Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Wer erst, nachdem er in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geflüchtet ist, in der sowjetisch besetzten Zone gelegenes Vermögen geerbt und es dann durch Enteignung verloren hat, hat nicht schon, wie es § 10 a EStG 1955 erfordert, im Zeitpunkt der Flucht seine Erwerbsgrundlage verloren.
Hat der Vater, nicht aber der Sohn die Erwerbsgrundlage verloren, so kann die Vergünstigung des § 10 a EStG 1955 auch dann nur von dem Vater in Anspruch genommen werden, wenn der Vater den Sohn in den von ihm zunächst als Alleininhaber geführten Betrieb später im Wege der vorweggenommenen Erbfolge als Teilhaber aufgenommen hat.
Normenkette
EStG § 10a
Tatbestand
Streitig ist, ob der Bf. bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 1956 die Vergünstigung des § 10 a EStG für nicht entnommenen Gewinn beanspruchen kann. Der Bf. gehört zu dem durch diese Vorschrift begünstigten Personenkreis. Der Vater des Bf. ist im Jahre 1945 mit seiner Familie - darunter auch der Bf. - aus X.-Stadt (sowjetisch besetzte Zone), wo er zusammen mit seinem Schwiegervater eine Treibstoffhandelsfirma betrieben hat, in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geflüchtet. Er hat hier eine neue Firma gegründet und diese bis zum Jahre 1955 als Alleinunternehmer geführt. Seit dieser Zeit wird die Firma in der Form einer Kommanditgesellschaft betrieben. Der Vater ist Komplementär, seine Ehefrau und seine beiden Söhne - darunter auch der Bf. - sind Kommanditisten. Im Jahre 1945 hat der Bf. noch die Schule besucht. Im Jahre 1948 haben der Bf. und sein Bruder den in X.-Stadt verstorbenen Großvater (Schwiegervater des Vaters) beerbt. Zu dem Nachlaß haben 90 v. H. der Geschäftsanteile einer GmbH gehört, die nach dem Weggang des Vaters aus X.-Stadt gegründet worden ist und die alte Firma weitergeführt hat. Die GmbH ist im Jahre 1952 enteignet worden.
Das Finanzamt erkannte bei der Veranlagung für das Jahr 1956 die von dem Bf. geltend gemachte Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn nicht an, weil der Bf. zur Zeit der Flucht noch die Schule besucht und also keine Erwerbsgrundlage verloren habe. Die Sprungberufung blieb ohne Erfolg. Wie das Finanzamt, so war auch das Finanzgericht der Auffassung, daß ein Verlust der Erwerbsgrundlage nicht vorliege. Daß der Bf. nach seiner Flucht Vermögen in X.-Stadt geerbt und dann auf Grund der Enteignung verloren habe, reiche nicht aus, um einen Verlust der Erwerbsgrundlage im Sinne des § 10 a EStG 1955 anzunehmen.
Mit seiner Rb. wehrt sich der Bf. gegen die Ablehnung der Vergünstigung. Das Finanzgericht habe, so macht er geltend, nicht verkannt, daß der Begriff des Verlustes der Erwerbsgrundlage in § 10 a EStG 1955 der gleiche sei wie der in § 7 a EStG 1955. Zu dieser Vorschrift habe jedoch das Niedersächsische Finanzgericht Hannover in dem Urteil IV 271/54 vom 15. März 1955 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1955 Nr. 288 S. 264) festgestellt, daß die in ihr angeordneten Vergünstigung der Bewertungsfreiheit für alle Mitunternehmer (Vater und Söhne) in Anspruch genommen werden könne, wenn zwar nur der Vater die Erwerbsgrundlage verloren habe, die Söhne aber unentgeltlich in das zunächst vom Vater allein geführte Unternehmen hineingenommen worden seien. Es würde der wirtschaftlichen Betrachtungsweise widersprechen, wenn die Bewertungsfreiheit nur deswegen, weil der Vater seine Söhne beteiligt habe, nicht mehr in vollem Umfange in Anspruch genommen werden könne. Im Falle des § 10 a EStG 1955 gelte nichts anderes. Danach sei entscheidend, daß sein Vater die Erwerbsgrundlage verloren habe. Im übrigen aber habe auch er selbst die Erwerbsgrundlage insofern verloren, als er das von seinem Großvater hinterlassene Vermögen zwar geerbt, aber durch Enteignung verloren habe. Es sei keineswegs erforderlich, daß er die Erwerbsgrundlage schon im Zeitpunkt der Flucht besessen habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Die Inanspruchnahme der Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn setzt, wovon auch alle Beteiligten mit Recht ausgegangen sind, den Verlust der Erwerbsgrundlage voraus. Diese Voraussetzung muß in der Person desjenigen vorliegen, der die Vergünstigung in Anspruch nehmen will. Der Bf. hat aber, wie das Finanzgericht ohne Rechtsirrtum festgestellt hat, selbst keine Erwerbsgrundlage verloren.
Als der Bf. im Jahre 1945 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gekommen ist, hat er unstreitig noch keine Erwerbsgrundlage besessen. In der Tat kann weder darin, daß der Bf. sich zu dieser Zeit in Schulausbildung befand, noch darin, daß er als Erbe des väterlichen Betriebs in Betracht kam, bereits eine Erwerbsgrundlage gesehen werden. Der Verlust einer Erwerbsgrundlage kann entgegen der Auffassung des Bf. aber auch nicht darin gesehen werden, daß der Bf. im Jahr 1948 seinen Großvater beerbt und das ererbte Vermögen im Jahr 1952 durch Enteignung verloren hat. Wie das bereits von dem Finanzamt angeführte Urteil des Bundesfinanzhofs IV 57/57 U vom 5. September 1957 (BStBl 1957 III S. 374, Slg. Bd. 65 S. 372) dargelegt hat, ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Vertreibung (Flucht) und dem Verlust der Erwerbsgrundlage erforderlich. Dieser Auffassung ist auch der erkennende Senat, und zwar aus den Gründen, die das vorerwähnte Urteil dargelegt hat und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Ein solcher Zusammenhang ist bei einem Steuerpflichtigen, der wie der Bf. seine "Erwerbsgrundlage" erst nach der Vertreibung (Flucht) erworben und verloren hat, nicht gegeben.
Daß der Vater des Bf. die Erwerbsgrundlage verloren hat, reicht nicht aus, um diese Voraussetzung auch als in der Person des Bf. begründet anzusehen. Es ist zwar richtig, daß nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs I 184/53 U vom 12. Januar 1954 (BStBl 1954 III S. 79, Slg. Bd. 58 S. 437) die volle Bewertungsfreiheit des § 7 a EStG 1950 bei Aufnahme des Sohnes in das Geschäft des Vaters erhalten bleibt, "wenn der unentgeltlich erworbene Teil der Gesamtbeteiligung des Sohnes wertmäßig den entgeltlich erworbenen Anteil übersteigt". Diese Feststellung bezieht sich aber nur auf die Frage der Unternehmensgleichheit, deren Bejahung damals Voraussetzung dafür gewesen ist, daß eine Ersatzbeschaffung hat angenommen werden können. Der Gedanke, der dieser Entscheidung zugrunde liegt, ist der Gedanke der Erbfolgevorwegnahme (vgl. hierzu auch das Urteil des Bundesfinanzhofs I 17/52 U vom 6. Mai 1952, BStBl 1952 III S. 183, Slg. Bd. 56 S. 473). Er mag für die Frage der Ersatzbeschaffung (Unternehmensgleichheit) von Bedeutung sein. Er versagt aber, insoweit es lediglich um die Frage des Verlustes der Erwerbsgrundlage geht. Der Verlust der Erwerbsgrundlage ist eine an die Person des Betroffenen geknüpfte Voraussetzung. Sie kann nicht übertragen werden. Auch wer den Betrieb eines Steuerpflichtigen, der seine Erwerbsgrundlage verloren hat, erbt, kann die Vergünstigung des § 7 a oder des § 10 a EStG 1955 nicht in Anspruch nehmen. Wenn das Finanzgericht in der von dem Bf. angeführten Entscheidung für den Fall der unentgeltlichen Aufnahme eines Sohnes in den Betrieb des Vaters anders, nämlich dahin entschieden hat, daß, weil der Vater die Erwerbsgrundlage verloren hat, nun auch der Sohn die Vergünstigung des § 10 a EStG in Anspruch nehmen könne, so kann dem nicht zugestimmt werden. Es ist zwar richtig, daß der Vater, hätte er den Sohn nicht in den Betrieb aufgenommen, die Vergünstigung des § 10 a EStG für den gesamten Gewinn in Anspruch nehmen könnte. Er wäre dann aber auch Alleinunternehmer gewesen. Nimmt er den Sohn in den Betrieb auf, so muß er die entsprechende Konsequenz ziehen, daß er nunmehr einen Teilhaber hat. Ob auch dieser die Vergünstigung in Anspruch nehmen kann, richtet sich nach den Voraussetzungen, die in dessen Person gegeben sind.
Fundstellen
Haufe-Index 409808 |
BStBl III 1960, 464 |
BFHE 1961, 574 |
BFHE 71, 574 |