Leitsatz (amtlich)
1. In der DDR entstandene betriebliche Verluste können bei der Ermittlung eines in der Bundesrepublik erzielten Veräußerungsgewinns nicht berücksichtigt werden.
2. Der Steuerpflichtige kann im steuergerichtlichen Verfahren gegen den Steueranspruch nicht mit Gegenansprüchen aufrechnen.
Normenkette
AO § 124; EStG § 2 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Inhaber einer Fabrik in der Bundesrepublik. Die Firma hatte früher ihren Sitz in der heutigen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Wegen der Kriegsereignisse und deren Folgen hatte der Kläger im Auftrag seines aus der DDR geflüchteten Vaters den Betrieb vom Jahre 1947 an in der Bundesrepublik wieder aufgebaut und ihn nach dem Tode des Vaters im Jahre 1961 übernommen. Im Jahre 1968 veräußerte er den Betrieb zusammen mit einem 1967 erworbenen Zweigbetrieb an ein anderes Unternehmen.
Nach zunächst vorläufiger Veranlagung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) aufgrund der Feststellungen einer Betriebsprüfung einen gemäß § 225 AO geänderten endgültigen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1968. Hierbei legte das FA u. a. einen Veräußerungsgewinn von 3 665 602 DM zugrunde. Unter Abzug des laufenden Verlustes in Höhe von 95 052 DM ergaben sich Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 3 570 550 DM. Hinzu kamen Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen, so daß sich ein Gesamtbetrag der Einkünfte von 3 657 406 DM ergab.
Der Einspruch und die Klage blieben ohne Erfolg.
Mit der Revision wird unrichtige Anwendung der Vorschriften der §§ 16 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gerügt. Nach Auffassung des Klägers ist davon auszugehen, daß der Betrieb in der DDR für immer verlorengegangen sei. Da dieser Betrieb seine Fortsetzung in dem in der Bundesrepublik aufgebauten Betrieb geiunden habe, sei mit dem Verkauf des hiesigen Betriebes auch der Betrieb in der DDR beendet worden. Das Ende dieses Betriebes könne nicht für immer steuerlich unerfaßt und unerfaßbar bleiben. Das, was verlorengegangen sei, müsse sich irgendwann bilanzmäßig auswirken. Andernfalls werde ein unrichtiger Gesamtgewinn ausgewiesen. Vor diesem Grundsatz müsse die Vorschrift des § 2 Abs. 2 EStG zurücktreten. - Wegen des Verlustes des in der DDR zurückgelassenen Betriebes stehe dem Kläger eine Entschädigung zu. Die Entschädigungsforderung werde mit mehr als 3 Mio. DM bewertet. Der Kläger rechne mit dieser Forderung gegen die Steuerforderung auf. -
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Bedenken bestünden bereits gegen die Zulässigkeit der Revision, da weder bei Einlegung der Revision noch in der Revisionsbegründung ein eindeutiger Antrag gestellt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Die Bedenken des FA gegen die Zulässigkeit der Revision sind allerdings nicht begründet. Nach § 120 Abs. 2 FGO muß die Revisionsbegründung oder die Revision "einen bestimmten Antrag" enthalten. Darunter ist zu verstehen, daß ersichtlich sein muß, inwieweit die Vorentscheidung angefochten und ihre Aufhebung begehrt wird (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 120 FGO Anm. 7). Es ist nicht erforderlich, daß der Kläger einen förmlichen Revisionsantrag stellt. Daher genügte es im Streitfall, daß sich aus der Revisionsschrift ergibt, inwieweit der Kläger die Vorentscheidung angreift. Dies geht aus der Revisionsbegründung in ausreichendem Maße hervor. Es wird hier lediglich die Berücksichtigung der in der DDR erlittenen Betriebsvermögensverluste geltend gemacht. Die in der Vorinstanz außerdem streitig gewesene Versagung des Abzuges des im Jahre 1967 in der Bundesrepublik erlittenen Verlustes wird in der Revisionsbegründung nicht angegriffen. Um einen "bestimmten Antrag" i. S. des § 120 Abs. 2 FGO annehmen zu können, genügt es indes, daß sich die Revisionsbegründung darauf beschränkt, die Punkte darzustellen, hinsichtlich deren die Vorentscheidung angegriffen wird. Es ist nicht erforderlich, daß auch die Punkte der Vorentscheidung, welche nicht angegriffen werden sollen, besonders bezeichnet werden.
2. In der Sache selbst jedoch muß der Revision der Erfolg versagt bleiben.
a) Der erkennende Senat faßt entsprechend der Revisionsbegründung das Begehren des Klägers dahin auf, daß der in der DDR zurückgelassene Betrieb mit der Veräußerung des Betriebes in der Bundesrepublik als zugleich aufgegeben angesehen werden solle. Die Vorentscheidung nahm an, es werde begehrt, die Buchwerte des Betriebes in der DDR in den Veräußerungsvorgang gewissermaßen miteinzubeziehen. Der Kläger hat klargestellt, daß er den dortigen Betrieb nunmehr ebenfalls als aufgegeben angesehen haben wolle, mit der Folge, daß ein Aufgabeverlust steuerlich mit dem in der Bundesrepublik entstandenen Veräußerungsgewinn zu verrechnen sei. Indes kann auch bei dieser Sicht der Dinge dem Begehren des Klägers nicht stattgegeben werden, wie sich aus den folgenden Erwägungen ergibt.
b) Der Senat läßt offen, ob der Betrieb in der DDR nicht schon in einem früheren Streitjahr aufgegeben wurde. Diese Frage ist für die Entscheidung des Streitfalles unerheblich. Denn auch bei Zugrundelegung einer Betriebsaufgabe erst im Streitjahr stünde dem Verlustabzug die - durch Art. 1 Nr. 2 b des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 (BGBl 1950, 95) geschaffene - Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG (i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 a EStG) entgegen. Nach der für das Streitjahr maßgebenden Fassung der Vorschrift bleiben bei der Ermittlung des Einkommens die in § 49 EStG bezeichneten Einkünfte, die in zum Inland gehörenden Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs des GG oder in Berlin (West) bezogen worden sind, außer Ansatz, wenn in diesen Gebieten Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) haben, als beschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden. Letzteres trifft auf die DDR zu. Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15, 16 EStG), für die in der DDR eine Betriebstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist, bleiben hiernach bei der Ermittlung des Einkommens des in der Bundesrepublik unbeschränkt steuerpflichtigen Klägers außer Ansatz. Gleiches gilt nach dem Urteil des BFH vom 16. Dezember 1960 IV 139/58 U (BFHE 72, 266, BStBl III 1961, 100) für Entschädigungen, die an Stelle von Einkünften aus der DDR gewährt werden. Wie der BFH bereits in dem Gutachten vom 25. Januar 1951 I D 4/50 S (BFHE 55, 182, BStBl III 1951, 68) ausgeführt hat, gehören zu den "Einkünften" i. S. dieser Vorschrift auch negative Einkünfte (Verluste). An dieser Auffassung hält der Senat fest (vgl. auch Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 2 EStG, Anm. 19). Da der Verlust unmittelbar in der DDR entstanden ist, bestand für das FG keine Möglichkeit, etwa im Billigkeitswege gemäß § 131 AO das FA zu einer Berücksichtigung solcher negativen Einkünfte in der Bundesrepublik zu verpflichten, wie dies im umgekehrten Fall bei mittelbaren Einkünften aus der DDR, die dort bereits der Einkommensteuer unterlegen haben, gerechtfertigt ist (vgl. dazu neuestens BFH-Urteil vom 27. November 1975 IV R 200/71, BFHE 117, 541). Die bezeichneten Verluste könnten nur in der DDR selbst steuerrechtlich berücksichtigt werden. Der Umstand, daß dies dort nicht geschehen ist und voraussichtlich auch nicht geschehen wird, kann nicht zur Folge haben, daß im Billigkeitswege ein Verlustausgleich mit Gewinnen vorgenommen wird, welche in der Bundesrepublik entstanden sind. Aus dem Umstand, daß - wovon der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG ausgeht - das Gebiet der DDR staatsrechtlich für Inland gehalten wird, kann nicht geschlossen werden, daß das Gesetz nur eine doppelte Besteuerung positiver Einkünfte vermeiden soll (vgl. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl. 1974, RdNr. 57 zu § 2 EStG). Vielmehr ist die Rechtslage insoweit die gleiche wie in den Fällen, in denen durch DBA die Steuerquellen auf die Vertragsstaaten aufgeteilt sind. Hierzu hat der erkennende Senat zuletzt in dem Urteil vom 25. Februar 1976 I R 150/73 (BFHE 118, 334, BStBl II 1976, 454) unter Bestätigung der bisherigen ständigen Rechtsprechung, nach welcher der Ausgleich mit ausländischen Verlusten ausgeschlossen ist, Stellung genommen. Auf diese Entscheidung wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
3. Die in der Revisionsbegründung erklärte Aufrechnung mit einer Entschädigungsforderung wegen Verlustes des Betriebsvermögens in der DDR kann bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden. Nach § 124 AO ist der Steuerpflichtige berechtigt, gegen Steueransprüche mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufzurechnen. Der Senat hat nicht zu prüfen, inwieweit sachlich-rechtlich die Aufrechnungsvoraussetzungen gegeben wären. Auf den vorliegenden Rechtsstreit könnte die Aufrechnung auch im Falle des Vorliegens dieser Voraussetzungen keinen Einfluß haben. Denn die Aufrechnung gehört in das Steuererhebungsverfahren (vgl. BFH-Beschluß vom 30. Juni 1971 II B 8/68, BFHE 102, 232, BStBl II 1971, 603, mit weiteren Nachweisen) und nicht in das Steuerermittlungsund -festsetzungsverfahren, welchem auch der vorliegende Rechtsstreit zuzuordnen ist. Ein Rechtsmittelverfahren ist deshalb ohne Rücksicht auf eine Aufrechnungserklärung durchzuführen, weil es der Feststellung des Steueranspruchs dient, gegen welchen dann gegebenenfalls im Erhebungsverfahren aufgerechnet werden kann (vgl. Urteile des RFH vom 12. Mai 1923 VI A 42/23, RFHE 12, 182, RStBl 1923, 344; vom 26. April 1930 I e A 45/30, RFHE 26, 309).
Fundstellen
Haufe-Index 71960 |
BStBl II 1976, 676 |
BFHE 1977, 418 |