Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafverteidigerkosten als außergewöhnliche Belastung
Leitsatz (NV)
Aufwendungen, die Eltern für die Strafverteidigung ihres volljährigen, wegen eines Verbrechens angeklagten Kindes tragen, können insoweit als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sein, als sich die Kosten innerhalb der durch die BRAGO festgelegten Rahmensätze halten.
Normenkette
EStG § 33
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1984 das Honorar für den Wahlverteidiger ihres damals 21 Jahre alten Sohnes getragen haben. Dieser war der Beteiligung an einer Straftat der . . . angeklagt, deretwegen er in der Folge auch rechtskräftig verurteilt wurde.
Bei der Einkommensteuerveranlagung 1984 begehrten die Kläger u. a., die in diesem Jahr angefallenen Anwaltskosten sowie anläßlich von Besuchsfahrten zu ihrem Sohn in der Haftanstalt entstandene Fahrtkosten (371 DM) gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen. Sie machten geltend, sie seien als Eltern sowohl rechtlich als auch sittlich verpflichtet gewesen, ihrem nach der Straftat mittellosen Sohn beizustehen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte im Einspruchsverfahren die den Klägern anläßlich der Besuchsfahrten entstandenen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung an. Das FA lehnte es jedoch ab, für die den Klägern zur Verteidigung ihres Sohnes entstandenen Kosten die Steuerermäßigung des § 33 EStG zu gewähren.
Im Gegensatz dazu hat das Finanzgericht (FG) alle von den Klägern aufgewandten Kosten - unter Abzug der zumutbaren Belastung - als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Nach Ansicht der Vorinstanz sind die Kläger als Eltern sowohl aus rechtlichen als auch aus sittlichen Gründen verpflichtet gewesen, ihrem Sohn eine gute Verteidigung zu ermöglichen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das FG ist zwar zunächst - im Ergebnis zutreffend - davon ausgegangen, daß sich die Kläger den Kosten für die Strafverteidigung ihres Sohnes dem Grunde nach aus sittlichen Gründen nicht haben entziehen können. Die Vorinstanz hat es jedoch unterlassen, entsprechende Feststellungen darüber zu treffen, ob die Aufwendungen den Klägern auch der Höhe nach zwangsläufig erwachsen sind.
Nach § 33 Abs. 1 EStG 1983 wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtgen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Die Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die aufgeführten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen, d. h. vom Willen der Steuerpflichtigen unabhängig, auf ihre Entschließung in einer Weise einwirken, daß sie ihnen nicht auszuweichen vermögen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Juli 1986 III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745; vom 27. Februar 1987 III R 209/81, BFHE 149, 240, BStBl II 1987, 432, und vom 27. Oktober 1989 III R 205/82, BFHE 158, 431, BStBl II 1990, 294 m. w. N.).
In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze hat der erkennende Senat in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 23. Mai 1990 III R 145/85 (ein Abdruck ist beigefügt) entschieden, daß Eltern sich im Regelfall dem Grunde nach den Aufwendungen für die Wahlverteidigung ihrer beschuldigten oder angeklagten Kinder jedenfalls aus sittlichen Gründen zumindest dann nicht entziehen können, wenn die Kinder zwar volljährig, aufgrund ihres jugendlichen Alters innerlich jedoch noch nicht gefestigt sind. Diese Beurteilung beruht entscheidend auf der Erwägung, daß die vielfältigen gesetzlichen Regelungen zum Unterhalt und zu den Beistandspflichten naher Angehöriger eine entsprechende Wertung der Allgemeinheit auch im Hinblick auf die Kosten einer Strafverteidigung volljähriger Kinder zum Ausdruck bringen. Wenn Ehepartnern (§ 1360 a Abs. 4 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzesbuches - BGB -) und minderjährigen Kindern (vgl. Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 14. Februar 1979 20 U 21/79, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1979, 964, und § 1611 Abs. 2 BGB) vom Gesetzgeber ein Rechtsanspruch auf Prozeßkostenvorschuß bzw. auf Übernahme von Strafverteidigerkosten durch den Unterhaltsverpflichteten eingeräumt wird, erscheint die Annahme berechtigt, daß die Allgemeinheit im Regelfall auch ein entsprechendes Handeln von Eltern zumindest gegenüber ihren zwar volljährigen, innerlich jedoch noch nicht gefestigten Kindern (Heranwachsenden) erwartet.
Wie der erkennende Senat im Urteil vom 23. Mai 1990 III R 145/85 weiter entschieden hat, sind Aufwendungen für die Strafverteidigung eines Kindes jedoch nur innerhalb der durch die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) festgelegten Rahmensätze als zwangsläufig erwachsen anzusehen.
Nach den vom FG getroffenen Feststellungen sind die Kläger ihrem im Streitjahr 21 Jahre alten Sohn durch die Übernahme der Anwaltskosten in Höhe von 8 550 DM beigestanden. Diese Aufwendungen sind ihnen dem Grunde nach aus sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Ob diese Aufwendungen sich der Höhe nach innerhalb der durch die BRAGO festgelegten Rahmensätze halten, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Insoweit fehlen in dem Urteil der Vorinstanz die erforderlichen Feststellungen über die Dauer der strafgerichtlichen Hauptverhandlung.
Das Urteil des FG ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Bei der erneuten Verhandlung wird das FG prüfen müssen, ob die Aufwendungen der Kläger für die Strafverteidigung ihres Sohnes innerhalb des durch §§ 83 ff. BRAGO gezogenen Gebührenrahmens liegen und ob sie nur den gemäß §§ 25 Abs. 3 ff. BRAGO erstattungsfähigen Auslagenersatz umfassen. Soweit den Klägern höhere Aufwendungen entstanden sind, können die weitergehenden Kosten nicht gemäß § 33 EStG berücksichtigt werden.
Bei seiner Entscheidung wird das FG auch zu beachten haben, daß Aufwendungen von Eltern für Besuchsfahrten zu ihrem eine Freiheitsstrafe verbüßenden volljährigen Kind in der Haftanstalt üblicherweise als durch den Grundfreibetrag und die Regelungen des sog. Kinderlastenausgleichs abgegolten anzusehen sind (vgl. das oben angeführte Senatsurteil vom 23. Mai 1990 III R 145/85). Im Streitfall sind keine besonderen Umstände ersichtlich oder von den Beteiligten vorgetragen, die im Hinblick auf die körperliche oder seelische Verfassung des Sohnes eine Berücksichtigung der Aufwendungen für die Besuchsfahrten unter dem Gesichtspunkt der Krankheitskosten rechtfertigen würden. Das FG wird daher die vom FA im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren anerkannten Besuchsaufwendungen (371 DM) bei der Steuerfestsetzung zu saldieren haben (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344).
Fundstellen
Haufe-Index 417149 |
BFH/NV 1991, 153 |