Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Beweiswert des Protokolls der mündlichen Verhandlung
Leitsatz (NV)
1. Die Behauptung eines Klägers, er sei während der mündlichen Verhandlung aus dem Sitzungssaal gewiesen worden und das Gericht habe in seiner Abwesenheit weiterverhandelt, berechtigt zu einer zulassungsfreien Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO.
2. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung, das über einen solchen Vorgang nichts vermerkt, hat einen jedenfalls erhöhten Beweiswert dafür, daß sich der behauptete Vorgang nicht abgespielt hat.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 94; ZPO §§ 160, 164-165, 415, 418; VGFGEntlG Art. 3 § 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt einen Campingplatz. Für das Streitjahr (1984) beantragte sie eine Investitionszulage. Der Antrag wurde am 17. Dezember 1985 vom Ehemann der Klägerin beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) eingereicht. Das FA lehnte die Gewährung einer Investitionszulage ab, da der Antrag erst nach Ablauf der in § 5 Abs. 3 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) bestimmten Frist (30. September 1985) gestellt worden sei und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorlägen. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Dagegen erhob der Ehemann der Klägerin im Namen und im Auftrage seiner Ehefrau Klage, die er zur Niederschrift des FA gab. Der Berichterstatter des Finanzgerichts (FG) forderte den Ehemann der Klägerin als Prozeßbevollmächtigten auf, bis zum 20. Oktober 1986 eine auf ihn lautende Prozeßvollmacht einzureichen. Dieser Aufforderung kam der Ehemann der Klägerin nicht nach. Daraufhin setzte der Berichterstatter des FG mit Verfügung vom 5. Januar 1987, zugestellt am 6. Januar 1987, nach dem Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) eine Frist zur Vorlage der Prozeßvollmacht bis zum 5. Februar 1987. Dabei wurde darauf hingewiesen, daß die Frist zur Nachreichung der schriftlichen Prozeßvollmacht ausschließende Wirkung habe und daß bei erfolglosem Fristablauf mit der Abweisung der Klage ohne Entscheidung zur Sache gerechnet werden müsse, sofern nicht im Einzelfall eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht komme. Die nach dem VGFGEntlG gesetzte Frist verstrich ergebnislos.
Am 26. Februar 1987 erschien der Ehemann der Klägerin beim FG und überreichte eine Vollmachtserklärung seiner Ehefrau (datiert vom 18. Oktober 1986). Er beantragte zu Protokoll Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da er seit einem Verkehrsunfall am 25. Oktober 1986 unter zeitweiligen Kopfschmerzen und sonstigem Unwohlsein leide, wobei dies auch auf allgemeinen Verschleißerscheinungen beruhe. Daraus resultiere eine gewisse Vergeßlichkeit.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab, da der Ehemann der Klägerin die Prozeßvollmacht erst nach Verstreichen der Ausschlußfrist des Art. 3 § 1 Satz 1 VGFGEntlG vorgelegt habe. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lehnte das FG ab. Bei dem geschilderten Krankheitsbild sei der Ehemann der Klägerin ohne weiteres in der Lage gewesen, die Prozeßvollmacht innerhalb der gesetzten Frist dem Gericht zuzusenden.
Die Kosten des Verfahrens erlegte das FG dem Ehemann der Klägerin auf, weil er die erfolglose Prozeßführung veranlaßt habe.
Gegen das Urteil des FG legte der nunmehrige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ,,namens und in beigefügter Vollmacht der Klägerin und ihres Bevollmächtigten, ihres Ehemannes . . ." Revision ein. Mit der auf § 116 Abs. 1 Ziff. 3 und 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Revision wird geltend gemacht, daß die Klägerin und ihr Ehemann in der mündlichen Verhandlung des FG aus dem Verhandlungsraum gewiesen worden seien und daß das Gericht allem Anschein nach in ihrer Abwesenheit mit der Vertreterin des FA allein weiterverhandelt habe. Die Klageabweisung sei auch zu Unrecht erfolgt, da die Klägerin durch ihre persönliche Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung der Prozeßführung ihres Ehemannes zugestimmt habe und damit dessen Prozeßhandlungen wirksam geworden seien. Der verspätete Nachweis der Vollmacht ändere daran nichts, wie sich aus § 116 Abs. 1 Ziff. 3 FGO ergebe.
Die Revisionsschrift ist dahin zu verstehen, daß die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen. Nach Auffassung des FA hat auch der Ehemann der Klägerin Revision eingelegt. Insoweit beantragt das FA die Verwerfung als unzulässig.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig.
a) Dabei geht der erkennende Senat davon aus, daß die Revision nur im Namen der Klägerin eingelegt worden ist und der Ehemann der Klägerin somit nicht selbst als Revisionskläger auftritt. Eine im eigenen Namen des Ehemanns der Klägerin eingelegte Revision wäre nämlich unzulässig, da der Ehemann der Klägerin am Verfahren vor dem FG nicht Beteiligter i. S. des § 57 FGO war. Er hat folglich nach § 115 Abs. 1 FGO keine Berechtigung zur Einlegung der Revision.
Zwar ist die Revisionsschrift insofern mißverständlich, als der Prozeßbevollmächtigte die Revision namens der Klägerin und ihres Ehemanns eingelegt hat. Durch die Worte, daß die Revision außer namens der Klägerin auch namens ,,ihres Bevollmächtigten, ihres Ehemanns" erhoben wird, kommt aber hinreichend zum Ausdruck, daß der Ehemann der Klägerin nicht im eigenen Namen, sondern ebenso wie im Verfahren vor dem FG als Bevollmächtigter seine Ehefrau auftreten will. Diese Auslegung wird durch folgende Formulierung in der Revisionsbegründung (unter 1.) erhärtet: ,,Die Klägerin teilt dazu mit, daß sie und ihr Ehemann, der sie auch als Bevollmächtigter in diesem Verfahren vertritt, . . .".
b) Mit der Behauptung, sie und ihr als Bevollmächtigter auftretender Ehemann seien in der mündlichen Verhandlung vor dem FG aus dem Verhandlungsraum gewiesen worden, macht die Klägerin geltend, daß sie in der weiteren mündlichen Verhandlung nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten war. Die behauptete mangelnde Vertretung in der mündlichen Verhandlung ist ein wesentlicher Verfahrensmangel, der nach § 116 Abs. 1 Ziff. 3 FGO zu einer zulassungsfreien Revision berechtigt. Offen kann bleiben, ob in dem von der Klägerin behaupteten Sachverhalt, wie die Klägerin meint, daneben noch eine Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens liegt.
2. Die Revision ist jedoch unbegründet.
a) Eine so schwerwiegende Maßnahme wie der Ausschluß der Klägerin und ihres Ehemanns von der mündlichen Verhandlung, die allenfalls im Rahmen der sitzungspolizeilichen Gewalt des Gerichts zulässig gewesen wäre (vgl. §§ 176 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG -), hätte nach § 94 FGO i. V. m. § 160 der Zivilprozeßordnung (ZPO) in das Sitzungsprotokoll aufgenommen werden müssen (vgl. § 160 Abs. 1 Ziff. 4, Abs. 2 und Abs. 3 Ziff. 6 und 7 ZPO). In dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ist darüber jedoch nichts vermerkt. Das Protokoll spricht daher schon aus diesem Grund dagegen, daß ein Ausschluß der Klägerin und ihres Ehemanns von einem Teil der mündlichen Verhandlung stattgefunden hat.
b) Offen kann bleiben, ob das Protokoll im Streitfall nur über eine Berichtigung nach § 164 ZPO oder durch den Nachweis der Fälschung nach § 165 ZPO widerlegt werden könnte. Jedenfalls hat das Protokoll einen erhöhten Beweiswert (vgl. §§ 415 und 418 ZPO). Aus dem Protokoll ergibt sich, daß die Klägerin und ihr Ehemann zum Termin erschienen sind, dort zur Sache verhandelt haben und daß darauf der Beschluß über die Verkündung der Entscheidung am Schluß der Sitzung verkündet und dann erst, also offenbar in Anwesenheit der Klägerin und ihres Ehemanns, die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist.
Dieser Verlauf wird bestätigt durch die Angaben der Vertreterin des FA im Revisionsverfahren, die an der mündlichen Verhandlung vor dem FG teilgenommen hat. Danach hat erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung ein kurzes Gespräch zwischen ihr und einem Richter stattgefunden, das mit dem Streitfall in keinem Zusammenhang stand. Aus diesem Gespräch mag zwar die Klägerin den Eindruck einer weiteren Verhandlung über ihre Sache ohne ihr Beisein gewonnen haben. Eine mangelnde Vertretung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung war damit aber nicht verbunden.
Der erhöhte Beweiswert des Protokolls zusammen mit den Angaben der Vertreterin des FA, an deren Glaubwürdigkeit zu zweifeln der Senat keinen Anlaß sieht, legen daher zur Überzeugung des Senats unwiderlegt dar, daß die Klägerin und ihr als Bevollmächtigter auftretender Ehemann nicht während der mündlichen Verhandlung aus dem Verhandlungsraum gewiesen worden sind. Die Behauptung der Klägerin beruht offenbar lediglich auf der unzutreffenden Vermutung, daß durch das von ihr und ihrem Ehemann beobachtete Gespräch zwischen der Vertreterin des FA und einem Richter die mündliche Verhandlung fortgesetzt worden sei.
c) Im Verfahren über eine zulassungsfreie Revision ist der Bundesfinanzhof (BFH) auf eine Prüfung der Verfahrensmängel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO beschränkt (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 116 Tz. 4). Es ist daher nicht zu entscheiden, ob das Urteil des FG andere Verfahrensmängel als die des § 116 Abs. 1 FGO aufweist oder ob Verstöße gegen materielles Recht vorliegen.
Ein Ausnahmefall, der nur gegeben sein könnte, wenn durch das Urteil des FG eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen worden oder eine Abweichung von der Rechtsprechung des BFH gegeben wäre, liegt nicht vor. Eine grundsätzliche Bedeutung der Sache scheidet schon deshalb aus, weil durch die Rechtsprechung des BFH geklärt ist, daß nach Ablauf einer nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG gesetzten Frist der Mangel der Prozeßvollmacht nicht mehr nachträglich durch Genehmigung der Prozeßführung beseitigt werden kann (vgl. u. a. Urteil des BFH vom 15. Mai 1981 VI R 212/78, BFHE 133, 344, BStBl II 1981, 678). Aus diesem Grunde weicht das Urteil des FG auch nicht von einer Entscheidung des BFH ab, sondern stimmt mit der Rechtsprechung des BFH überein.
Fundstellen
Haufe-Index 416017 |
BFH/NV 1989, 377 |