Leitsatz (amtlich)
Ein Steuerpflichtiger, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, kann Zinsaufwendungen für einen Kontokorrentkredit nur insoweit als Betriebsausgaben abziehen, als der Kredit betrieblich veranlaßt war. Der betrieblich veranlaßte Teil der Zinsaufwendungen ist in der Regel nach der sog. Zinszahlenstaffelmethode zu ermitteln.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 3-4
Verfahrensgang
Tatbestand
Berichtigung: Im Urteil vom 23. Juni 1983 IV R 185/81 (BStBl II 1983, 723) muß es auf Seite 725, rechte Spalte, Absatz 3, Zeile 5 statt "Bareinnahmen" richtig "Barentnahmen" heißen.
Die Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten zu 1 und 2 (Kläger) sind seit 1970 als Rechtsanwälte in einer Sozietät zusammengeschlossen. Die Sozietät ermittelt ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Überschußrechnung. Im Rahmen einer Betriebsprüfung wurde festgestellt, daß die Kläger in den Streitjahren 1974 und 1975 bei mehreren Kreditinstituten Schulden hatten. Die für diese Schulden angefallenen Zinsen (und Wechselspesen) hatten die Kläger bei der einheitlichen Gewinnfeststellung als Betriebsausgaben geltend gemacht.
Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erkannte den Abzug dieser Beträge als Betriebsausgaben nicht an. Auf dieser Grundlage erließ das FA (berichtigte) Gewinnfeststellungsbescheide für die Streitjahre.
Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.
Die Klage hielt das Finanzgericht (FG) insoweit für unbegründet, als in den als Betriebsausgaben geltend gemachten Beträgen auch Ausgaben für Lebensversicherungsprämien enthalten waren. Von den übrigen streitigen Aufwendungen der Kläger sah das FG im Jahre 1974 53 v. H. und im Jahre 1975 51 v. H. als betrieblich veranlaßte Ausgaben an. Dabei ging es davon aus, daß Zinsaufwendungen insoweit nicht betrieblich veranlaßt sein können, als sie auf Darlehen entfielen, mit denen die von den Klägern getätigten Privatentnahmen hätten finanziert werden müssen. Wenn diese Entnahmen nicht durch die im Laufe des Wirtschaftsjahres getätigten Bareinlagen, durch den erzielten finanzwirtschaftlichen Überschuß oder die am Beginn des Wirtschaftsjahres vorhandenen Barmittel hätten abgedeckt werden können, hätten sie durch Darlehensaufnahmen finanziert worden sein müssen. Diese Darlehen seien nicht betrieblich veranlaßte Schulden; die hierfür gezahlten Zinsen seien keine Betriebsausgaben. Dagegen seien die übrigen Zinsaufwendungen als Betriebsausgaben abziehbar.
Gegen das Urteil haben das FA und die Kläger Revision eingelegt.
Das FA rügt die Verletzung materiellen Rechts. Zinszahlungen seien als Betriebsausgaben nur abzugsfähig, wenn sie durch den Betrieb veranlaßt seien. Diese Voraussetzung sei nur gegeben, wenn Zinsen für Betriebsschulden gezahlt werden (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 24. November 1967 VI R 71/66, BFHE 91, 37, BStBl II 1968, 177). Um Zinsen als Betriebsausgaben abziehen zu können, müßten sie Betriebsschulden eindeutig zugeordnet werden können. Im Streitfall fehle es an einer solchen Zuordnungsmöglichkeit. Die Kläger müßten den Nachteil daraus tragen, daß sie das Vorliegen von betrieblich veranlaßten Schulden (und damit von betrieblich bedingtem Zinsaufwand) nicht nachzuweisen vermögen.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger rügen ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts. Die Methode, nach der bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG der Überschuß ermittelt werde, liege im Ermessen des Steuerpflichtigen. Deshalb hätten sie die Möglichkeit, sich den Gewinnermittlungsmethoden des § 4 Abs. 1 EStG anzunähern. Dies sei im Streitfall "durch Festhalten der Kapitalausstattung" der Sozietät "zu Beginn und am Ende jeden Kalenderjahrs" geschehen. Das FA sei daran gebunden, welche kapitalmäßige Betriebsausstattung die Sozietät zum 1. Januar 1974 als Betriebsvermögen ausgewiesen habe. Die Zuordnung von Darlehensschulden zum Betriebsvermögen sei nicht willkürlich erfolgt; sie sei von dem erklärten Betriebszweck der Sozietät her gedeckt gewesen. Allenfalls könne eine "Neuverschuldung" in den Streitjahren auf ihre betriebliche Veranlassung hin geprüft werden. Die Kläger rügen ferner mangelhafte Sachaufklärung.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Gewinne für die Streitjahre unter Abänderung der angefochtenen Feststellungsbescheide neu festzustellen; hierbei seien die Schuldzinsen und Wechselspesen entsprechend den Steuererklärungen zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision der Kläger als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen des FA und der Kläger führen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Der Auffassung des FG zu den Voraussetzungen der Abziehbarkeit von Zinsaufwendungen als Betriebsausgaben bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG kann nicht gefolgt werden.
1. Die Kläger hatten als freiberuflich tätige Rechtsanwälte die Wahl, wie sie ihren Gewinn aus der gemeinsam betriebenen Anwaltspraxis in den Streitjahren ermitteln wollten. Als Angehörige eines freien Berufs konnten sie ihren Gewinn durch Berechnung des Überschusses der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 3 EStG) oder durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG) ermitteln. Dieses Wahlrecht mußte durch die tatsächliche Handhabung der Gewinnermittlung ausgeübt werden.
Steuerpflichtige, die -- wie die Kläger -- an sich nicht buchführungspflichtig sind, haben die Möglichkeit, eine Eröffnungsbilanz aufzustellen sowie eine ordnungsmäßige kaufmännische Buchführung einzurichten und aufgrund von Bestandsaufnahmen einen Abschluß zu machen. Gehen sie auf diese Weise vor, so haben sie ihr Wahlrecht im Sinne einer Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ausgeübt. Hat ein solcher Steuerpflichtiger dagegen keine Eröffnungsbilanz aufgestellt und keine den Stand des Vermögens bereits während des laufenden Wirtschaftsjahrs darstellende Buchführung eingerichtet, sondern im wesentlichen nur die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben aufgezeichnet, so hat er aufgrund der von ihm gewählten Gestaltung sein Wahlrecht im Sinne der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ausgeübt. Sein späteres Verlangen, der Besteuerung einen nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermittelnden Gewinn zugrunde zu legen, wäre eine unzulässige nachträgliche Änderung der Gewinnermittlungsart (BFH-Urteil vom 2. März 1978 IV R 45/73, BFHE 125, 45, BStBl II 1978, 431).
Im Streitfall haben sich die Kläger für die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG entschieden. Bei dieser Gewinnermittlungsart müssen die erzielten Betriebseinnahmen den Betriebsausgaben gegenübergestellt werden. Die Auffassung der Kläger, sie hätten sich nach ihrer Entscheidung für die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG der Gewinnermittlungsmethode nach § 4 Abs. 1 EStG "annähern" können, indem sie jedenfalls ihren Bestand an Schulden zu Beginn des Streitjahres 1974 als Betriebsschulden -- und die hieraus sich ergebenden Zinsaufwendungen als Betriebsausgaben -- hätten behandeln können, ist unzutreffend.
2. Zinsaufwendungen können zwar auch bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG berücksichtigt werden, wenn sie Betriebsausgaben sind. Ihre Berücksichtigung als Betriebsausgaben hängt jedoch davon ab, daß sie "durch den Betrieb veranlaßt" sind (§ 4 Abs. 4 EStG). Das ist bei Zinsen für Darlehen, deren Hergabe betrieblich veranlaßt war, der Fall (BFH-Urteil vom 11. März 1976 IV R 185/71, BFHE 118, 535, BStBl II 1976, 380).
Eine betriebliche Veranlassung kann auch bei solchen Verbindlichkeiten gegeben sein, die durch die Aufnahme eines Kredits im Wege der Überziehung eines Kontokorrentkontos entstehen. Das gilt selbst dann, wenn das Kontokorrentkonto außer zur Abwicklung des laufenden betrieblichen Geldverkehrs auch der Abwicklung von außerbetrieblichen Einnahmen und Ausgaben dient. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 19. März 1981 IV R 169/80 (BFHE 133, 383, BStBl II 1983, 721) ausgeführt hat, sind auch in einem solchen Fall die dem Steuerpflichtigen entstandenen Kreditzinsen insoweit als Betriebsausgaben abzuziehen, als sie durch betrieblich veranlaßte Zahlungen entstanden sind. Soweit die Zinsen dagegen mit privat veranlaßten Zahlungen bzw. der dadurch verursachten Kreditaufnahme zusammenhängen, haben sie keinen betrieblichen Charakter; ihr Abzug als Betriebsausgaben kommt daher nicht in Betracht.
Der Senat hat zwar mit seinem zur Sache IV R 192/80 ergangenen Urteil vom 23. Juni 1983 (BStBl II 1983, 725) für den Fall der Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 EStG (und nach § 4 Abs. 1 EStG) entschieden, daß die jeweiligen Kontokorrentsalden (also das jeweilige Guthaben oder die jeweilige Schuld) in vollem Umfang der betrieblichen Sphäre selbst dann zuzurechnen sind, wenn über dieses Konto auch private Zahlungen abgewickelt werden. In den Fällen der Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 EStG (bzw. § 4 Abs. 1 EStG) spricht bei Kontenüberziehungen eine Vermutung für eine betriebliche Veranlassung der (in der Überziehung liegenden) Kreditaufnahme. Zinsaufwendungen sind hiernach bei der Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 EStG oder nach § 4 Abs. 1 EStG in der Regel Betriebsausgaben. -- Eine Vermutung für den betrieblichen Charakter einer Kontokorrentschuld gibt es dagegen nicht bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG. Hier wird der Gewinn durch Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und der Betriebsausgaben ermittelt; eine Berücksichtigung der Bestände scheidet aus. Deshalb kann auch ein Kontokorrentkonto in diesem Fall kein betriebliches Bestandskonto darstellen (BFH-Urteil vom 22. Februar 1973 IV R 69/69, BFHE 109, 30, BStBl II 1973, 480), so daß auch die an den betrieblichen Charakter der Kontokorrentschuld anknüpfende Vermutung hier nicht eingreifen kann. Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG sind vielmehr grundsätzlich a I I e über das Kontokorrentkonto abgewickelten Zahlungsvorgänge einzeln auf ihre betriebliche oder private Veranlassung zu untersuchen. Dementsprechend müssen auch die zinsmäßigen Auswirkungen geprüft werden.
Die hiernach notwendige Abgrenzung zwischen betrieblich und außerbetrieblich veranlaßten Zinsaufwendungen kann -- sofern nach den gegebenen Umständen nicht eine einfachere Aufteilung möglich ist -- mit Hilfe der Zinszahlenstaffelmethode durchgeführt werden. Diese Methode berücksichtigt bei der Zinsaufteilung auch das -- wegen des ständigen Wechsels der Kredithöhe wichtige -- Zeitmoment. Die Ausführungen im Urteil in BFHE 133, 383, BStBl II 1983, 721, das einen Fall mit einfacherer Aufteilungsmöglichkeit zum Gegenstand hatte und das Zeitmoment nicht zu berücksichtigen brauchte, sind insoweit zu ergänzen.
Bei Zinsen für Schulden, die vor dem 1. Januar 1974 entstanden sind, wird eine genaue Abgrenzung der betrieblichen von den privat veranlaßten Zinsen nach der Zinszahlenstaffelmethode häufig nur mit unverhältnismäßigem und unzumutbarem Arbeitsaufwand möglich sein. Bis zum 1. Januar 1974 konnten private Schuldzinsen als Sonderausgaben abgezogen werden (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG in der bis zum Jahre 1973 geltenden Fassung). Bis zu diesem Zeitpunkt war es in vielen Fällen nicht nötig, die privaten von den betrieblich veranlaßten Zinsen genau abzugrenzen. Der mit dem Inkrafttreten des Steueränderungsgesetzes 1973 (BGBl I, 676, BStBl I, 545) eingetretene Wegfall der Abzugsmöglichkeit für private Schuldzinsen brachte deshalb für viele Steuerpflichtige erstmals den Zwang zur genauen Abgrenzung und damit auch -- soweit es um den Abzug betrieblich veranlaßter Zinsaufwendungen ging -- die Last des Beweises der betrieblichen Veranlassung mit sich. Da bei Zinsaufwendungen für Schulden, die noch vor dem 1. Januar 1974 entstanden sind, der Nachweis der betrieblichen Veranlassung aus den Kontokorrentbuchungen der vorausgegangenen Jahre besonders schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein kann, bestehen keine Bedenken, die Abgrenzung bei diesen Zinsen im Wege einer Schätzung vorzunehmen.
3. Das FG ist bei der Ermittlung des betrieblich und des außerbetrieblich veranlaßten Schuldzinsanteils nach einer Methode vorgegangen, die zu keinem der Vorschrift des § 4 Abs. 4 EStG entsprechenden Ergebnis führen kann.
Bei Anwendung der vom FG entwickelten Methode sind Zinsen, die von einem Steuerpflichtigen für eine Bankschuld zu leisten sind, im allgemeinen als Betriebsausgaben abziehbar. Das soll nur dann nicht gelten, wenn und soweit die Bareinnahmen eines Wirtschaftsjahrs die Summe aus Bareinlagen, finanzwirtschaftlichem Überschuß sowie den am Beginn des Wirtschaftsjahrs vorhandenen Barmitteln übersteigen. Es wird mithin unterstellt, daß eine Darlehensaufnahme immer dann betrieblich veranlaßt ist, wenn die im Laufe des Jahres getätigten Entnahmen die genannte Summe nicht übersteigen. Eine Solche Auffassung ist mit § 4 Abs. 4 EStG, nach der Betriebsausgaben nur die (einzelnen) betrieblich veranlaßten Aufwendungen sind, nicht zu vereinbaren.
Das Urteil des FG ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 74745 |
BStBl II 1983, 723 |
BFHE 1984, 56 |