Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Verfahren betr. die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung
Leitsatz (redaktionell)
1. § 77 EStG ist jedenfalls dann anwendbar, wenn sich das Einspruchsverfahren gegen die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung richtet.
2. Eine Kindergeldfestsetzung auf 0 DM wird unter bestimmten Voraussetzungen als Aufhebung i. S.des § 70 Abs. 2 EStG angesehen (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 15. Mai 1998 I 206/97, EFG 1998, 1343).
3. Auch wenn die Familienkasse eine Kostenentscheidung mit dem Abhilfebescheid verbunden hat, ist die Kostenentscheidung ein selbständiger Verwaltungsakt i. S. d. § 118 AO, der mit dem Einspruch anfechtbar ist.
4. § 77 Abs. 2 EStG knüpft systematisch an § 77 Abs. 1 EStG an. Die Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten i. S. d. § 77 Abs. 2 EStG stellen danach nur Kosten innerhalb der auf der materiellen Grundlage des § 77 Abs. 1 EStG zu treffenden Kostenentscheidung dar. Verneint die Familienkasse die Notwendigkeit der Aufwendungen nach § 77 Abs. 1 EStG, bedarf es keiner ausdrücklichen Entscheidung nach § 77 Abs. 2 EStG, denn dann kann auch die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nach Abs. 2 nicht gegeben sein.
5. Auch wenn der Familienkasse ein Ausbildungswechsel des Kindes nicht mitgeteilt worden ist, ist die Notwendigkeit der im Einspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen nach § 77 Abs. 1 EStG etwa dann zu bejahen, wenn die Familienkasse eine Kindergeldfestsetzung verfahrensfehlerhaft aufgehoben hat.
6. Die Familienkasse verletzt bei der Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung ohne vorherige Anhörung das Anhörungsrecht des Kindergeldberechtigten nach § 91 Abs. 1 Satz 1 AO, wenn die Familienkasse keinen schriftlichen Festsetzungsbescheid erlassen hatte, aus dem sich der Zeitraum der Bewilligung ergeben hätte.
7. Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Einspruchsverfahren nach § 77 Abs. 2 EStG kann allerdings nur dann bejaht werden, wenn es dem Einspruchsfürer (hier Rechtsanwalt) nicht zuzumuten gewesen wäre, das Verfahren selbst zu führen.
Normenkette
EStG § 77 Abs. 2, 1, § 70 Abs. 2; FGO § 139 Abs. 3 S. 3; SGB X § 63 Abs. 2; VwVfG § 80 Abs. 2; AO 1977 §§ 118, 91 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren in einer Kindergeldangelegenheit.
Der Kläger ist Rechtsanwalt. Er bezieht von der beklagten Familienkasse Kindergeld für seine im Jahr 1974 geborene Tochter. Nachdem er nachgewiesen hatte, daß die Tochter vom Wintersemester 1994/95 ab zum Studium der Medizin an der Universität Leipzig zugelassen worden war, verfügte die Familienkasse intern, daß Kindergeld zu zahlen sei und die Zahlung – im Hinblick auf die Regelstudienzeit von 8 Semestern im Studiengang Humanmedizin – nach 8 Semestern – also im Juli 1998 – enden sollte. Das Kindergeld wurde entsprechend gezahlt, ohne daß der Kläger über die zeitliche Begrenzung informiert wurde.
Unter dem 10. Juni 1998 übersandte die Familienkasse dem Kläger ein formularmäßiges Schreiben, das folgenden Inhalt hatte:
Nach den Aktenunterlagen wird Ihr Kind in Kürze seine Hochschulausbildung beenden. Kindergeld kann letztmals für den Monat gezahlt werden, in dem die studentischen Prüfungsteilnehmer offiziell von dem Prüfungsergebnis mündlich oder schriftlich unterrichtet werden.
Die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind wird mit Ablauf des Monats 07/98 aufgehoben. Soweit Kindergeld nach diesem Monat noch für andere Kinder zu zahlen ist, wird es auf jeweils 220 DM für das erste und zweite Kind, 300 DM für das dritte Kind und 350 DM für jedes weitere Kind festgesetzt (§ 70 Absatz 2 Einkommensteuergesetz).
Damit die Familienkasse prüfen kann, ob Ihnen Kindergeld für das Kind bis zu dem genannten Monat zugestanden hat, weisen Sie bitte das tatsächliche Ende des Studiums nach (z. B. durch Prüfungszeugnis, Bescheinigung der Hochschule/Fachhochschule).
Wenn das Studium über den obengenannten Zeitpunkt hinaus andauert, ist dies durch eine Immatrikulationsbescheinigung, aus der auch die Anzahl der Fachsemester hervorgeht, nachzuweisen-, zugleich ist das voraussichtliche Studienende mitzuteilen. Sollten Sie Ende oder Fortdauer des Studiums inzwischen bereits nachgewiesen haben, brauchen Sie diesbezüglich keine Mitteilung zu machen.
In jedem Fall füllen Sie bitte den beiliegenden Erklärungsvordruck über Einkünfte und Bezüge des Kindes aus und reichen Sie ihn mit den erforderlichen Nachweisen zurück.
Am 3. Juli 1998 legte der Kläger gegen den Aufhebungsbescheid Einspruch ein und teilte – unter Beifügung entsprechender Belege – mit, daß seine Tochter am 12. Mai 1998 von der Universität Leipzig exmatrikuliert worden sei und sie seit dem 5. Januar 1998 eine dreijährige Ausbildung zur Physiotherapeutin an einer Berufsfachschule in Leipzig begonnen habe. Außerdem übersandte er eine Erklärung zu den Einkünften und ...