das FG zu prüfen haben, ob dem FA bereits vor Eingang der strafbefreienden Erklärung der Inhalt des auf der Kopie des Schreibens des FA vom 22. Oktober 2003 angebrachten Vermerks bekannt und ob aus diesem Grund die Tat bereits entdeckt war. Insoweit weist der angerufene Senat darauf hin, dass sich die Frage eines etwaigen Verbots der Verwertung dieses Beweismittels jedenfalls dann nicht stellt, wenn sich aus dem Kontrollmaterial, welches dem FA bis zur Absendung des Schreibens vom 22. Oktober 2003 vorlag, kein hinreichender Verdacht von Steuerstraftaten ergab. Ein solches Verwertungsverbot kann gegeben sein, wenn ein Beschuldigter nicht auf die ihm gemäß § 136 Abs. 1 i.V.m. § 163a StPO zustehenden Rechte hingewiesen worden ist (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 136 Rz 20 und § 163a Rz 6). Hierbei ist aber zum einen zu berücksichtigen, dass gemäß § 393 Abs. 1 Satz 1 AO die Regelungen der StPO nur gelten, soweit das FA im Rahmen der Strafverfolgung tätig wird, nicht aber, soweit es die Besteuerungsgrundlagen ermittelt. Zum anderen machen bloße Ermittlungen, die dazu dienen sollen, den erforderlichen Verdacht einer Steuerstraftat zu begründen (sog. Vorermittlungen; vgl. hierzu Nr. 121 AStBV), den betroffenen Steuerpflichtigen noch nicht zum Beschuldigten. Denn zum Beschuldigten im strafprozessualen Sinn wird der Verdächtige erst durch eine Maßnahme gemacht, die erkennbar darauf abzielt, ihn strafrechtlich zu verfolgen (Meyer-Goßner, a.a.O., § 160 Rz 6).
Fundstellen
Haufe-Index 2031664 |
BFH/NV 2008, 1682 |