Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Einspruchsverfahren
Leitsatz (NV)
Ein Rechtsanwalt, der sich im Einspruchsverfahren in einer Kindergeldsache selbst vertritt, kann die Erstattung der Gebühren nach der BRAGO jedenfalls dann nicht gemäß § 77 Abs. 2 EStG verlangen, wenn offensichtlich ist, dass die Familienkasse bei dem Erlass des angefochtenen Bescheides von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen war und dies durch einen einfachen Hinweis richtig gestellt werden kann. Es fehlt dann an der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten.
Normenkette
EStG § 77 Abs. 2; BRAGebO
Verfahrensgang
FG Bremen (EFG 2000, 273) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Rechtsanwalt. Er bezieht für seine 1974 geborene Tochter Kindergeld. Die Tochter des Klägers nahm zum Wintersemester 1994/95 das Studium der Medizin auf. Daraufhin bewilligte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) Kindergeld für die Tochter des Klägers. Die Bewilligung befristete der Beklagte mit interner Verfügung, die dem Kläger nicht bekannt gegeben wurde, bis Juli 1998. Mit Bescheid vom 10. Juni 1998 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Tochter des Klägers mit Ablauf des Monats Juli 1998 auf. Der Bescheid enthielt keine Rechtsmittelbelehrung, sondern den Hinweis, dass für den Fall, dass das Studium über den genannten Zeitpunkt hinaus andauere, dies durch eine Immatrikulationsbescheinigung, aus der die Anzahl der Fachsemester hervorgehen müsse, nachzuweisen sei. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 3. Juli 1998 Einspruch ein, den er damit begründete, dass seine Tochter sich weiterhin in der Ausbildung befinde. Sie habe die Ausbildung gewechselt; die neue Ausbildung werde voraussichtlich im Januar 2001 enden. Der Beklagte gab dem Einspruch statt. Gleichzeitig entschied er, dass die im Einspruchsverfahren entstandenen Kosten nicht erstattet werden könnten, weil sie nicht notwendig gewesen seien. Der Einspruch des Klägers gegen diese Entscheidung, mit dem er die Erstattung seiner Kosten in Höhe der Gebühren für seine Tätigkeit nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) begehrte, hatte keinen Erfolg.
Im Klageverfahren machte der Kläger geltend, dass er nicht verpflichtet gewesen sei, dem Beklagten den Wechsel der Ausbildung seiner Tochter anzuzeigen, da durch diesen Wechsel sein Anspruch auf Kindergeld unberührt geblieben sei. Es habe für den Beklagten kein Anlass zum Erlass des Aufhebungsbescheides bestanden. Durch den Erlass des Bescheides habe der Beklagte das Einspruchsverfahren provoziert. Kindergeldstreitigkeiten seien ihrer Natur nach Sozialrechtssachen. Darüber hätten zuvor die Sozialgerichte entschieden. In sozialgerichtlichen Verfahren seien Gebühren, die ein Rechtsanwalt in eigener Sache verdiene, erstattungsfähig. Daran habe sich durch die Regelung des Kindergeldes im Einkommensteuergesetz (EStG) nichts ändern sollen, wie die Regelung des § 77 EStG zeige. Einer solchen Regelung hätte es nicht bedurft, wenn die allgemeinen Regelungen der Abgabenordnung (AO 1977) und der Finanzgerichtsordnung (FGO) über die Erstattungsfähigkeit von Kosten des Vorverfahrens hätten gelten sollen.
Der Beklagte vertrat demgegenüber die Auffassung, dass § 77 EStG § 63 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) nachgebildet sei, so dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu dieser Vorschrift auch auf § 77 EStG anwendbar sei. Nach der Rechtsprechung des BSG seien Aufwendungen des Vorverfahrens jedenfalls nicht erstattungsfähig, wenn der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht erst im Widerspruchs- oder Klageverfahren nachkomme. So liege es im Streitfall, denn der Kläger habe seine Mitwirkungspflicht dadurch verletzt, dass er keine Mitteilung über den Ausbildungswechsel seiner Tochter gemacht habe. Hätte er dies getan, so wäre der Aufhebungsbescheid nicht ergangen. Hilfsweise berief der Beklagte sich auf die Rechtsprechung zu § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO, nach der ein in eigener Sache auftretender Bevollmächtigter nicht die Erstattung der Gebühren verlangen könne, die im Falle seiner Zuziehung durch einen Dritten für das Vorverfahren entstanden wären.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 273 abgedruckt.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 77 Abs. 2 EStG. Zu Unrecht sei das FG davon ausgegangen, dass im Streitfall die Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht notwendig gewesen sei.
Er beantragt, das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung des Beklagten und die ablehnende Entscheidung im Bescheid vom 15. Juli 1998 betreffend die Erstattung von Aufwendungen des Vorverfahrens aufzuheben und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Die Vorentscheidung verletzt nicht § 77 EStG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung seiner Gebühren.
Allerdings ist § 77 EStG über seinen Wortlaut hinaus nicht nur auf Einsprüche gegen Kindergeldfestsetzungen, sondern auch auf Einsprüche gegen die Aufhebung von Kindergeldfestsetzungen anwendbar (ebenso D. Felix in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 77 Anm. B 3; Jachmann in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 2. Aufl., § 77 Rn. 1). Die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung ist mehr noch als eine positive Festsetzung geeignet, einen Kindergeldberechtigten in seinen Rechten zu verletzen. Es ist kein Grund ersichtlich, dem Kindergeldberechtigten im Falle des erfolgreichen Einspruchs gegen die Aufhebung der Festsetzung den Anspruch auf Erstattung seiner notwendigen Aufwendungen zu verwehren.
Der Einspruch des Klägers war zwar erfolgreich, so dass grundsätzlich ein Anspruch auf Erstattung der notwendigen Auslagen gemäß § 77 EStG in Betracht kommt. Der Anspruch ist auch nicht, wie die Vorinstanz zutreffend angenommen hat, wegen Verschuldens des Klägers ausgeschlossen. Ein den Erstattungsanspruch ausschließendes Verschulden i.S. des § 77 Abs. 1 Satz 3 EStG wird angenommen, wenn der Einspruchsführer seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist und die Behörde trotz des Bestehens der Amtsermittlungspflicht keine andere Entscheidung treffen konnte (D. Felix in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 77 Anm. B 18; Krömker in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 77 EStG Anm. 10). Hier hat der Kläger zwar seine Mitwirkungspflicht verletzt, indem er den Wechsel der Ausbildung seiner Tochter nicht angezeigt hat. Der Beklagte hätte jedoch durch einfache Anhörung des Klägers den Erlass des Aufhebungsbescheides verhindern können.
Der Kläger kann gleichwohl seine Gebühren als sich selbst vertretender Rechtsanwalt nicht geltend machen. Der Senat kann dabei offen lassen, ob im Anwendungsbereich des § 77 EStG, wie die Vorinstanz angenommen hat, ein sich selbst vertretender Rechtsanwalt oder Steuerberater Anspruch auf Erstattung der Gebühren nach der entsprechenden Gebührenordnung hat (dafür Berlebach, Familienleistungsausgleich, § 77 EStG Rn. 10; D. Felix in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 77 Anm. C 6). Die Gebühren eines Bevollmächtigten sind nämlich gemäß § 77 Abs. 2 EStG nur dann erstattungsfähig, wenn die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig war. Das war hier selbst bei großzügiger Auslegung des Merkmals der Notwendigkeit nicht der Fall. Der Aufhebungsbescheid enthielt den Hinweis, dass die Fortdauer des Studiums des Kindes nachzuweisen sei. Es war klar ersichtlich, dass der Beklagte bei Erlass des Aufhebungsbescheides von einem unrichtigen Sachverhalt, nämlich der Beendigung der Ausbildung der Tochter des Klägers, ausgegangen war. Dieser Irrtum konnte ohne die Hilfe eines Bevollmächtigten aufgeklärt werden. Es war auch nicht ernstlich anzunehmen, dass der Wechsel der Ausbildung der Tochter des Klägers insoweit schädlich gewesen sein könnte. Für den Kläger war das Fortbestehen seines Anspruchs auf Kindergeld so offensichtlich, dass er sogar zunächst gemeint hatte, den Sachverhalt ―Änderung der Ausbildung seiner Tochter― dem Beklagten nicht mitteilen zu müssen. Bei dieser Sachlage hätte ein verständiger Bürger vom Wissens- und Erkenntnisstand des Klägers nicht einen Anwalt beauftragt, sondern die erforderlichen Nachweise selbst eingereicht. Es bestand auch kein Bedarf für anwaltliche Beratung dahin gehend, dass dies in der Form des Einspruchs und innerhalb der Einspruchsfrist des § 355 AO 1977 zu geschehen habe. Der angefochtene Aufhebungsbescheid enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung, so dass die Frist des § 355 AO 1977 nicht eingehalten zu werden brauchte.
Fundstellen
Haufe-Index 856072 |
BFH/NV 2003, 25 |
HFR 2003, 149 |